Für das digitale Barcamp, das am 5.11. stattfand, habe ich einige Gedanken in eine Präsentation gefasst:
Digitale Kollaboration und Bilder von Kirche
Der Post ist im falschen Blog gelandet. Das macht nichts, aber er gehört hier hin:
Für das digitale Barcamp, das am 5.11. stattfand, habe ich einige Gedanken in eine Präsentation gefasst:
Digitale Kollaboration und Bilder von Kirche
Der Post ist im falschen Blog gelandet. Das macht nichts, aber er gehört hier hin:
Zwischen Bit und Bytes. Dein Wort
Im Tanz der Elektronen: Deine Kraft
In Netz der Netze: Deine Energie,
Mehr als neuronal
Über alle kosmischen Strings hinaus:
Ewige Schwingung von Liebe zu Liebe.
Vielfältig sprichst Du
In Zeichen und Gesten
Berührst Du
Bewegst Du
Rufst du ins Leben
Führst zusammen
Bist Du präsent
In allen Räumen.
Licht bist du
Aus dem innersten Kern
Der dreieinigen Umarmung
Pure Energie
Die Welten verschmelzen
Unter dem Feuer Deiner Liebe,
Die Ströme der Gnade
Durchpulsen alles,
Was Geschaffenes ist
Atmendes, Stoffwechselndes,
Glühendes, Kaltes
Gewachsenes; Menschengemachtes,
Alles, was schaltet und waltet:
Das ganze Gefüge dessen, was ist.
Alles durchpowert von Dir:
Nimm uns hinein in diesen Fluß
Webe uns ein in dein Netz
Weltweit wirke Dein Segen
In allen, die wir lieben
Mehr noch in allen
Die uns hassen
Die zu lieben
Uns schwerfällt.
Speise die Armen
Tröste die Trauernden
Die Vermessenen weise in ihre Schranken
Den Lügnern falle ins Wort
Hetze lasse erlahmen
Wehre der Gewalt
Kranken schenke Gesundheit
Trauenden und Sterbenden Hoffnung
Deiner Kirche mache Mut
Neue Räume zu betreten.
Steh uns bei
Leuchte uns entgegen
Im Licht der Displays
Im Strahlen der Sonne
Im Blick, der uns trifft
Und aus dem du uns anschaust:
Jesus Christus.
Es segne und behüte uns der barmherzige Gott,
Vater, Sohn, Heiliger Geist
Gottesdienst am 31. Oktober 2022 Psalm 46
Liebe Gemeinde,
„Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“ – das Lied Martin Luthers war über Jahrhunderte so etwas wie die Hymne der evangelischen Kirche, und zumindest die Älteren unter uns werden es wohl noch auswendig können. Luther nahm in diesem Lied den Psalm 46 auf, der auch ein Lied voller Zuversicht und Hoffnung ist, auch mit ein bisschen Trotz.
Eine tiefe Sehnsucht drückt sich hier aus, aber auch eine große Hoffnung und eine Zuversicht: dass wir, wir Menschenkinder, wir Geschöpfe, in all dem Schlamassel, der uns umgibt, geborgen und gehalten sind, geschützt und bewahrt. Der Psalm möchte uns anstecken damit, möchte, dass wir unsere verzagten Blicke erheben und uns umschauen in der Schöpfung, er möchte, dass wir die Angst bei Seite legen und anstatt Worte der Verzagtheit und der Resignation andere Worte sprechen, dass wir an Stelle der alten Leier von Tod und Vergänglichkeit, von Müdigkeit und Schwere ein Lied des Lebens und der Leichtigkeit singen, ein neues Lied.
Schauen wir uns den Psalm genauer an, es lohnt, sich, und machen wir es, zur Feier des Tages, mal ganz altmodisch, sowie wie über Jahrhunderte hinweg gepredigt wurde und wie Luther es gerne machte: Vers für Vers, in der Hoffnung, die Gefühle und die Stimmung freizulegen, die darin stecken, in der Hoffnung, dass wir angesteckt werden, infiziert von Zuversicht, um mal einen in diesen Zeiten sehr gewagten Vergleich zu verwenden. So ein Lied voller Kraft und Zuversicht kann tatsächlich so etwas wie eine Impfung sein, kann uns neue, schöne Wörter und Bilder ins Herz geben, als Antikörper gegen all jene Worte, die uns traurig, müde, wütend und verzagt machen.
„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben“:
Was für ein Anfang! Ein Trompetenstoß, der das auf den Begriff bringt, was Glauben meint: Ein lautes „trotzdem“ oder „dennoch“. Der Psalm sagt eben nicht: „Alles halb so schlimm“. „Stellt Euch nicht so an“. Sondern er sagt, was Sache ist: Große Nöte haben uns betroffen, die geradezu nach Weltuntergang aussehen. Aber gerade deswegen brauchen wir ja die Hoffnung. Wäre alles halb so schlimm, könnte man ja auch sagen: Warts ab, geh in Deckung, es wird schon. Aber nein: Es bleibt dabei. Es riecht nach Weltuntergang. Deswegen braucht es trotzige Hoffnung:
Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütet und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.
Vulkane, Erdbeben, Tsunami: Die Natur wird hier als Feindin des Lebens beschrieben, ohne Verharmlosung. Das haben wir erlebt: Ein Virus legt uns lahm, macht Menschen nachhaltig krank, tötet, bringt Wirtschaft und Kultur zu erliegen, zerstört Beziehungen; eine Flutwelle zerstört an der Ahr eine ganze Landschaft. So ist es. Nichts wird beschönigt: Das ist hart, und das ist der Fall. Wer wollte es bestreiten. Hier waltet große Nüchternheit. Aber:
Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist in ihr drinnen, darum wird sie festbleiben, Gott hilft ihr früh am Morgen.
Die Natur ist eben nicht nur Feindin. Sie ist auch der Ort, in der Gott wohnt. Sie ist nicht von Gott verlassen. Die Lebensfeindin ist auch Lebensspenderin: In der Stadt, in der Gott wohnt, gibt es einen Brunnen, eine Quelle, einen Ort der lebensnotwendigen Versorgung. Ein Zeichen dafür, dass wir nicht von Gott verlassen sind, sondern geborgen an dem Wort, an dem er wohnt, eine sichere Stadt.
Nicht von ungefähr wird hier eine Stadt genannt: in der kargen und wüstenhaften Landschaft, in der dieser Psalm entstand, waren Städte oft auf Bergen gebaut, um sie vor Feinden und Tieren zu schützen. Und darum sind auch unsere Kirchen, jedenfalls die älteren, oft wie Burgen gebaut, in denen wir Schutz finden und trinken können von der Quelle des Wortes Gottes: „Kommt her zu mir alle, die mühselig und beladen seid, ruft Jesus Christus, ich will euch erfrischen“, erfrischen mit dem Wasser des Lebens, das wir umsonst kriegen. Und dieses „umsonst“, im Sinne von kostenlos, ohne Preis, ohne Gegenleistung, das war es, was Luther wiederentdeckte und was ihn auf den Weg brachte: Allein der Glaube, allein das Vertrauen auf sein Wort, bringt uns zu Gott und Gott zu uns.
Und so sind auch die steinernen Kirchen nur Zeichen und Symbole dafür, dass Gott mitten unter uns ist, wo immer sich zwei oder drei Miteinander in seinem Namen versammeln: Geborgen sind wir in der Gemeinde derer, die auf Gott vertrauen.
Doch auch Menschen können übel sein, ja sogar Bestien werden. Davon singt die nächste Strophe: Vom Krieg und von der Macht, von unseren vergeblichen Versuchen, mit Königreichen und mit Gewalt Ruhe und Ordnung zu schaffen. Doch Gewalt schafft immer nur neue Gewalt: jemand muss sie beenden.
Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen,
das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Kommt her und schauet die Werke des Herrn,
der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet,
der den Kriegen steuert in aller Welt,
der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt.
Ja, hier wird Gott als ein Krieger geschildert, der dem Krieg ein Ende macht. Das ist ein Bild, das uns nach den vernichtenden Kriegen der letzten Jahrhunderte nicht mehr so anspricht und uns unbehaglich ist. Aber versetzen wir uns für einen Moment in die Antike oder das Mittelalter und sehen wir einen Ritter vor uns, der so mächtig ist, dass er alle anderen Krieger, alle Machthaber und Gewaltherrscher in Ihre Schranken weist, der seinen Schild über uns deckt und uns verteidigt, wie nur er es kann: Das ist doch ein starkes Bild von der Macht Gottes, der das Zerstörerische zerstört. Es ist, aus heutiger Sicht, ein gewagtes Bild, da wir Gewalt als Mittel der Friedensstiftung nicht mehr akzeptieren können und gegenüber edlen Rittern sehr skeptisch geworden sind.
Denn durch Christus, mit Jesus von Nazareth kommt etwas Neues dazu, ein neues Vertrauen in die Kraft des Wortes, das die kriegerischen Bilder des Psalmes überbietet. Gottes Waffe ist eben nicht das blutige Schwert, sondern sein kraftvolles Wort, mit dem er, wie bei Jesus geschehen, Tote zum Leben erweckt und der Macht des Todes ein deutliches „Nein“ entgegenschleudert. So kämpft er für uns und auch mit uns, diese Waffe tötet nicht, sie macht lebendig. Und das zeigt uns, wie anders Gott ist, als wir es sind, die wir so schnell nur in der Gewalt eine Lösung sehen. Aber das ist auch ein Erbe der Reformation, eine Wiederentdeckung Luthers: Nicht auf körperliche Gewalt sollen wir setzen, sondern auf die überwältigende Kraft der Liebe. Gott herrscht, sagte Luther einmal, nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort. Zum Beispiel mit einem der schönsten Sätze, die Jesus gesagt hat: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ (Joh 14,19). Oder mit den Worten der Bergpredigt, die wir in der Lesung gehört haben. Den wütenden Mächten der Gegenwart setzt er ein Wort aus der Zukunft entgegen: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen!“ Was für eine Zusage, was für ein Zuspruch. Die Gewalt des Krieges wird überwunden mit der Gewalt der Liebe: Letztlich kann man das wirklich nur in einem Gedicht sagen, davon kann man nur singen, und darum war die Reformation ja auch so eine Singbewegung, darum dichtete Luther Lieder, und darum war in der Zeit der Pandemie vielleicht das Schlimmste für uns als Gemeinde Gottes, dass wir nicht singen durften.
Aber dann singen wir eben in unserem Herzen, und wir können singen, was Gott uns vorsingt:
Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!
Ich will der Höchste sein unter den Heiden, der Höchste auf Erden.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
„Seid stille“: das heißt nicht, dass uns der Mund verboten wird. Aber das Geschrei sollen wir einstellen, das Gerede von Katastrophe, Untergang und Zerstörung, das Geschrei der Angst und der Furcht. Stille sollen wir werden, um hören zu können, was er uns sagt, um das Lied der Liebe zu hören im Gebrüll der Vernichtung, das neue Lied, das Lied, das da singt: „Der Herr Jakobs ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“. Und wenn wir hören, wenn wir lauschen, wenn wir erst zaghaft, dann immer kräftiger und schließlich laut und vernehmlich singen, dann wächst uns auch die Kraft wieder zu, unsere Burg zu verlassen und hinauszugehen in die Welt und zu tun, was zu tun ist: Sie zu jenem besseren, jenem gutem, jenem lebenswerten Ort zu machen, als der sie einmal von Gott gedacht war und gedacht ist.
Ein Ort des Lebens inmitten des Todes, ein Ort der Kraft inmitten der Schwäche, ein Ort der Zuversicht inmitten der Verzagtheit. Überall kann dieser Ort sein, überall, wo Menschen davon singen und sagen: „Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“. Mehr können wir nicht tun. Aber das war ja gerade die umstürzende Erkenntnis Luthers, derer wir heute gedenken: Alles fängt an mit dem Glauben, der ein Vertrauen ist in die bergende, schützende und behütende Macht Gottes. Er liegt vor allem Tun und Machen, das aus ihm erst seine Kraft zum Guten gewinnt.
Gott schenke uns diese Gelassenheit und Zuversicht, er ziehe in unsere Herzen ein, und werde uns dort eine feste Burg, er lasse uns singen mit diesem Psalm: Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Amen.
Liebe Gemeinde!
Die Einführung des 9.- Euro-Tickets sorgte für eine handfeste Überraschung: plötzlich fuhren so viele Menschen Bus und Bahn, dass der Betrieb auf manchen Strecken zusammenbrach und die Kapazitäten nicht ausreichten. Was als Entlastung für die gedacht war, die auf Bus und Bahn angewiesen sind, setzte etwas ganz anderes frei: Menschen, die es sich bisher schlicht nicht leisten konnten, mit Bus und Bahn zu reisen, nutzten die Gelegenheit. Und das waren nicht nur Touristen, die sozusagen auf Spritztour gingen. Es waren, das konnte man z.B. in den sozialen Medien ganz gut verfolgen, auch viele darunter, die sagten: Ich wollte mein Auto schon immer stehen lassen, weil ich es für eine Umweltsünde halte, aber die Alternativen waren zu teuer.
Als der Ukraine-Krieg ausbrach, kam es sofort zu einer großen Flüchtlingswelle aus der Ukraine in die Nachbarländer, und Deutschland war davon auch recht stark betroffen, weil nicht wenige ukrainische Menschen schon Beziehungen hierher hatten. Es war keine Frage, sie aufzunehmen. Alle, die in Sorge gerieten, dass wir eine Art zweites 2015 erleben und sich hier Unmut und Protest breitmachen würde, wurden enttäuscht: Die Bereitschaft in der Bevölkerung, diese Menschen zu unterstützen, war riesig. Noch überraschender aber ist, was Bundeskanzler Scholz unter dem Begriff der „Zeitenwende“ in seiner Rede im Februar auslöste. 100 Millionen Euro für die Bundeswehr – und er stieß auf wenig Widerstand, quasi über Nacht wurde die Bundeswehr, die bis dahin ein Stiefkind der öffentlichen Aufmerksamkeit war oder sogar ziemlich schlecht behandelt wurde, populär, auf einmal saßen Menschen in Uniform in den Talkshows und man hörte ihnen zu.
Was haben diese drei Bespiele gemeinsam? Offensichtich wird die Bereitschaft der Menschen, tatsächlich etwas zu ändern, den Kurs zu wechseln, ja sogar Einschränkungen und Anstrengungen auf sich zu nehmen, wenn es nur klar gesagt und ins Werk gesetzt wird, höher, als oft vermutet. Wäre das auch ein Signal für die Maßnahmen, die dringend anstehen für den Klimawandel? Könnten hier ein klares Wort, eine klare Anweisung und eine deutliche Benennung dessen, was der Fall ist, am Ende auch Menschen in Bewegung bringen? Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich vor das Problem gestellt sieht, einem Winter entgegenzugehen, der uns in ernsthafte Schwierigkeiten mit der Gas- und Energieversorgung bringen kann, versucht das seit einiger Zeit, auch, indem er deutlich und klar die Konsequenzen auf den Begriff bringt. Er spricht Sachverhalte an, die noch vor wenigen Monaten höchsten hinter vorgehaltener Hand gesagt werden konnten: Es kann so nicht weitergehen. Und überraschenderweise stößt er auch wenig Widerstand, er ist im Moment einer der populärsten Politiker.
Es ist offensichtlich so, dass man den Menschen mehr zutrauen kann, als man oft denkt – vor allem auf Seiten der Mächtigen und der Entscheider. Und manchmal müssen die dann auch wenig Druck von unten bekommen, damit sich etwas bewegt und sie erkennen: Die Menschen sind in vielem manchmal viel weiter, als von ängstlichen Politikern angenommen.
Genau das ist die Erfahrungen, die der Prophet Jona macht. Er bekommt von Gott den Auftrag, in die Stadt Ninive zu gehen und dort zu sagen: „Gott hat von Eurer Schlechtigkeit gehört, er wird die Stadt vernichten!“
Beim ersten Mal ging Jona diesem Auftrag aus dem Weg. Denn Ninive war die Hauptstadt der Assyrer, des aggressiven Feindes im Osten von Israel, dem heutigen Irak, der schon mehrfach das Land überfallen und ausgeplündert hatte, der Erzfeind. Begreiflicherweise hatte Jona Angst, er flüchtete auf einem Schiff nach Westen, Richtung Spanien. Das aber nützte natürlich gar nichts – das Schiff geriet in einen Sturm, die Seeleute losten, an wem das liegen könnte, und das Los fiel auf Jona. Er wurde über Bord geworfen. Aber er ertrank nicht. Die schöne Geschichte erzählt, dass er von einem großen Fisch verschlungen wurde und nun im Bauch des Fisches erkannte, dass er Gott nicht entwischen kann. Er betete ein langes Bußgebet, und schließlich spuckte der Fisch ihn aus. Jona bekam seinen Auftrag erneut. Diesmal machte er sich auf den Weg. Und wir haben gehört, was geschieht. Ohne große Umschweife wird erzählt: “Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage!“
Also predigte er und sprach: „Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an“.
Die Menschen reagieren! Jonas Ängste waren völlig unbegründet. Wir erfahren ja gar nicht genau, was er ihnen gesagt hat, außer: Es kann so nicht weitergehen, wenn ihr so weitermacht, werdet ihr untergehen! Und sie reagieren, wie man eben in antiken Zeiten reagierte: Sie warfen sich, und das ist ja bis heute sprichwörtlich, in Sack und Asche und fingen an, ihr Verhalten zu ändern. Jona hatte die Menschen völlig falsch eingeschätzt! Aber es geht noch weiter: „Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche.“ Er verkündigt eine große Staatsbuße und einen Wechsel in der Politik. Jetzt, als der König sieht, wie das Volk reagiert, nimmt er es auch an und verkündet eine Umkehr des gesamten Staates, sogar das Vieh wird miteinbezogen.
Und daraufhin ändert auch Gott sein Vorhaben: Er sieht, dass er gehört wird, und „…da reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht“.
Die Stadt war gerettet. Das war nun also genau so ein Moment: Die Menschen hörten Klartext, und sie reagierten. Und als die Regierung das sah, sah sie sich auch genötigt, zu reagieren.
Interessant ist, wie es weitergeht – Jona wird nämlich wütend. Jona hatte nämlich, mit der durchaus üblichen Arroganz, die einen Propheten schon einmal befallen kann, damit gerechnet, dass Gott sein Vorhaben nicht durchzieht und den Feind Israel nicht vernichtet. Er wollte die Stadt in Schutt und Asche sehen. Aber das geschieht nicht. Für seine Arroganz bekommt er nun eine eindrückliche Lehre verpasst:
Jona schmollt und setzt sich auf einen Hügel vor der Stadt. Weil es so heiß war, ließ Gott eine Rhizinus-Staude wachsen, die ihm Schatten bot. Das war natürlich angenehm. Aber dann schickte Gott auch einen Wurm, der die Pflanze verdorren ließ, so dass Jona wieder in der Hitze saß. Er beklagte sich darüber bei Gott und musste folgendes als Antwort hören: „Ist es recht von dir, wegen des Rizinusstrauches zornig zu sein? Er antwortete: Ja, es ist recht, dass ich zornig bin und mir den Tod wünsche. Darauf sagte der HERR: Du hast Mitleid mit einem Rizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Soll ich da nicht Mitleid haben mit Ninive, der großen Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die zwischen rechts und links nicht unterscheiden können - und außerdem so viel Vieh?“
Jona musste lernen, anders über die Menschen und über Gott zu denken. Seine heimliche Rachsucht wurde entlarvt, aber auch sein mangelndes Zutrauen in die Menschen und ihre Fähigkeit, sich wirklich zu ändern, wenn es hart auf hart geht. Gott sagt ja: Sie können rechts und links nicht unterscheiden, sie haben keine Orientierung. Aber ich habe ihnen eine gegeben. Soll ich sie darum trotzdem vernichten, nur, damit Du Recht behältst? Gott ist ein Gott des Lebens und nicht des Todes.
Die Geschichte endet hier. Es wird kein Fazit gezogen. Sie ist für viele Deutungen offen.
Heute aber hören wir aus der Geschichte: Man kann den Menschen auch etwas zutrauen, und manchmal sind die Menschen, das Volk, die Bevölkerung, die Bewohner, man mag es nennen, wie man will, viel weiter als die Mächtigen oder die Regierenden und durchaus bereit, aus einer drohenden Katastrophe die nötigen Schlüsse zu ziehen.
Das kann uns eine Ermutigung sein. Das 9-Euro Ticket, die Zeitenwende-Rede, die Einschränkungen, die möglicherweise auf uns zukommen wegen der Energie- und der Klimakrise: Wir sollten einander da etwas zutrauen, und wir sollten Klartext miteinander reden. Dann kann es geschehen, was in Ninive geschehen ist: Die Menschen besinnen sich und sind bereit, etwas zu ändert, und das bringt dann auch die Regierenden dazu, entschiedene Schritte zu gehen. Wichtig ist halt, die Menschen wirklich mitzunehmen und keine Angst zu haben.
Das ist die Jona-Geschichte, trotz all ihrer märchenhaften Züge, überraschend aktuell. Vielleicht kann man es in einen einfachen Satz zusammenfassen: Die Menschen sind gar nicht so, wenn man sie ernst nimmt. Traut Euch, die Wahrheit zu sagen.
Gott gebe uns, als Volk, Bevölkerung und Einwohner, als Regierende und Verantwortliche diesen Mut, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die Wahrheit furchtlos auszusprechen und die nötigen Schritte zu tun. Dann kann sich tatsächlich etwas ändern, von dem es eben noch hieß: das geht nicht! Es kann nur besser werden.
Amen.
Fürbitte:
Gott, unser himmlischer Vater,
es sind schwierige Zeiten, und wir müssen uns ändern. Wir müssen aufhören, de Erde zu plündern, wir müssen aufhören, fragwürdige politische Bündnisse zu schließen und schiefe Kompromisse einzugehen. Wir müssen den Mut finden, neue Wege zu gehen und dafür auch bereit sein, einen Preis zu zahlen. Die Zeichen der Zeit sind eindeutig und klar. Und so bitten wir dich: Sende uns Menschen, die Klartext reden. Öffne die Ohren der Menschen, das auch zu hören. Nimm uns die Angst vor Veränderungen; so wie es ist, kann es nicht bleiben. Gib uns Zutrauen in unsere Kraft, auch schwierige Zeiten zu ertragen, und sie nicht einfach auszuhalten und abzuwarten, sondern etwas zu verändern und neu zu beginnen. Sende den Regierenden den Mut, den Menschen reinen Wein einzuschenken. Und gib uns die Hoffnung, dass Du uns dabei begleitest und uns deine Kraft zur Veränderung sendest. Führe uns zu Umkehr, wie du es durch deine Propheten, durch Jona und Jesus Christus getan hast. Wir wissen, dass wir mehr können, als wir meinen. Lass uns Zutrauen finden zu dieser Kraft, damit die Erde ein guter Ort wird für alle.
Amen
Gefüge
Wer hat die befugnis
fügung zu fügen
und fuge um fuge
spuren zu spüren
wer hat die befugnis
eine fuge zu fügen
und lagen zu lagern.
wer hat die befugnis
meine stimme zu stimmen,
wer tönt meinen ton
aus dem ich gefügt bin?
Postheroischer Hymnus
Wer ist nun noch blind genug
zu singen von helden
zerfetzt in den gräben
verbrannt in maschinen
in den kellern verschüttet
vergewaltigt, verschleppt, verhungert?
Wer wagt es
Achill zu beschwören,
das eitle narzisstische vieh
Siegfried,
den unverwundlichen deppen
Jaël,
die schädelspaltende,
frevelnd am gastrecht
David,
den schlingenschwingenden brecher der regeln von ehre und zweikampf?
Der krieg hat verloren:
da gibts nichts zu dichten
was es zu singen gibt
erzeugt nur noch ekel
und die schmerzhafte liebe zu dir,
weise kassandra.
kenntest du doch
den getöteten gott aus judäa:
Dein liedloses unheil
wäre umschlungen
von singbarem.
So bleibt nur
verstummende scham.
Und das dröhnen der waffen .
blut kristallenes leben
zerknirscht unter weihen
verlogenes träumen
ewigen lebens
ihr nennt es opfer
es ist aber: mord.
Es ist keine finsternis
Es fehlt bloß das licht.
Es ist kein schrecken
Es fehlt bloß das Glück.
Kyrie eleison
Auch auf die Sonne
Herrliche, schreckliche
Lachende brennende
Alles versegende
Lebensspendende
wartet
in kollaps
das schwarze Loch.
Kyrie eleison
Wissen/Tod
Die einen: drei Tag triefnase.
Die andren: drei wochen atemmaschine.
Noch andere: drei monate schwäche.
Wieder andere: Tod
Noch unsere großeltern:
ausgeliefert, ohne option,
ratlos, namenlos bedroht: strafangst.
Was geht vor in den verächtern des wissens
den komplizen des vermeidbaren Unheils?
Kyrie eleison
Ich liege im bett
höre radio
und möchte erst recht nicht mehr aufstehen.
So liege ich mitten im leben.
Wie hast du es
aus dem grab geschafft?
Ich schaffe es grad
mit mühe zum klo.
Kyrie eleison
so ein unhörbares schreien
ist in der welt
lauter als der schrei der gebärenden
stumm geworden unter
dem beschwichtigenden muff der talare
dein schrei
Kyrie eleison.
Wenn alles nur ein traum ist
und träume der spiegel sind
dessen, was der fall ist,
dann möchte ich gar nicht
aufwachen.
Es sei denn
Neben dir
Kyrie eleison
Draußen ist sturm
und drinnen
ist sorge
aber nicht vor dem sturm,
der halt ein sturm ist,
sondern vor dem unbeschreiblichen elend
der dummheit.
Warum ist der mensch
so verloren
mit seinem großen gehirn?
Wie ich meine katze beneide.
Kyrie eleison
Lo Seid getrost und unverzagt alle, die ihr des HERRN harret!
Ps 31,25
Liebe Gemeinde Schwestern und Brüder
Der Krieg in der Ukraine beschäftigt uns alle.
Diese Passionszeit ist erfüllt
von Bildern namenlosen Schreckens.
Wir haben einen Krieg vor der Haustür
und ganz neu und anders und
stärker als jemals vorher stellt sich
die Frage,
die wir lange verdrängten:
Ist Wladimir Putin und das wofür er steht
unser Feind?
Und können wir wollen, was der Eingangspsalm (Psalm 143) will:
Seine völlige Vernichtung,
durch Gott sogar?
Jeder von uns wird den Moment gehabt haben
wo genau dieser Wunsch stark war:
Tod dem Töter.
Doch was ist dann mit der christlichen
Feindesliebe?
Was mit der Hoffnung auf Frieden
und der Vergebung?
Was mit Freundlichkeit, Langmut, Geduld?
Dazu ein paar hilflose Gedanken,
die vielleicht in ihrer Hilflosigkeit
eine Hilfe sein können.
Die Feindesliebe meint nicht Sympathie
mit dem Feind.
Es geht nicht darum,
ihm gegenüber warme Gefühle zu hegen
und zu leugnen,
dass er der Feind ist.
Der Feind ist doch nur
der Extremfall des Nächsten
und der Extremfall meiner selbst.
Sonst bräuchte es kein Dreifachgebot der Liebe.
Dass Jesus überhaupt von der
Feindesliebe spricht
zeigt,
dass es Feinde gibt
in der unerlösten Schöpfung,
die der Vollendung noch harrt.
Die Feindesliebe meint nicht, dass
es keine Feinde gibt.
Schließlich sagt Paulus, dass Gott sich mit uns
versöhnte, als wir noch Feinde waren,
seine Feinde.
Dafür steht das Kreuz
Und das ist die Spur
Feindesliebe meint
dass wir dem Hass nicht nachgeben,
der nach uns greift.
Es geht darum, dass wir unserem Feind nicht
ähnlich werden,
Dass wir nicht unseres Feindes Feind werden,
sondern Gegner des Bösen, das er tut.
Der Feind als Feind will unsere
Vernichtung und unsere Zerstörung
Dass ist der Sinn des Krieges, seit es ihn gibt.
Und deswegen muss er als Feind ausgeschaltet
werden
bewegungs- und handlungsunfähig
gemacht werden.
Und das muss entschlossen
geschehen.
Und das muss radikal geschehen und
das muss auch schnell geschehen
Denn auch der Krieg
ist eine ansteckende Seuche.
Und dabei machen wir uns immer schuldig,
oder besser: Die Schuld, in der wir leben,
wird bis an die Erträglichkeitsgrenze sichtbar.
Denn der Krieg ist das Menschenmögliche.
Jeder Krieg beschädigt uns alle.
Schon dass es ihn gibt, ist beschämend.
Jeder Krieger
ist ein Akteur des Todes.
Darum ist es tröstlich zu hören:
Der letzte Feind der besiegt wird
ist der Tod.
Golgatha ist das finale Schlachtfeld,
und die schrecklichen Bilder der Apokalypse,
des letzten Buches der Bibel
das die letzte Schlacht Gottes schildert,
kaum zu ertragen,
ist nichts anderes als die Ausschmückung
dessen, was am Karfreitag geschieht:
Gott stirbt,
um die Gewalt zu entlarven, als das, was sie ist:
gottlos.
Und der Karsamstag ist der Tag
der Stille nach der Schlacht.
von der Arthur Wellington,
der Sieger von Waterloo, sagte:
„ Das größte Unglück ist eine verlorene Schlacht, das zweitgrößte eine gewonnene. “.
Und deswegen sind
auch alle die unsere Feinde
die Akteure
des Todes sind
und Wladimir Putin steht
im Moment genau dafür
ein Akteur des Todes zu sein
ein freund des Todes
Der Mensch Wladimir Putin
den ich persönlich überhaupt nicht kenne
sondern
nur aus dem Fernsehen
spielt dabei dabei
keine Rolle.
Möglicherweise ist er wirklich
ein netter Kerl.
Es geht nicht darum was er ist
das liegt allein in Gottes Urteil.
Und da vertraue ich auf seine Gnade und sein Gericht
Dem er sich wird stellen müssen.
Auch für ihn liegt die Verwandlung bereit.
Hier geht Gott,
dafür steht das Kreuz,
über die Bitte des Psalmes hinaus,
den wir am Anfang beteten:
Der Feind, der vernichtet wird,
ist das,
was tödlich ist an ihm und seinen Leuten,
auch ihnen blüht die Verwandlung.
Es ist, etwas paradox gesagt,
eine Vernichtung des Vernichtenden
zum Leben.
Das aber
ist nicht unser Werk.
Hier aber heute und jetzt
geht um seine Handlungen
und die sind
jetzt und hier abgrundtief böse
verachtenswert
und müssen beendet werden,
das wird nicht einfach
Da kommen wir nicht sauber raus.
Aber es muss um
der Menschen willen geschehen,
die deswegen sterben müssen
und zwar auf
beiden Seiten.
Von denen her müssen wir
denken: vom sterben der anderen.
Die Kunst ist immer
dass ich nicht meines Feindes Feind
werde,
dass ich nicht so werde wie mein Feind
Die Herausforderung an uns Christenmenschen
die fast schon paradoxe und schwere
Erwartung ist:
dass wir
sanftmütige Feinde sind.
Wir sind schon weit gekommen,
Vergessen wir das nicht:
Der Krieg als solcher gilt schon als Verbrechen,
er ist geächtet als Mittel der Politik,
das war noch vor einem Jahrhundert ganz anders.
Der Preussische General Clausewitz hat es formuliert,
und es war 200 Jahre Dogma:
Der Krieg ist die Fortsetzung von Politik
mit den Mitteln der Gewalt.
Wir wissen heute:
Krieg ist das Scheitern der Politik
vor der Gewalt
Er beschämt das gesamte
Menschengeschlecht
Und verwundet uns alle.
Das ist für mich
der Hoffnungsschimmer.
In all den verworrenen Diskussionen der letzten Wochen
war das immer deutlich zu spüren:
Krieg ist, was keiner,
der bei Sinnen ist,
wirklich will.
Das mag wenig sein.
Doch das ist es,
Was wir Christenmenschen immer wachhalten müssen:
Krieg soll nicht sein,
und die Rache liegt
in der Hand Gottes
der Vernichtung nicht will.
Aber mir hilft es,
meinen Hass in den Griff zu bekommen.
Denn die Ukraine ist die Heimat meiner Väter.
Mich schmerzt dieser Krieg, wie kaum ein anderer es je tat.
Mir hilft es zu hören,
was die Losung sagt:
Am Ende dieser komplizierten Gedanken, dieses hilflosen Gestammels,
steht ein einfacher Satz,
der dem Psalm des Beginns ins Wort fällt:
Seid getrost und unverzagt alle, die ihr des HERRN harret!
Ps 31,25
Nur schlichte gemüter
halten schlichte gemüter
für schlichte gemüter.
Herr, bewahre uns.
(Die Predigt wurde für das Projekt "Premium Predigt" des Bergmoser und Höller Verlages geschrieben, deswegen kann ich sie heute erst veröffentlichen. Der Wortlaut dieser Predigt weicht von dem, was ich gestern gepredigt habe ab, der leitende Grundgedanke ist aber derselbe).
Mk 10,35-45
35 Da gingen zu ihm Jakobus und
Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du
für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt
ihr, dass ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen
einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38
Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den
Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der
ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber
sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft
werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner
Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern
das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie
unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu
ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre
Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
43 Aber so ist es unter euch nicht;
sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer
unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.45 Denn auch der
Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er
diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Liebe
Gemeinde,
„Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an“. Es klingt wie ein Naturgesetz, was Jesus hier sagt. Herrschaft scheint überhaupt nur als Gewalt einiger über viele denkbar zu sein. Und Gewalt meint: Den anderen zwingen, zu tun, was er nicht will unter Androhung von Schmerz oder Vernichtung.
Der Ukrainekrieg führt uns das gerade wieder vor Augen, und zu all dem Schrecken, den die Bilder in uns auslösen, kommt noch eine Art Enttäuschung, ein Unbehagen, ja sogar eine tiefe Frustration darüber, dass dieser Satz Jesus mehr zu stimmen scheint, als uns in den Jahren des Friedens, die wir erleben durften, lieb geworden ist. Herrschaft, so scheint es, ist tatsächlich letztlich nichts anderes als die Ausübung von Gewalt, und Macht ist letztlich nichts anderes als die Ermächtigung, Gewalt auszuüben.
Ist also die Demokratie, ist das, was wir im sogenannten Westen kultivieren, eine Selbsttäuschung? Ist die Vorstellung davon, dass man Herrschaft so einzäunen kann, dass daraus Regierung wird, ein Irrtum? Ist die Vorstellung falsch, dass die Gewalt, wenn sie schon nicht ausgerottet werden kann, so aber doch durch Teilung, durch Recht und Gesetz, durch Kontrolle und Beobachtung eingehegt und gezähmt werden kann?
Der simple Satz, dass wir gegen den Krieg sind, reicht da
sicher nicht aus. Auch das System Putin ist "gegen den Krieg". Deswegen nennen
sie es „militärische Spezialoperation“. Das Gefühl, dass Gewalt und Krieg
letztlich doch keine wirklich guten und moralisch vertretbaren Handlungen sind,
scheint selbst dort angekommen zu sein. Erschrecken ist natürlich auch, dass
die russisch-orthodoxe Kirche, jedenfalls auf der Ebene ihrer Leitung, so
geschlossen und eindeutig die Gewalt bejahrt und unterstützt, die hier
entfesselt worden ist.
Das Thema „Macht und Gewalt“ hat uns gerade massiv am Wickel und verunsichert uns als Christen sehr. Das ist deutlich zu spüren. „Ihr wisst, Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an“ – der Satz, den Jesus sagt, geht ja noch weiter: „Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“. Der Zusammenhang von Macht und Gewalt wird hier von Jesus gerade aufgelöst. Macht und Gewalt müssen nicht miteinander verkoppelt sein. Es ist gerade kein Naturgesetz.
Wie macht er das? Jesus fragt nach der Funktion von Macht. Er sagt nicht: Es darf keine Macht geben. Das wäre sehr naiv. Sondern er gibt der Macht eine Aufgabe, ein Ziel und eine Funktion: Die Macht soll dienen. Und zwar „den Vielen“. Gemeint sind: die Menschen. Macht soll den Menschen dienen, und wer Macht hat und haben will, soll nicht Herrschen, sondern sich in den Dienst der Menschen stellen. Die Macht erhebt sich also nicht über die Menschen, sondern sie unterwirft sich ihnen. Sie ist kein Selbstzweck. Sie hat eine Aufgabe.
Jesus sagt dann weiter – und das klingt auf den ersten Blick ein wenig rätselhaft: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“. Der Menschensohn: damit beschreibt sich Jesus gerne selbst, es ist ein Wort aus der jüdischen Tradition und es meint letztlich den Boten Gottes, den von Gott abgesandten, der, der Gottes Macht auf der Erde repräsentiert. So sieht sich Jesus. Er ist der von Gott Abgesandte, der mit der Macht Gottes beschenkte Mensch, der diese Macht aber nun eben nicht zum Herrschen benutzt, sondern dazu, sein Leben hinzugeben für die vielen.
Damit spielt er auf seinen Tod an. Dass Jesus sterben wird, und zwar von der Hand mächtiger Menschen, dass Jesu ein Opfer der Macht, der falschen Macht, der Macht der Gewalt wird: gerade darin zeigt sich seine Macht. Sein Tod wird befreiende Macht haben, so wie ein Lösegeld, mit dem man Geiseln befreit. Worin besteht diese Befreiung? Sie besteht darin, dass im Tod Jesus etwas sichtbar wird: dass Macht, die sich als Herrschaft versteht und Gewalt ausübt, gegen den Willen Gottes ist.
Denn was geschieht am Karfreitag? Die weltliche Macht, repräsentiert durch die Römer und die von ihnen eingesetzte jüdische Regierung, wird Jesus im Namen Gottes töten. Aber Gott lässt diesen Tod nicht gelten. Er hebt ihn auf. Gott widerspricht der Gewalt in der Auferstehung. Das Kreuz soll nicht sein. Das Kreuz entlarvt die Macht der Gewalt als falsche, anmaßende und lebenszerstörende Macht. Das Kreuz ist ein deutliches, unübersehbares Zeichen dafür, dass Gewalt nach Gottes Willen nicht sein soll.
Hier zeigt sich ein
völlig neues, völlig anderes Verständnis von Macht. Macht wird nicht als
Gewaltausübung verstanden, sondern als Hingabe. Und Hingabe ist nicht anderes
als äußerste Liebe, der tiefste Akt der Zuwendung, den wir uns als Menschen
überhaupt vorstellen können. Der gewaltsame Tod Jesu ist ein Zeichen für das
Ende der Gewalt von Gottes Seite aus. Nie wieder wird sich Gewalt und wird sich
Herrschaft, die sich auf Gewalt stützt, auf Gott berufen können. Macht ist nur
als Hingabe, als Liebe, als Zuwendung, als Lebensförderung denkbar und möglich.
Alles andere ist Missbrauch von Macht, ist ihre Perversion. Das heißt also:
Nicht die Macht ist böse, aber die Art und Weise, wie sie ausgeübt wird, die
kann böse sein. Nämlich dann, wenn sie Leben zerstört, anstatt Leben zu
ermöglichen. Das ist an Klarheit nicht zu überbieten und völlig eindeutig.
Jesus sagt das zu seinen Jüngern, die genau das
nicht verstanden haben. Die beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes,
haben eine Bitte an Jesus: sie möchten gerne, als Lohn für ihre Treue, am Ende
der Zeiten neben Jesus auf dem Thron sitzen und mit ihm herrschen. Aber Jesus
weist dieses Ansinnen ab. Sie werden nicht die Kraft haben, den letzten Weg zu
gehen, den Jesus geht. Denn nur Gott selbst kann den Weg durch die Gewalt
gehen, und sie so beenden. Bekommen Menschen Macht in die Hand, ist die Gefahr
immer da, dass sie zur Gewalt wird. Denn die letzte Kraft zur Liebe fehlt uns.
Die totale Hingabe ist uns nicht möglich. Davor haben wir viel zu viel Angst.
Denn heißt totale Hingabe nicht, dass man sich selbst dabei völlig aufgibt? Nur
Gott kann das. Nur Gott hat die Macht zur totalen Liebe. So weist Jesus das
Ansinnen der Jünger ab. Nur Gott kann dafür einstehen, dass Macht nicht zur
Gewalt wird. Nur er kann den letzten Weg gehen, den Weg durch den Tod in das
Leben, durch die Gewalt in die Gewaltfreiheit.
Und was heißt das nun für uns? Wie umgehen damit? Diese Sätze Jesu zeigen uns, dass wir gegen unseren natürlichen Impuls, Macht als Gewalt zu denken, angehen müssen. Dass wir immer damit rechnen müssen, dass Macht zur Gewalt führt. Und dass wir deswegen alles für tun müssen, Macht zu begrenzen und einzudämmen, dass wir mit Macht ganz vorsichtig umgehen müssen, dass wir auf der Hut sein müssen.
In der Tat: Diese Sätze Jesu sind ein Stachel in unserem Fleisch. Sie sind eine massive Kritik an unserem sogenannten normalen Denken. Indem Jesus Macht nicht mit Gewalt verbindet, sondern mit der Liebe, verändert er den Umgang mit Macht. Diese Worte Jesu hatten eine große Wirkung. Sie sind einer der Gründe, warum in unserer, der sogenannten westlichen, der christlichen Welt, Methoden der Aufteilung von Gewalt entwickelt worden sind, die Gewaltenteilung, die die Grundlage aller Demokratie ist, die Idee, dass wir die Macht nur zeitlich befristet verteilen und dass die Macht von Volk, von den vielen verliehen wird und das Macht nur verliehen wird, um sie in den Dienst der Menschen zu stellen.
Dieser Gedanke ist einer der Grundlagen unserer Kultur – und genau dieser Gedanke wird gerade durch den Krieg in der Ukraine in Frage gestellt. Dieser Krieg ist nicht nur ein Krieg eines Volkes gegen ein anderes. Es geht hier nicht nur um Ressourcen und Einfluss. Es geht hier auch um die Demokratie, es geht hier auch darum, wie Macht ausgeübt werden kann und darf. Dieser Krieg richtet sich zutiefst gegen unsere moderne, christliche fundierte Tradition. Das ist die große Beunruhigung, die er auslöst. Und darum müssen wir, gerade als Christen, diesen Kampf auch unterstützen. Mit unseren Gebeten, die nicht ablassen dürfen, um Frieden zu bitten. Aber auch ganz konkret mit Waffen und Beistand.
Die Gewalt, die hier entfesselt wurde, wird nur mit Gewalt beendet werden können – aber mit einer Gewalt, die letztlich das Ziel des Friedens hat, und zwar eines Friedens, der die Gewalt eindämmt. Das ist ein Dilemma. Das steht völlig außer Frage. Es fühlt sich nicht gut an. Sehr groß ist die Gefahr, dass sich aus dieser, sozusagen gut gemeinten Gewalt am Ende verselbstständigt und doch wieder selbst zu dem wird, was sie gerade verhindern will. Deswegen dürfen die Gespräche nicht abreißen. Deswegen muss versucht werden, selbst diese Gegenwalt in den Griff zu bekommen.
So schwierig der Gedanke auch ist: Selbst in diesem Krieg muss die Feindesliebe zu Wort kommen und eine Chance bekommen. Das ist unsere große Aufgabe als Christen in diesem Krieg: Dafür das Bewusstsein wach zu halten und das Gespür dafür nicht zu verlieren, wie gefährlich die Gewalt ist, dass sie nur ein äußerstes Mittel sein kann. Das ist nicht leicht zu ertragen. Es ist eigentlich nur ertragen, wenn wir die Hoffnung auf die Kraft der Liebe nicht verlieren, der Liebe, die Herrschaft nicht als Gewalt, sondern als Hingabe versteht.
Diese Kraft können wir gewinnen, wenn wir auf das Kreuz Jesu schauen und daran immer wieder aufs Neue lernen: Gewalt darf niemals das letzte Wort sein, Gewalt darf niemals ein Mittel der Politik sein, sie ist das, was wir beenden müssen, um Gottes und der Menschen willen. Gott gebe uns die Kraft, das wachzuhalten und uns von der Gewalt, die hier ausgebrochen ist, nicht mitreißen zu lassen. Es steht zu viel, es steht alles auf dem Spiel. Gewalt soll um Gottes Willen nicht sein. Davon dürfen wir nicht lassen, selbst wenn wir, weil es uns aufgezwungen wurde, Gewalt anwenden müssen.
Kyrie elesion,
Herr erbarme dich, gib uns die Kraft der Liebe, die die Gewalt eindämmt. Lass
uns der Versuchung der beiden Jünger widerstehen, herrschen zu wollen. Gib uns
die Kraft, mit Liebe zu regieren. Amen.