Es ist guter Brauch: wenn in den Veranstaltungsräumen des
Landeskirchenamtes in Kassel (die nicht von der Kirche bewirtschaftet
werden) eine Veranstaltung über einen christlichen Feiertag stattfindet,
wird ein Gottesdienst als Teil des Programmes angeboten. Der fand nun
heute morgen, 8.30 Uhr statt. Die Veranstaltung war schon bemerkenswert
und erzeugte im Vorfeld schon hohe mediale Aufmerksamkeit.
vdaepc-kongress
Liebe Gemeinde,
Während
draußen sich um diese Stunde tausende, wenn nicht hunderttausende von
Vätern (echte und selbsternannte, künftige) sich auf den Weg machen,
sich in der sogenannten freien Natur gepflegt zu betrinken und sich was
zu grillen – was ich in meiner wilden Zeit auch sehr gerne tat,damit ich
hier nicht missverstanden werde – während also draußen "Vatertag"
gefeiert wird, haben Sie sich versammelt, um darüber zu beraten, wie Sie
die Welt ein wenig schöner machen können. Denn das ist das besondere an
Ihrem medizinischen Auftrag: Sie machen nicht nur gesund, in dem Sinne,
dass sie einen Organismus wieder stabilisieren, sie machen auch schöner
oder wieder schön, was durch Natur oder Schicksal verunstaltet wurde.
Und ich?
Ich
stehe hier und verkündige das Wort Gottes, denn nur weil das, was ich
gleich vorlese werde, in der Bibel steht, sind wir überhaupt heute
zusammen. Christi Himmelfahrt ist eines der wenigen echten christlichen
Feste, das sich nicht an irgendein anderes, schon vorhandenes Fest
angedockt hat. Und es ist auch deswegen ein zutiefst christliches Fest,
weil es die Hoffnung, die wir Christen haben, in ganz besonderer,
geradezu kindlich bildhafter Weise zum Ausdruck bringt. Die Hoffnung auf
den Himmel.
Lk 24.50-53, mit kurzer Einführung in die Szene.
50
Jesus führte die Jünger hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf
und segnete sie. 51 Und es geschah, als er sie segnete, schied er von
ihnen und fuhr auf gen Himmel. 52 Sie aber beteten ihn an und kehrten
zurück nach Jerusalem mit großer Freude 53 und waren allezeit im Tempel
und priesen Gott.
Was haben wir
gehört? Die Geschichte einer Vision und einer Audition. Sie sind Ärzte
oder doch medizinisch gebildet genug, um sich die
physiologisch-psychologischen Voraussetzung solcher Erfahrungen erklären
zu können. Aber damit ist natürlich gar nichts erklärt. Die Vision als
solche ist ja nicht das Entscheidende, sondern ihre Deutung. Die Jünger
müssen endgültig Abschied nehmen von ihrem Meister: Kaum haben sie den
Schock seines gewaltsamen Todes überwunden, kaum haben sie die tief
verunsichernden Erlebnisse seit dem Ostermorgen verkraftet, verlässt er
sie nun endgültig. Und zwar in Richtung Himmel: nach oben. Und das ist
es, was ich mit ihnen heute Morgen kurz bedenken möchte: der Himmel, der
viel mit dem zu tun hat, was Sie tun.
Der Himmel
nämlich war in der Antike der Ort, wo Gott wohnt: über den Himmeln,
streng genommen sogar. Der Himmel war gedacht als eine Art
Kristallschale, und zwar siebenfach gestaffelt: an jeder Schale hing ein
Planet, - deswegen sieben - und darüber waren die Fixsterne
angebracht, und das ganze drehte sich um die Erde – die übrigens in der
Antike mehrheitlich mitnichten als Scheibe gedacht wurde. Und über dem
siebten Himmel war Gottes Ort. Dorthin sehen die Jünger Jesus
verschwinden. Und Sie wissen: Er geht ihnen voran. Die christliche
Gewissheit, hier, unter dem Himmel, nicht verloren zu sein, sondern eine
Hoffnung haben zu dürfen, die bis in den siebten Himmel reicht, drückt
sich darin genau aus. Der Himmel steht uns offen.
Nun
ist der Himmel für uns dieser Ort nicht mehr, auch wenn er in unserer
Sprache so weiterlebt. Deswegen erfassen wir ja sofort, wovon die
Geschichte erzählt. Aber um sie verstehen, müssen wir uns klar machen:
Die Antike dachte in Räumen, wo wir in Zeiten denken. Was für die Alten
der Himmel war, ist für uns die Zukunft – und zwar die herrliche
Zukunft. Wie aber kommen wir dahin?
Und schon sind wir
bei unserer Profession angelangt. Der Himmel ist der Ort unbeschwerten,
glückseligen Lebens. Ein Leben in Schönheit und Unvergänglichkeit, ein
Leben in Perfektion und Klarheit ohne Leid und Geschrei. Mit anderen
Worten: Im Himmel gibt’s keine Kirche: denn die Menschen leben
unmittelbar zu Gott. Keine spirituellen Krücken, keine Rituale, keine
fromme Erziehung. Die überwältigende und beglückende Nähe Gottes ist
unmittelbar. Die Kirche ist nur ein Hilfsmittel, diese Hoffnung am Leben
zu halten: die Wolke der Zeugen. Sie ist nur ein Schatten des
Künftigen, und oft genug ein recht kümmerlicher. Da ist viel Anlass zur
Demut. Himmelfahrt erinnert uns auch an die Zerbrochenheit und
Vorläufigkeit des Irdischen.
Schönheitschirurgen
wird´s darum im Himmel auch nicht brauchen. Es wird sie nicht brauchen,
weil wir im Himmel erlöste Menschen sein werden. Und was kann es für
eine größere Erlösung geben als die Erlösung vom menschengemachten
Leistungs-, Perfektions- und Schönheitsdruck. Was kann es schöneres
geben, als ein Handicap zu verlieren. Wir werden im Himmel nicht schöner
sein. Und auch nicht klüger. Und auch nicht fitter. Aber die Art und
Weise, wie wir uns ansehen, auch im Spiegel, wird sich verändern. Und
die Art und Weise, wie wir uns wertschätzen, wird sich verändern. Es
wird nichts Hässliches mehr geben, nur Verschiedenes. Ich weiß, dass
klingt völlig naiv und kindlich. Aber das Bild hat mächtige, tröstende
Kraft, und es ist meilenweit entfernt von den naiven Himmelsbilder, wie
man sie aus frommen Büchern kennt: lauter schöne Menschen um die
Dreißig. Das ist der der Himmel der Sekten: Der Himmel der optimierten
Menschen. Ein furchtbarer, ein langweiliger Ort.
Ich
habe mal einen schwer behinderten Mann begraben, der unglaubliche 40
Jahre mit einem gewaltigen Hydrozephalus – und folglich auf eine fast
pflanzenhafte Existenz verwiesen – von seinen Schwestern gepflegt wurde.
Als er dann starb, war die Trauer groß. Und beim Gespräch stellte sich
die Frage, wie er wohl im Himmel aussehen werde: Ob diesem Leben dann
Gerechtigkeit wiederfahren werde. Denn natürlich wurde er, wie es noch
bis vor gar nicht langer Zeit üblich war, versteckt, gar zu scheußlich
und gräulich sein Anblick, angeblich. Ich habe dann auf das Bild des
Gekreuzigten gezeigt, der in der frommen Stube hing, und gesagt: So wie
Jesus. Mit den Wunden. Mit dem, was wir hässlich finden, wird er im
Himmel sein. Denn nicht dieser Mensch muss verändert werden, sondern wir
müssen verändert werden. So ist es mit dem Himmel. Das ist ein ganz
naiver Gedanke, das weiß ich wohl, und ich hoffe, Sie verstehen, dass
ich in Bildern rede, wie das der Glaube einzig tun kann. Aber Sie spüren
hoffentlich auch, welche Kraft dieses Bild hat, auch für das, was Sie
tun. Denn es macht deutlich: Wir leben eben auf der Erde. Und da werden
Menschen täglich verunstaltet und in ihrer Lebensqualität eingeschränkt
und eingedämmt, weil sie hässlich sind oder dazu erklärt werden, weil
sie Körperteile verlieren, weil sie beim Blick in den Spiegel
erschrecken oder ihr Leben unerträglich geworden ist, weil sie sozial,
sexuell oder politisch ausgegrenzt werden um einer schiefen Nase, einer
hängenden Brust oder einer verbrannten Haut willen. Was für ein Segen
die moderne Technik ist, was können wir Menschen heute helfen,
glücklicher zu werden. Wir sind ganz schon weit gekommen damit, den
Himmel auf die Erde zu holen. Aber es ist immer ein menschengemachter
Himmel. Es hat immer einen Schatten. Prof. Noah hat mir Ihren Ehrenkodex
geschickt. Allein, dass es ihn geben muss, zeigt, dass hier nichts
selbstverständlich ist. Der Philosoph Sloterdijk spricht, wenn er auf
die Moderne blickt, von den „Anthropotechniken der Selbstoptimierung“,
die uns in eine unerträgliche Spannung versetzen, die er
„Vertikalspannung“ nennt: Immer höher hinaus. Das ist sozusagen
Himmelfahrt aus eigener Kraft. Das kennen sie sehr gut. Und sie wissen
auch, dass ihr Handeln, so segensreich es sein kann, auch begrenzt ist.
Eine neue Nase allein reicht nicht, und eine wundervoll rekonstruierte
und meinetwegen auch optimierte Brust reicht nicht. Was alle heilenden
und helfenden Berufe sich immer wieder sagen lassen müssen: Wir können
die Menschen nicht retten,m nur leiten und begleiten, und auch das nur
in Maßen. Das ist eine oft demütigende Erfahrung. Sie beschreibt unsere
Grenze, die wir akzeptieren müssen. Und es ist besonders schlimm,
Menschen zu leiten und zu begleiten, um dem eigenen Ego zu dienen. Und
der Himmel auf Erden hält meist nur von Zwölf bis Mittag, wie man hier
in Hessen sagt – deswegen können Schönheitsoperationen süchtig machen
und Religionen fanatisch: Dann will man´s mit Gewalt. Es gibt genauso
fratzenhafte Formen des Glaubens wie es Gesichter gibt, denen man das
Unmaß des Schönsein-Wollens ansieht. Gott ist im Himmel, wir sind auf
der Erde. Auch das ist die Botschaft des Himmelfahrtstages.
Der
Himmel aber, der wirklich ewig ist, ist der Himmel Gottes. Der steht
uns offen, umsonst. Ich spüre, wie dieses „umsonst“, dieses „gratis“ uns
als evangelische Kirche auch an Rand der Gesellschaft bringt: das will
die Optimierungsgesellschaft nicht hören. Doch der Glaube beharrt
darauf: Wir brauchen uns nicht zu verkrampfen. Unter dem offenen Himmel
können wir leben; entspannt. Und gemeinsam Wege suchen, dass der Mensch,
der auf Erde lebt, der Erde treu bleibt und lernt, sich zu lieben, wie
er ist. Es ist eine große Aufgabe, dem Menschen zu seiner Schönheit zu
verhelfen, die ihm vom Gott her seit je eingesenkt ist: Denn die wahre
Schönheit eines Menschen ist seine Würde. Da können Skalpell und
Gespräch einiges, viel sogar. Die Quelle der Würde aber ist Gott, indem
er uns des Himmels für würdig erklärt. Da kommt alle chirurgische Kunst
an ihre Grenzen, auch aller Erziehungs- und Predigtkunst und überhaupt
alle Menschkunst: Da können wir tatsächlich nur, wie die Jünger damals,
in den Tempel gehen und Gott loben und preisen, dass er den Himmel
aufgerissen hat: Für alle. Die Hässlichen und die Schönen, die Lahmen
und die Flotten, die Klugen und die Dummen, die Reichen und die Armen:
das spielt dann alles keine Rolle.
Das Gotteslob sei
hiermit geschehen zu Beginn dieses Tages mit seinem vollen Lernprogramm.
Gott schenke Euch Phantasie und einen wachen Geist, Kreativität und
tiefe Einsicht in das, was ihr tut: Dass ihr es mit Lust tut zum Wohle
und zur Würde des Menschen – unter dem offenen Himmel.
Amen.
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