Mittwoch, 19. Januar 2022

Glaube ohne Grenzen. Predigt zu Mt 8, 5-13, 3. Sonntag nach Epiphanias, 23.1.2022

 

Der Hauptmann von Kapernaum

5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's.

10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!  Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen;

12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

 

Liebe Gemeinde:

Die Botschaft ist völlig klar. Die Gute Nachricht, die Frohe Botschaft, das Evangelium, der Glaube, das Wort Gottes, die christliche Religion – nennt es, wie ihr wollt, kennt keine Grenzen, keine Nationen, keine Völker, keine Stämme, keine Rassen, kein Geschlecht und keinen Stand.

 

Ja, mehr noch, sie kennt auch keinen Verdienst und keine Würdigkeit, keine Privilegien und keine Barrieren, keine Hierarchien und keine Ordnungen. Es kommt nur auf Vertrauen an.

 

Genau davon erzählt die so harmlos daherkommende Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum. Jesus heilt den Knecht eines römischen Hauptmanns auf dessen Bitte hin. Wir schauen uns das gleich noch genauer an.

 

Aber es ist völlig deutlich: was Jesus hier macht, ist nichts anderes als Feindesliebe. Denn ein römischer Hauptmann: Das war der Feind schlechthin, der Besatzer, ein Symbol der Unfreiheit des jüdischen Volkes, ein Agent der verhassten Großmacht im Westen. Was Jesus hier tut, ist eine Provokation ersten Ranges. Er stellt sich damit gegen so gut wie alles, was die meisten Menschen empfanden. Ein Römer war ja nicht nur ein Besatzer. Er war ja vermutlich sogar ein Heide, also einer, der gar nicht an den Gott Israels glaubte. Obwohl man das so genau nicht wissen kann, es gab schon auch römische Soldaten und Offiziere, die sich dem Judentum zuwandten. Aber sagen wir mal so: so „ganz richtige“ Juden waren sie nach damaligem Denken damit nicht. Na, und so weiter. Ich denke, es ist ziemlich klar: Jesus überschreitet hier eine deutliche Grenze, eine Grenze, die uns nur zu vertraut ist.

 

Am Ende steht die schlichte Botschaft: Gottes Gnade und Barmherzigkeit ist für alle da. Und zwar, das ist dann die nächste Spitze, auch ohne Vorbedingungen. Dafür müssen wir uns die Geschichte jetzt genauer ansehen.

 

Jesus betritt die Stadt Kapernaum, in der er für eine Weile gelebt hat, im Norden Israels, am See Genezareth. Er ist schon eine Weile unterwegs, es hat sich schon herumgesprochen, wer er ist, oder besser gesagt: Was die Menschen denken, wer er sei. Ein besonders begabter Prophet und Gottesmann, der auf eine ganze neue und ziemlich radikale Weise von Gott spricht, der sich mit der religiösen und politischen Obrigkeit, vor allem aber mit den traditionellen Gelehrten, angelegt hat und der, besonders wichtig, heilende Kräfte hat.

 

In dem Moment also, wo er die Stadt betritt, kommt ihm ein römischer Hauptmann entgegen und spricht ihn an. Das ist nach den damaligen religiösen Regeln, jedenfalls in ihrer strengen Auslegung, eine schwierige Situation für Jesus: Eigentlich sollte er den Kontakt mit einem solchen Menschen eher vermeiden.

 

Aber der spricht ihn sofort an, und er sagt zu ihm „Herr“! Das ist eine starke Anrede, die schon zeigt, dass dieser Hauptmann mit einer sehr ungewöhnlichen Bitte zu Jesus kommt. Ein römischer Hauptmann, der einen jüdischen Rabbi mit „Herr“ anredet. Man kann sich vorstellen, wie die umstehende Menge und seine Jünger verwundert waren, wenn nicht sogar ein wenig erschrocken. Der Hauptmann redet also sofort los: Mein Knecht ist krank und leidet sehr! Und ohne Zögern, ohne Rückfragen antwortet Jesus.

 

Auch das ganz ungewöhnlich. Jesus will gar nicht wissen, mit wem es hier zu tun hat. Er sieht es: ein Mensch in Not steht vor ihm, und zwar ein Mensch, der in Not ist, weil ein anderer Mensch in Not ist. Der Hauptmann will gar nicht für sich, jedenfalls nicht direkt, sondern für seinen Diener, wie man das Wort „Knecht“ heute besser übersetzen sollte. Unter Umständen war es sogar ein Sklave, was die Situation noch heikler macht Seit wann kümmert sich ein Sklavenhalter um das Wohlergehen seines Sklaven? 

Wie auch immer: keine Rückfragen. Jesus antwortet: „Ich will kommen und ihn gesund machen“. Man sieht förmlich, wie die umstehende Menge sich fragt: Wie, einfach so? Und er will auch noch hingehen, er will in das Haus eines Menschen gehen, der erstens ein Fremder, zweitens ein Nicht-Jude und drittens ein Römer ist? Das ist stark - bisher war Jesus zwar auch in Häuser gegangen, die in zumindest ein streng religiöser frommer Jude nicht geht. In das Haus von Matthäus zum Beispiel, der ein Zolleinnehmer für die Römer war, aber immerhin einer, der bereute, was er getan hat. Jesus war auch in das Haus eines Phärisäers gegangen, einer von den jüdischen Gelehrten, die Jesus sehr kritisch gegenüberstanden. Das kannte man also schon.

Aber das hier ist noch einmal ein Schritt darüber hinaus. Und das spürt auch der Hauptmann – er wehrt diesen Gedanken ab. Aber mit was für einem seltsamen Argument:

 

„Herr“, sagt er, also wieder: „Herr“! – so redet ein Sklave seinen Besitzer an oder ein niedrigstehender einen Höherstehenden, also wieder. „Herr“.

„Herr, ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach gehst, aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“. Der Hauptmann stellt sich unter Jesus und geht davon aus, dass Jesus das auch aus der Ferne erledigen kann. Der Hauptmann glaubt an die Kraft Jesu, und daran, dass Jesus, wie auch immer, weit über ihm steht. Deswegen erklärt er auch sofort, wie er das sieht: „Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's“.

 

Der Hauptmann geht davon aus, dass Jesus eine Kraft hat, den bösen Geistern, die seinen Diener krank gemacht haben, auch aus der Ferne Befehle zu geben und dass die das dann tun, wie seine Soldaten Befehle erfüllen.

Nun ist uns dieser Gedanke heute etwas fremd, weil wir ja wissen, dass nicht böse Geister am Werk sind, aber das spielt hier letztlich keine Rolle. Was sich hier zeigt, ist das ungeheure Zutrauen des Hauptmannes in Jesus.

 

Und das verblüfft jetzt sogar Jesus. Er wendet sich an die Umstehenden und sagt: „Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!“

Das ist ein sehr harter Satz!

Den muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Jesus behauptet hier nichts anderes, als dass dieser Hauptmann mehr oder weniger der erste ist, der wirklich an ihn glaubt, mehr alle alle jüdischen Menschen, mit denen Jesus bisher zu tun hat. Ein ziemlich grenzwertiger Satz, man kann ja leicht hier wieder den uns sehr vertrauten Judenhass am Werk sehen. Aber das war Jesus natürlich sehr fremd. Ihm geht es hier um etwas anderes – und um das noch verstärken, schiebt er etwas für unser Ohren recht Rätselhaftes nach: „Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern“. Was er meint: Am Ende der Zeit werden Menschen aus allen Völkern kommen und bei Gott mit am Tisch sitzen, aber die, die sich selbst für die wahren Frommen halten, werden ausgestoßen werden – weil sie auf ihre Herkunft vertraut haben, auf ihren Stand, auf ihre Frömmigkeit und ihre Tradition, auf ihre Religion und ihre Frömmigkeit. Eine sehr heftige Zuspitzung, die leicht falsch verstanden werden kann. Es kommt Jesus hier auf den Kontrast an:

 

Aber das, was wir Menschen so für wichtig halten, wird nicht zählen. Worauf es ankommt, ist Vertrauen, Vertrauen auf Gott. Und zwar ein Vertrauen, dass wirklich nur auf die Kraft Gottes zum Guten, auf seine Barmherzigkeit und Liebe vertraut, und eben nicht auf Stand, Herkunft und Privilegien. Und dann: „Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.“

 

Das Wunder geschieht, und es wird gar nicht berichtet wie genau, weil das auch gar nicht wichtig ist. Gemeint ist: Das Gebet dieses Mannes wird erhört, weil es voller Vertrauen gesprochen wurde.

 

Letztlich kann man das ganz einfach sagen: Es ist der Glaube dieses Mannes, dieses geradezu kindliche Vertrauen, auf das es ankommt und der Berge versetzen kann. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“, sagt Jesus an anderer Stelle, „werdet ihr das Reich Gottes nicht erlangen“.

Was Gott von uns will, ist einfach nur Vertrauen. Alles andere, alle sonstigen Regeln und Bestimmung, alles was uns Menschen sonst so wichtig und bedeutsam ist, alles, nach dem wir Menschen sonst so einteilen und beurteilen, spielt hier überhaupt keine Rolle. Hier ist ein Mensch in Not, in seiner Not wendet er sich an Jesus, voller Vertrauen, und so wird ihm geholfen. Einfach, weil er ein Mensch in Not ist.

Das ist es, worum es im Glauben geht. Vertrauen über alle Grenzen hinweg. Man kann es noch einfacher sagen: Gottes Liebe ist für alle da, die sie brauchen. Und wer braucht sie nicht? Es gibt da keine Schranken.

So einfach ist das. Und es bleibt für uns eine Herausforderung, denn wir wissen, dass es unter uns nicht so läuft. Darum ist der Glaube immer auch eine Anfrage an uns: Worauf vertraust Du?

Amen.

 

Sonntag, 16. Januar 2022

Gesunder Menschenverstand. 1. Kor 2,1-10, Predigt für den 2. S. n. Epiphanias, 16.1.2022

 

1. Korinther 2, 1-0

Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen.  Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten.  Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern;  und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft,  auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

 Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen.  Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit,  die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.  Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jes 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.«

Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.

 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn.

 

Es gibt nichts daran zu deuteln: Der Glaube widerspricht dem gesunden Menschenverstand. Denn der gesunde Menschenverstand neigt dazu, nur das für wahr und sicher zu halten, was er sehen kann und was er selbst erfahren hat. „Ich glaube nur, was ich sehe“, sagen wir dann.

 

Doch denkt man darüber einen Moment nach, dann kommt man schnell darauf, dass wohl doch eine zu einfache Sicht der Dinge ist. Der sogenannte gesunde Menschenverstand macht es sich da zu einfach. So gesund, wie er meint, ist er nämlich gar nicht: er lieg of sehr daneben.

 

Denn unsere Erfahrungen und unser Augenschein können uns sehr täuschen. Weil viele von dem, was wahr ist, unsichtbar ist.

Nehmen wir ein ganz aktuelles Beispiel: Dass Krankheiten von Viren und Bakterien übertragen werden, wissen wir zwar inzwischen. Aber woher wissen wir das?

Die wenigsten von uns werden je ein Bakterium oder einen Virus mit eigenen Augen gesehen haben. Man braucht dafür ein Instrument: ein Mikroskop. Wir wissen daher von Bakterien und Viren nur aus zweiter Hand. Wir vertrauen auf die Ergebnisse der Wissenschaft.

 

Und die Wissenschaft enthüllt Dinge, die wir eben nicht mit bloßem Auge sehen, sondern die sich uns nur mit komplizierten Experimenten und jahrelanger Forschung erschließen, und oft ist das, was dabei herauskommt, völlig gegen unser Empfinden.

 

So hat es auch fast drei Jahrhunderte gedauert, bis alle Menschen akzeptiert haben, dass Krankheiten durch Ansteckung übertragen werden, und das hinter der Ansteckung Bakterien und Viren stecken. Bis noch vor gut 150 Jahren dachte man, Krankheiten übertragen sich durch Gerüche, wenn man nicht sogar annahm, dass am Ende böse Geister und Dämonen oder gar Gott dahinterstecken.

 

Und oft ist das, was die Wissenschaft herausbekommt, so gegen unser Empfinden, dass es uns schwerfällt, das zu glauben. Von gut 150 Jahren verstand ein Arzt diesen Zusammenhang, Ignaz Semmelweis.

Der war Geburtshelfer und stellte sich die Frage, warum so viele Frauen am Kindbettfieber starben. Und er fand heraus, durch jahrelange Beobachtung und Versuche, dass die Frauen nicht so schnell krank werden, wenn sich die Ärzte und Hebammen die Hände waschen.

Er führte also in seinem Krankenhaus das Händewaschen ein. Und obwohl in seinem Krankenhaus die Sterblichkeit rapide abnahm, wurde er für seine Entdeckung verspottet und verlacht – Händeaschen galt damals als eher schädlich. Es kostete ihn seine Karriere und seinen guten Ruf.

 

Erst 50 Jahre später wurden seine Ergebnisse von der Wissenschaft bestätigt und das, wir heute Hygiene nennen, allgemein eingeführt. Aber immer noch gegen starke Widerstände: zu sehr wiedersprach das, was er da herausgefunden hatte, dem gesunden Menschenverstand. Heute ist Ignaz Semmelweis einer der großen Helden der Medizin.

 

Das ist nur ein ziemlich einfaches Beispiel dafür, wie unser alltägliches Wissen, wie unser gesunder Menschenverstand, schief liegen kann, weil er eben nur sieht, was vor Augen liegt.

 

Die Sonne, so sagt unser Augenschein, geht im Ostern auf und im Westen unter, denn das ist das, was wir sehen. Wir wissen aber inzwischen – auch nach Jahrhunderten erbitterter Kämpfe um diese Wahrheit – dass das falsch ist. Die Erde dreht sich, und die Erde rast um die Sonne, deswegen wandert sie über den Horizont. Unser natürliches Empfinden liegt hier völlig falsch.

 

Wir sind bei vielem, was wir wissen können, tatsächlich darauf angewiesen, dass wir Menschen glauben. Glauben im Sinne von Vertrauen. Wir müssen den Wissenschaftlern vertrauen, wenn sie uns ihre Ergebnisse mitteilen. Was wir mit der Pandemie gerade erleben, der Streit um das Impfen, hat ja viel damit zu tun, dass wir der Wissenschaft glauben – oder eben nicht. Ein Großteil der sogenannten Impfskeptiker und Impfverweigerer bringen hier kein Vertrauen auf, obwohl die Statistiken eindeutig sind. Impfen hilft uns in der Pandemie, weil es schwere und tödliche Erkrankungen verhindert, weil die die Ansteckungsrate senkt und die Risiken einer Impfung minimal sind gegenüber den Risiken einer Erkrankung. Aber da wir das im alltäglichen Leben nicht unbedingt mitkriegen, bleibt uns nur Vertrauen auf die Arbeit der Wissenschaftler, der bloße Augenschein hilft da nicht.

 

Das gilt auf allen Lebensgebieten. Das gilt zum Beispiel ja auch für die Liebe. Die kann man schließlich auch nicht sehen. Dass ein Mensch mich liebt, kann ich nur an Zeichen erkennen, und ich muss letztlich darauf vertrauen, dass das stimmt, was er sagt und dass die Liebe, die er mir zeigt, nicht geheuchelt ist, sondern echt und verlässlich. Wer kein Vertrauen aufbringt, keinen Glauben an den anderen Menschen, wird auch keine Liebe erfahren können. Die Liebe ist unsichtbar. Wir müssen darauf vertrauen, dass die Zeichen, die wir sehen, ein Zeichen dafür sind, dass wir wirklich geliebt werden.

 

Und da sind wir schon beim Glauben auch im religiösen Sinne. Denn Glauben heißt ja auch Vertrauen. Denn niemand hat Gott je gesehen. Gott ist unsichtbar. Glaube ist also ein Vertrauen auf etwas Unsichtbares, von dem wir nur Zeichen haben. Wir haben Zeichen von Gott, dass er uns vertraut und uns liebt, und dass wir ihm auch vertrauen und ihn lieben können.

 

Das Zeichen für Gott, das für uns Christen bestimmend ist, ist Jesus Christus. Das ist, was Paulus erlebt und erfahren hat, und diese Erfahrung gibt er an seine Gemeinden und damit an uns weiter – und vieles von dem, was wir von Jesus erzählen widerspricht auch dem gesunden Menschenverstand.

 

Denn die Geschichte, die wir von Jesus erzählen, erzählt so ganz anders von Gott, als wir uns Gott normalerweise so vorstellen. Wir erzählen die Geschichte eines Menschen, der die Liebe Gottes verkündigte, die den Menschen, uns, ohne wenn und aber, ohne Gegenleistungen und ohne Erwartungen an uns, liebt.

Das ist der Kern des Evangeliums. Gott liebt uns, weil wir seine Geschöpfe sind, aus keinem anderen Grund. Und er geht in seiner Liebe so weit, dass er Mensch wird und für seine Liebe sogar bereit ist, zu sterben. Gott geht in den Tod. Dafür steht das Kreuz. Dort erkennen wir Gott als einen Gott, der um der Liebe willen leidet, damit wir von der Angst vor Gott erlöst werden.

Mit dieser Botschaft eckte Paulus sehr an, wie ja auch schon Jesus damit aneckte. So von Gott zu reden, widerspricht dem gesunden Menschenverstand – schließlich haben sie ihn dafür umgebracht.

 

Ist Gott nicht allmächtig, allwissend und unsterblich? Paulus sagt: ja, das ist er. Aber benutzt seine Allmacht nicht gegen uns, sondern für uns. Er nimmt uns nicht alles ab, sondern er geht mit uns unseren Weg. Er lässt uns unsere Freiheit, und zu der gehört auch das Leiden und der Schmerz.

 

Und darum, sagt Paulus, ist für in das Bild von einem Gott am Kreuz so überzeugend und so stark. Es widerspricht der Weisheit dieser Welt, die sich einen fernen und bedrohlich allmächtigen Gott ausdenkt, der nichts anders ist als eine Karikatur unsere Angst.

 

Er widerspricht allen Versuchen, mit dieser Macht Gottes auch menschliche Macht zu begründen. Er widerspricht allen Versuchen, Gott zu beweisen, und stellt dann diese Stelle das Vertrauen, dass wir in Jesus erfahren, wer Gott in Wahrheit ist: Nach menschlichem Ermessen, nach der Logik des gesunden Menschenverstandes ist Jesus gescheitert, Aber genau darin zeigt sich Gott: verletzlich, solidarisch und mitleidend, dem Menschen nicht fern, sondern nah.

 

So haben es Christen über die Jahrhunderte immer wieder erlebt und sich damit gegen all die ausgedachten Götter dieser Welt gestellt, auch wenn sie dafür, wie Jesus und Paulus, ausgelacht und verspottet, ja sogar verfolgt und gequält worden sind.

 

Für Paulus ist das fast schon ein Zeichen dafür, dass die Botschaft wahr ist: der Glaube widerspricht dem gesunden Menschenverstand, weil der nur das kennt, was er sieht oder zu sehen meint. Der Glaube aber, als ein Vertrauen auf das, was man nicht sieht, schaut tiefer. Er sieht da Geheimnis in der Welt, das Gott ist und vertraut, ist, im Kreuz, das dem gesunden Menschenverstand, oder wie Paulus es nennt: der Weisheit dieser Welt, geradezu widerspricht.

 

Deswegen schreibt er:

 

Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jes 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.«

 

Glauben, liebe Gemeinde, heißt Vertrauen darauf, dass Gott sich im Kreuz gezeigt hat. Gegen allen Augenschein, der hier nur einen leidenden Menschen sieht, sieht der Glaube hier einen leidenden Gott, der durch unser Leiden hindurchgegangen ist, um uns die Tür zum ewigen Leben zu öffnen. Glauben heißt Vertrauen, über den sogenannten gesunden Menschenverstand hinaus, der so oft völlig falsch liegt.

 

Schaut so auf die Welt, und überprüft, ob diese Art und Gott zu reden und diese Art, sich ihm zu nähern nicht doch überzeugender, tröstlicher, kräftiger und letztlich klüger ist, als alles, was wir uns über Gott so ausdenken.

 

Und wenn wir spüren, dass uns das in Unruhe versetzt, dann ist das ein gutes Zeichen: dann kommt die Wahrheit des Glaubens bei Euch an, die Wahrheit, die nicht vor Augen liegt, sondern auf die Vertrauen müssen auf das Zeugnis der Vielen hin, die damit bessere Erfahrungen gemacht haben, weil es ihnen halt, ihr altes Denken, das auf Angst und Furcht beruhte abzulegen, und ein neues Denken zu lernen, das auf Liebe und Vertrauen beruht und auf das Zeichen der Liebe Gottes schaut, das er für uns aufgerichtet hat: das Kreuz. Erkennen wir uns selbst nicht im Kreuz sehr viel klarer wieder, als in allen Phantasien von einem allmächtigen Gott, der fern von uns teilnahmslos im Himmel thront?

 

Wir reden, sagt Paulus,  darum davon: »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« Auf das unser Menschenverstand erleuchtet werde und über das hinausblickt, was vor Augen liegt. Da sind sich Glaube und Wissenschaft unglaublich ähnlich, nämlich: vernünftig.

 

Amen.