Samstag, 30. Oktober 2021

Über die Freiheit, kein Armleuchter zu sein. Predigtscribble für den Reformationstag 2021 zu Gal 5, 1-5

 




Das Reformationsfest ist das Fest der Freiheit, und wir haben klare und deutliche Worte aus der Bibel über die Freiheit gehört.

Aber was für eine Freiheit? Es ist das am meisten missbrauchte Wort der letzten Jahre, und ich bin geradezu entsetzt darüber, welches Schindluder damit getrieben wird. Lasst mich also eine Runde schimpfen. Heute also keine beschaulichen Worte über den Reformator, sondern eher Worte, wie sie der Reformator gesprochen haben könnte: voller Zorn und voller Vernunft. Bei erstem bin ich mir sicher. Das zweite könnt ihr überprüfen.  

 

Also: Über die Freiheit, kein Armleuchter zu sein.

 

Freedom Day. All warten drauf. Aber das wird kein Freedom day werden, sondern der Tag, wo die Freiheit noch mühsamer wird, als sie schon war.

 

Der wahre Freedom-Day war der 13. März 2020, als der Lockdown verkündigt wurde. Der Freedom-Day, auf den wir jetzt zugehen, wird keiner werden. Er wird uns, mit den Worten des Paulus, ein Joch auferlegen, mit dem wir uns in eine noch viel größere Unfreiheit hineinkatapultieren. Denn wovon werden wir befreit an diesem Freedom Day? Von Regeln, die uns geholfen haben, den Zustand zu erreichen, den wir jetzt haben. Ich finde den Begriff "Freedom Day", gerade als Christ, gerade auf der Grundlage der Worte des Paulus, die wir gehört haben, völlig unangemessen, ja sogar, ehrlich gesagt, ein bisschen verlogen. Das, was Christen mit Freiheit meinen, ist damit jedenfalls nicht gemeint.

 

Das ist eine steile These. Und ich will Euch erklären, warum.

 

Was ist Unfreiheit? Unfreiheit heißt: Regeln unterworfen zu sein, in seinen Handlungen eingeschränkt, in seiner Bewegung gehindert sein. Unfreiheit heißt, in Angst und Furcht zu leben, in Unsicherheit, Vertrauenslosigkeit und Verzagtheit. Die Betonung liegt auf: Regeln unterworfen sein. Wer Regeln unterworfen ist, ist ein unfreier Mensch. Er ist fremdbestimmt, lebt nicht sein Leben, sondern das Leben anderer. Wer auch immer diese Anderen sind.

 

Was ist Freiheit? Freiheit meint: Die Regeln, nach denen jemand lebt, selbst zu setzen. Freiheit meint, in Sicherheit und innerer Ruhe zu leben. Freiheit meint Selbstbestimmung.

 

 

Wie aber kann man zu dieser Freiheit gelangen? Der Philosoph Kant hat das vor über zweihundert Jahren formuliert, und er steht mit dem, was er das sagt, in der Tradition des Protestantismus und Luthers, und über Luther hinaus in der Tradition von Paulus. Frei ist ein Mensch, sagt Kant, wenn er sich an Regeln hält, weil er sie als vernünftig erkannt hat. Vernünftig sind Regeln, die das Leben so regeln, dass maximale Freiheit für jeden dabei herausspringt. Frei ist ein Mensch, der sich auch innerer Freiheit an die Regeln hält.

Das klingt auf den ersten Blick ziemlich ausgedacht und auch ein bisschen schräg. Heißt Freiheit nicht, tun und lassen, können, was man will? Heißt Freiheit nicht, von allen Zumutungen anderer Menschen oder gar Gottes völlig frei zu sein? Für egoistische Armleuchter schon. Für  vernunftbegabte Wesen nicht.  

 

Aber schauen wir uns mal Regeln an und üben wir ein wenig, echte Freiheit von falscher Freiheit zu unterscheiden.

 

Wer sich an die Verkehrsregeln hält, weil er weiß, dass er bestraft wird, wenn er sie übertritt: ist das ein freier Mensch? Oder ist der ein freier Mensch, der sich an die Verkehrsregeln hält, weil sie vernünftig sind, weil sie nach menschlichem Maß dafür sorgen, dass wir angstfrei am Verkehr teilnehmen können? Verkehrsregeln geben Sicherheit, dass ist ihr vernünftiger Grund. Und wer diesen vernünftigen Grund erkannt hat und sich freiwillig an die Regeln hält, der ist ein freier Mensch. Wer unbedingt meint, auf der Autobahn 200 km/h fahren zu dürfen, weil er sich ein fettes Auto leisten kann und gerne schnell fährt, ist ein unfreier Menschen: Getrieben von Gefühlen. Denn vernünftig ist das nicht. An dieser Stelle ist das Volk der Dichter und Denker gerade auf eine Weise anstrengend dumm, dass eigentlich weltweit alle den Kopf über uns schütteln. Ich habe das Gleichnis nicht ohne Grund gewählt. Die lächerliche Freiheit des Rasenkönnens ist ein großartiges Beispiel für die Freiheit der Armleuchter. Da rücke ich keinen Millimeter von ab, ich habe eine Schwester und zwei Freunde an den Autoverkehr verloren. 

 

Wer sich die Regeln des Handels hält, Verträge einhält, Rechnungen bezahlt,  Fristen einhält, Zusagen nachkommt: das ist ein freier Mensch, weil er diese Regeln als vernünftig erkannt hat, denn er möchte, dass alle Menschen auch ihn so behandeln. Wir möchten nicht betrogen, belogen und hintergangen werden. Die Regeln und Gesetze, nach denen wir Verträge schließen und Geschäfte machen, engen unserer Freiheit nicht ein, sie öffnen sie überhaupt erst. Sie geben uns Freiheit und Sicherheit.

 

Das ist der Sinn von Gesetzen. Sie wollen Freiheit eröffnen und Räume, in denen wir uns so sicher bewegen können, wie das nach menschlichem maß überhaupt möglich ist.

 

Das oberste Gebot der Freiheit lautet also: Handle immer so, dass die Art und Weise, wie du handelst, auch Gesetz für alle sein könnte.

 

Oder, wie Jesus es formulioert: handele so, wie du möchtest, dass du behandelt werden möchtest und wie du möchtest, dass alle anderen auch behandelt werden.

 

Und da sehen wir schon: Freiheit hat Grenzen. Nämlich die Grenze, an der wir anderen und uns selbst Schaden zufügen, Angst machen, wo wir das Leben anderer einengen und klein machen, wo wir Leben verhindern, anstatt es zu ermöglichen. Freiheit hat auch da Grenzen, wo das Gesetz und die Regeln nicht aus Gründen der Vernunft, sondern aus Angst und Furchtsamkeit gehalten werden. Wer mit dem Auto auf der Landstrasse 100 fährst, weil er Angst hat, geblitzt zu werden, ist eine unfreier Mensch.

Freiheit, so hat es die Historikern Hedwig Richter vor Kurzen formuliert,  ist nicht allein die Freiheit von Zumutungen, sie ist auch die Freiheit zu Zumutugen. Denn die Zumutung: das sind die anderen. Die Zumutung ist: das ich  nur frei sein kann, wenn andere frei sind.

 

 

Und darum haben alle Unrecht, die den Lockdown als einen Akt der Unfreiheit, des Einsperrens und der Beraubung von Rechten verstehen. Es war demokratischer Konsens, dass wir das miteinander tun. Weil jedem, der bei Trost war und verstanden hat, was das Wort „Pandemie“ meint, klar war: alles andere hätte verheerende Folgen.

Wir haben die Freiheiten, die wir haben, eingeschränkt, um Freiheit zu gewinnen. Das meinte ich damit, dass der 13. März 2020 der wahren freedom Day war. Und der Freedom Day, der das kommen soll, wird, wenn er zu früh kommt, erst recht in die Unfreiheit führen. Denn wenn er zu früh kommt, ist wieder jeder für jeden ein Risiko. Schöne Freiheit: wir heben die Verkehrsregeln auf. Gut für SUV-Fahrer. Schlecht für Fußgänger-

 

 

Und ich will Euch was sagen: dass wir als Kirchen durch diese Zeit ohne größer Ausbrüche, ohne schlimme Hotspot, ohne massenhaften Ansteckungen durchgekommen sind, hat viele damit zu tun, dass Christenmenschen wenigsten noch eine Ahnung davon haben, dass Freiheit nicht meint, zu tun und zu lassen, was einem in den Sinn kommt, sondern nach dem Wohl des Nächsten zu fragen und sich nicht von der Angst, sondern von der Vernunft bestimmen zu lassen.  

Die sogenannten Querdenker, und das ist der einzige Satz, den ich dazu sagen, denken genau darin völlig quer, dass die Freiheit, von der sie reden, nicht anderes ist als blanker Egoismus, als schiere Unvernunft und Selbstbezogenheit. Es ist die Freiheit der Raser auf der Autobahn, der Großmäuler auf dem Schulhof und der Vordrängler in der Kassenschlagen, es ist die Freiheit der Stammtischstrategen und Bescheidwisser. Ich bin dessen so müde, dass kann man sich gar nicht vorstellen.

Aber das ist eine letztlich kleine Groppe von Krakeelern, die durch die Medien großer gemacht worden sind, als sie sind. Es sind Scheinriesen, die kleiner werden, je näher man ihnen kommt.

Darum, meine Lieben, ist für mich der Tag des Lockdowns ein Tag der Freiheit gewesen. Und jetzt möchte ich wahrhaftig mit Paulus rufen: Zur Freiheit hat Euch Christus befreit! Lasst Euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen, unter das Leben, dass sich nur an Regeln hält, weil die Angst es diktiert, anstatt in Freiheit sich Regeln zu setzen, die die Freiheit der anderen ermöglicht.  Ich sehe dem kommenden Freedom Day, so wie jetzt über ihn geredet wird, mit Sorge entgegen.

Meinetwegen solle es Freedom day heißen. Aber dann nur unter einer Voraussetzung: dass nun jeder für sich, auch ohne denZwang des Gesetztes, auch ohne Angst vor Strafe und Ausgrenzung, dass dann jede und Jede ihr Leben vernünftig lebt, immer eingedenk der Gefahr, die nach wie vor da sein wird. Immer eingedenkt der Alten und der Kinder, die noch lange nicht aus dem Schneider sind. Immer eingedenk der Kliniken und Krankenhäuser, in denen zutiefst erschöpfte Menschen arbeiten, die jetzt sogar Impfverweigerer bis zu derem Tod pflegen, und ich möchte nicht in der Haut eines Menschen stecken, der seine lebenswichtige Operation verschieben muss, weil ein Impfwahnwichtel sein Intensivbett belegt.

Wenn es einen Freedom Day geben solle, dann wir es der Tag sein, wo jeder für sich seine eigenen Freiheit Tag für Tag daran wird prüfen müssen, ob es die Freiheit anderer einschränkt. Der Freedom Day wird ein Working Day werden.

Als Christenmenschen sind wir freie Menschen. Unsere Freiheit hängt nicht an Gesetzen und Regeln. Unserer Freiheit hängt am vernünftigen Vertrauen. Glauben heißt Vertrauen, nicht ängstliches Halten von Regeln. Glauben heißt Vertrauen auf die Kraft der Liebe, die nicht das Ihre sucht, sondern das Wohl des Anderen, und dazu die Vernunft einsetzt.  

Da sind wir als Christenmenschen tatsächlich auch gefordert: sollte es einen freedom day geben, wird es der Tage sein, an dem sich die Freiheit von Christenmenschen darin bewährt, dass sie die Freiheit der andern achten, vorsichtig bleiben, rücksichtsvoll bleiben. Maske tragen, wenn sie krank sind, sich zurückziehen, wenn nicht ganz klar ist, wie es um einen steht, Rücksicht auf die, die schwächsten sind in unsere Gesllschaft. Das sind im Moment die Kinder und die Ungeimpften: Die einen weil sie nicht dürfen, sie brauchen besonderen Schutz. Die anderen, weil sie nicht wollen. Hier gilt: Liebet Eure Feinde. Da fällt mir das unglaublich schwer.

Unsere Freiheit bewährt sich darin, dass wir die Freiheit der anderen achten – gerade weil wir frei sind. .

Das ist, was Paulus seinen Galatern ins Stammbuch schreibt, wenn er ihnen zuruft: Zur Freiheit hat Euch Christus befreit. Es ist die Freiheit von der Angst, es ist die Freiheit zur Liebe.

 

Sollte der Freedom Day unter dieser Maxime stehen: dann soll er kommen. Aber ich sage Euch: Dann fängt die Arbeit erst richtig an – es wird keine Rückkehr zur Normalität geben, solange die Krankheit nicht besiegt, ausgerottet oder harmlos geworden ist.

Gott schenke uns Vernunft und Einsicht, Kraft und Charakterstärke, diese Herausforderung, diese Prüfung zu bestehen. Denn es warten noch ganz andere Herausforderungen an unsere Fähigkeit zur Freeheit auf uns, der uns noch ganz anderes abverlangen wird: Aber über den Klimawandel predige ich ein anderes Mal.

 

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Freiheit vom Egoismus, Freiheit vom Aberglauben, Freiheit von religiösen Fesseln. Freiheit zur Entscheidung für die Vernunft, Freiheit für das Ergreifen der Liebe, Freiheit, die Freiheit der anderen zu schützen. Freiheit, keine Armleuchter zu sein. Und das ist schon richtig viel.

Lasst uns dafür dankbar sein an diesem Tag, der unter der Losung der Freiheit steht, aber auch an jedem Morgen, wenn wir aufwachen und in den Tag gehen. So bewähren wir uns als Christenmenschen in der Welt zum Wohle der Welt. 





Feuer im Netz. Gebet zum Abschluss des Digitaltages von EKHN und EKKW

 Zwischen Bit und Bytes. Dein Wort

Im Tanz der Elektronen: Deine Kraft

In Netz der Netze: Deine Energie,

Mehr als neuronal

Über alle kosmischen Strings hinaus:

Ewige Schwingung von Liebe zu Liebe.

 

Vielfältig sprichst Du

In Zeichen und Gesten

Berührst Du

Bewegst Du

Rufst du ins Leben

Führst zusammen

Bist Du präsent

In allen Räumen.

 

Licht bist du

Aus dem innersten Kern

Der dreieinigen Umarmung

Pure Energie

 

Die Welten verschmelzen

Unter dem Feuer Deiner Liebe,

Die Ströme der Gnade

Durchpulsen alles,

Was Geschaffenes ist

 

Atmendes, Stoffwechselndes,

Glühendes, Kaltes

Gewachsenes; Menschengemachtes,

Alles, was schaltet und waltet.

 

Alles durchpowert von Dir:

Nimm uns hinein in diesen Fluß

Webe uns ein in dein Netz

 

Weltweit wirke Dein Segen

In allen, die wir lieben

Mehr noch in allen

Die uns hassen

Die zu lieben

Uns schwerfällt.

 

Speise die Armen

Tröste die Trauernden

Die Vermessenen weise in ihre Schranken

Den Lügnern falle ins Wort

Hetze lasse erlahmen

Wehre der Gewalt

Kranken schenke Gesundheit

Trauenden und Sterbenden Hoffnung

Deiner Kirche mache Mut

Neue Räume zu betreten.

 

Steh uns bei

 

Leuchte uns entgegen

Im Licht der Displays

Im Strahlen der Sonne

Im Blick, der uns trifft

Und aus dem du uns anschaust:

Jesus Christus.

 

Es segne und behüte uns der barmherzige Gott,

Vater, Sohn, Heiliger Geist

 






Donnerstag, 21. Oktober 2021

Das Schwert der Liebe. Predigt zu Mt 10, 34-39, 21.S. n. Trinitatis, 24.10.2021

 

Mt 10,34-39

34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.

 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.

38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.

39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.


Liebe Gemeinde,

das sind harte Worte, die Jesus hier spricht, sie widersprechen auf dem ersten Blick so ziemlich allem, was wir erwarten. Ja, schlimmer noch: Sie sprechen eine große Angst an: dass der Glaube uns von den anderen Menschen entfremdet und dass er nicht Frieden bringt, sondern Gewalt und Streit.

Diese Erfahrung machen wir freilich auch. Es endet in unserer Gesellschaft Gott sei Dank nicht gleich in Mord und Totschlag, aber dass man als Christin und Christ immer wieder einmal auf Gegenwind stößt, für lächerlich, dumm oder verblendet gehalten wird, kann schon vorkommen. In anderen Winkeln der Welt werden Menschen um ihres Glaubens willen verfolgt, gejagt und sogar getötet. Die Geschichte aller Religionen zieht auch eine Blutspur hinter sich her, das steht völlig außer Frage, und für die Kritiker der Religion ist das ein starkes Argument, Glauben und Religion vollständig abzulehnen oder sogar für die Wurzel allen Übels zu halten. Und so richtig widersprechen kann man dem ja auch nicht. Und nicht nur Christen werden und wurden verfolgt, es waren auch Christen selbst, die als Verfolger und Mörder auftraten und noch auftreten. Wie damit umgehen? Es steht ja da: er bringt das Schwert, und er stellt knallhart vor die Alternative: entweder ich oder die anderen. Und der Riss geht dann durch Familien und Völker.

Wie damit umgehen?

Nun, im Grunde ist es ganz einfach: Jesus spricht hier in einem Bild. Seine Worte sind eine Gleichnisrede, wie viele seiner anderen Gleichnisse auch. Nur, dass die Gleichnisse, die wir kennen und lieben, eben von der Versöhnung sprechen, von der Liebe und von der Gnade, etwa das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Oder von der geheimnisvollen Kraft des Wortes Gottes, dass wie ein kleines Senfkorn daherkommt und am Ende ein großer Baum wird. Das sind Bilder, und Bilder müssen ausgelegt und verstanden werden. Sie wollen etwas veranschaulichen. Und so auch hier. Wenn Jesus davon redet, dass er das Schwert bringt, dann meint er: Er ruft in eine Entscheidung. Entweder ich oder die anderen. Das ist immer noch eine harte Rede. Doch bei Lichte betrachtet, ist es nicht anderes als das, was das erste Gebot auch sagt: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir“. Und Luther hat dieses Gebot so ausgelegt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“. Vertraust Du auf Güter und Erfolg? Vertraust Du auf Gewalt und autoritäres Verhalten? Vertraust Du nur Dir oder auch anderen? Worauf vertraust Du? Was tröstet dich, was gibt dir Kraft, was hält dich? Von wo aus blickst du auf die Welt: aus deinem kleinen, eingeschränkten Blickwinkel oder aus der Perspektive Gottes? Und wenn Jesus von Gott spricht, und jetzt kommen wir der Sache schon näher, dann spricht er von dem Gott, der uns gnädig ist, der sich uns in Liebe zuwendet, der uns unsere Sünden vergibt und sich mit uns versöhnt. Das Schwert also, von dem hier die Rede ist, ist ein Bild für die Liebe. Das klingt nun sehr verblüffend und auch ein bisschen schräg. Kann man das denn zusammendenken, ein Schwert und die Liebe? Es gib ein schönes Lied, das Gustav Mahler auch ganz wundervoll vertont hat,  aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“. Darin kommt eine Zeile vor, an die ich hier denken muss: „Ich habe ein glühend Messer, ein Messer in meiner Brust, O weh! O weh! Das schneid’t so tief.“ – das Messer ist seine Liebe zu einer Frau, die nicht erwidert wird. Hier leuchtet uns das Bild sofort ein. Die Liebe kann auch wehtun, vor allem, wenn sie nicht erwidert wird. Dann ist sie wirklich ein zweischneidiges Schwert, das sehr verletzen kann. Und jetzt kommen wir in die tiefste Schicht dieses Bildes: Das ist ja genau Jesu Schicksal! Er selbst erleidet auch einen ziemlich schrecklichen Tod – weil er der Bote der Liebe, ja sogar die Liebe selber ist. „Liebe ist stark wie der Tod“, heißt es im Hohelied (Hoheslied 8,6b), und wer je Liebe gefühlt hat, wird das kennen. Aber sie ist eben nicht der Tod, sie ist stark wie der Tod. Auch hier also: ein Bild!

Gerade wenn man die Welt liebt, gerade wenn man unter dem leidet, was wir mit ihr gerade tun und wie wir uns in ihr bewegen, fühlen wir Schmerzen. Wir möchten, dass sich das ändert, dass die Welt ein guter Ort wird, dass das Böse und Üble, das wir ihr und uns antun, aufhören möge, dass jemand mit einem Schwert dazwischenginge und es beseitige. Jesus spricht also hier von der Zweideutigkeit der Liebe, von der Leidenschaft, die sie freisetzen kann, von dem Schmerz, die sie zufügen kann. Diese Erfahrung spiegelt sich in den Worten Jesu. Es ist ein zugespitztes Bild dafür, was geschehen kann, wenn man sich für die Liebe entscheidet. Und das kann tatsächlich Gräben aufreißen. Junge Menschen möchten, dass wir aufhören, die Welt mit unserem Müll zuzuschütten, sie auszubeuten und durch den Menschenanteil am Klimawandel zu zerstören. Sie greifen dazu zu drastischen und deutlichen, aber gewaltlosen Mitteln. Sie versammeln sich Freitags während der Schulzeit und bringen Ihren Protest zum Ausdruck. Diese jungen Menschen sind voller Leidenschaft und Liebe für die Erde, sie handeln nicht aus böser Absicht oder aus rein eigennützigen Motiven. Aber jeder bekommt auch mit, auf welche Schwierigkeiten sie stoßen. Greta Thunberg, die junge Frau, die sich an die Spitze der Bewegung gesetzt hat, bekommt Morddrohungen. Indem diese jungen Menschen für die Liebe zur Erde und zur Schöpfung eintreten, „bringen sie das Schwert“ und bekommen es zu spüren. Ist das nicht furchtbar? Diese jungen Menschen haben sich für etwas entschieden, und allein dadurch geraten sie in Schwierigkeiten und erfahren Hass und Ablehnung. Und dieser Riss geht tatsächlich auch durch Familien!

Das Wort Jesu, dass so furchtbar klingt, als wäre es eine Aufforderung, zum Schwert zu greifen und gewalttätig zu werden, hält uns also einen Spiegel vor: Wer sich für die Liebe entscheidet, wird auf Schwierigkeiten stoßen und kann sich schwere Verletzungen holen. Es ist also entscheidend wichtig, zu begreifen, dass Jesus hier ein Bild benutzt. Nicht um uns einen Schrecken einzujagen, sondern um den Ernst der Frage deutlich zu machen: Wofür entscheidest du Dich? Für die Liebe oder für die Gleichgültigkeit? Bist Du bereit, für die Wahrheit auch Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen oder nicht? Wer sich für den Glauben entscheidet, wer auf die Liebe vertraut, wird in der Welt, die so sehr mit sich beschäftigt ist, diese Erfahrung immer wieder machen. Sie darf uns aber nicht müde werden lassen oder in die Resignation führen. Auf eine merkwürdige Art und Weise entpuppt sich das harsche Wort Jesu, das so gewalttätig und abweisend klingt, sogar als ein Zuspruch oder ein Trost: Wer sich für mich entscheidet, wird leiden um der Liebe willen. Aber er hat mich an seiner Seite. Wer sich für die Liebe entscheidet, entscheidet sich für die Kraft Gottes, die die Welt eben gerade nicht mit Gewalt, sondern mit Sanftmut und mit dem Wort verändern will. Es geht also gar nicht darum, den Konflikt, die Auseinandersetzung und den Streit zu suchen. Es geht darum, nicht zu erschrecken, wenn wir die Erfahrung machen, dass das Eintreten für die Liebe auf Abwehr stoßen kann, dass wir, wenn wir glauben, auch ein glühendes Messer in unsere Brust haben. „Brannte nicht unser Herz?“ Fragen die beiden Jünger am Morgen nach Ostern, als sie Jesus begegneten und ihn nicht erkannten? Am brennenden Herzen haben sie ihn schließlich erkannt. Der Apostel Paulus spricht in seinem Brief an die Epheser auch in einem militärischen Bild: "So steht nun, eure Lenden umgürtet mit Wahrheit, bekleidet mit dem Brustpanzer der Gerechtigkeit und beschuht an den Füßen mit der Bereitschaft zur Verkündigung des Evangeliums des Friedens! Bei alledem ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr alle feurigen Pfeile des Bösen auslöschen könnt! Nehmt auch den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist Gottes Wort!" (Epheser 6:14-17). Hier ist es ganz deutlich: das ist ein Bild, das ist nicht wörtlich gemeint.

Es ist also völlig absurd und geradezu bösartig, im Namen der Religion oder des Glaubens zum Krieg oder zur Gewalt aufzurufen und sich dabei auf dieses oder andere Worte der Bibel zu berufen. Man muss schon genau hinhören, wer hier spricht. Der Bote der Liebe bringt das Schwert der Liebe. Und darum gehört unser Mitgefühl, unsere Solidarität und unser Einsatz allen Menschen, die um des Glaubens willen verfolgt, verleumdet, gejagt oder getötet werden. Darum sollten unsere Sympathie und unser Aufmerksamkeit all jenen zukommen, die um der Liebe willen kämpfen und dafür Widerstände nicht scheuen.

Jesus sagt diese Worte zu seinen Jüngern. Er rief sie letztes Mal in die Entscheidung, bevor er sie in die Welt sandte und zeigte Ihnen die Konsequenzen. Sie sind trotzdem losgezogen als Boten der Liebe und haben so das Evangelium in die Welt gebracht. Manche haben das mit ihrem Leben bezahlt. Wir nennen sie Märtyrer, Blutzeugen, in der katholischen und Orthodoxen Kirchen werden sie als Heilige verehrt und auch wir ehren sie, denken wir an Dietrich Bonhoeffer, der im KZ um seines Glaubens willen hingerichtet wurde.

 

Die harten Worte Jesu, die eine harte Wirklichkeit benennen, sind am Ende eine Ermutigung: Lasst Euch nicht einschüchtern, kämpft den guten Kampf des Glaubens, auch wenn ihr Gegenwind bekommt: Das ist zu erwarten! Aber vergesst niemals: Das Schwert ist die Liebe, nicht die Gewalt. Die große Kunst des Glaubens ist es, auf diese Gewalt, diese Verachtung, diesen Spott, dem wir begegnen, nicht wieder mit Verachtung, Spott und Gewalt zu antworten. Sonst huldigen wir dem falschen Gott. Da gibt es keine Alternative. Dem müssen wir uns stellen. Nirgendwo steht geschrieben, dass der Glaube das Leben einfacher macht. Er macht es erträglicher, weil er uns starke Bilder der Hoffnung gibt in einer Welt voller Not und Tod. Das Schwert des Geistes ist stärker als alle Schwerter der Welt, weil es nicht den Tod bringt, sondern das Leben. Die Liebe ist stark wie der Tod, aber sie gewinnt am Ende.

Amen.

Sonntag, 3. Oktober 2021

Die Twitter Leseliste der Dicken Wälzer

 Am 3. Oktober 2021 habe ich auf Twitter nach Dicken Wälzern gefragt. Das Echo war überwältigend. Hier nun alles, was ich von den Vorschlägen noch nicht kannte (minus den Autorinnen und Autoren, die es mir vorher schon schwer gemacht hatten. Man hat ja seine Vorlieben). Einfach aus Twitter kopiert, nicht sortiert. 

Stand 20.00 Uhr


·        Isaac Asimov Foundation-Trilogie

·        Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege Herman Melville: Moby Dick Dostojewski: Die Brüder Karamasov Anthony Powell: Ein Tanz zur Musik der Zeit Jane Gardam: Old Filth Trilogy

·        David Foster Wallace, Unendlicher Spaß

·        AndreasEschbach

·        Jonathan Franzen "Die Korrekturen".

·        Strittmatter, Der Laden 1 bis 3.

·        Vilhelm Moberg, Die Auswanderer (in 4 Bänden)

·        Danielewski, Das Haus

·        Karl Ove Knausgård.

·        "Eine Formalie in Kiew" von Dmitrij Kapitelman -

·        Trilogie von Justin Cronin, jedes Buch 1000+ Seiten stark. • Der Übergang • Die Zwölf • Die Spiegelstadt

·        Die Villa am Rande der Zeit von Goran Petrovic (Fiktion)

·        „Die Brücke von Alcantara“ Frank Baer

·        William Gaddis' "Die Fälschung der Welt"?

·        Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius

·        Empire Bücher von James Gordon Farrell

·        Gabriele Tergit, Effingers

·        Georges Perec: Das Leben. Eine Gebrauchsanweisung.

·        Die Wohlgesinnten, Jonathan Littell.

·        Der patagonische Hase von Claude Lanzmann

·        Peking von Anthony Grey

·        Legende von Schernikau

·        Charles Lewinksy, Melnitz

·        Johann Holtrop von Rainald Götz.

·        Rebekka Makkai, die Optimisten

·        Wittgensteins Mätresse von David Markson.

·        Neal Stephenson, der Barockzyklus

·        El Gad, Niemandsprache, Itzig Manger

·        "Die Bertinis" von Ralph Giordano

·        "Ein wenig Leben" Hanya Yanagihara

·        "Wolf unter Wölfen" H.Fallada

·        Alban Nikolai Herbst: Wolpertinger oder das Blau.

·        richard powers "the overwood"/die wurzeln des lebens

·        Die Abenteuer des augie march

·        Luther Blissett: Q. Roman

·        Hanta Yo“ von Ruth Beebe Hill

·        Herr der Krähen von Ngũgĩ wa Thiong'o.

·        Im Zeichen der Mohnblume von RF Kuang.

·        Roberto Bolaño: 2666

·        Solschenizyn "Krebsstation

·        Die unseligen Könige", Maurice Druon.

·        Hamsun, "Hunger".

·        "Der Rummelplatz" von Werner Bräunig

·        Petra Morsbach, Justizpalast

·        Die Wohlgesinnten, Jonathan Littell.

·        Rebekka Makkai, die Optimisten.

·        Tristan da Cunha oder Die Mitte der Erde, von Raoul Schrott.

·        Nathan Hill: Geister.

·        Leila Slimani "Das Land der Anderen"

·        Otar Tschiladse, Der Garten der Dariatschangi

·        Gusel Jachina: Suleika öffnet die Augen. Roman

·        Franz Werfel: Die 40 Tage des Muss Dagh

·        "Matou" Michael Köhlmeier

·        Sands: Rückkehr nach Lemberg,

·        Die Jüdin von Toledo L. Feuchtwanger

·        Tõde ja õigus (Wahrheit und Recht) von A. H. Tammsaare,

·        Der sterbende See von Abdishamil Nurpeissow (kasachisch)

·        Krabat oder Die Verwandlung der Welt & Die Bewahrung der Welt von Jurij Brězan

·        Eleanor Catton “Die Gestirne”

·        „Wir Ertrunkenen“ von Carsten Jensen

·        Michael Chabon, The Adventures of Kavalier & Clay.

·        Empire Bücher von James Gordon Farrell

·        Namwali Serpell: The Old Drift

·        Hedi Kaddour: Die Großmächtigen

·        Tom Holland: Herrschaft - Die Entstehung des Westens

·        Hillary Mantel: Wölfe

·        yu hua | brüder

·        "Extrem laut und unglaublich nah" von Jonathan Safran Foer.

·        Johan Harstad: Max, Mischa und die Tet-Offensive

·        Dein ist das Reich  Katharina Döbler...

·        "Jude the Obscure"

·        Jane Gardam: Old Filth Trilogy

·        Ursula Krechel: Landgericht

·        Hilary Mantel SPIEGEL UND LICHT

·        Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

·        Clemens Meyer... "Im Stein"

·        Chaim Potok "Die Erwählten" Mein Name ist Ascher Lev. Das Versprechen. Davitas Harp 1

·        Nagib Machfus: Die Kinder unseres Viertels.

·        Min Jin Lee, Pachinko - deutsch: „Ein einfaches Leben“

·        Maria Popova, Figuring - deutsch: „Findungen“.

·        "Fahlmann"  Christopher Ecker.

·        Cixin Liu.

·        Orhan Pamuk - Cevdet und seine Söhne

·        Anthony Trollope, Barchester Chronicles.

·        Hail Mary von Andy Weir

·        Tad Williams - Otherland

·        Rétif de la Bretonne: “Die Nächte von Paris”,

·        Eça de Queiroz “Die Reliquie”

·        “Die Maias”.

·        Min Jin Lee, Pachinko - deutsch: „Ein einfaches Leben“.

·        Mithu M. Sanyal Identitti

·        David Twohy Die Ankunft

·        Der Distelfink von Donna Tartt.

·        Das Genie von Klaus Cäsar Zehrer.

·        Die Unsichtbaren von Roy Jacobsen.

·        Tobias Smolletts „Peregrine Pickle“,

·        Metro 2033, Glukhovsky.

·        Xi Jinping: China regieren

·        Robert Merle, „Fortune de France“

·        Barbara Kingsolver - The Poisonwood Bible

·        Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945, 8 Bde. von Victor Klemperer

·        „Die Brücke von Alcantara“ Frank Baer

·        "Boston" von Upton Sinclair.

·        Neue Vahr Süd von Sven Regener.

·        "Die Zunge" von Lea Singer,

·        Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion.