12 1 Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von
der Gemeinde, sie zu misshandeln. 2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des
Johannes, mit dem Schwert.
3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und
nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote.
4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete
ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn
nach dem Fest vor das Volk zu stellen. 5 So wurde nun Petrus im Gefängnis
festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.
6 Und in jener Nacht,
als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten,
mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis.
7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem
Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell
auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.
Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe
an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!
9 Und er ging hinaus
und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den
Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. 10 Sie gingen aber durch die
erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das
tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße
weit, und alsbald verließ ihn der Engel. 11 Und als Petrus zu sich gekommen
war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und
mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk
erwartete.
Liebe
Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!
Das
ist es, wovon die Bibel erzählt: Von der Freiheit. Oder besser und genauer
gesagt: Von der Befreiung!
Es
war die Urerfahrung des Volkes Israels, des Volkes Gottes, dass er sie aus der
Gefangenschaft in Ägypten führte. Als ihre Situation aussichtslos erschien, als
die Last von Frondienst, Ausbeutung und Misshandlung das Übermaß erreicht
hatte, da berief Gott den Mose, dass er sein Volk aus der Gefangenschaft
führte. Es muss ein unglaubliches Bild gewesen sein: Zehntausende machten sich
auf, nahmen das Nötigste und brachen auf, einfach so, und gingen. Gott hatte
den Pharao, den ägyptischen König, so weit gebracht, dass er sie ziehen ließ.
Gott hat sich als stärker erwiesen als die vermeintlichen Götter der Ägypter,
er hat die Ägypter seine Macht spüren lassen, und so ließen sie das Volk Israel
ziehen! Und es brach auf, ohne eigentlich genau zu wissen, wohin. Es brach auf,
auf ein bloßes Wort des Mose hin, dass er sie in ein Land führen wird, in dem
Milch und Honig fließen. Es war ein Flüchtlingstreck, wie ihn die Geschichte
bis dahin noch nie gesehen hatte – wie sie ihn aber, wie wir wohl wissen, künftig
immer wieder sehen wird. Dieses Ereignis sitzt im Gedächtnis des Volkes Gottes
bis heute ganz tief, und jedes Jahr wird es aufs Neue gefeiert, wenn Israel das
Fest der ungesäuerten Brote feiert, das Passahfest! Gott ist der Gott, der in
die Freiheit führt, und wenn es auch, wie beim Volk Israel, vierzig Jahre
dauern wird, am Ende steht die Freiheit, steht das neue Leben in
Selbstbestimmung und ohne Unterdrückung!
Ich
bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat! Das ist der Satz,
mit dem Gott sich seinem Volk künftig immer wieder vorstellen wird, Mit ihm leitet
er die 10 Gebote ein, dieser Satz taucht immer auf, wenn Israel dabei ist,
seinen Gott zu vergessen. „Gedenke, dass auch du ein Flüchtling warst aus dem Lande
Ägypten und dass Du ein Fremdling warst in dem Land, dass ich dir gegeben habe,
darum bedrücke den Fremden nicht, denn er ist ein Flüchtling wie du! wird dem
Volk immer wieder eingebläut, wenn es dabei ist, zu vergessen, wer es ist und
woher es kommt. Ich muss glaube ich, kein Wort dazu sagen, wie aktuell diese
Worte sind. Aber was gehen sie uns an? Wir sind doch nicht Israel?
Oder
doch?
Aber
doch!
Denn
wir sind die Erben, die geistlichen geschwisterlichen Erben dieses Volkes. Über
Jesus Christus, den Juden, sind auch wir, sind alle Menschen berufen, Teil des
Volkes Gottes zu sein und an seiner Erfahrung teilzuhaben! Denn hunderte Jahre nach
dem Auszug aus Ägypten wird Gott wieder eine große Befreiungsaktion starten: Diesmal
aber geht es um die Befreiung aus der Not von Sünde und Tod, von Dummheit,
Hochmut, Trägheit und Gewalt, diesmal werden die Menschen, alle Menschen, in
die Freiheit der Versöhnung und der Vergebung geführt. Durch Jesus Christus. Es
ist kein Zufall, dass er genau an dem Fest starb, als Israel seiner Befreiung
aus Ägypten gedachte, es ist kein Zufall, dass wir Ostern, das Fest der
Auferstehung und der Befreiung vom Tode, zu gleichen Zeit feiern, wie die Juden
ihr Passafest. Genau an diesem Tag vollführte Gott sein größtes Wunder, in dem
er Jesus, den von den Menschen ermordeten Boten der Liebe und der Versöhnung,
von den Toten erweckte und so allem Haß, aller Vergeltung, allen Wünschen nach
Rache und Zurückzahlung ein für allemal einen Riegel vorschob: Wir feiern den
Auszug aus der Sünde, aus der Schuld und aus dem Tode, das Ende von Rache und
Gewalt, wenn wir Ostern feiern, wie Israel den Auszug aus dem Lande seiner
Unterdrückung. Wir ziehen aus dem Land des Unfriedens in das Land der
Versöhnung: Zur Freiheit hat uns Gott befreit, denn er will, dass wir freie
Menschen sind. Und so ist es auch kein Zufall, dass die beiden Apostel, die
beiden Boten Gottes, ihre Befreiung aus dem Gefängnis auch genau wieder am
Passahfest erfahren, einige Jahre später: Sie waren in Gefangenschaft geraten,
weil der König Herodes dem Drängen des Volkes nachgab, die Verkündiger des
Gottessohnes und der fleischgewordenen Liebe einzusperren und am Ende, genau wie
den Apostel Jakobus, umzubringen. Gott sprengt die Mauern des Gefängnisses, und
auch wenn die ganze Geschichte ein bisschen märchenhaft und ein wenig im Stil
von frommen Kitsch ausgeschmückt wird, ist ihre Botschaft völlig klar: Gott
lässt seine Boten nicht in der Unfreiheit sitzen, er lässt die Mauern
einstürzen. Er bricht aus der Mauer der Verzweiflung Steine der Hoffnung, wie
es Martin Luther King so schön formulierte.
Das
ist eine klare Botschaft, für uns alle. Die Freiheit ist unsere Sache, sie ist
der Kern der christlichen Botschaft. Freiheit von der Angst, verloren, vergessen
und verdammt zu sein, Freiheit von der Angst, zu kurz zu kommen und
benachteiligt zu werden, Freiheit von der Angst überhaupt, und das meint immer
auch: politische Freiheit, bürgerliche Freiheit, menschliche Freiheit. Denn die
Angst ist die Wurzel allen Übels: Sie macht Menschen aggressiv, sie lähmt
Menschen. Es ist unser Auftrag als Christen, die Botschaft von der Freiheit
überall zu verkünden, das Virus der Freiheit allen Menschen in das Herz zu
senken, damit Unterdrückung und Unrecht auf der Welt zu einem Ende kommen. „Virus“
klingt gefährlich, aber hier es ganz positiv gemeint: Ist der Gedanken der
Freiheit einmal in der Welt, kann er nicht mehr hinausgeschafft werden! Zu groß
ist unsere Liebe zur Freiheit, unsere Sehnsucht nach Freiheit! Gott ist bei den
Gefangenen dieser Welt, um sie in die Freiheit zu führen, seien es Gefangene
der Seele oder des Leibes: egal! Die Gefangenschaft soll aufhören, die Freiheit
beginnen!
Eine
Freiheit freilich, die uns auch verpflichtet. Wir sind als seine Botinnen und
Boten in die Welt gesandt, diese Freiheit nun auch in die Welt zu bringen. Das
war die große Erkenntnis Martin Luthers, der mit dieser Gewissheit im Herzen
die Mauern der damaligen Kirche sprengte und die Menschen, uns, herausführte
aus dem Gefängnis von frommer Angst und religiöser Bevormundung. Was Luther
wiederentdeckte und uns allen schenkte, war diese Freiheit: Gott ist ein Gott,
der in die Freiheit führt, kein Mensch darf in seinem Namen Unfreiheit
verkünden oder auch nur bestehen lassen!
Und
das ist eine politische Botschaft. Das ist nicht nur frommes Gerede. Das ist
ganz konkret gemeint. Wir haben hier, in unsrem Land, als, wenn man so will,
nachgeborene Kinder des Volkes Israels, als Kinder Gottes und Geschwister Jesu,
ein hohes Maß an Freiheit politisch umgesetzt. Wenn es so etwas wie ein
christliches Abendland überhaupt gibt, dann erkennt man es daran: an seiner
Liebe zur Freiheit!
Die
Menschenrechte, die uns so wichtig sind, sie sind ein Ergebnis dieses Glaubens,
und so schenkt der Glauben auch den Menschen Freiheit, die selber gar keinen
Glauben haben und denen Gott herzlich egal ist: Sie ist unser, Sie ist Gottes
Geschenk an die Welt. Freiheit kann nur Freiheit für alle sein! Die Freiheit,
in der wir leben können hier in Deutschland, hier in Europa, ist die Freiheit
der Kinder Gottes. Und wir sollten alles dafür tun, dass diese Freiheit nicht
Gefahr gerät. Keine Schreier von Rechts und keine Chaoten von Links, keine
furchtsamen Bedenkenträger aus der Mitte und keine Geschäftemacher aus der Welt
der Gier, keine Hassprediger im Namen irgendeiner Religion oder einer Ideologie
dürfen uns in einen Staat und in eine Gesellschaft führen, wo diese Freiheit in
Gefahr gerät. Die Freiheit, in die Gott uns führt, ist auch die Freiheit des
Gedankens und die Freiheit der Wahl, sein Leben zu führen in Verantwortung und
Nächstenliebe. Freiheit verpflichtet: sie muss immer neu errungen und gestaltet
werden, denn Trägheit und Hochmut lassen uns schnell vergessen, wie kostbar sie
und gaukeln uns vor, Unfreiheit wäre bequemer. Freiheit geht auch nicht ohne Regeln,
ohne Recht und Gesetz: An den Verkehrsregeln könne wir lernen und begreifen,
dass wir genau dann frei sein können von Angst, wenn sich alle an die Regeln
halten – nicht um der Regeln willen, sondern um der anderen willen! Die
Apostel, die da aus dem Gefängnis geholt wurden, machten sich sofort auf den
Weg, von der Freiheit zu predigen: sie wurden nicht nur befreit, sie wurden
auch in den Dienst genommen! Ja, der Strom der Flüchtlinge, er jetzt über uns
hereinbricht, hat auch etwas Bedrohliches und Beängstigendes, ja, es ist eine
ungeheure Aufgabe, die da auf uns zu kommt, ja, es ist eine politische
Herausforderung, wie wir sie aber doch alle paar Jahrzehnte immer wieder erleben:
ich nenne nur 1945, 1989; und wer tiefer in die Geschichte blickt wird sehen:
Europa war immer in Bewegung, die Suche nach Freiheit war immer ein starker
Impuls! Menschen kommen zu uns, weil sie den Ruf der Freiheit gehört haben –
und zwar einer ganz konkreten Freiheit: der Freiheit von nackter Überlebensangst.
Wir werden diese Träume nicht alle erfüllen können. Wir werden nicht alle
Probleme lösen können. Aber wir sollten allen, die zu uns kommen, zeigen, dass
die Freiheit ein hohes Gut ist: das gilt auch für die, die kommen, um die Freiheit
in Gefahr zu bringen. Wir werden sie nur überzeugen, wenn wir ihnen die
Freiheit so schmackhaft machen, dass ihre Gewalt ins Leere läuft. Die wahren
Feinde Gottes sind nicht die Ungläubigen, denn das sind wir irgendwie alle, die
wahren Feinde Gottes sind immer die, die Freiheit in Gefahr bringen, am
schlimmsten die, die das im Namen Gottes tun. Wer wüsste das besser als wir,
die wir in einer Freiheit leben, wie sie die Weltgeschichte noch kaum gesehen
hat. Wir sind doch in den letzten Jahrhunderten wahrhaftig aus vielen
Gefängnissen von Unfreiheit und Bevormundung geführt worden, und wir als
Christen sehen darin doch die Hand Gottes am Werk, der beharrlich die Freiheit
in der Welt durchsetzen will. Da dürfen wir als Christenmenschen nicht locker
lassen. Wir leben in Freiheit und Wohlstand, wie noch nie Menschen in Freiheit
und Wohlstand gelebt haben. Und wenn wir heute Kirmes feiern, in Sicherheit, im
Überfluss, im Frieden, dann ist das doch auch eine Feier der Freiheit, eine Feier
der Befreiung, der Dankbarkeit und der schieren Freude am Leben. Aber wir
feiern auch in einem Zelt: noch mehr Symbolik geht nicht. Ein Zelt ist ein
Symbol für die letzte Unbehaustheit, die für uns alle gilt – wir feiern so
gerne in Zelten, weil wir dann wieder zurückgehen können in unsere festen
Häuser! Wir sind hier freiwillig und genießen unsere Freiheit: das ist wahrlich
ein Grund zum Feiern!
Lasst
uns alles dafür tun, dass so viele Menschen wie möglich daran teilhaben können,
lasst uns alles dafür tun, dass die Freiheit in der Welt einen Raum gewinnt:
und wenn es auch Opfer kostet, so haben wir davon doch vielfachen Gewinn: 40
Jahre wanderte das Volk durch die Wüste, das war kein Zuckerschlecken. Jesus
starb für die Freiheit am Kreuz: das war doch ein großes Elend. die Boten der
Liebe saßen im Gefängnis, erfuhren Verfolgung, Spott und Bedrängnis: das war
kein leichtes Leben. Die Freiheit ist nichts für Weicheier! Aber am Ende stand
die Freiheit, am Ende stand das Leben ohne Fesseln, am Ende stand der Sieg der
Macht Gottes, die keine andere ist, als die Liebe. Die lasst uns heute feiern,
dafür lasst uns Gott loben und preisen, und dafür lasst uns beten: Dass er uns
Kraft gibt, die Freiheit zu wahren und auf ihn und seine Kraft, die Mauern
zertrümmert und Fesseln sprengt, zu vertrauen. Das Volk Gottes, Israel und mit
ihm wir, die wir auf Jesus Christus getauft sind, sind gut damit gefahren:
Lasst auch andere in diesen Genuss kommen und uns nicht müde werden, Wege aus
der Wüste und den selbstgemachten Gefängnissen zu finden. Gott geht voran: Der
Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!
Amen