Freitag, 27. Mai 2016

Predígt 1. S. n. Trin, 1. Johannes 4, 16b-21 Bleibt in der Liebe

Predigt für den 1. Sonntag nach Trinitatis, zu halten in Haddamar, Heimarshausen und Züschen.


 
1. Johannes 4, 16b.
Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.

18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.

19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.

21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

 

 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

Wenn Christen von Liebe sprechen, dann meinen sie damit nicht ein Gefühl. Sondern eine Haltung. Eine Haltung unterscheidet sich von einem Gefühl in einem entscheidenden Punkt: man kann sie lernen, einüben und ständig ausbauen.

Darum ist es kein Widerspruch, Menschen zur Liebe aufzufordern.

Trotzdem bleibt ein merkwürdiges Gefühl, wenn wir zur Liebe aufgefordert werden. Kann man das denn wirklich machen, Liebe befehlen?

Das kann man natürlich nicht. Und zwar aus einem ganz einfach, sehr banalen Grunde: Wenn ich möchte, dass Menschen die Liebe lernen, muss ich die Liebe selber auch kennen. Liebe entzündet sich an Liebe. Nur wer sich selber geliebt weiß, kann Liebe weitergeben. Eine der Quellen des Hasses, der im Moment unser Klima so vergiftet ist, dass Menschen einfach nicht wissen, nicht erfahren und erlebt haben, was Liebe ist.

Und was ist Liebe, wenn sie nicht einfach ein Gefühl der Sympathie und der Zuneigung ist? Es gibt zwei sehr schöne moderne Worte dafür: Wertschätzung und Solidarität. Das eine ist die Haltung, das andere ist die Tat.

Wir Christen können von der Liebe reden, weil der Glaube nichts anderes ist, als das feste Vertrauen darauf, dass Gott uns liebt. Und zwar ohne alle Voraussetzungen und Bedingungen. Er liebt uns, weil wir seine Geschöpfe sind. Das ist alles. Aber in diesem einfachen Satz steckt auch schon das Problem. Woher können wir das wissen?

Wir wissen es aus der Geschichte Jesu, die nichts anders ist, als eine einzige Liebesgeschichte. Die Geschichte Jesu zeigt uns, dass wir nichts so sehr fürchten, wie die Liebe. Denn die Liebe hat etwas Anarchisches. Die Liebe reisst Grenzen ein, stellt Selbstverständliches in Frage, die Liebe ist ein bisschen verrückt.

Liebe braucht Liebe, damit sie sich entzündet. Ich habe das auch erst spät begriffen. Während unserer Ausbildung hörten wir einem Vortrag von einem Suchtberater über die Ursachen der Sucht. Wir erwarteten einen schönen theoretischen Vortrag über Psychologie, Soziologie, Pädagogik und Prävention, also etwas sehr Kluges und Gelehrtes. Stattdessen fing der gute Mann an, uns eine kleine Szene vor Augen zu malen. Ein Kind malt ein Bild und läuft damit voller Stolz und Freude zu seiner Mutter.  „Mammi, ich hab dir ein Bild gemalt: das ist unser Haus“. Zu sehen sind auf dem Bild ein paar Krickelkrackel, die man mit Mühe als das erkennt, was sie darstellen sollen. Die Mutter sieht das Bild an und sagt: „Das ist aber kein Haus, das kann man ja gar nicht erkennen. Komm, ich zeige dir mal, wie man ein richtiges Haus malt.“ Sie nimmt den Stift und zeichnet ein Haus.

Eine harmlose Szene, sollte man meinen, und die Mutter hat es doch gut gemeint. Wir waren etwas geschockt. Was hat das mit Sucht zu tun?

Wir sollten uns nun für einen Moment in die Rolle des Kindes versetzen. Es malt ein Bild und will es seiner Mutter schenken. Weil es seine Mutter liebt! Darum geht es. Nicht um ein Haus. Nicht um Kunst. Nicht um Falsch und Richtig. Es geht um die Geste der Zuwendung und der Wertschätzung. Die Mutter aber sieht diese Geste der Liebe nicht. Sie wertet sie ab. Sie korrigiert das Kind. Wären wir im Kunstunterricht oder würden die beiden versuchen, zu lernen, wie man ein Haus malt, wäre das völlig in Ordnung. Aber hier geht es um etwas anderes. Das Kind wird frustriert. Es erfährt die Reaktion der Mutter als Ablehnung.

Wir waren tief betroffen. Ich spüre es noch heute. So schnell geht das also, dass wir Liebe übersehen und Menschen tief verletzen.

Der Therapeut führte uns dann vor, wohin dieses Muster führen kann. Das Kind verinnerlicht die Ablehnung. Es hat einen Vertrauensbruch erlebt. Es verliert den Halt. Den Rest kann man sich ausmalen. Am Ende wird es Halt und Stütze suchen, wo es keinen finden wird. Denn Halt finden wir nur in Menschen und in einem Glauben, der nicht bevormundet und erzieht, sondern trägt und ermutigt.

Das war natürlich eine Vereinfachung, eine Zuspitzung. Man muss jetzt als Vater, Mutter oder Erzieher nicht in Panik geraten. Aber was ich durch diesen Vortrag begriffen habe: An der Liebe müssen wir arbeiten. Wir müssen sie trainieren, sie üben. Und wie geht das? Indem wir uns in den anderen hineinversetzen. Indem wir die Frage stellen: Was würde ich jetzt gerne hören, was würde ich jetzt gerne erlebe, ja: was brauche ich jetzt? Und wir müssen lernen, auf unsere eigene Sehnsucht nach Liebe, Zuwendung und Anerkennung zu hören. Das ist der Weg zum anderen Menschen. Darin nehmen wir ihn ernst. In dem wir für einen Moment seine Stelle einnehmen, finden wir heraus, was er braucht. Und noch einfacher: wir fragen ihn! Das Fremdwort dafür heißt: Empathie. Einfühlung. Wir finden die Quelle der Liebe in uns selbst, wenn wir auf unsere Wünsche hören. Nur so können wir Haß und Gefühlskälte vermeiden. Es schönes indianische Sprichwort sagt: Wenn du wissen willst, wer ich bin, dann gehe eine Meile in meinen Schuhen.

Liebe kommt aus Liebe. Gott ist eine Meile in unseren Schuhen gegangen. Er hat in Jesus Christus unsere Not mit der Liebe erlebt. Hat gefühlt, wie es ist, angesichts von Tod, Not und Krankheit, angesichts von Angst, Haß und Verachtung zu leben. Und er setzte noch größere Liebe dagegen. Die Auferweckung Jesu von den Toten ist der größte Liebesbeweis, den er uns Menschen jemals entgegengebracht hat. Wir können aus dieser Liebe leben. Mit ihr fängt es an.

Wenn es denn so einfach wäre.

Ich habe vor einigen Wochen syrische Flüchtlinge kennengelernt. Sie haben mir erzählt, woher sie kommen und was sie erlebt haben. Es war kaum zu ertragen. Unvorstellbar für mich, was es heißt, geliebte Menschen durch Krieg zu verlieren, in die Fremde zu gehen, wo keiner meine Sprache spricht, unvorstellbar für mich, was es heißt, in ein Land zu kommen, wo Menschen mich verachten und mir misstrauen, nur weil ich ein Fremder bin. Was mir vorher im Kopf schon klar war: dass wir uns um die Flüchtlinge kümmern müssen, wurde mir jetzt ein Anliegen. In der Begegnung von Mensch zu Mensch wurde aus einem theoretischen Gedanken eine ganz praktische Sache und ich spürte, dass ich mich dem nicht entziehen kann. Aber was tun? Die rettende Frage, die mich aus der inneren Not herausholte, fiel mir dann – und ich sage mit voller Absicht: Gott sei Dank!- noch rechtzeitig ein, weil ich an diesen Vortrag von dem Suchtberater denken musste. Ich frug: Was brauchst du jetzt? Und die Antwort war ganz einfach: Alles, was sie in diesem Moment brauchten, ist für mich machbar und gar nicht schwer: „Üben Sie mit uns Deutsch sprechen. Wir verstehen nicht, wie das mit den Umlauten funktioniert“. Also üben wir jetzt Ö, Ü und Ä richtig auszusprechen. Mehr braucht es gar nicht. Ich erzähle das hier nicht als Heldengeschichte, sondern als eine Rettungsgeschichte: ich bin davor bewahrt worden, mich der Situation mit irgendwelchen klugen Geschwätzen zu entziehen, weil ich mich an eine kluge Geschichte von der Liebe erinnerte, die wiederum an das Evangelium erinnerte. Dafür bin ich dankbar, und auch ein wenig erschrocken darüber, dass ich mich vor der Antwort. ja vor den fremden Menschen selber gefürchtet habe. Und jetzt: Ich lerne hochinteressante Menschen kennen! Und im Gegenzug helfen sie mir, ein wenig Arabisch zu lernen.

Mal sehen, was draus wird.

Gott hat uns zuerst geliebt, damit wir in der Liebe bleiben. Die Worte aus der Schrift, die wir heute hörten, wollen uns daran erinnern. Um mehr geht es nicht, aber auch nicht um weniger: Übt die Liebe, dann bleibt ihr auch in der Liebe.

Übrigens, zurück zu der Geschichte von Mutter und Kind.

Was hätte die Mutter antworten sollen? Oh, danke, mein liebes Kind. Das hast du schön gemacht, ich freue mich sehr.

In zwanzig Jahren wird das Kind dann vielleicht auch ein richtiges Haus malen können. Aber spielt das eine Rolle für die Liebe?

Amen.

Predigt zu Pfingsten: Der Geist und das Netz. Organisierte Liebe

Kleine Vorausbemerkung: Die folgende Predigt wurde für das "Werkstatt-Premium"-Angebot des Bergmoser und Höller-Verlages geschrieben, ein Service, der zeitnah (am Freitag vor dem Sonntag) zu einem aktuellen Thema den Perikopentext auslegt. Insofern ist diese Predigt jetzt "verbraucht" und ich darf sie hier zur Diskussion stellen; freilich liegt das Copyright immer noch beim Bergmoser und Höller-Verlag.


 
 
Predigt: Apg 2,1-18 (Luther 84)

Das Pfingstwunder

2 1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.

 12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.

14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! 15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; 16 sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist:  17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.

Amen.

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Pfingsten ist das Fest, an dem die Grenzen fallen. Der Glaube, der hier entzündet wird, überwindet alle Barrieren von Sprache und Herkunft und führt die Menschen zu einem Volk zusammen in gemeinsamer Begeisterung für Gott. Wir hören, wie sich die Jünger und Jüngerinnen Jesu wie gewohnt versammeln, um zu beten, zu singen und sich ihres noch ganz jungen, ganz neuen Glaubens gegenseitig zu versichern. Noch ist es eine kleine, verschworene und sich geschlossene Gemeinschaft, die ihren neuen Gottesdienst etwas verborgen in einer Ecke des Tempels feiert: vermutlich auch, weil sie Angst hatten, denn dieser neue Glaube an den auferstandenen Christus war vielen in Jerusalem nicht geheuer. Sie beten zu einem, der als Gotteslästerer hingerichtet wurde. Sie behaupten, mit ihm sei zwischen Gott und Mensch Frieden geschlossen worden, weil Gott den von den Menschen getöteten Jesus von den Toten auferweckt hat. Sie teilen alles miteinander, und sie beachten auch die alten Ordnungen nicht mehr: Herren und Sklaven, Frauen und Männer feiern miteinander. 50 Tage nach den Ereignissen von Ostern und Karfreitag waren sie nun also wieder zusammen. Es war ein jüdischer Festtag – Pfingsten ist von seiner Herkunft her ein jüdisches Fest. Darum war die Stadt voll von Menschen und es herrschte eine festliche Stimmung, auch der Tempel war gut besucht. Menschen aus aller Herren Länder waren dort versammelt, denn die Juden und die, die dem Judentum nahestanden, waren damals schon über die ganze Welt verstreut und sprachen alle möglichen Sprachen. Die Verständigung war schwierig! Und da geschah es: Die Luft, so erlebten es die Menschen, die dabei waren, war voller Brausen und plötzlich fuhr der Geist Gottes in sie. So stark war das Erlebnis, dass sie geradezu sehen konnten, was geschah: Wie Feuerzungen leuchtet es über den Köpfen. Und dann fangen sie an zu beten und zu singen. Und jetzt geschah das eigentliche Wunder: Alle verstanden sich. Alle verstanden, was da gebetet und gesungen wurde, obwohl jeder und jede in ihrer Sprache betete und sang. Es war eine Begeisterung, wie wir sie nur aus ganz wenigen Momenten unseres Lebens kennen. Man hat unwillkürlich ein Fußballstadion vor Augen, oder ein Rockkonzert: Menschen, die in einem Geiste miteinander versammelt sind. Das Erschütternde und Begeisternde an dieser Erfahrung war, dass damit die alten Grenzen von Sprache und Herkunft aufgehoben waren. Alle Menschen, die dabei waren, erfuhren sich als eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, und alle spürten: Jetzt beginnt etwas Neues! Die Kirche war geboren. Natürlich nicht die Kirche als Institution mit Priestern, Bischöfen und Gemeinden, das sollte erst später allmählich wachsen. Aber die Kirche als das, was wir auch im Glaubensbekenntnis sagen: Die Gemeinschaft der Heiligen. Das war der Moment, wo der alte Glaube Israels an den Gott, der in die Freiheit führt, anfing, sich unter dem Namen Jesu Christi in die ganze Welt auszubreiten. Das hatten die Propheten schon vorausgesagt: Dieser Tag wird kommen! Das, was die Bibel über den Turmbau von Babel erzählte, verkehrte sich in sein Gegenteil. Damals, so berichtet die alte Erzählung aus dem ersten Buch Mose, hatten die Menschen noch eine Sprache und waren sich einig. Aber sie nutzten diese Einheit schlecht: Sie taten sich zusammen und wollten, im Bewusstsein ihrer Kraft und ihrer Gemeinschaft, einen Turm bauen, der bis an den Himmel reicht. Dem schob Gott einen Riegel vor. Die Menschen sollten Menschen bleiben und nicht wie Gott werden. Und so verwirrte er ihre Sprache, dass sie sich nicht mehr verständigen konnten. Und damit brachen auch ihre Träume von einem Weltreich zusammen, und die Menschen wurden fortan in die ganze Welt verstreut. Wie so oft erzählt diese alte Geschichte im Gewand eines Mythos eine einfache Wahrheit. Der Hochmut der Menschen führt am Ende dazu, dass Ihre Einigkeit verloren geht. Heute aber, am Tage des Pfingstfestes, erleben sie, wie Gott sie wieder zusammenführt. Der alte Traum von der gemeinsamen Welt kann wieder geträumt werden. Zumindest an einem Ort sprechen alle eine Sprache: Wenn sich die Menschen versammeln, um Gott zu loben und zu preisen. Das war ein nur ein Anfang, aber immerhin ein Anfang.

Wir träumen diesen Traum immer noch. Und wir träumen ihn nicht nur als einen frommen Traum. Längst ist unsere Welt viel enger zusammengerückt. Vor allem das Internet hat uns auf eine Art und Weise miteinander verbunden, die einem auch als ein schieres Wunder vorkommen kann. In dieser Woche hat die Bundesregierung beschlossen, dass freier Internetzugang in der Öffentlichkeit auch für private Anbieter möglich ist. Das war bisher mit einigen Schwierigkeiten verbunden, so dass wir gerade in Deutschland vom freien Zugang zum Internet stellenweise abgeschlossen waren. Das ist aber nicht mehr zeitgemäß. Nun ist der Weg frei, das Internet noch für viel mehr Menschen an noch mehr Orten und zu allen Zeiten zugänglich zu machen. Die Welt steht uns offen wie noch nie. Das macht vielen Menschen auch Angst. Sie fragen sich, ob das nicht doch Ausdruck desselben Wahnes ist, der zum Turmbau zu Babel führte, und viele reagieren darauf auch, wie die Zuschauer im Tempel: Die sind ja verrückt, die sind ja betrunken, das ist ja Spinnerei. Aber man kann doch auch sagen: Mit dem Internet sind wir dem Menschheitstraum ein wenig näher gekommen, doch eine Menschheit aus Menschen zu sein. Denn das weltweite Netz verbindet Menschen miteinander, die sonst nie in Kontakt kämen. Wie bei jeder Technik liegen Fluch und Segen ganz nah beieinander. Es kommt darauf an, wie wir es nutzen und was wir daraus machen. Genau wie mit der Gabe des Geistes, den Gott über uns ausgegossen hat. Die Kirche ist auch oft falsche Wege gegangen, hat auch oft versucht, den Geist zu dämpfen, hat doch auch Menschen ausgeschlossen und aus der Gabe der Freiheit einen Zwang gemacht. Doch das, was Jesus ursprünglich einmal meinte, bricht sich immer wieder Bahn. Glaube, Liebe und Hoffnung sind doch stärker als Enge, Angst und Tyrannei. Denn der Gedanke, dass wir alle Menschen sind, die in einem Geist miteinander verbunden sind, ist ein starker Gedanke. Das Internet führt uns als Menschen auch näher zusammen, wenn wir es nur richtig nutzen. Sind nicht viele Verbrechen in den letzten Jahren gerade über das Internet ans Tageslicht gekommen, weil sich das Netz jeder Kontrolle, jeder Regulierung entzieht? Weil Menschen hier ganz unmittelbar, ohne Filter und ohne Bevormundung ihre Meinung kundtun können und alle am Wissen aller teilhaben können? Freilich: Das Internet ist auch ein Ort, wo Hass, Lüge und Verleumdung ihren Platz haben. Es ist gar keine Frage, dass das Internet an der Radikalisierung, die im Moment bei uns herrscht, auch seinen Anteil hat. Und doch: Es hat ja Gründe, warum gerade die Mächtigen und Gewaltigen in dieser Welt, vor allem die, die mit Gewalt, Lüge und Terror herrschen, sich vor dem Internet fürchten: Weil es auch ein Ort der Freiheit ist, der Völker und Menschen verbindet. Ein bisschen, nur als Vergleich, ist das Internet wie Pfingsten: Eine Möglichkeit, dass wir als Menschen enger zusammenrücken.

Und darum kommt es darauf an, wie wir es nutzen, zum Segen oder zum Fluch. Letzte Woche hielt auf der großen Internetmesse re publica die türkische Journalistin Kübra Gümüşay einen Vortrag, der viele Menschen sehr bewegt hat. Sie verkündete, dass wir dem Hass und der Ausgrenzung im Netz eine Offensive der Liebe entgegensetzen müssen. Das Stichwort heißt: „Organisierte Liebe“. Auch dafür kann das Netz nützlich und gut sein: dass die, die der Liebe eine Chance geben wollen, sich weltweit vernetzen und dem Hass etwas entgegensetzen.

Ist das nicht auch der Geist von Pfingsten? Ist das nicht das, was da in Jerusalem vor 2000 Jahren begann und bis heute, durch alle Verwerfungen und Verzerrungen hindurch, auch das große Anliegen des Glaubens ist? Eine Offensive der Liebe? Petrus gibt in seiner Predigt am Ende des Tages genau dieser Hoffnung Ausdruck: Dass die Jugend, die Generation, die nach ihm kommt, im Geist vereint wird und neue Wege sucht, das Leben zu gestalten, damit die alte Hoffnung auf eine in Liebe geeinte Menschheit nicht zum Erliegen kommt, sondern völkerverbindende Kraft entwickelt. Das ist, was wir an Pfingsten feiern: Die von Gott organisierte Liebe in einer Welt voller Hass und Spott. Das ist nach wie vor eine starke Hoffnung und eine starke Verheißung. Um diesen Geist sollten wir als Kirche unablässig bitten, eingebunden in ein Netz von Gebeten. So kann sie ein besserer Ort werden als sie ist, weil wir mit jedem Gebet dem Geist Raum geben. Das ist der alte Traum und er ist so aktuell wie schon vor 2000 Jahren. Wir sollten ihn feiern und die Begeisterung für diesen Gedanken tief in unser Herz lassen, damit in ihm, wie es in einem alten Hymnus heißt, das Feuer der göttlichen Liebe entzündet wird, in dem die Völker aller Zungen und Sprachen versammelt werden. Was für eine schöne Hoffnung!

Amen.

Fürbitte

Herr, unser Gott, führe die Menschen aller Zeiten und Völker zusammen im Geist der Gemeinschaft.

Entzünde in uns das Feuer des Glaubens, damit wir uns erkennen als eine Menschheit, als deine geliebten Kinder.

Den Mächtigen dieser Welt schenke Weisheit und Vernunft, dass sie bei allem, was sie tun und entscheiden, nach Deinen Willen fragen und die Not der Menschen sehen.

Den Völkern dieser Welt schenke Besonnenheit und Geduld, dass sie aufeinander zugehen im Geist der Freundschaft und guter Nachbarschaft.

Wehre dem Ungeist von Hass und Ausgrenzung, von Krieg und Vernichtung.

Den Verlorenen und Versprengten, denen, die auf der Flucht sind, die in der Fremde leben müssen, die ihre Wurzeln verloren haben, schenke eine starke Hoffnung und Menschen, die sie tragen und begleiten.

Erwecke in den Religionen der Welt den Geist der Liebe und der Gemeinschaft, dass sie gemeinsam Boten der Barmherzigkeit werden nicht Propheten des Hasses.

Den Verwirrten, Radikalisierten und innerlich Verwüsteten weise Wege in das Leben, dass sie sich abkehren können von Hass und Verzweiflung und zum Frieden finden.

Deiner Kirche schenke Stärke des Glaubens und den Mut, Deine gute Nachricht zu verkündigen. Erhalte Deine Gemeinde bei Deinem Wort und mache uns zu begeisterten Boten Deiner Gnade.

Den Kranken und Sterbenden stehe bei, dass sie in Geduld ihre Lasten tragen, dass sie Heilung finden, und wenn es denn keine gibt, dass sie getröstet den letzten Weg gehen.

Komm, Heiliger Geist, und entzünde in uns das göttliche Feuer deiner Liebe!