Freitag, 9. September 2016

Besonnenheit. Predigt zum 16. S.n.Trin, 2 Tim 1, 7-10.


2 Tim 1, 7-10.
 
 

 
7 Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium,

 
 




Liebe Gemeinde.

Konfirmanden stellen oft eine sehr einfache Frage: Was habe ich eigentlich davon, wenn ich glaube? Das erscheint vielen Älteren eine geradezu ungehörige Frage, weil für sie der Glauben vielleicht noch selbstverständlich ist. Wir fragen ja auch nicht: was habe ich davon, wenn ich esse?

Nur ist Glauben aber, anders als Essen, eine freiwillige Angelegenheit. Wir müssen nicht glauben. Wir können es und wir sollen es.

Was würdet Ihr denn sagen, was ihr vom Glauben habt? Was bringt es, an Gott und Jesus Christus zu glauben, was bringt es, religiös zu sein? Nun scheint es ja doch etwas töricht zu sein, diese Frage hier zu stellen: Ihr seid ja da. Ihr habt zumindest eine Ahnung, was es bringt, oder doch eine Hoffnung, dass es etwas bringt. Aber das ist ja Grundproblem von Gottesdienst und Predigt überhaupt: Wir predigen im Grunde den Falschen; denen, die schon da sind und vom Glauben etwas erwarten.  Als ich noch ganz am Anfang war, hat das ein kluger Konfirmand mal gesagt: Warum wir in den Gottesdienst kommen müssen, kann ich ja verstehen: wir müssen es noch lernen. Aber bei den anderen verstehe ich es nicht so richtig.

Dahinter steht natürlich die Vorstellung, dass Glauben so etwas Ähnliches ist wie Wissen oder Können. Ich habe dem Konfirmanden damals – nach einigem Nachdenken, ich war ja wirklich noch ein Anfänger und auf solche Fragen nicht gut vorbereitet  - ich habe also nach einigem Nachdenken gesagt: Es ist nicht wie Schule, es ist eher wie Sport oder Musik. Man muss auch üben. Der Glaube ist nicht einfach so da, als ob man es einmal verstanden hätte und dann reicht das für den Rest des leben. Nein, man kann beim Glauben regelrecht aus der Übung kommen. Schlimmer noch: man kann seinen Glauben verlieren! Der Gottesdienst ist also dazu da, den Glauben zu trainieren. Aber was trainiert man da? Es gibt ja keinen Glaubensmuskel, der geübt werden muss! Also: was bringt der Glaube und warum muss an am Glauben dran bleiben, wie man beim Sport oder bei der Musik dran bleiben muss? Diese Frage, die so modern erscheint, ist in Wahrheit eine der Grundfragen des Glaubens überhaupt. Die ganze Bibel hat mit dieser Frage zu tun, und sie versucht auf ganz verschiedene Weise, darauf zu antworten. Eine besonders schöne Antwort hören wir heute. Es sind Worte aus dem Timotheusbrief, und sie gehören zu meinen speziellen Lieblingsworten. Hören wir also die folgenden Worte als Antwort auf die Frage: Was bringt es eigentlich, zu glauben und warum soll ich das ein Leben lang üben?

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

8 Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.

9 Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,

10 jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

 

Das sind sehr gewichtige Worte. Das schaffen wir heute morgen nicht alles. Aber das, was uns heute interessiert, seht ja gleich im ersten Satz, und auf den möchte ich mich konzentrieren: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Also: Einen Geist haben wir von Gott geschenkt bekommen. Was ist damit gemeint? Damit ist der Heilige Geist gemeint. Es ist der Geist Gottes, der uns Menschen gegeben wird, damit er unseren Geist erweitert und erneuert. Aber was ist der Geist? Der Geist ist sozusagen alles das an uns, was an uns nicht sichtbar ist. Gedanken, Gefühle, Bewusstsein. „Geh mir nicht auf den Geist“, sagen wir, wenn uns jemand nervt. Oder wir reden auch vom „Geist des Sport“ und meinen damit so etwas wie Fairness und die Bereitschaft, sich für ein Ziel anzustrengen. Der Geist das, was uns zu Menschen macht. In der Schöpfungsgeschichte wird das in einem schlichten  mythischen Bild sehr einfach erzählt: Gott knetet den Adam aus Ton, dann haucht er ihm seinen Geist ein, und Adam beginnt zu leben. Weil er den Geist Gottes hat, das ist die Idee dahinter, kann der Mensch sprechen, denken und lieben. Der Geist ist das, was alle Menschen gemeinsam haben. Er ist das Göttliche in uns. Aber es gibt ein Problem: unser Geist ist sehr anfällig. Unser Geist kann verwirrt werden. Wir nennen ja Menschen, verwirrt sind oder deren Denken eingeschränkt ist, oft auch „geisteskrank“. In der Tat ist unser Geist sehr bedroht: und zwar vor allem von der Angst. Der Preis dafür, dass wir denken, fühlen und sprechen können ist, dass wir Angst haben. Denn es ist unser Geist, der sich Gedanken macht über die Zukunft, es ist unser Geist, der Pläne macht und sich sorgt. Unser Geist ist anfällig. Er kann zum Beispiel so verwirrt werden, dass wir anfangen, andere Menschen zu hassen. Oder dass wir anfangen, den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren.

Darum schenkt uns Gott seinen Geist. Und das ist kein geheimnisvoller, mystischer Vorgang. Sondern Gott schenkt uns seinen Geist auf eine ganz einfach, schlichte Weise: er spricht zu uns. Darum hat er die Propheten geschickt, darum hat er Jesus geschickt, darum predigen wir. Im Grunde kann man sagen: Die Aufgabe Jesu war es, den Geist Gottes den Menschen so nahe zu bringen, dass sie sich von ihm anstecken und begeistern lassen. Und wenn es die Angst ist, die uns von allen guten Geistern verlassen sein lässt, dann ist das, was Jesus uns schenkt, eben ein Mittel gegen die Angst. Denn wann geraten wir in Angst? Wenn wir das Vertrauen in die Zukunft, in die Welt und in die Menschen und schließlich auch in Gott verlieren. Jesus will uns zum Vertrauen führen. Darum kann man im Grunde das ganze Evangelium in einem Satz zusammenfassen, der darum auch besonders häufig in der Bibel fällt: Fürchtet Euch nicht! Ihr seid nicht von Gott verlassen, ihr sein nicht allein, ihr seid dem Tod nicht ausgeliefert. Es gibt eine Kraft, die in Euch wirken will, damit ihr der Angst etwas entgegensetzen könnte. Damit hätten wir den ersten Punkt schon erreicht: Gott hat uns einen Geist der Kraft gegeben. Eine Geist, der uns stark macht, das Leben zu gestalten. Wie macht er das? Indem er uns zur Besonnenheit führt. Und das wird so allmählich eine Art Lieblingswort von mir. Besonnenheit: das meint im Grunde etwas ganz einfaches. Es ist die Fähigkeit, in Ruhe nachzudenken, sich ein genaues und klares Urteil zu bilden, Besonnenheit meint im Grunde: mach mal eine Pause, denk erst einmal gründlich nach, schau genau hin. Und das ist, wenn ich recht sehe, etwas, was wir im Moment so dringend brauchen wie schon lagen nicht mehr. Im Moment ist die Luft in unserem Lande erfüllt von einem Geschrei und einem Geplärr, einem Geschwätz und einer Hysterie, das man manchmal wirklich den Eindruck bekommen kann, das wir von allen guten Geistern verlassen sind und das Denken völlig verlernt haben. Es geht uns so gut wie nie: aber zwei Drittel aller Deutschen haben Angst. Vor Terrorismus zum Beispiel. Das ist bei Lichte betrachtet ein wenig grotesk. Jährlich sterben 10.000 Menschen durch die eigene Hand, 5000 Menschen im Autoverkehr, und auch die Zahl der Toten, die bei der Hausarbeit umkommen, ist sehr hoch; rund 7000 jährlich, allein 500 Leute sterben jährlich an verschluckten Kugelschreiberteilen. Aber wir fürchten uns vor einem Terroranschlag, der so unwahrscheinlich ist, wie vom Blitz getroffen zu werden, und der in Deutschland in diesem Jahr kaum die 100 erreicht hat. Das Land, in dem faktisch fast gar keine Ausländer leben, und schon gar keine Flüchtlinge, wählt eine Partei, die sich den Kampf gegen Überfremdung auf die Fahen geschrieben hat. Eine Nachfrage dieser Partei an die Regierung in Mecklenburg hat ergeben, dass von rund 2000 politisch motivierten Straftaten ganze 15 von Ausländern verübt wurden, der Rest von Deutschen. Also: genau hinschauen und besonnen bleiben.

Ich will das alles nicht verharmlosen: die Gefahren durch den Terrorismus liegen aber ganz woanders, als darin, selber ein Opfer zu werden, und die Probleme mit der Integration der Zuwanderer woanders als im Bereich der Kriminalität.  

Also: ein Moment der Besonnenheit genügt, um uns deutlich zu machen: Wir fürchten uns meisten vor dem Falschen und auf falsche Weise, weil wir uns von unserer Angst an der Nase herumführen lassen.

Das ist nur ein Beispiel, und ich weiß auch, dass es ein sehr drastisches Beispiel ist. Der Geist der Besonnenheit aber kann uns helfen, die Wirklichkeit genauer wahrzunehmen und nicht gleich jedem Impuls zu folgen, der uns in den Sinn kommt. Der Geist der Besonnenheit will uns helfen, klug zu werden. Und darum nennt Timotheus diesen Geist der Kraft und der Besonnenheit auch den Geist der Liebe. Die Liebe nämlich glaubt an das Gute. Die Liebe sieht das Schöne, Starke und Freundliche in der Welt, und schaut die Welt von da aus an. Die Liebe ist der Blick, den Gott auf die Welt hat.

Und das ist im Grunde schon die ganze Antwort auf die Frage, was uns der Glaube bringt. Er bringt einen neuen Geist in unser Herz und übt mit uns den Blick der Liebe ein, der uns hilft, gegen alles Geschrei, gegen alle Hysterie anzukämpfen, ruhig und besonnen zu bleiben, gut zu überlegen, Lösungen zu finden, die allen nützen und schließlich auf diese Weise zum Frieden in unserem Herzen, in unsere Nachbarschaft und auf der Welt beizutragen.

Es wird viel geredet in letzter Zeit von den christlichen Werten, die wir bewahren müssen. Die Worte des Timotheus machen uns klar, was einer dieser Werte ist: Die Besonnenheit. Und da wir so anfällig sind für alles mögliche Geschrei und Geschwätz, weil unser Geist schwach ist, will uns Gott durch sein Wort helfen, unseren Geist in der Liebe zu üben. Und darum müssen wir diese Worte immer wieder hören und uns vergewissern, und darum feiern wir Gottesdienst und sollten möglichst viele dazu einladen.

Das bringt der Glaube, darum brauchen wir den Gottesdienst. Wir müssen es immer wieder hören, damit die Angst nicht siegt und wir aus der Angst heraus törichte Dinge tun, weil sie uns den Geist vernebelt. Der Glaube, meine Lieben, sorgt für Klarheit, weil er mit uns die Liebe einübt.

Und das ist ja nun wahrhaftig nicht wenig.

Amen.