Samstag, 5. Oktober 2013

Abschiedspredigt Elgershausen, 7. n. Trinitatis, Tageslosung


Und nun für alle, die es lesen möchten: Die letzte Predigt, die ich in Elgershausen gehalten habe. Es war ein bewegender Gottesdienst, mit abschließendem Ständchen der Gemeinde, was mich doch sehr rührte. Wir hatten eine gute Zeit. Jetzt noch der Abschied im LKA, und dann geht es am 1. September mit dem "Kuckuksfest" in Altenritte gleich richtig los.



Es ist die homelische Umarbeitung des Threads von gestern. 


Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.

Hiob 19,25

Jesus hat die Menschen befreit, die durch ihre Angst vor dem Tod das ganze Leben lang Sklaven gewesen sind.
Hebräer 2,15

Hebräer 2,15

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn,

das ist nun meine letzte Predigt im Rahmen des Predigtauftrages. Gut 2 Jahre war es mir vergönnt, recht regelmäßig auf dieser schönen Kanzel zu stehen und Euch das Wort Gottes zu verkündigen. Nun endet der offizielle Auftrag, weil ich im wenigen Wochen in Großenritte anfange. Das ist ja nun wahrhaftig nicht aus der Welt, und ich denke, wir werden uns wohl kaum aus den Augen und Ohren verlieren.

Ich möchte heute Morgen über die Tageslosung von Gestern sprechen. Denn die hat mich tief getroffen: weil sie so etwas wie einer meiner Leitsätze ist. Ich habe mir nämlich ganz schön Gedanken gemacht in der letzten Woche, was ich heute wohl sagen muss. Ich war schön völlig verkrampft, als mich gestern Morgen die Tageslosung erlöste und ich wusste: genau, das ist der Satz, mit dem ich mich verabschieden möchte: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Klarer geht’s nicht. Klarer kann man nicht sagen, was glauben bedeutet. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Und der Lehrtext aus den Neuen Testament erklärt, was damit gemeint ist. Jesus hat die Menschen befreit, die durch ihre Angst vor dem Tod das ganze Leben lang Sklaven gewesen sind. Hebräer 2,5.

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt: das sagt Hiob. Der Satz des Hiob wäre völlig belanglos, wenn es nicht der Satz des Hiob wäre.Hiob, der von Gott geschlagen, der Reichtum und Kinder verlor, der schließlich krank und leidend auf der Asche seines früheren Lebens saß uns seine brennende und juckende Haut mit einer Scherbe kratzte, Hiob sagte diesen Satz. Er sagte ihn auf dem Gipfel seines Zornes, er sagte ihn zu seine vier Freunden die ihn mit allerhand Wahrheiten trösten wollten, aber alles nur noch viel schlimmer machten dadurch: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.

In seiner Situation vollkommenen Elends bekommt das Wort "Erlöser" eine ungeheure Kraft und Wucht.

Darum ist er für mich einer der stärksten Sätze der ganzen Bibel und der Kern des Glaubens, das Bekenntnis, in dem alle anderen umfasst sind.

Hiob spricht von seinem Erlöser. In einer Situation, in der andere fluchen, schimpfen oder schweigen würden, sagt Hiob: ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Er meint Gott damit, und meint: ich weiß, worauf ich mich verlassen kann. Was immer hier mit mir geschieht, es ist Gottes Wille und es hat einen guten Sinn. Gott ist nicht einfach nur irgendwie Gott, er ist Erlöser. Er holt mich hier raus. Wie er sein Volk aus Ägypten geholt hat, und wie er später Jesus Christus aus dem Grab holen wird.

Was anderes sollte ein Gott tun, der seine Geschöpfe liebt?

Liebe aber meint: absolute Wertschätzung des Geschöpfes durch den Schöpfer. Davon erzählt die Geschichte von der der Speisung der 5000, die wir als Lesung gehört haben. Ungefragt bekommen alle etwas ab, weil sie eben da sind. Gottes Gaben reichen für alle und sind für alle da. Wer kommt, bekommt was er braucht. Wir sind Gottes Gäste, und das Gastrecht ist heilig. Und wer das verstanden und verinnerlicht hat, der lebt ohne Angst. Das ist der Schlüssel. Wenn Kinder, Konfirmanden und Ungläubige fragen, was hast Du von Deinem Glauben, was bringt er dir, hier die Antwort: Befreiung von der Angst. Wer sich von Gott geliebt weiß, braucht sich von niemandem mehr zu rechtfertigen, denn Gott rechtfertigt ihn.

Denn wir haben doch immer irgendwie Angst und sind Sklaven der Angst. Vor dem Versagen in Schule und Beruf, vor dem Versagen in der Partnerschaft, vor dem Versagen im Leben. Nichts ist schlimmer, als ein Loser zu sein. Nicht ist kränkender. Und das stellt sich die Frage: wer hat die Macht, das über mich zu sagen? Vor wem muss ich mich rechtfertigen?

Der Glaube weiß, dass sein Erlöser lebt. Nur vor Gott müssen wir uns rechtfertigen. Und der schaut uns mit den Augen der bedingungslosen Liebe an..

Bedingungslose Liebe. Jetzt, meine Lieben, wird es ernst. Bis jetzt waren es erbaulich Worte. Aber jetzt zeigt ich Auch die Folgen. Es ist eine große Herausforderung, sich der bedingungslosen Liebe auszuliefern und aus ihr heraus zu leben. Denn das bedeutet, keinerlei Unterschiede und Voraussetzungen zwischen Menschen zu akzeptieren. Die Frage unter Christen darf niemals lauten: Was hast zu vorzuweisen? Was hast Du geleistet? Was trägst Du bei zu unserer Gemeinschaft? Sondern die Frage muss immer nur sein: wer bist Du? Erzähl mir Deine Geschichte, das wir miteinander lachen und weinen können. Denn so wächst die Liebe, von der hier die Rede ist: die Wertschätzung. Selbst alte Feinde fallen sich um den Hals, wenn sie Gelegenheit bekommen, sich ihre Geschichten zu erzählen. Wist ihr was: das ist das, worauf ich mich am meisten freue wenn ich wieder Gemeindepfarrer bin. Die Geschichten zu hören, die Menschen zu erzählen haben. Und dann mit ihnen zu dem Punkt zu gelangen, wo sie sagen können: ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Das ist Seelsorge, wie ich sie verstehe. Denn dann bin auch ich getröstet.

Viele Menschen aber haben Angst, wie sie ständig auf der Hut sind. Der Mensch ist schlecht, heißt es dann, da muss man auf der Hut sein. Freilich: wenn alle voreinander ständig auf der Hut sind, dann sieht es schon so aus, als sei der Mensch schlecht. Aber ein wertschätzender Umgang ist das nicht. Aber der Mensch ist nicht schlecht, er handelt hin und wieder schlecht. Der Mensch ist sterblich, und deshalb hat er Angst, und weil er Angst hat, beißt er. Menschen sind Angstbeißer. Entweder sie beißen andere oder sich selbst. Und von dann an wird zurückgebissen. Ihr lebt auf dem Dorf. Ihr wisst, wie unglaublich unheilvoll und vernichtend diese Spirale sein kann.

Aus dieser Spirale will uns Gott herausholen. Das geht natürlich nicht mit Gewalt. Das geht nur mit dem Wort. Das geht nur über Geschichten vom Gelingen. Mit ihnen lockt uns Gott zum Glauben. .

Und was ist das Geheimnis des Gelingens? Was zeichnet Hiob und Christus aus?

Hiob und Christus haben absolutes Vertrauen gewagt. Sich völlig ausgeliefert. Totale Hingabe an Gott. Das hat sie frei gemacht, die Welt zu ertragen und zu gestalten, obwohl sie ihnen als ein widerlicher Ort der Qual begegnete.

Das ist die Zumutung des Glaubens: das Leiden annehmen.

Und darin ist er unzeitgemäß, heute mehr, denn je. Darum haben alle Formen von "Spiritualität", die sich mit allerlei Methoden um diesen existentiellen Sprung, diese Entscheidung für Gott herummogeln, so große Konjunktur, die Opiumhölle der "Religion" hat Kultur wie nie, Aber viele von dem, was hier teuer als Religion verkauft wird, ist nur Volksverdummung. Da müssen wir sogar als Kirche aufpassen, uns nicht unter Preis und falsch zu verkaufen. Es ist sehr verlockend, sich als frommer Amüsierbetrieb auf dem Markt zu behaupten. Mit Erlösung hat das aber nichts zu tun.

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.

Zu wissen, dass der Erlöser lebt, wird alle anderen "Erlöser" ziemlich dünn aussehen lassen und ihre Einnahmequelle verdorren lassen.

Da wird es der Glauben immer schwerer haben, das ist abzusehen, weil die Erlösung (sprich: Betäubung) ein ungeheures Geschäft geworden ist, gegen dass der Erlösungsbetrieb des Jerusalemer Tempels wie ein Kinderkaufmannsladen wirkt: Wir Christen werden immer mehr Spielverderber, Nestbeschmutzer, Suppenspucker, Brunnenvergifter der kommerziellen Erlösung werden müssen. Dass wir uns als Kirche so deutlich in den Fragen der Sonntagsheilung äußern, dass wir so deutlich zu Fragen der Kinderbetreuung Stellung nehmen und dass wir so deutlich für Minderheiten eintreten, macht uns immer weniger Freunde. Wir stören die Geschäfte. Wir reden von Gott, wo andere vom Geld reden. Wir reden von Würde, wo andere von Werten reden. Wir reden von Menschen, wo andere von Waren reden.

Und das heißt: wir werden auch als Kirche noch viel weiter aus dem kommerziellen Betrieb heraus müssen. Ich fürchte, hier hat Papst Franziskus, als Südamerikaner, die Nase weiter vorne als wir. Wir Protestanten beschäftigen uns zu sehr mit Randfragen

Homosexuelle Lebensformen: was für ein marginales Thema im Grunde. Wie viele davon kennt ihr? Und wie viele unglückliche Heteroehen voller Gewalt und Lüge, voller Betrug und Verrat kennt ihr? Aha, und worum kümmern wir uns?

Und was für eine Energie stecken wir in schlichte Organisationsfragen, anstatt alle Energie in das Evangelium zu stecken. Deswegen wirken wir auf viele inzwischen wie ein leicht vergreister Verein zur Pflege religiöser Traditionen. Oder wie Gottes Finanzamt.

Wenn wir unsere Außenseiterrolle annehmen und begreifen, dass wir in der Mitte der Gesellschaft nichts zu suchen haben, und dass der Satz des Hiob nur auf dem Aschehaufen wirklich wahr ist, wird das den Glauben stärken. Und wir werden die Angst verlieren, kleiner, weniger und weniger geliebt zu werden. Dafür werden wir wahrer, klarer und wichtiger werden.

Und wir werden damit zur Minderheit. Wie Hiob. Der da saß und sich die frommen (!) Reden seiner 4 Freunde anhören musste, die wirklich gar nichts begriffen haben von Gott, sondern nur Katechismuswissen und religiöse Stereotypen von sich gaben.

Wir werden klarer werden, deutlicher. Wie Hiob. Dessen endlose Klagen in diesem einen Satz gipfeln, der wirklich der Gipfel der Klarheit ist:

"Ich weiß, dass mein Erlöser lebt".



Das ist es, was ich euch heute mitgeben möchte. Bleibt Gott treu. Fürchtet Euch nicht. Fragt nicht nach Geld, fragt nach dem Evangelium. Fragt nicht danach, wichtig zu sein, fragt danach, klar und deutlich zu sein. Stimmt nicht mit ein in das Krisengeschrei, betet lieber. Und freut Euch aneinander: dann dazu sind wir hier.

Gott, schenke mir diese Klarheit, wenn ich künftig wieder das Kleid des Wortes trage.

Erleuchte meinen Verstand zu dieser Einfachheit des Bekennens, wenn ich künftig wieder Menschen tröste und begleite.

Stärke mein Herz zu dieser Tapferkeit zur Wahrheit, wenn ich künftig wieder Kindern und Jugendlichen den Weg in das Leben zeige.

Lass die Asche auf meinem Haupt zu Diamantstaub werden.

Verwandle mein Scheitern in Kraft.

Und tue meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Herr, erlöse mich von mir selbst und führe mich zu dir.

Und Herr: halte Deine Gemeinde in der Treue zu Dir.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.