Sonntag, 27. April 2014

Wellness und innere Kraft. Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti, 24.4.2014


Jes 20,26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht!

 Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt.

27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber«?

28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.

29 Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.

30 Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; 31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Wellness ist in aller Munde. Sie steht ganz vorne in der Wichtigkeit vieler Menschen, jedenfalls dann, wenn man der Werbung Glauben schenken darf. Wellness ist englisch, kommt von dem Wort „well“, das so viel wie „gut“ heißt, aber nicht nur im moralischen Sinne, sondern vor allem so im Sinne von „ich fühle mich gut, es geht mir gut, ich bin gut drauf“. Wellness meint also letztlich nichts anderes, als das, was man früher „Wohlgefühl“ nannte.

Das ist ein Riesengeschäft mit der Wellness. Es gibt Nahrungsmittel, die Wellness verbreiten, weil sie angeblich leicht verdaulich sind und fast schon unsterlich machen, es gibt Möbel für die Wellness, Kleidung für die Wellness und natürlich alle möglichen Mittelchen, die helfen sollen sich wohlzufühlen – wobei hier die Grenze zu den Drogen schon fließend wird: die Verheißen ja auch „Wellness“. Offensichtlich geht es einer ganzen Menge Menschen unglaublich schlecht, sie fühlen sich unwohl. Falsche Ernährung, blöder Beruf, falsche Kleidung, falsche Frau, was weiß ich: alles behindert meine Wellness.

Wenn ich genau darüber nachdenke, dann behindert eigentlich mein ganzes Leben meine Wellness. Ich werde älter, das ist kein Spaß. Ich muss morgens aufstehen, das ist oft auch keiner, und wenn jemand nicht gut schlafen kann, dann ist noch nicht einmal das ins Bett gehen ein Spaß.

Das Leben selber macht offensichtlich müde und kaputt. Es ist anstrengend, wer hätte das gedacht. Und ein gutes Leben: das kann ja, so wollen es uns jedenfalls die Werbemenschen einbläuen, ein gutes Leben kann nur ein Leben sein, in dem alles glatt läuft, in dem wir fit sind, sportlich, biegsam und hellwach. „Fit“ war nämlich das Stichwort in meiner Jugend. Da hieß es: Trimm Dich! die Älteren werden sich erinnern. Da lief jeden Tag in der Fernsehwerbung ein Spot mit einem Männchen, das den Daumen hoch hielt und uns vom Sofa scheuchen wollte, damit wir uns fit halten. Trimm-Dich-Pfade wurden angelegt, durch Wald und Flur, und der sonntägliche Spaziergang sollte nun also der Fittness dienen: und so sah man – damals hat man sich ja für den Sport noch nicht verkleidet – ehrbare Familienväter Baumstämme stemmen und Stepping auf Baumstümpfen machen. Ich habe das Bild immer noch vor Augen, wie mein, von seiner harten Arbeit müde und förmlich erschlagener Vater mit dem Schlaf kämpfend die Fitness-Werbung anschauen musste und ich mir dachte: Wozu um alles in der Welt soll der sich fit halten? Lasst ihn schlafen, das ist sein größtes Glück. Fitness war offensichtlich etwas für Leute, die sonst in ihrem Leben nicht genug zu tun hatten. Und noch früher hieß das Kraft durch Freude, Volksport, und jetzt ist es auf einmal gar nicht mehr witzig. Da wurden junge Männer und junge Mädel in schwarzweißer Turnerkleidung durch die Gegend gescheucht, marschierten im Gleichschritt, sprangen über Kisten, jonglierten mit Keulen: der deutsche Mensch ist gesund und kräftig. für den Führer, versteht sich. Viele von ihnen konnten das gut gebrauchen in Russland und anderswo.

Das ist nicht falsch verstanden werde: Ich will mich hier nicht über den Sport lustig machen. Das wäre hier in Großenritte ein unverzeihlicher Fehler und ziemlich dumm, denn hier wird viele Sport gemacht, was sollte ich dagegen haben? Ein bisschen davon würde mir auch nicht schaden. Es geht um etwas anderes.

 

Ich will mich über einen bestimmten Geist lustig machen, der oft dahinter steht. Als könnten Wellnes und Fitness uns davor bewahren, dass uns das Leben müde macht, als könnten sie uns retten. Ich mag es nicht, wenn mir eingeredet werden soll, dass ich mich mehr bewegen müsste, damit ich ein besserer Mensch werde. Aber meine Melancholie vertreibt das nicht und die Zumutungen des Lebens auch nicht. Und die „Wellness“ kann mir gestohlen bleiben: ich will meine Arbeit gut machen, dann geht es mir gut, ich will mich an den Menschen in meiner Umgebung freuen und mit ihnen leben, dann geht es mir gut, ich will einigermaßen vernünftig schlafen und essen, dann geht es mir gut und ich möchte vermeiden, Böses und Übles zu tun, denn dann geht es mir schlecht, weil es anderen schlecht geht durch mich. Redet eigentlich auch jemand von dieser Wellness und dieser Fitness?

Du hast aber niedrige Ansprüche, sagen dann einige.

Nein, sage ich dann, ich habe besonders hohe Ansprüche. ich möchte mein Leben genießen, und mich nicht einem albernen Stress aussetzen, ein entspannter, fitter, allzeit fröhlicher Mensch sein zu müssen. Mir kommt es oft so vor, als wäre dieses ganze Wellness- und Fitness-Gerede nur ein Ablenkungsmanöver, das uns vom Wesentlichen fernhält, eine ganz besonders fiese Variante des Spruches, denn ich ohnehin zutiefst furchtbar finde: „Jeder ist seines Glückes Schmied“  - das ist das krasse Gegenteil des Evangeliums. Denn am Ende bist du nur ganz allein dafür verantwortlich, wie es dir geht. Ganz rief unten in all diesem Gerede steckt nämlich, verborgen, aber tödlich, der Satz: Wenn es dir schlechtgeht, bist du selber schuld. Und das ist nicht witzig.

Da wird es nämlich gemein. Jetzt sind mit einem Schlag alle die draußen, denen es aus Gründen nicht gut geht,die sie nur zum Teil oder gar nicht zu verantworten haben. Menschen, die vom Leben schwer geschlagen sind, Menschen, die chronisch krank sind, Menschen die aus welchen Gründen auch immer im Elend leben  -  das geschieht ja doch eher selten freiwillig: Was ist mit denen? Nehmen die einfach nur die falschen Pillen, sollten die mehr Sport machen oder regelmäßig in die Sauna gehen?

Das macht mich manchmal ganz wütend. Und ich will Euch etwas sagen: Das macht mich manchmal auch müde, so ganz von innen heraus. Die Arbeit erschöpft mich manchmal so, dass ich abends halbtot ins Bett falle und vor Müdigkeit nicht schlafen kann, man kennt das. Da hilft ein bisschen Erholung. Aber dieses Gerede, dieser kaltschnäuzige Zynismus, der sich hier unbemerkt in unserer Gesellschaft breit macht, der macht mich richtig müde, weil er mich traurig macht. Offensichtlich zählen hier nur die Fitten, die Schönen und „Wellen“, die gut drauf sind. Die Kaputten, die Schlaffen, die Müden, Traurigen und Verunstalteten zählen offensichtlich nicht oder sind die Blödmänner.

Ich hoffe, ihr versteht, worauf ich hinaus will: Das Lleben selber setzt uns zu, und da helfen keine Wellnesprodukte, kein Sport und auch kein Trimm dich. Was die meisten Menschen müde und traurig macht, sind Verzweiflung, Frustration und Erfahrungen von Sinnlosigkeit und Leere in ihrem Leben. Unser ganzer Medienrummel überdröhnt das und will uns weißmachen, die Lösung dagegen wären Spaß und Wellness. So wird uns das Geld aus der Tasche gezogen du das Gewissen mit Müll gefüllt.

Das ist im Kern zynisch.

Und darum haben mich die Worte des Propheten auch sehr getroffen. Er sagt es ganz deutlich:

Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.

29 Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden.

30 Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; 31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden

Der Glaube ist die Kraft, uns von innen zu wecken und zu stärken. Und hier geht es um mehr, als um Wellness, hier geht es um Lebenskraft. Es sind ja starke Bilder, die der Prophet gebraucht: Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen. Das ist doch sehr schön gesagt, man muss es nur modern ergänzten: Männer werden müde und matt und Frauen sinken erschöpft zusammen, Jünglinge straucheln und stürzen und junge Frauen verblühen und fallen genervt in sich zusammen.

Und zwar wegen der fehlenden inneren Kraft. Um sie geht es doch letztlich. Es geht darum, die Kraft zu bekommen, das Leben zu ergreifen, Ja zu sagen um Leben, selbst dann, wenn es schwer ist, wenn es voller Leiden und Kummer ist, wenn uns das Leben zusetzt, wie es das eben tut. Dagegen setzt der Prophet die Kraft der Hoffnung: aber die auf den Herren harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Alder, dass sie laufen und nicht matt werden, das sie wandeln und nicht müde werden.

Das ist jetzt kein frommes Wellnes und Fitness-Programm. Das wäre ja höchst lächerlich. Ich könnte mich immer beömmeln, wenn man vor allem in frommen Zeitschritten ließt, dass fromme Menschen länger leben, besseren Sex haben und im Durchschnitt gesünder sind und was noch alles. Als ob es darauf ankäme. Der Prophet will uns deutlich sagen, worauf es in Wahrheit ankommt: dass wir wissen, wozu wir hier sind, dass wir Vertrauen und Hoffnung haben im Leben, dass wir uns mit dem Leben versöhnen.

Gesundheit ist wichtig. Aber Heil ist wichtiger.  

Denn kann haben auch die Hässlichen und die Kaputten, die Kranken und die Verzagten ein gutes Leben, weil sie aus ihrem Zweifel und ihrer Verzweiflung heraus geholt werden. Der Glaube macht nicht fit. Er macht auch nicht gesund, höchstens mal in Ausnahmefällen, nicht ohne Grund werden solche Geschichten als Wunder erzählt. Selbst die katholische Kirche erwartet von ihren Heiligen keine Heilungswunder mehr, wie man gerade anlässlich der Heiligsprechung zweier Päpste erfahren konnte. Der Glaube verbreitet auch keine Wellness. Sonst müssten wir hier Gymnastik machen oder irgendwelche Wässerchen trinken. Der Glauben greift viel tiefer: er macht uns von innen heraus stark, dass wir unser Leben ergreifen können, so wie es ist – mit unsere Hinfälligkeit und Müdigkeit. Die Kraft, von der der Prophet spricht, ist diese Kraft zu leben.

Ein schönes warmes Bad im einem schönen teuren Badeöl ist doch in der Tat etwas Feines, eine heiße Hühnersuppe übrigens auch.  Aber geheilt, getröstet werden können wir nur von Gott, der uns seine Liebe zusagt. Gegen die tiefe Traurigkeit und die tiefe Lebensmüdigkeit hilft nur sein Wort, das unserem Leben Richtung gibt und ein Ziel. Dann kann sogar der Tod seinen Schrecken verlieren, denn er ist der größte aller Müdemacher, wie alle wissen, die traurig sind, weil sie einen Menschen verloren haben oder eine Lebensperspektive.

Wie kommen wir aber an diese Kraft Gottes? Nun durch zwei Dinge: wir hören auf sein Wort, immer wieder und immer wieder neu. letzten Sonntag feierten wir in dunkler Nacht mit einem uralten Ritual die Auferstehung Gottes. Das tat nicht nur gut. Das richtete auf. Jeden Sonntag wird sie verkündigt, jeder kann es hören und kann es wissen: In jedem Gottesdienst wird uns diese Kraft Gottes als Segen zugesprochen, und wenn wir Abendmahl feiern, fließt sie geradezu wörtlich in uns hinein. Das ist das eine. Das andere aber ist das Gebet. Betend nehmen wir Kontakt auf mit dem Leben selber. Wer betet, spricht nicht nur zu Gott, er spricht immer auch zu sich selber, wer betet, vergewissert sich seines Glaubens, wie es Thomas auch tat. Was ihn aus seinem Zweifel holte, war die Bitte, Gott möge sich ihm doch zeigen und sich ihm offenbaren.

Gott ist die Quelle der Kraft, ohne die alle Wellness, alle Fittnes und alles Trimm-dich ins Leere laufen. Das ist die alte Verheißung, die alte Erfahrung, das ist es, was uns seit Generation als Grunderfahrung des Menschseins weitergeben wird, dafür sind wir Kirche, diesen Ruf weiterzugeben:

Die des Herren harren, kriegen neue Kraft!

Probiert es mal aus.

Denn das Tolle daran ist: es kostet nichts. Es ist umsonst.

Vielleich ist das das Problem. Wir sollten Eintritt nehmen und Gebühren für das Wort Gottes und das Gebet: vielleicht käme es dann auch wieder in Mode?

Aber ich will hier nicht albern werden. Nur ein bisschen, damit ihr mit einem Lächeln aus der Kirche geht. Es ist doch Ostern, und heißt die Botschaft doch: Freut Euch des Lebens – denn: die des Herren harren, kriegen neue Kraft. dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. der Sonntag heute hat einen komplizierten lateinischen Namen: Quasimodogeniti. Das heißt aber auf Deutsch einfach nur: wie neugeboren!

Das wünsche ich Euch, alle Tage! Und mir auch. Amen.

 

Sonntag, 20. April 2014

Das Ende der Gewalt, Predigt zu 1. Kor 15, Ostersonntag

In der Osternachtfeier habe ich die Predigt vom Vorjahr aus Elgershausen "recycelt, und das war gut so: manchmal werden Predigten durch Ablagern besser im zweiten Durchlauf. Und die Osternacht verträgt den "hohen Stil" der Homilie sehr gut.
Der Osteruf. Homlie zur Osternacht


Im 10.00 Uhr Gottesdienst habe ich mich dann mit dem OP-Text befasst. Und ich finde, das ist ziemlich schwerfällig geworden. Es predigte sich besser, als es sich liest. wenig österliche Freude, viel theologisches Blei. Der OP Text ist eben, trotz des Themas Auferstehung, kein wirklich österlicher Text. Aber - so mein Erfahrung nach rund 30 Jahren Kanzel - die Predigt entsteht im Ohr der Hörenden. Wer weiß....
1.Kor 15,19-28

19 Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.

20 Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.

21 Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. 22 Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden. 23 Ein jeder aber in seiner Ordnung: als Erstling Christus; danach, wenn er kommen wird, die, die Christus angehören; 24 danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt vernichtet hat.

25 Denn er muss herrschen, bis Gott ihm »alle Feinde unter seine Füße legt« (Psalm 110,1).

26 Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod.

27 Denn »alles hat er unter seine Füße getan« (Psalm 8,7). Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. 28 Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem.



Liebe Gemeinde,

das ist ein heftiger Satz, den der Apostel Paulus da am Ende seiner Worte schreibt:

Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Krasser und deutlicher kann man nicht sagen, was der Kern unserer christlichen Hoffnung ist und was wir als Christen an Ostern feiern. Es ist ein Herrschaftswechsel. Aus einer Welt des Todes ist eine Welt des Lebens geworden. Aus einer Welt der Sünde eine Welt der Versöhnung.

Und das gegen allen Augenschein. Ein Blick in die Zeitung und wir wissen: so einfach stimmt das nicht. Wir warten noch auf diesen Letzten Sieg. Es hat erst begonnen. Aber immerhin: begonnen.


Und darum hat es die Osterbotschaft immer schwer gehabt. Schon am ersten Tag war es ja keineswegs so, dass der große Jubel ausbrach. Die Frauen, so hörten wird, verließen das Grab und waren ziemlich verschreckt von dem, was sie erlebt haben. Man muss sich ihre Gemütsverfassung vorstellen: Der schreckliche Tag war ja gerade erst 36 Stunden vorbei. Die drei Frauen, die da zum Grab gingen, waren ja die selben, die Jesus am Kreuz haben sterben sehen. Und mit ihm starb ja nicht nur ein geliebter Mensch: Mit ihm starb auch eine Hoffnung.


Die Hoffnung darauf, dass mit Jesus von Nazareth eine neue Zeit beginnt: eine Zeit des Friedens und der Gerechtigkeit. Denn ganz Israel hoffte auf so einen Mann, auf so einen König, einen neuen Mose, einen neuen David, der das Volk wieder in die Freiheit führt. In die Freiheit von der römischen Besatzung und in die Freiheit von der Last der Sünde.

Und da kam aus Galiläa, aus dem Norden, aus der äußersten Provinz, ein dreissigjähriger Zimmermannsohn. Das war noch nichts Ungewöhnliches: solche Wanderprediger gab es damals viele. Es waren halt unruhige Zeiten. Doch dieser war so ganz anders, als alle anderen Prediger und Freiheitskämpfer vor ihm. Er verzichtete konsequent auf Gewalt in jeder Form: weder als Brutalität, noch als Ausgrenzung. Ja mehr noch: Jesus heilte Menschen, und zwar einfach so. Und er machte keine Unterschiede. Er ging auch ganz anders mit Gottes Gesetz um, als die meisten Pharisäer und die Schriftgelehrten es lehrten.  Er frug nach dem Sinn der Gesetze und stellte den Umgang mit Gottes Gesetz radikal in Frage. Ihm ging es um die Liebe, die Barmherzigkeit und die Sanftmut. Er sprach auch vom Reich Gottes, wie all die anderen frommen Prediger. Aber er  verstand das Reich Gottes nicht als eine politische Größe, sondern als etwas, das in unserem Herzen und in unserem Denken Raum finden soll, indem wir alte Denk- und Glaubensgrenzen überwinden und von daher die Welt umkrempeln. Er dachte nicht von Sünde und Strafe her, sondern von der Vergebung und der Versöhnung her.

Der Friede muss von innen kommen, als fester Wille zur Gerechtigkeit. Und das geht nur im festen Vertrauen darauf, dass Gott ein unter allen Umständen gnädiger Gott ist, der selbst in seinem Zorn nicht auf Vernichtung aus ist, sondern auf Verwandlung. Denn Angst vor Gott ist eine große Quelle der Gewalt, wie überhaupt die Angst die Quelle der Gewalt ist. So brachte Jesus einen Gott ohne Schwert und Strafe. Das war die größte Leistung Jesu: Er dachte Gott und Gewalt auseinander. Wo Gott ist, kann Gewalt nicht sein. Wo Vergebung ist, kann Strafe nicht sein. Das ist auch heute noch eine aufregende Botschaft.

Er griff auch den Tempel an. Was ihm ein Dorn im Auge war: eine Religion, die auf Macht und Angst setzt, die also selber gewalttätig ist. Und dafür war der Tempel ein Symbol. Mit der Angst der Menschen vor Sünde und Tod wurde ein Geschäft gemacht. Wir alle kennen die Szene, wie er die Händler aus dem Tempel treibt.

Aber nicht nur, um gegen die Geschäftemacherei vorzugehen. Das wäre doch zu platt. Da geht es um mehr. Es ist ein Teil des Kampfes gegen die Mächte des Todes, von denen Paulus spricht. Wogegen Jesus hier vorgeht, ist die Vorstellung, dass man mit Gott durch ein Opfer ins Reine kommen kann. Dass Blut fließen muss, damit Gott versöhnt wird. Denn die Händler verkauften Opfergaben. Wogegen Jesus hier vorging war die üble Vorstellung, dass Gott durch eine Gabe von uns besänftigt werden kann. Was daran so übel ist? Naja, dieser Gedanke führt dazu, dass man an Gott glauben kann, ohne sein Leben zu ändern. Schlimmer noch: er führt dazu, dass Menschen glauben, sie müssten von sich aus etwas tun, um sich Gottes Gnade und Liebe zu erkaufen. Hinter dem Gedanken des Opfers steht die Idee des frommen Schachers und der sogenannten Wiedergutmachung. Hinter dem Gedanken des Opfers steht nämlich der Gedanke von Rache und Vergeltung. Dieser Gedanke war Jesus zutiefst fremd! Weil er direkt in die Heuchelei führt, wie er an vielen Beispielen immer wieder deutlich macht. Es kommt auf dein Herz an, nicht auf deine Leistung. Liebe ist nicht käuflich.

Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt bin, bin ich mitten unter ihnen. Nicht dort, wo ein Priester sein heiliges Brimborium abzieht, um es einmal auf den Begriff zu bringen. Denn eine solche Priesterherrschaft, und jetzt wird es ganz subtil, ist auch nur Anwendung von Gewalt. Religiöse Gewalt, wenn man so will. Die Vorstellung vom Opfer ist im Kern voller Gewalt und Blut.


Und das zeigte sich dann ja auch. Am Ende war er selber ein Opfer der Gewalt und der Sünde. Und er nahm es auf sich. Weil er wusste: Nur so werden uns die Augen geöffnet über den wahren Charakter des Menschen. Dass der Mensch selbst da, wo er ganz fromm zu sein scheint und meint, im Namen Gottes zu handeln, noch gewalttätig ist. Vergessen wir nicht: Jesus wurde im Namen Gottes getötet. Es war ein religiöser Mord!

Aber Gott machte dieses Opfer rückgängig. Das ist das Entscheidende. Er will keine Gewalt. So wie er Abraham, der seinen Sohn zu opfern bereit war, das Messer aus der Hand nahm. Es sollen keine Menschen mehr für Gott sterben. Auch Jesus starb nicht für Gott. Er starb für uns. Es sollen auch keine Menschen mehr sterben in seinem Namen. Auch nicht im Namen von überhaupt etwas. Das Opfer Jesu war das letzte Opfer und machte ganz klar: Religiöse Opfer sind fortan sinnlos. Sie sind die gemeinste und sinnloseste Form von Gewalt. Im Opfer kommen Religion und Tod zusammen. Der Gedanke ist uns so fremd gar nicht, wie er scheint. In der Gestalt des sogenannten Selbstmordattentäters ist er immer noch da. Aber auch der Heldentod fürs Vaterland gehört in diese Abteilung. Und ganz und gar widerlich wird es, wenn das Stichwort vom Heiligen Krieg fällt. Das ist übrigens keine muslimische Erfindung, sondern einen christliche Erfindung. Nur mal so als Erinnerung. Und das widerlichste von allem ist die Todesstrafe – nach Ostern ein Unding. Der Tod steht niemals im Dienste der Gerechtigkeit.


Seit das Kreuz auf Golgatha stand und Gott den Ermordeten ins Leben zurückrief, wissen wir, dass Gott Gewalt nicht will. Noch nicht einmal als Gegengewalt. Als Petrus für einen Moment die Beherrschung verlor und bei Jesu Gefangennahme einem der Soldaten ein Ohr abschlug, nahm ihm Jesus das Schwert aus der Hand und sagte: Wer das Schwert erhebt, wird durch das Schwert umkommen! Keine Gewalt. Seit Karfreitag und Ostern wissen wir das. Das Kreuz erinnert uns daran. Deswegen ist auch so schwer zu ertragen.


Die Menschen damals verstanden es anfangs auch nicht, es war eine zutiefst schockierende Erfahrung für sie. Schon der Tod Jesu war ein Schock. Aber da konnte man immer noch denken: er war halt ein Märtyrer. Aber die Auferstehung machte deutlich: Hier kommt der Tod selber an sein Ende. Hier wird der Gewalt ein Riegel vorgeschoben und bedingungslose Liebe an ihre Stelle Gesetz. Gott schlägt nicht zurück, Gott versöhnt sich mit seinen Mördern. Nicht wegen des Todes Jesu, sondern trotzt seines Todes. So wir die Kraft des Todes besiegt. Nicht durch die Hand, die zum Schlag erhoben ist, sondern durch die Hand, die zur Versöhnung ausgestreckt wird.  

Das ist auch heute noch ein schwer zu denkender Gedanken. Nicht nur das Kreuz, sondern auch die Auferstehung bleibt eine Herausforderung für uns Menschen. Dem sogenannten gesunden Menschenverstand fällt das unglaublich schwer zu glauben.

Weil wir, das ist das Anliegen des Paulus, vom Tod vergiftet sind und eben doch nur Gewalt und Rache denken können. Nach wie vor spielt die Rache in unserem Leben eine riesige Rolle. Das kann man bei vielen Ehescheidungen erleben, aber auch beim Mobbing auf dem Schulhof oder bei fiesen Intrigen am Arbeitsplatz. Kreuzigen liegt uns näher als Versöhnung, wir opfern lieber, als dass wir uns ändern. Wir lassen uns sogar lieber opfern, als das wir uns ändern, das ist das allergemeinste daran.

Darum musste diese eine Blut vergossen werden, es war, wie Paulus dann später schreiben wird, das letzte Opfer, es war, um es zugespitzt zu sagen das Blut Gottes selber, das fließen musste.

Gott offenbart sich an Ostern als ein schwacher Gott – jedenfalls nach unseren Maßstäben. Ein Gott, der lieber Gewalt erduldet, als ausübt. Aber genau darin zeigt er sich als der starke Gott. Er besiegt die Kraft des Todes. Die Römer fanden diese Vorstellung von einem leidenden Gott widerlich und anstössig. Darum verfolgten sie die Christen bis aufs Blut.

Diese Botschaft entriss ihnen nämlich das Recht, Gewalt auszuüben, um herrschen zu können. Und wenn die Kirche vergaß, wer ihr Herr ist und sich selber zur Herrin den Glaubens machte, wurde sie auch gewalttätig. Und so ist der Glaube heute noch für alle, die Gewalt für eine Lösung halten, eine schwere Herausforderung. Und damit meine ich nicht nur die Gotteskrieger aller Art oder die zynischen Machtmenschen. Ich meine auch unser alltägliches Miteinander. Man muss sich völlig klar sein, dass Gott auf dem Schulhof dort zu finden ist, wo der Verlachte und die Gedisste steht. Man muss sich völlig klar machen, dass, wer sich auf Gotte einlässt, in eine Position der Schwäche gerät. Denn der Tod ist immer noch stark.

Aber seine Macht ist gebrochen.

Das ist das Entscheidende. Daraus quillt alle Hoffnung, für die Lebenden und die Toten: Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, sind wir die ärmsten unter allen Geschöpfen, sagt Paulus darum an Anfang. Auch so ein starker Satz, der uns auf das ewige Leben verweist: den Horizont der Hoffnung.

Und diese Hoffnung erreicht uns über die Jahrhunderte: solange Ostern gefeiert wird, bleibt diese Hoffnung in der Welt.

Über Generationen wurde diese Hoffnung an uns weitergegeben, und sie hat dazu geführt, dass wir heute die Gewalt, jedenfalls im Prinzip, verachten. Das ist doch schon mal was! Schon allein deswegen dürfen wir den Glauben nicht zum Erliegen kommen lassen, auch und gerade, wenn er den meisten Menschen egal ist. Darum brauchen wir die Zeichen der Erinnerung: die heiligen Sakramente. Das einzige Blut, das in dieser Welt noch fließen sollte, ist das Blut des Abendmahl – weil es Wein ist, und eben gerade kein Blut. Der einzige Leib, der in dieser Welt noch gebrochen werden sollte, ist der Leib des Herrn – weil es ein Stück Brot ist und eben kein Körper. Der einzige Tod, den wir einander zufügen dürfen, ist die Taufe: weil es ein bloßes Symbol ist für Tod und Wiedergeburt. Unblutig, gewaltfrei, zärtlich. Das sind so einfache Zeichen, aber es sind die Zeichen für den Sieg über den Tod, das Ende aller Opfer und des Anfanges jener Ewigkeit, von der Paulus schreibt, dass dann Gott alles in allem sein wird.

Das ist unsere Hoffnung. Lasst die Welt davon hören: sie braucht sie. Wir brauchen sie.

Amen.