Donnerstag, 26. Januar 2017

Mt 14,22-33 Der sinkende Petrus. Predigt zum 4. S. n. Epiphanias


Mt 14,22-33 Der sinkende Petrus

22 Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. 23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.

Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.

 25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. 26 Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht.

27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

 28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir! 31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

 32 Und sie traten in das Boot und der Wind legte sich. 33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

Die Geschichte vom Seewandel gehört zu den bekanntesten Geschichten überhaupt. Aus irgendeinem Grunde ist das Bild von Jesus, der über den See wandelt, sehr populär. Vielleicht, weil es von allen Wundergeschichten des Neuen Testamentes eine der aberwitzigsten ist. Soll man das glauben, dass er übers Wasser ging?

Soll man nicht. Jedenfalls nicht so. Schon die Menschen in der Antike waren keineswegs so leichtgläubig, dass sie das für bare Münze nahmen. Auch in der Antike wusste man schon, dass Geschichten zu Übertreibungen neigen, und was mit Geschichten, die von Mund zu Mund weitererzählt werden, immer stille Post gespielt wird. Am Ende wird fast das Gegenteil von dem erzählt, was wirklich geschehen ist. Und so müssen wir die Wunderberichte im Neuen Testamten auch lesen. Sie wollen nicht einfach ein unglaubliches Ereignis erzählen. Wer nur an Jesus glaubt, weil er die Naturgesetzte aufheben kann, der hat nämlich nur die Hälfte verstanden. Gerade die Wundergeschichten sind, wenn ich das mal so sagen darf, durchsichtig. Hinter dem vermeintlichen Naturwunder verbirgt sich ein viel größeres Wunder, und wer seine Zeit damit verschwendet, herauszufinden, wie das alles möglich war, dem entgeht der geistliche Sinn der Geschichte. Und darum gehört für mich, gerade weil ich ein denkender, moderner, naturwissenschaftlich gebildeter Mensch bin, gerade diese Geschichte zu meinen Lieblingsgeschichten. Denn es ist meine Geschichte. Es ist die Geschichte meines Glaubens. Denn darum geht es: um den Glauben.

Was wird erzählt? Jesus hat den ganzen Tag gepredigt, ist müde und will alleine sein. Er schickt seine Jünger mit dem Boot über den See, und zieht sich zur Meditation und Gebet zurück.

Die Jünger fahren los, durch die Nacht, was man in der Antike schon gar nicht so gerne machte. Und dann geschieht genau das, wovor sie Angst haben: Ein Seesturm kommt auf. Das geht schnell auf dem See Genezareth, der von Bergen mit fallenden Winden umgeben ist, und solche Seestürme auf einem Binnensee sind auch sehr heftig und bedrohlich. Die Zwölf geraten in Panik. Das haben wir ja eben in der Lesung auch schon gehört. Das kam wohl öfter vor. Mehr wird ja gar nicht erzählt. Vier Nachtwachen lang – also bis in den frühen Morgen - müssen sie voller Angst auf dem Boot ausharren. Und plötzlich haben sie eine Erscheinung: Jesus kommt ihnen entgegen. Sie reagieren darauf völlig vernünftig, oder sagen wir besser: durch und durch menschlich. Sie meinen, dass sie ein Gespenst sehen, griechisch: ein Phantasma. Das heißt, ihre Angst steigert sich in nermessliche. Jetzt kommt auch noch der Klabautermann und will uns alle holen! Sie fangen an, vor Angst zu schreien, die Panik erreicht den Höhepunkt. Das spricht sie Jesus an: Fürchtet Euch nicht, seid getrost Ich bin´s!

Die Angst scheint sich zu legen. Wäre die Geschichte hier zu Ende, wäre sie wirklich nur eine banale Wundergeschichte, und man könnte sich fragen, warum sie uns erzählt wurde. Aber jetzt kommt erst, das, worum es hier wirklich  geht. Petrus nämlich übertreibt, wie so oft. Petrus will einen Beweis. Er will mehr! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser! Und Jesus sagt: Na, dann kommt. Und Petrus steigt über Bord, geht ein paar Schritte – und dann bemerkt er den Wind und die Wellen, er sinkt ein und gerät wieder in Panik. Jetzt ruft er: Herr, rette mich! Und Jesus sagt zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Streckt seinen Arm aus und hält ihn fest. Als sie dann alle im Boot sind, fallen sie vor ihm dankbar auf die Knie und rufen: Du bist Gottes Sohn!

Der entscheidende Satz ist: Du Kleingläubiger, warum hast Du gezweifelt? Genau so ist das mit unserem Glauben. Solange wir festen Boden unter den Füßen haben und Jesus in unserer Nähe wissen, ist unser Glaube stark. Aber wenn unser Lebensboot in Seenot gerät, dann geraten wir eben doch in Angst und fühlen uns allein gelassen. Wenn dann die Rettung kommt, wenn sich ein Ausweg öffnet – dann können wir es oft nicht glauben und nicht annehmen. Wir wollen dann Gewissheit, wollen es genauer wissen und mehr wissen, wollen Beweise und werden übermütig. Es mangelt uns an Vertrauen und Bescheidenht. Denn das meint ja Glauben: Vertrauen darin, dass Gott uns auch dann nahe ist, wenn wir seine Gegenwart nicht spüren, weil wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Das ist der Regelfall. Das Leben ist eben letztlich doch ein unruhiges Meer, und wir sind furchtsam und kleingläubig, und können wir das Gute, wenn es uns begegnet, oft nicht ergreifen. So geht es Petrus. Er braucht einen Beweis. Er will ein Wunder sehen, gerettet sein reicht ihm nicht. „Wenn Du es bist, dann lass mich über das Wasser gehen!“ Man kann sich fragen, was ihn hier umtreibt. Im Grunde ist es ja eine Art frommer Größenwahn. Er will auch so sein wie Jesus, gerettet sein genügt ihm nicht, nein: auch er muss über das Wasser gehen. Was sich hier meldet, ist Kleinglauben, der zugleich frommer Größenwahn ist – und der ist noch viel schlimmer als Kleinglauben. Denn genau das ist, was die Bibel Sünde nennt: frommer Größenwahn. Als die Schlange Eva im Paradies davon überzeugen will, dass es ihr besser geht, wenn sie Gottes Gebot übertritt, da sagt sie: ja, Gott will nicht, dass ihr vom Apfel esst, denn dann werdet ihr wie er! Das ist die große Verlockung, die große Falle, in die gerade die Frommen und die Eifrigen tappen: Der Glaube soll ihnen im Grunde übermenschliche Kräfte verleihen. Wir wollen sein wie Gott und fordern ihn damit heraus. Was Paulus hier packt, ist frommer Hochmut, und der ist ein schlimmes Gift! Paulus will mehr als Mensch sein, er will wie Jesus sein. Natürlich geht das schief. Als er aus seinem Größenwahn erwacht, sieht er sich vom tobenden Meer umgeben, seine Situation ist schlimmer als vorher. Er macht sich lächerlich – und er gerät in Panik. Genau so geht es uns, wenn unser Glauben uns vorgaukelt, er würde uns übermenschliche Kräfte verleihen. Jetzt ruft er um Hilfe, und er bekommt geholfen. Denn retten kann uns nur Gott. Es ist eine Geschichte, die uns zu einer gewissen frommen Bescheidenheit aufruft  und uns auch in unsere Schranken weist. Und das ist gut und wichtig, heute mehr denn je, wo wir als Menschen sehr oft Dinge anfangen und beginnen, die am Ende eine Nummer zu groß für uns sind. Und zugleich zeigt sie auch, wie sehr wir auf der Hut sein müssen vor einer gewissen Undankbarkeit, die eine erwiesene Wohltat nicht annehmen kann, sondern immer noch mehr fordert. Darum liebe ich diese Geschichte: Sie hält mir, gerade weil ich doch wie Petrus ganz besonders stark an meinem Glaube arbeite und er mir wichtig ist, oft über das Ziel hinaus schieße. Ein Glück nur, dass Gottes Gnade noch größer ist, als wir denken: er rettet und selbst dann, wenn wir uns übernehmen und holt uns aus dem selbstgemachten Schlammassel heraus. Die Geschichte will uns dahin führen, aufmerksam zu werden dafür, wie oft wir im Alltag die kleinen Tröstungen, die kleinen Rettungen, die kleinen Hilfen übersehen, weil wir meinen, das müsste doch Größeres geschehen. Aber da können wir lange warten. Der Glaube ist die Kunst, im kleinen Gelingen die große Gnade Gottes zu erkennen, und dankbar zu sein , wenn wir unser Lebensboot einigermaßen heil durch die Stürme bekommen. Wir müssen nicht auch noch auf dem Wasser gehen. Denn es gibt nichts Schlimmeres, als jene Form der Zweifels, die sich als frommer Übermut verkleidet: Mit nichts können wir uns als Christen so blamieren und Menschen so abschrecken, als wenn wir von unserem und von ihrem Glauben mehr erwarten, als Gott uns gibt – dabei gibt er uns ja schon so viel. Aber wir wollen immer noch mehr und so verpassen wir die Chancen, die uns geboten werden. Also: etwas mehr Bescheidenheit täte uns gut!

Es gibt einen scher schönen Witz, der besser noch als jede Predigt erzählt, was auch diese Geschichte erzählt.

Ein kleines Dorf wird vom Hochwasser heimgesucht. Das Wasser steigt sehr schnell, so schnell, dass viele es nicht mehr schaffen, die Häuser zu verlassen. So geht es auch dem Pfarrer in dem Dorf. Seine Familie kann sich retten, aber er hat nur noch die Chance, auf das Dach zu klettern. Und das sitzt er nun, wie die Jünger im Boot, und betet um Hilfe. Da kommt auf einmal ein Boot mit zwei Feuerwehrleuten: Her Pfarrer, steigen sie ein! Nein, nein, der Herr wird mich retten! Er will ein Wunder! Die beiden fahren achselzuckend weiter. Das Wasser steigt, unser Pfarrerlein betet intensiver. Wieder kommt ein Boot, wieder von der Feuerwehr: Herr Pfarrer, steigen sie ein! Wieder sagt er: Nein, der Herr wird mich retten. Als ihm das Wasser schon bis an den Bauch steht, kommt das Boot nochmal. Wieder: Nein, der Herr wird mich retten. Wenig später ist er tot, ertrunken durch eine starke Welle, die ihn vom Dach gefegt hat.

Nun steht er vor der Himmelstür. Er ist wütend und zornig und ruft: Ich habe Dir mein ganzes Leben geweiht, war immer für Dich im Dienst und habe die Last des Amtes getragen und alle mein Vertrauen auf Dich gesetzt, und jetzt hast mich umkommen lassen und mich nicht gerettet. Da hört er eine Stimme: Mein Lieber, ich weiß nicht, was Du willst, aber mehr als dreimal die Feuerwehr zu schicken kann ich auch nicht tun.

 

Wer Ohren hat zu hören, der höre.

 

Amen.