Sonntag, 21. September 2014

Kirmesgottesdienst Großenritte: Es ist genug für alle da! Mk 6, 30-44



Gottesdienst im Festzelt, mit Begleitung des wirklich großartigen Posauenchor/Brassband unserer Kirchengemeinde. Die Kirmesburschen, die als Verein die Kirmes jährlich organisieren, haben dieses Jahr sozusagen als "charity-Element" eine Spendenaktion für die Baunataler-Schauenburger Tafel laufen. Deshalb habe ich auch den Gottesdienst darauf abgestellt.



NB: Seit ich wieder Gemeindepfarrer bin, habe ich kaum noch normale Sonntagsgottesdienste. Kein Kommentar.


Mk 6,30-44


Die Speisung der Fünftausend
30 Und die Apostel kamen bei Jesus zusammen und verkündeten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. 31 Und er sprach zu ihnen: Geht ihr allein an eine einsame Stätte und ruht ein wenig. Denn es waren viele, die kamen und gingen, und sie hatten nicht Zeit genug zum Essen. 32 Und sie fuhren in einem Boot an eine einsame Stätte für sich allein. 33 Und man sah sie wegfahren, und viele merkten es und liefen aus allen Städten zu Fuß dorthin zusammen und kamen ihnen zuvor. 34 Und Jesus stieg aus und sah die große Menge; und sie jammerten ihn, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er fing eine lange Predigt an. 35 Als nun der Tag fast vorüber war, traten seine Jünger zu ihm und sprachen: Es ist öde hier und der Tag ist fast vorüber; 36 lass sie gehen, damit sie in die Höfe und Dörfer ringsum gehen und sich Brot kaufen. 37 Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen! Und sie sprachen zu ihm: Sollen wir denn hingehen und für zweihundert Silbergroschen Brot kaufen und ihnen zu essen geben? 38 Er aber sprach zu ihnen: Wie viel Brote habt ihr? Geht hin und seht! Und als sie es erkundet hatten, sprachen sie: Fünf und zwei Fische. 39 Und er gebot ihnen, dass sie sich alle lagerten, tischweise, auf das grüne Gras. 40 Und sie setzten sich, in Gruppen zu hundert und zu fünfzig.
41 Und er nahm die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel, dankte und brach die Brote und gab sie den Jüngern, damit sie unter ihnen austeilten, und die zwei Fische teilte er unter sie alle.
42 Und sie aßen alle und wurden satt. 43 Und sie sammelten die Brocken auf, zwölf Körbe voll, und von den Fischen. 44 Und die die Brote gegessen hatten, waren fünftausend Mann.





Liebe Gemeinde!

Das ist so eine von den Geschichten, die man noch so halbwegs kennt, weil es eine von den wunderlichen Wundergeschichten ist.
Und selbst wenn man skeptisch ist, ob das ganze denn nun so geschehen ist oder nicht, versteht man doch die Botschaft der Geschichte sofort: Es ist genug für alle da! Wir haben längst gelernt, dieser Erzählungen von den Wundern Jesu vor allem auch als symbolische Erzählungen zu hören: Sie wollen uns deutlich vor Augen führen, wer Jesus ist und was sein Anliegen ist. Und so will ich heute auch predigen. Es ist eine schöne Geschichte für eine Kirmes, und es ist eine besonders schöne Geschichte für eine Kirmes, die nicht nur an sich selbst denkt, sondern auch noch etwas Gutes tun will, weil sie ein Erntefest ist. Kirmesvater Noll hat mir erzählt, dass die Kirmesburschen Spenden sammeln für die Baunataler-Schauenburger Tafel. Das ist eine Idee, die mir sofort gefallen hat. Und mir fiel auch sofort diese Geschichte ein: hier werden alle satt, und keiner hat davon einen Nachteil. Das ist nämlich das eigentliche Wunder!
Alle werden satt und keiner hat einen Nachteil.
Und damit ist es eine Geschichte von der Angst. Von einer tiefsitzenden Angst. Einer Angst, die offensichtliche gerade bei uns Nordhessen besonders tief zu sitzen scheint.

Ich habe als Student ziemlich unter Heimweh gelitten. Was da half, war natürlich die rote Wurst im Päckchen aus der Heimat. Was auch half, war ab und zu was Schönes zu kochen, was es in der Mensa in Tübingen im Schwabenländle niemals gab: Grüne Soße, Duckefett mit Schibbelchen und richtige, grobe Bratwurst. Und da wir damals zu Hause noch schlachteten, hatte ich auch immer Weckewerk auf Lager. Da entdeckte ich eines Tages ein kleines Taschenbuch mit dem Titel: „Die Küche Nordhessens“. Das habe ich natürlich sofort gekauft, und dann habe ich mich abgrundtief geärgert, als ich die Einleitung gelesen habe. Leider ist das Buch auf verschlungenen Wege verloren gegangen, deswegen muss ich jetzt ein wenig aus dem Kopf zitieren. Da hat die Autorin die Stirn gehabt, folgendes zu schreiben: „Nordhessen war immer eine arme Gegend mit nur wenigen eigenen Ressourcen. Und so war auch die Küche. Eigentlich gibt es gar keine nordhessische Küche. Was für die nordhessische Küche aber typisch ist, dass man als Fremder, wenn der Tisch gedeckt wird, immer den Eindruck hat, dass alle Angst haben, nicht satt zu werden – weil die Portionen so riesig sind.“

Das fand ich frech, und das habe ich mir bis heute gemerkt.
Aber je älter ich werde, umso mehr begreife ich, dass sie vielleicht gar nicht so Unrecht hatte. Diese Angst sitzt eben doch tief: die Angst, nicht satt zu werden. Das ist eine Quelle unseres Umgangs mit Nahrungsmitteln: die Angst vor Knappheit. Sie ist eine der Ursachen dafür, dass wir soviel mehr Lebensmittel anhäufen, wie wir nie verbrauchen können. 40% der produzierten Lebensmittel werden vernichtet, weil sie gar nicht konsumiert werden.

Und doch fällt es uns so schwer, die Nahrungsmittel gerecht zu verteilen. Denn obwohl wir im Überfluss leben, gibt es unter uns Menschen, die tatsächlich hungern. Es ist ein Armutszeugnis, dass es die Tafeln geben muss. Sie zeugen davon, dass es in einer Gesellschaft, die Angst davor hat, nicht satt zu werden und deswegen wahre Gebirge von Lebensmitteln produziert, Menschen gibt, die richtig hungern. Es gibt Kinder, die kein Schulbrot dabei haben und sich das Essen in der Mensa nicht leisten können. Es gibt Menschen, die nur eine Mahlzeit am Tag sich leisten könne. Und das sind gar nicht so wenig. Wir bekommen es nur deswegen nicht mit, weil sich in unsere tollen Leistungsgesellschaft, auf die wir alle so stolz sind, die Armut als Schande gilt. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, heißt es dann kaltschnäuzig. Die Wahrheit ist: Wer keine Arbeit hat, kriegt auch nichts zu essen. Und das kann ganz schnell gehen. Die Armutsfalle kann über Nacht zuschnappen. Und dann? Nun gut, wir leben in einem Sozialstaat, werden jetzt viele sagen. Richtig hungern muss hier niemand. Das ist richtig. und das ist auch gut. und darauf können wir auch stolz sein. Aber stellt Euch vor, wie es sich lebt, wenn ihr auf Unterstützung angewiesen seid? Wie es sich lebt, wenn um Euch herum die Fettlebe am Gange ist, man selber aber daran nicht teilhaben kann? Hunger ist immer auch relativ. Wenn alle im Überfluss leben, ist Mangel besonders hart.
Armut ist eine Kränkung. Die wenigsten fühlen sich darin wohl. Faul sind wirklich die wenigsten. Aber viele haben nicht die Kraft und die Energie, mit unsere Hochtempo-Gesellschaft mitzuhalten. Gerade alte Menschen sind oft arm, weil die erarbeitete Rente nicht reicht. Oder Familien, in denen es ein Alkoholproblem gibt. Oder chronische Krankheiten, körperliche und seelische. Es gibt sie. Wie gehen wir damit um?

Und jetzt schließt sich der Kreis zu unserer Geschichte. Deren Botschaft lautet nämlich nicht einfach: Ihr müsst teilen. Das ist zu wenig. So funktioniert das nicht. Ermahnungen und drücken auf die Tränendruse bewirken in der Regel gar nichts, wie jeder weiß, der Kinder erzieht. Es ist mir völlig klar, dass alles das, was ich bisher gesagt habe, bei dem einen oder anderen auf inneren Unmut stoßen wird: Muss er denn gerade heute damit anfangen und uns hier die gute Laune verderben? Das will ich gar nicht, ganz im Gegenteil. Es geht nicht darum, zu sagen: wir müssen alles ändern, wir müssen mehr teilen, wir müssen aufmerksamer sein für dies und für das, wir müssen, wir müssen, wir müssen, wir müssen.

Jesus will etwas ganz anderes: er will Gemeinschaft stiften, indem er Brot und Fisch verteilt. Fünf Brote und zwei Fische sind nur da, aber 5000 Leute sitzen bei Jesus zu Gast. Sie klagen gar nicht über Hunger. Davon ist gar nicht die Rede. Jesus möchte sie bewirten, er möchte, dass sich noch den Abend über zusammenbleiben. Und zu guten Zusammensein gehört eben auch, dass man gut isst und trinkt. Die Jünger wollen die Leute nach Hause schicken: sollen sie da essen. Jesus aber möchte, dass sie bleiben. Und darum das Wunder. „5 Brote, zwei Fische: das reicht doch niemals“ sagen die Jünger, und jeder wird ihnen wohl Recht geben. Er aber weist sie zurecht, sie sollen austeilen und nicht so kleingläubig sein. Und dann reicht es doch, und es bleibt sogar noch etwas übrig, symoblische 12 Körbe voll. Es ist genug für alle da, habt Vertrauen. Das ist die Botschaft. Wir haben in der Lesung gehört, wie die Christen der ersten Jahre aus diesem Vertrauen heraus eine Gütergemeinschaft stifteten, damit alle gleich satt werden: so lebten sie anfangs ihren Glauben, bis die Gemeinden zu groß wurden dafür und andere Wege der Gerechtigkeit gefunden werden mussten. Auch der Psalm 23 erinnert uns daran, wenn er voller Vertrauen betet: du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde und schenkest mir voll ein. Wir sollen die Angst verlieren, dass es nicht reicht. Wir sollen hinschauen und sehen, wie reich wir beschenkt sind und wieviel da ist. Es reich tfür alle, niemand muss Angst haben, nicht satt zu werden. Wir leben in der Überfülle: daran lässt er die Menschen teilhaben. Jesuskennt unsere Angst, davor, nicht satt zu werden: dann reicht es doch für uns nicht mehr, heißt es dann. Er aber sagt: Habt Vertrauen! Das ist ein großes Anliegen des christlichen Glaubens: Fürchtet Euch nicht! Seit getrost, seid gelassen und seht, was euch Gott geschenkt hat. Es reicht für alle.

5 Brote und zwei Fische: es reichte doch für alle, weil Gott die Gaben verteilte und teilte und uns os an die Überfülle erinnert, die in der Schöpfung herrscht. Deswegen habe ich Euch Fische und Brot mitgebracht (Fischli und „Bemmchen“): auch symoblisch versteht sich, und ich sehe, dass ihr euch auch schon bedient habt. Eine kleine symbolische Gabe, die uns daran erinnert, dass Gott uns ermutigen will, neue Wege der Gerechtigkeit zu suchen: Nicht aus Angst und weil wir müssen, sondern aus Dankbarkeit und weil wir dürfen und können. Hierhängt eine Erntekrone: ein deutlicher Hinweis, dass diese späte Kirmes auch so etwas wie ein Erntedankfest ist. Als ich noch Kind war, gab es auf dem Dorf meiner Mutter immer noch richtige „Schlachtefeste“. Es war eine Schlemmerei den ganzen Tag, man hatte das Gefühl, dass wir zusammen mit den Nachbarn und den Bedürftigen im Dorf, die sich ihre Suppe und ihre Wurst abholen konnten, das halbe Schwein schon am Tag des Schlachten verfuttert hatten. Das war ein fröhlicher Tag, an dem wir den Überfluss genossen haben, alle miteinander. Da hatte eben keiner Angst, dass er nicht satt wird. Eine starke Erinnerung für mich daran, was es heißt, wenn man verstanden hat, was Jesus uns sagen will: Es ist genug für alle da! Darum lasst uns feiern, fröhlich sein, die Gemeinschaft genießen und dankbar abgeben von unserem Überfluss- Es ist wahrlich genug für alle da. Und es geht uns allen besser, wenn es allen gutgeht. Seid nicht ängstlich, seid nicht kleinlich, seid fröhlich und dankbar. Gott beschenkt uns reichlich, auch wenn´s nach wenig aussieht: Wenn alle satt werden, geht es allen besser. Gott segne unsere Gemeinschaft, er nehme uns die Angst, er öffne uns die Herzen und die Augen für die Fülle seiner Gaben, Er lasse uns fröhlich feiern und leben und er segne die, die die Armen dabei nicht vergessen. Danke Gott, dass Du uns so reichlich beschenkst und uns die Angst nimmst, nicht satt zu werden. Das ist wahrlich ein Grund zum Feiern: darum lasst es uns auch tun!


Amen!