Sonntag, 26. Juni 2016

Dankbarkeit. Predigt zum Stadtfestgottesdienst 50 Jahre Baunatal


Die zehn Aussätzigen

11 Und es begab sich,  als er nach Jerusalem wanderte, dass er durch Samarien und Galiläa hin zog.

12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne

13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!

14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.

15 Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme

16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.

17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?

18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?

19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen!

 

Liebe Gemeinde, liebe Gäste hier auf dem Marktplatz!

 

Von der Dankbarkeit ist heute die Rede. Das bietet sich bei einem Stadtjubiläum doch sehr an! Wir können sehr dankbar sein für die Entwicklung, die die Region in den 50 Jahren genommen hat. Baunatal ist, wie es immer so schön im offiziellen Deutsch heißt, eine blühende Region. Wir können dankbar sein dafür, dass in diesen 50 Jahren eigentlich alles nur besser geworden ist. Und das sage ich mit vollem Bewusstsein auch angesichts der Tatsache, dass es natürlich immer noch etwas zu verbessern gibt – Krisen gibt es immer!

Warum ich das so ausdrücklich betone?

Mit der Dankbarkeit hat es so eine besondere Bewandtnis. Sie fällt uns durchaus schwer. Und man kann sie nicht verordnen, wie man ja auch die Freude nicht verordnen kann. Davon erzählt die Geschichte von der Heilung der 10 Aussätzigen. Sie ist ja sehr klar: 10 Leprakranke werden von Jesus gesund gemacht. Sie gehen zum Tempel, zeigen sich dem Priester, und der spricht sie gesund. Aber nur einer, noch dazu einer von den Samaritanern, die als Angehörige einer Sekte galten, kehrt zu Jesus zurück und bedankt sich. Er bekommt von Jesus freilich eine merkwürdige Antwort: Dein Glaube hat dir geholfen! Wobei hat er ihm geholfen? Gesund geworden sind doch alle! Gesund, ja, aber eben nicht geheilt!

Denn der Glaube hilft uns dankbar zu sein, und dankbar sein gehört zu einen geheilten Leben. Denn Undank zerfrisst unsere Seelen. Die einen, die zu danken vergessen, haben ein schlechtes Gewissen; die anderen, die den Dank nicht bekommen, den sie verdienen, fühlen sich gekränkt und verletzt.

Der Undank ist eine Quelle von viel Gift und Streit. Dankbarkeit aber fällt uns schwer.

Weil wir Angst haben, dass uns die Dankbarkeit verpflichtet. Wenn wir einem Menschen zu Dank verpflichtet sind, dann haben wir das Gefühl, von ihm abhängig zu sein. Und das haben wir nicht so gerne, vor allem nicht wir modernen Menschen, denen ihre Freiheit über alles geht. Aber sind wir frei, wenn wir zu danken vergessen?

Und der andere Grund, warum es uns schwer fällt, dankbar zu sein: Wir müssen uns erinnern. Dankbarkeit lebt von Erinnerung! Und zwar von einer doppelten Erinnerung: zum einen daran, wie schlecht es uns ging oder in welchen Schwierigkeiten wir waren, zum anderen aber auch an die Wohltat, die uns erwiesen wurde.

Was auch typisch ist für uns Menschen: wir erinnern uns lange -  und oft ein Leben lang  - an Verletzungen und Kränkungen, die uns zugefügt worden sind. Aber Wohltaten vergessen wir sehr schnell. Wir neigen ferner dazu, das Gute, das uns zugefügt wird, als selbstverständlich zu nehmen! Das ist kein schöner Zug an uns Menschen! Und wir alle wissen, wie sehr genau das unser Klima im Miteinander vergiften kann!

 

Ich glaube, das ist eines unser größten Probleme im Moment. Wir haben ja in Deutschland eine ziemlich angespannte Stimmung, ausgelöst durch die vielen Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, aber die Stimmung war vorher schon gereizt. Der Grund dafür ist die Sorge, dass vieles von dem, was wir erreicht haben, nicht mehr so weiterbestehen wird, wie bisher. Diese Sicht der Dinge ist durchaus berechtigt, die Welt verändert sich unglaublich schnell – die Frage ist, ob wir uns deswegen Sorgen machen müssen, oder ob wir nicht lieber sagen müssen: Okay, alles ändert sich, wir müssen uns auch ändern, wenn wir wollen, dass es uns auch weiterhin gut geht. Das hat doch vor fünfzig Jahren in Baunatal auch geklappt! Denn das ist doch, was die Väter und Mütter damals erkannten: Wer nicht auf Kooperation setzt, geht in der modernen Welt unter! Nur gemeinsam können wir die komplizierten Aufgaben bewältigen, die uns die moderne Gesellschaft stellt: Weil wir doch ein Maximum an Gerechtigkeit haben wollen – darum ist die Welt kompliziert. Ungerechte Verhältnisse sind nämlich immer einfach! Und die einfachen Verhältnisse sind übrigens meistens auch ungerecht! Das Komplizierte ist der Preis für den Wohlstand der Vielen.

Und jetzt kommt die Erinnerung ins Spiel: Wir klagen auf sehr hohem Niveau! Es ging uns nie so gut wie heute, aufs Ganze gesehen. Immer wenn mir jemand mit der Klage im Ohr liegt, früher sei doch alles besser gewesen, dann frage ich gerne zurück: Meinen Sie die Zeit vor der Entdeckung des Penicillins und des Insulins? Meinen Sie die Zeit vor der Erfindung der Waschmaschine oder des Staubsaugers? Meinen Sie die Zeit vor Einführung der Demokratie und der Steuergerechtigkeit? Und, ganz konkret: Meinen Sie die Zeit, als hier in Baunatal noch ein paar mehr oder weniger kleine Dörfer ohne gut ausgebaute Infrastruktur existierten? Wir haben, gerade hier in Baunatal, wahrhaftig Grund zur Dankbarkeit. Es hat sich vieles verbessert, und wir leben hier auf einem Standard, von dem andere – übrigens sogar andere in Deutschland, da muss man gar nicht weit fahren – nur träumen können. Ganz zu schweigen von unseren Vorfahren, mit denen ich nicht einen Tag tauschen möchte. Man denke nur an die 70 Jahre Frieden, in denen diese 50 Jahre eingebettet sind!

Ich bin mir klar, dass jetzt bei vielen hier ein deutliches „Aber“ zu hören sein wird. Ich spüre es auch! Natürlich liegt vieles im Argen. Natürlich hat sich unser Leben nicht nur zum Besseren geändert. Ja, man wird sogar sagen müssen: Gerade, wenn wir dankbar zurückblicken auf das, was sich verbessert hat, können wir um so klarer, nüchterner und ohne Geschrei auf das schauen, was noch zu erledigen ist und was wirklich im Argen liegt – und auch trauern um das, was wir verloren haben. Denn nur so werden wir frei, auch wirklich zu feiern: Wenn wir dankbar auf das Erreichte blicken. Das ist der Quell der Freude, das Heilmittel gegen den Groll und die Lähmung.

Das kann man nicht verordnen, da kann ich hier lange predigen. Aber Dankbarkeit kann man üben. Und dazu gehört es eben auch, sich zu erinnern und zu erzählen, wie es war. Es leben noch genug Augenzeugen!

Und jetzt kommt der rätselhafte Satz ins Spiel, den Jesus zu dem einen sagt, der zurückgekommen ist. „Dein Glaube hat dir geholfen“ Wobei eigentlich? Der Glaube half dem Mann, sich dankbar zu erinnern an den Segen, den er empfangen hat.

Menschen können viel, aber Segen braucht es auch! Und den Mut, die Gelegenheit zu ergreifen, den günstigen Zeitpunkt zu nutzen und die Zeichen der Zeit zu erkennen. So, wie es hier vor 50 Jahren geschah! Sich regen bringt Segen – nicht weil es den Segen macht, sondern weil es den Segen ergreift und in unser Leben holt! Sich daran zu erinnern: das ist der Weg zu einem guten und heilsamen Miteinander.

Dazu will uns der Glauben, dazu will uns Jesus führen, indem er uns an die Dankbarkeit erinnert. Und so können wir als wir als Christen einen wichtigen Beitrag leisten zum Zusammenleben, zur Integration und zur Weiterentwicklung dieser Stadt! „Suchet der Stadt Bestes“, schreibt der Prophet Jeremia an das Volk Israel, das in einer fremden Stadt im Exil leben muss, Und Paulus schreibt: Seid der Obrigkeit untertan – ein viel missbrauchter Satz. Doch wer ist die Obrigkeit in einer Demokratie, wenn nicht das Volk selber? Wir, die Bürger und Bürgerinnen sind der Souverän, und das, meine Lieben, halte ich für den allergrößten Fortschritt überhaupt, an dessen Umsetzung wir weiterarbeiten müssen mit aller Kraft! Was ich hier sage, hat nichts zu tun mit der alten, elenden Vermischung von Thron und Alter, wie man früher sagte, sondern ist eine Ermutigung zum Bürgergeist, der Christen gut ansteht, weil wir dem Wohl des Nächsten verpflichtet sind! Wir dürfen nicht in einer Nische frömmelnder Vereinsmeirei hocken, sondern genau das tun, was wir gerade tun: raus auf den Marktplatz! Wir werden eine Minderheit: Das sollte uns gerade Ansporn sein, unseren Glauben zum Segen aller zu leben und nicht nur für uns selbst! Jesus hat alle 10 geheilt! Ohne Wenn und Aber!

50 Jahre Baunatal: Wir können dankbar sein dafür, dass sich vor 50 Jahren Menschen dafür eingesetzt haben, etwas für die Zukunft zu tun. Das war nicht leicht. In den zwei Jahren, die ich hier Pfarrer war, habe ich viele Geschichten davon gehört, wie mühsam das war. Es gab viele Ängste und Bedenken, viele Einwände und Abers, viele Verletzungen, und auch unterwegs ging es nicht ohne Enttäuschungen, Abschiede und Rückschlage voran. Doch vieles davon, und auch daraus sollten wir lernen, ist im Rückblick kaum noch nachvollziehbar und wirkt kleinlich oder ängstlich. Wir können, ganz konkret, dankbar dafür sein, dass mit dem VW-Werk hier Wohlstand und Vollbeschäftigung ankamen und damit ein ungeahnter Entwicklungsschub. Aber das doch nur, weil Menschen diese Gelegenheit, diesen Segen, ergriffen haben!

Menschen, die ja noch den Krieg und die furchtbaren Verhältnisse von Nazi-Zeit und Weimarer Republik erlebt haben, ja sogar die schiere Armut, wollten eine bessere Welt und sie schufen etwas bisher sehr Stabiles und Dauerhaftes. Das nötigt mir schon Bewunderung und auch Dankbarkeit ab, gerade weil ich nach vier Jahren hier immer noch ein Zugereister und quasi ein Fremder bin! Ich lebe gerne hier. Und ich bin übrigens auch sehr dankbar, wie gut hier mit all denen umgegangen wird, die hier nicht geboren sind: Es geht eben doch! Und zwar zum Wohle aller!

 

Und darum sage ich hier ein deutliches Danke an alle, die sich in den 50 Jahren und auch jetzt und in Zukunft für dieses Gemeinwesen einsetzen. Habt keine Angst vor Veränderungen, es hat vor 50 Jahren, allen Bedenken zum Trotz, in Baunatal doch gut geklappt! Lasst uns diesen Weg weitergehen! Lasst uns Gerechtigkeit und Gastfreundfreundschaft üben, denn dann kommen wir uns als Menschen nahe.

Lasst und aus einem Geist der Dankbarkeit und der Freude über das Erreichte kritisch, aber solidarisch und wertschätzend im Umgang miteinander weiterbauen an dem, was vor 50 Jahren begonnen wurde. Lasst den Geist der Undankbarkeit, des Genörgels und der uninformierten Rechthaberei nicht den Sieg davontragen! Unterstützt die, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, begleitet sie mit kritischem Wohlwollen und Eurem Gebet! Streitet um den rechten Weg, aber zankt nicht! Und vor allem: Ermuntert einander, mitzutun! Ja, ich möchte es noch konkreter sagen mit alten Wahlspruch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, einem gläubigen Katholiken übrigens, der einmal sagte: Frage nicht, was deine Stadt für dich tun kann, frage, was Du für Deine Stadt tun kannst! Und da gibt es immer etwas. Alles zählt, was zum Gelingen beiträgt!

So beten wir Christen nicht nur heute und hier, sondern immer, wenn wir uns versammeln: Wir beten um den Segen und geben ihn weiter! Das ist unser Beitrag und unsere Aufgabe. Darum feiern wir heute und hier Gottesdienst zum Geburtstag der Stadt: Als Zeichen der Dankbarkeit, auch für lange Jahre guter Zusammenarbeit und gelingender Ökumene und gelassenem Miteinander von Glaubenden und Nichtglaubenden, von Religionen und Weltanschauungen, von Lebensstilen und Lebensformen! Und wir laden alle ein, denen Gott etwas bedeutet, wie immer sie ihn anrufen, in dieses Gebet einzustimmen, wir sind ja nicht die einzigen, die beten. Und die, denen der Glaube fremd ist, laden wir ein, in den Geist der Dankbarkeit mit einzustimmen, denn wir sind ja nun wahrhaftig nicht die Einzigen, denen die Stadt am Herzen liegt!

Dann wird dieses Fest gelingen, dann wird dieses Gemeinwesen blühen, dann werden wir Menschen in dieser Stadt einander als Menschen begegnen. Das ist immer noch das größte Glück! Dazu helfe uns Gott mit seinem Segen. Herzlichen Glückwunsch, Baunatal, Amen.

 

Freitag, 27. Mai 2016

Predígt 1. S. n. Trin, 1. Johannes 4, 16b-21 Bleibt in der Liebe

Predigt für den 1. Sonntag nach Trinitatis, zu halten in Haddamar, Heimarshausen und Züschen.


 
1. Johannes 4, 16b.
Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.

18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.

19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.

21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

 

 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

Wenn Christen von Liebe sprechen, dann meinen sie damit nicht ein Gefühl. Sondern eine Haltung. Eine Haltung unterscheidet sich von einem Gefühl in einem entscheidenden Punkt: man kann sie lernen, einüben und ständig ausbauen.

Darum ist es kein Widerspruch, Menschen zur Liebe aufzufordern.

Trotzdem bleibt ein merkwürdiges Gefühl, wenn wir zur Liebe aufgefordert werden. Kann man das denn wirklich machen, Liebe befehlen?

Das kann man natürlich nicht. Und zwar aus einem ganz einfach, sehr banalen Grunde: Wenn ich möchte, dass Menschen die Liebe lernen, muss ich die Liebe selber auch kennen. Liebe entzündet sich an Liebe. Nur wer sich selber geliebt weiß, kann Liebe weitergeben. Eine der Quellen des Hasses, der im Moment unser Klima so vergiftet ist, dass Menschen einfach nicht wissen, nicht erfahren und erlebt haben, was Liebe ist.

Und was ist Liebe, wenn sie nicht einfach ein Gefühl der Sympathie und der Zuneigung ist? Es gibt zwei sehr schöne moderne Worte dafür: Wertschätzung und Solidarität. Das eine ist die Haltung, das andere ist die Tat.

Wir Christen können von der Liebe reden, weil der Glaube nichts anderes ist, als das feste Vertrauen darauf, dass Gott uns liebt. Und zwar ohne alle Voraussetzungen und Bedingungen. Er liebt uns, weil wir seine Geschöpfe sind. Das ist alles. Aber in diesem einfachen Satz steckt auch schon das Problem. Woher können wir das wissen?

Wir wissen es aus der Geschichte Jesu, die nichts anders ist, als eine einzige Liebesgeschichte. Die Geschichte Jesu zeigt uns, dass wir nichts so sehr fürchten, wie die Liebe. Denn die Liebe hat etwas Anarchisches. Die Liebe reisst Grenzen ein, stellt Selbstverständliches in Frage, die Liebe ist ein bisschen verrückt.

Liebe braucht Liebe, damit sie sich entzündet. Ich habe das auch erst spät begriffen. Während unserer Ausbildung hörten wir einem Vortrag von einem Suchtberater über die Ursachen der Sucht. Wir erwarteten einen schönen theoretischen Vortrag über Psychologie, Soziologie, Pädagogik und Prävention, also etwas sehr Kluges und Gelehrtes. Stattdessen fing der gute Mann an, uns eine kleine Szene vor Augen zu malen. Ein Kind malt ein Bild und läuft damit voller Stolz und Freude zu seiner Mutter.  „Mammi, ich hab dir ein Bild gemalt: das ist unser Haus“. Zu sehen sind auf dem Bild ein paar Krickelkrackel, die man mit Mühe als das erkennt, was sie darstellen sollen. Die Mutter sieht das Bild an und sagt: „Das ist aber kein Haus, das kann man ja gar nicht erkennen. Komm, ich zeige dir mal, wie man ein richtiges Haus malt.“ Sie nimmt den Stift und zeichnet ein Haus.

Eine harmlose Szene, sollte man meinen, und die Mutter hat es doch gut gemeint. Wir waren etwas geschockt. Was hat das mit Sucht zu tun?

Wir sollten uns nun für einen Moment in die Rolle des Kindes versetzen. Es malt ein Bild und will es seiner Mutter schenken. Weil es seine Mutter liebt! Darum geht es. Nicht um ein Haus. Nicht um Kunst. Nicht um Falsch und Richtig. Es geht um die Geste der Zuwendung und der Wertschätzung. Die Mutter aber sieht diese Geste der Liebe nicht. Sie wertet sie ab. Sie korrigiert das Kind. Wären wir im Kunstunterricht oder würden die beiden versuchen, zu lernen, wie man ein Haus malt, wäre das völlig in Ordnung. Aber hier geht es um etwas anderes. Das Kind wird frustriert. Es erfährt die Reaktion der Mutter als Ablehnung.

Wir waren tief betroffen. Ich spüre es noch heute. So schnell geht das also, dass wir Liebe übersehen und Menschen tief verletzen.

Der Therapeut führte uns dann vor, wohin dieses Muster führen kann. Das Kind verinnerlicht die Ablehnung. Es hat einen Vertrauensbruch erlebt. Es verliert den Halt. Den Rest kann man sich ausmalen. Am Ende wird es Halt und Stütze suchen, wo es keinen finden wird. Denn Halt finden wir nur in Menschen und in einem Glauben, der nicht bevormundet und erzieht, sondern trägt und ermutigt.

Das war natürlich eine Vereinfachung, eine Zuspitzung. Man muss jetzt als Vater, Mutter oder Erzieher nicht in Panik geraten. Aber was ich durch diesen Vortrag begriffen habe: An der Liebe müssen wir arbeiten. Wir müssen sie trainieren, sie üben. Und wie geht das? Indem wir uns in den anderen hineinversetzen. Indem wir die Frage stellen: Was würde ich jetzt gerne hören, was würde ich jetzt gerne erlebe, ja: was brauche ich jetzt? Und wir müssen lernen, auf unsere eigene Sehnsucht nach Liebe, Zuwendung und Anerkennung zu hören. Das ist der Weg zum anderen Menschen. Darin nehmen wir ihn ernst. In dem wir für einen Moment seine Stelle einnehmen, finden wir heraus, was er braucht. Und noch einfacher: wir fragen ihn! Das Fremdwort dafür heißt: Empathie. Einfühlung. Wir finden die Quelle der Liebe in uns selbst, wenn wir auf unsere Wünsche hören. Nur so können wir Haß und Gefühlskälte vermeiden. Es schönes indianische Sprichwort sagt: Wenn du wissen willst, wer ich bin, dann gehe eine Meile in meinen Schuhen.

Liebe kommt aus Liebe. Gott ist eine Meile in unseren Schuhen gegangen. Er hat in Jesus Christus unsere Not mit der Liebe erlebt. Hat gefühlt, wie es ist, angesichts von Tod, Not und Krankheit, angesichts von Angst, Haß und Verachtung zu leben. Und er setzte noch größere Liebe dagegen. Die Auferweckung Jesu von den Toten ist der größte Liebesbeweis, den er uns Menschen jemals entgegengebracht hat. Wir können aus dieser Liebe leben. Mit ihr fängt es an.

Wenn es denn so einfach wäre.

Ich habe vor einigen Wochen syrische Flüchtlinge kennengelernt. Sie haben mir erzählt, woher sie kommen und was sie erlebt haben. Es war kaum zu ertragen. Unvorstellbar für mich, was es heißt, geliebte Menschen durch Krieg zu verlieren, in die Fremde zu gehen, wo keiner meine Sprache spricht, unvorstellbar für mich, was es heißt, in ein Land zu kommen, wo Menschen mich verachten und mir misstrauen, nur weil ich ein Fremder bin. Was mir vorher im Kopf schon klar war: dass wir uns um die Flüchtlinge kümmern müssen, wurde mir jetzt ein Anliegen. In der Begegnung von Mensch zu Mensch wurde aus einem theoretischen Gedanken eine ganz praktische Sache und ich spürte, dass ich mich dem nicht entziehen kann. Aber was tun? Die rettende Frage, die mich aus der inneren Not herausholte, fiel mir dann – und ich sage mit voller Absicht: Gott sei Dank!- noch rechtzeitig ein, weil ich an diesen Vortrag von dem Suchtberater denken musste. Ich frug: Was brauchst du jetzt? Und die Antwort war ganz einfach: Alles, was sie in diesem Moment brauchten, ist für mich machbar und gar nicht schwer: „Üben Sie mit uns Deutsch sprechen. Wir verstehen nicht, wie das mit den Umlauten funktioniert“. Also üben wir jetzt Ö, Ü und Ä richtig auszusprechen. Mehr braucht es gar nicht. Ich erzähle das hier nicht als Heldengeschichte, sondern als eine Rettungsgeschichte: ich bin davor bewahrt worden, mich der Situation mit irgendwelchen klugen Geschwätzen zu entziehen, weil ich mich an eine kluge Geschichte von der Liebe erinnerte, die wiederum an das Evangelium erinnerte. Dafür bin ich dankbar, und auch ein wenig erschrocken darüber, dass ich mich vor der Antwort. ja vor den fremden Menschen selber gefürchtet habe. Und jetzt: Ich lerne hochinteressante Menschen kennen! Und im Gegenzug helfen sie mir, ein wenig Arabisch zu lernen.

Mal sehen, was draus wird.

Gott hat uns zuerst geliebt, damit wir in der Liebe bleiben. Die Worte aus der Schrift, die wir heute hörten, wollen uns daran erinnern. Um mehr geht es nicht, aber auch nicht um weniger: Übt die Liebe, dann bleibt ihr auch in der Liebe.

Übrigens, zurück zu der Geschichte von Mutter und Kind.

Was hätte die Mutter antworten sollen? Oh, danke, mein liebes Kind. Das hast du schön gemacht, ich freue mich sehr.

In zwanzig Jahren wird das Kind dann vielleicht auch ein richtiges Haus malen können. Aber spielt das eine Rolle für die Liebe?

Amen.

Predigt zu Pfingsten: Der Geist und das Netz. Organisierte Liebe

Kleine Vorausbemerkung: Die folgende Predigt wurde für das "Werkstatt-Premium"-Angebot des Bergmoser und Höller-Verlages geschrieben, ein Service, der zeitnah (am Freitag vor dem Sonntag) zu einem aktuellen Thema den Perikopentext auslegt. Insofern ist diese Predigt jetzt "verbraucht" und ich darf sie hier zur Diskussion stellen; freilich liegt das Copyright immer noch beim Bergmoser und Höller-Verlag.


 
 
Predigt: Apg 2,1-18 (Luther 84)

Das Pfingstwunder

2 1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.

 12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.

14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! 15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; 16 sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist:  17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.

Amen.

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Pfingsten ist das Fest, an dem die Grenzen fallen. Der Glaube, der hier entzündet wird, überwindet alle Barrieren von Sprache und Herkunft und führt die Menschen zu einem Volk zusammen in gemeinsamer Begeisterung für Gott. Wir hören, wie sich die Jünger und Jüngerinnen Jesu wie gewohnt versammeln, um zu beten, zu singen und sich ihres noch ganz jungen, ganz neuen Glaubens gegenseitig zu versichern. Noch ist es eine kleine, verschworene und sich geschlossene Gemeinschaft, die ihren neuen Gottesdienst etwas verborgen in einer Ecke des Tempels feiert: vermutlich auch, weil sie Angst hatten, denn dieser neue Glaube an den auferstandenen Christus war vielen in Jerusalem nicht geheuer. Sie beten zu einem, der als Gotteslästerer hingerichtet wurde. Sie behaupten, mit ihm sei zwischen Gott und Mensch Frieden geschlossen worden, weil Gott den von den Menschen getöteten Jesus von den Toten auferweckt hat. Sie teilen alles miteinander, und sie beachten auch die alten Ordnungen nicht mehr: Herren und Sklaven, Frauen und Männer feiern miteinander. 50 Tage nach den Ereignissen von Ostern und Karfreitag waren sie nun also wieder zusammen. Es war ein jüdischer Festtag – Pfingsten ist von seiner Herkunft her ein jüdisches Fest. Darum war die Stadt voll von Menschen und es herrschte eine festliche Stimmung, auch der Tempel war gut besucht. Menschen aus aller Herren Länder waren dort versammelt, denn die Juden und die, die dem Judentum nahestanden, waren damals schon über die ganze Welt verstreut und sprachen alle möglichen Sprachen. Die Verständigung war schwierig! Und da geschah es: Die Luft, so erlebten es die Menschen, die dabei waren, war voller Brausen und plötzlich fuhr der Geist Gottes in sie. So stark war das Erlebnis, dass sie geradezu sehen konnten, was geschah: Wie Feuerzungen leuchtet es über den Köpfen. Und dann fangen sie an zu beten und zu singen. Und jetzt geschah das eigentliche Wunder: Alle verstanden sich. Alle verstanden, was da gebetet und gesungen wurde, obwohl jeder und jede in ihrer Sprache betete und sang. Es war eine Begeisterung, wie wir sie nur aus ganz wenigen Momenten unseres Lebens kennen. Man hat unwillkürlich ein Fußballstadion vor Augen, oder ein Rockkonzert: Menschen, die in einem Geiste miteinander versammelt sind. Das Erschütternde und Begeisternde an dieser Erfahrung war, dass damit die alten Grenzen von Sprache und Herkunft aufgehoben waren. Alle Menschen, die dabei waren, erfuhren sich als eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, und alle spürten: Jetzt beginnt etwas Neues! Die Kirche war geboren. Natürlich nicht die Kirche als Institution mit Priestern, Bischöfen und Gemeinden, das sollte erst später allmählich wachsen. Aber die Kirche als das, was wir auch im Glaubensbekenntnis sagen: Die Gemeinschaft der Heiligen. Das war der Moment, wo der alte Glaube Israels an den Gott, der in die Freiheit führt, anfing, sich unter dem Namen Jesu Christi in die ganze Welt auszubreiten. Das hatten die Propheten schon vorausgesagt: Dieser Tag wird kommen! Das, was die Bibel über den Turmbau von Babel erzählte, verkehrte sich in sein Gegenteil. Damals, so berichtet die alte Erzählung aus dem ersten Buch Mose, hatten die Menschen noch eine Sprache und waren sich einig. Aber sie nutzten diese Einheit schlecht: Sie taten sich zusammen und wollten, im Bewusstsein ihrer Kraft und ihrer Gemeinschaft, einen Turm bauen, der bis an den Himmel reicht. Dem schob Gott einen Riegel vor. Die Menschen sollten Menschen bleiben und nicht wie Gott werden. Und so verwirrte er ihre Sprache, dass sie sich nicht mehr verständigen konnten. Und damit brachen auch ihre Träume von einem Weltreich zusammen, und die Menschen wurden fortan in die ganze Welt verstreut. Wie so oft erzählt diese alte Geschichte im Gewand eines Mythos eine einfache Wahrheit. Der Hochmut der Menschen führt am Ende dazu, dass Ihre Einigkeit verloren geht. Heute aber, am Tage des Pfingstfestes, erleben sie, wie Gott sie wieder zusammenführt. Der alte Traum von der gemeinsamen Welt kann wieder geträumt werden. Zumindest an einem Ort sprechen alle eine Sprache: Wenn sich die Menschen versammeln, um Gott zu loben und zu preisen. Das war ein nur ein Anfang, aber immerhin ein Anfang.

Wir träumen diesen Traum immer noch. Und wir träumen ihn nicht nur als einen frommen Traum. Längst ist unsere Welt viel enger zusammengerückt. Vor allem das Internet hat uns auf eine Art und Weise miteinander verbunden, die einem auch als ein schieres Wunder vorkommen kann. In dieser Woche hat die Bundesregierung beschlossen, dass freier Internetzugang in der Öffentlichkeit auch für private Anbieter möglich ist. Das war bisher mit einigen Schwierigkeiten verbunden, so dass wir gerade in Deutschland vom freien Zugang zum Internet stellenweise abgeschlossen waren. Das ist aber nicht mehr zeitgemäß. Nun ist der Weg frei, das Internet noch für viel mehr Menschen an noch mehr Orten und zu allen Zeiten zugänglich zu machen. Die Welt steht uns offen wie noch nie. Das macht vielen Menschen auch Angst. Sie fragen sich, ob das nicht doch Ausdruck desselben Wahnes ist, der zum Turmbau zu Babel führte, und viele reagieren darauf auch, wie die Zuschauer im Tempel: Die sind ja verrückt, die sind ja betrunken, das ist ja Spinnerei. Aber man kann doch auch sagen: Mit dem Internet sind wir dem Menschheitstraum ein wenig näher gekommen, doch eine Menschheit aus Menschen zu sein. Denn das weltweite Netz verbindet Menschen miteinander, die sonst nie in Kontakt kämen. Wie bei jeder Technik liegen Fluch und Segen ganz nah beieinander. Es kommt darauf an, wie wir es nutzen und was wir daraus machen. Genau wie mit der Gabe des Geistes, den Gott über uns ausgegossen hat. Die Kirche ist auch oft falsche Wege gegangen, hat auch oft versucht, den Geist zu dämpfen, hat doch auch Menschen ausgeschlossen und aus der Gabe der Freiheit einen Zwang gemacht. Doch das, was Jesus ursprünglich einmal meinte, bricht sich immer wieder Bahn. Glaube, Liebe und Hoffnung sind doch stärker als Enge, Angst und Tyrannei. Denn der Gedanke, dass wir alle Menschen sind, die in einem Geist miteinander verbunden sind, ist ein starker Gedanke. Das Internet führt uns als Menschen auch näher zusammen, wenn wir es nur richtig nutzen. Sind nicht viele Verbrechen in den letzten Jahren gerade über das Internet ans Tageslicht gekommen, weil sich das Netz jeder Kontrolle, jeder Regulierung entzieht? Weil Menschen hier ganz unmittelbar, ohne Filter und ohne Bevormundung ihre Meinung kundtun können und alle am Wissen aller teilhaben können? Freilich: Das Internet ist auch ein Ort, wo Hass, Lüge und Verleumdung ihren Platz haben. Es ist gar keine Frage, dass das Internet an der Radikalisierung, die im Moment bei uns herrscht, auch seinen Anteil hat. Und doch: Es hat ja Gründe, warum gerade die Mächtigen und Gewaltigen in dieser Welt, vor allem die, die mit Gewalt, Lüge und Terror herrschen, sich vor dem Internet fürchten: Weil es auch ein Ort der Freiheit ist, der Völker und Menschen verbindet. Ein bisschen, nur als Vergleich, ist das Internet wie Pfingsten: Eine Möglichkeit, dass wir als Menschen enger zusammenrücken.

Und darum kommt es darauf an, wie wir es nutzen, zum Segen oder zum Fluch. Letzte Woche hielt auf der großen Internetmesse re publica die türkische Journalistin Kübra Gümüşay einen Vortrag, der viele Menschen sehr bewegt hat. Sie verkündete, dass wir dem Hass und der Ausgrenzung im Netz eine Offensive der Liebe entgegensetzen müssen. Das Stichwort heißt: „Organisierte Liebe“. Auch dafür kann das Netz nützlich und gut sein: dass die, die der Liebe eine Chance geben wollen, sich weltweit vernetzen und dem Hass etwas entgegensetzen.

Ist das nicht auch der Geist von Pfingsten? Ist das nicht das, was da in Jerusalem vor 2000 Jahren begann und bis heute, durch alle Verwerfungen und Verzerrungen hindurch, auch das große Anliegen des Glaubens ist? Eine Offensive der Liebe? Petrus gibt in seiner Predigt am Ende des Tages genau dieser Hoffnung Ausdruck: Dass die Jugend, die Generation, die nach ihm kommt, im Geist vereint wird und neue Wege sucht, das Leben zu gestalten, damit die alte Hoffnung auf eine in Liebe geeinte Menschheit nicht zum Erliegen kommt, sondern völkerverbindende Kraft entwickelt. Das ist, was wir an Pfingsten feiern: Die von Gott organisierte Liebe in einer Welt voller Hass und Spott. Das ist nach wie vor eine starke Hoffnung und eine starke Verheißung. Um diesen Geist sollten wir als Kirche unablässig bitten, eingebunden in ein Netz von Gebeten. So kann sie ein besserer Ort werden als sie ist, weil wir mit jedem Gebet dem Geist Raum geben. Das ist der alte Traum und er ist so aktuell wie schon vor 2000 Jahren. Wir sollten ihn feiern und die Begeisterung für diesen Gedanken tief in unser Herz lassen, damit in ihm, wie es in einem alten Hymnus heißt, das Feuer der göttlichen Liebe entzündet wird, in dem die Völker aller Zungen und Sprachen versammelt werden. Was für eine schöne Hoffnung!

Amen.

Fürbitte

Herr, unser Gott, führe die Menschen aller Zeiten und Völker zusammen im Geist der Gemeinschaft.

Entzünde in uns das Feuer des Glaubens, damit wir uns erkennen als eine Menschheit, als deine geliebten Kinder.

Den Mächtigen dieser Welt schenke Weisheit und Vernunft, dass sie bei allem, was sie tun und entscheiden, nach Deinen Willen fragen und die Not der Menschen sehen.

Den Völkern dieser Welt schenke Besonnenheit und Geduld, dass sie aufeinander zugehen im Geist der Freundschaft und guter Nachbarschaft.

Wehre dem Ungeist von Hass und Ausgrenzung, von Krieg und Vernichtung.

Den Verlorenen und Versprengten, denen, die auf der Flucht sind, die in der Fremde leben müssen, die ihre Wurzeln verloren haben, schenke eine starke Hoffnung und Menschen, die sie tragen und begleiten.

Erwecke in den Religionen der Welt den Geist der Liebe und der Gemeinschaft, dass sie gemeinsam Boten der Barmherzigkeit werden nicht Propheten des Hasses.

Den Verwirrten, Radikalisierten und innerlich Verwüsteten weise Wege in das Leben, dass sie sich abkehren können von Hass und Verzweiflung und zum Frieden finden.

Deiner Kirche schenke Stärke des Glaubens und den Mut, Deine gute Nachricht zu verkündigen. Erhalte Deine Gemeinde bei Deinem Wort und mache uns zu begeisterten Boten Deiner Gnade.

Den Kranken und Sterbenden stehe bei, dass sie in Geduld ihre Lasten tragen, dass sie Heilung finden, und wenn es denn keine gibt, dass sie getröstet den letzten Weg gehen.

Komm, Heiliger Geist, und entzünde in uns das göttliche Feuer deiner Liebe!

 


 

Samstag, 30. April 2016

Allein den Beter.

Allein den Betern 

Allein den Betern kann es noch gelingen
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.

Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
Was sie erneuern, über Nacht veralten,
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.

Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
Indes im Dom die Beter sich verhüllen,

Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
Und in den Tiefen, die kein Aug’ entschleiert,
Die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.

Reinhold Schneider

Samstag, 26. März 2016

Predigt Ostern 2016, 1. Kor 15, 1-10, Züschen und Heimarhausen.


1.Kor 15,1-11

15 1 Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, 2 durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr's festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt.

3 Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; 5 und dass er gesehen worden ist von Petrus, danach von den Zwölfen.

6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.

8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. 9 Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.

10 Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. Es sei nun ich oder jene: so predigen wir und so habt ihr geglaubt.

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn

 

Was Paulus hier seiner Gemeinde mitteilt, gilt auch noch für uns. Wie entstand, wie entsteht der christliche Glaube, unser Glauben? Er entsteht durch die Begegnung mit der Botschaft vom auferstandenen Christus. Und was hat zu bedeuten? Er bedeutet das Ende der Gewalt und den Anfang der Liebe!

Was ist geschehen an jenem Morgen, drei Tage nach dem Kreuzestod? Was hat hat die Menschen zum Glauben an den Auferstandenen gebracht? Das leere Grab war es nicht: die Frauen liefen davon, wie wir hörten, sie waren erschrocken, und das kann man gut verstehen.  Es muss noch mehr geschehen sein, dass die Menschen zum Glauben an den Auferstandenen gekommen sind, etwas muss doch geschehen sein, dass wir bis heute Ostern feiern und Sonntag für Sonntag die Auferstehung verkündigen!

Paulus berichtet es was geschehen ist. Er bringt in seinem Brief an die Korinther, die genau diese Frage hatten, ein altes Glaubensbekenntnis. Das älteste, das wir haben: ein Stück christliches Urgestein.

Jesus Christus, der Gekreuzigte, ist gesehen worden von Petrus, danach von den Zwölfen, dann von allen anderen Aposteln, schließlich von 500 und ganz zum Schluss auch von ihm, Paulus selber.

Der christliche Glaube entstand, weil die Jüngerin und Jünger dem auferstandenen Herrn begegnet waren und durch diese Begegnung von innen heraus verwandelt worden sind.  

Es dauerte fünfzig Tage, es dauerte bis Pfingsten, bis alle verstanden hatten, was geschehen ist: Gott hat das Geschehen vom Karfreitag überwunden. Er hat den getöteten Christus zu sich geholt, ihm das ewige Leben geschenkt, seinen Mördern vergeben und ein neues Kapitel in der Geschichte von Gott und Mensch aufgeschlagen mit der Überschrift: Von der Liebe!

Das ist es, was geschah: Menschen wurden durch diese Begegnung, wie es ja auch bei Paulus war, im innersten berührt und verwandelt. Aus ihrer Trauer, aus ihrem Entsetzen und ihrem Schmerz wurde Freude, Dankbarkeit und sogar Jubel. Mitten in einer Welt, die in Dunkel und Finsternis versunken schien, leuchtet auf einmal ein helles Licht.

Und daraus folgt eine einfache Botschaft, die wir in diesen Tagen besonders klar hören und bekennen müssen: Gewalt im Namen Gottes ist Gotteslästerung! Christus wurde im Namen Gottes getötet und gekreuzigt, es war ein religiöser Mord, wie wir sie in diesen Tagen dauernd erleben, aber Gott hat das nicht gelten lassen. Wer Hass, Verachtung und Ausgrenzung predigt und lebt, hat den Ruf des Auferstandenen noch nicht verstanden, selbst wenn er ihn gehört hat. Jesus Christus hat alle Grenzen gesprengt: Darum gibt es auch für den Glauben keine Grenzen. Wenn Menschen sich in die Luft sprengen, weil sie meinen, damit Gott einen Gefallen zu tun, dann ist das nicht nur unter menschlichem Gesichtspunkt abscheulich. sondern ein Greuel und ein Frevel, und diese Menschen können einem nur leid tun, weil sie im Namen eines Hirngespinstes von Religion einem Götzen nachlaufen!

Meine Lieben: von dieser Barmherzigkeit Gottes hat auch der Islam gehört. Die erste Sure des Koran nennt Gott den Allerbarmer und den Barmherzigen! Auch Moslem hören davon, dass Gott die Toten auferweckt und zu sich in sein Reich holt. Aber genau wie das Christentum mit seiner Geschichte von Gewalt, Unterdrückung und Massenmord, haben das nicht alle so recht verstanden. Nehmen wir das beim Wort: Stoßen unsere moslemischen Mitmenschen nicht weg, weil einige von Ihnen fanatisch und verblendet sind,  sondern laden wir sie ein. mit uns gemeinsam diese Barmherzigkeit Gottes zu feiern! Wir wissen aus unsere Geschichte, wohin es führt, wenn man Barmherzigkeit mit Rache verwechselt, wohin es führt, wenn man den Glauben missbraucht, um Menschen einzuschüchtern, klein zu machen und zur Rache aufzustacheln. Wie furchtbar kann ein frommer Mensch sein, der die Barmherzigkeit vergessen hat und nicht merkt, dass er voll ist von Hass und Rache! Auch das Christentum hat seine Geschichte von Feuer und Schwert, und das sollte uns demütig machen!

Paulus selbst war auch voller Hass und Rache auf die ersten Christen, weil er gefangen war in seinem engen Glauben an einen zornigen Gott und sich für sein Werkzeug hielt. Damit war er auch meilenweit entfernt von dem, was sein jüdischer Glaube ihm eigentlich hätte sagen sollen! So wurde er eines Besseren belehrt: Durch Jesus Christus selbst. Darum schreibt er: „Zuletzt begegnete Christus auch mir, als einer Nachgeburt“, sozusagen in letzter Minute. Jeder hat die Chance, von Gott gerufen zu werden, jeder hat die Chance, aus dem selbstgeschaufelten Grab von Hass und Angst herausgerufen zu werden. Das ist der Kern der österlichen Botschaft. Darum lasst uns nicht müde werden, diese Botschaft zu verkündigen. Nicht wir bekehren und ändern die Menschen, nicht wir wecken Tote auf, nicht wir heilen Wunden und richten zerschlagene Herzen auf, sondern Gott selber tut es – er tut es aber nicht ohne uns: Wir sind seine Zeugen! Was für ein Vertrauen er in uns hat!

Geben wir als Christen also ein Zeugnis dafür, dass Gottes Barmherzigkeit allen Menschen, allen Geschöpfen zugewandt ist, vertrauen wir als Jüngerinnen und Jünger Jesu darauf, dass sein Wort Kraft hat: dann werden wir gegen die Mächte des Todes etwas in der Hand haben, was stärker ist als der Tod: Die Liebe. Gegen alle Verachtung, gegen allen menschengemachten Tod, gegen alle Bomben, Kriege und Kreuze rufen wir: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Es ist unsere einzige Chance, dem Schrecken standzuhalten und den Frieden in die Welt zu bringen. Es ist unsere einzige Chance, aus der Verwirrung unseres Verstandes herauskommen zur Klarheit des Herzens: Jesus Christus der Auferstandene ist das Ende der Gewalt.

Der christliche Glaube entstand, weil Menschen dem Auferstandenen begegneten. Gestern, heute und morgen, überall, wo seine Botschaft verkündigt wird in Wort und Tat und Sakrament, wie wir es gerade jetzt tun im Auftrag Jesu Christi, der uns zuruft: Ich lebe, und ihr sollt auch leben! Das ist Ostern: grenzenlose, grenzenüberwindende Hoffnung! Amen

Samstag, 27. Februar 2016

Predigt Eph 5, 1-8, Sonntag Okuli, 2016


Das Leben im Licht

5 1 So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder 2 und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch.  3 Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. 4 Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung.  5 Denn das sollt ihr wissen, dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger – das sind Götzendiener – ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.

6 Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.

7 Darum seid nicht ihre Mitgenossen.

8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Lebt als ]Kinder des Lichts;

 

 

Lebt als Kinde des Lichts! Das klingt fast wie der Aufruf einer Sekte: wir sind die Kinder des Lichtes, die anderen sind die Kinder der Finsternis, also lasst uns mit ihnen keine Gemeinschaft haben, seid die besseren Menschen!

Wir wissen, wohin so etwas führt. Wer sich selber für einen besseren Menschen hält, ist auf dem besten Wege, zum schlechtesten aller Menschen zu werden: denn wer sich für einen besseren Menschen hält, der hält ja automatisch die anderen für schlechte Menschen!

Das ist ja die Gefahr bei jeder Gruppenbildung. Wir neigen immer dazu, die eigenen Gruppe für besser, höher und klüger zu halten. Das ist eine wahres Gift, das tief in uns drin sitzt und noch aus der Zeit stammt als unsere Vorfahren im Rudel auf allen vieren durch die Wälder krochen. Das ist unser Erbe, vor dem wir uns sehr hüten müssen! Denn diese Verhalten spaltet uns auf und sorgt für Feindschaft und Unfrieden. Es ist genau dieses Denken, an das die Rattenfänger aller Zeiten anknüpften, wenn sie Menschen dahin bringen wollten, Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollen. Unser Herdeninstinkt ist hier am Werke. Und wir erleben ja gerade sehr eindrücklich, wohin das führt. Grölende Menschenmenschen stehen vor Bussen und empfangen die Menschen, die auf der Flucht sind, mit Hass und Häme.  Auf dem Schulhof ist das tägliche Realität: Wer nicht in ist, wer nicht zur Gruppe gehört, der ist der Feind. Wer die falschen Klamotten trägt, wer die falsche Musik hört, wer sich nicht haargenau so benimmt, wie es gerade Mode ist: der läuft ganz schnell Gefahr, ausgegrenzt und verspottet zu werden. Ich glaube nicht, dass hier viele Beispiel dafür bringen muss. Wer sich selber für besser hält, läuft Gefahr, gerade weil er ein Kind des Lichtes sein will, ein Kind der Finsternis zu werden. Das ist falsches und gefährliches Denken..

Wieso schreibt der Apostel das dann aber so? Und er sagt ja scheinbar auch ganz genau, was man tun muss, um ein Kind des Lichtes zu sein. Haltet Euch von Unzucht fern: also von sexueller Ausschweifung, Seid nicht habgierig, seid keine Götzendiener. Ist das ist nicht genau das Gift, von dem ich hier gesprochen habe? Das sieht auf den ersten Blick so aus, und so ist leider auch immer wieder verstanden worden und so wird es auch immer wieder verstanden. Menschen meinen, weil sie auf der richtigen Seite sind und alles richtig machen, hätten sie ein Recht, sich über andere zu erheben.

Das kann aber wohl nicht gemeint sein. Und ist es auch nicht. Denn der Text des Apostel beginnt ja mit dem Satz: Ahmt Euren Gott nach als die geliebten Kinder! Macht, wie er es gemacht hat! Lasst Euch nicht durch leere Reden verführen, sondern hört genau hin!

Denn der Gott, von dem hier die Rede ist, ist der Gott der Liebe und der Erkenntnis. Am Ende geht es um die Frage, an welchen Gott wir glauben – und darum, meine Lieben, ist es so wichtig, dass wir nicht irgendetwas glauben, sondern dass unser Glaube genau ist und konkret.

Lebt als Kinder des Lichtes! dann meint er genau das: lebt in der Nachfolge Jesu, seid barmherzig miteinander!  Was aber am allerwichtigsten ist: Der Glaube muss konkret sein. Wir müssen wissen, was wir glauben. Das Licht, dass Gott in de Welt senden, will  auch unseren Verstand erleuchten! Darum unterrichten wir unsere Kinder im Glauben, darum predigen wir Sonntag für Sonntag: damit wir nicht irgendwelchen Hirngespinsten auflaufen, sondern auch wissen, was wir glauben. Und wir Christen glauben nun einmal an einen gnädigen Gott, der nicht mit Wut und Verachtung über uns herrscht, sondern mit Liebe und Verständnis. Bemüht euch, es auch so zu machen. Wir glauben an Jesus Christus.

Denn solches genaues und richtiges Wissen über das, was man glaubt, kann und davor bewahren, Rattenfängern auf den Leim zu gehen.

Und jetzt wird es interessant. Warum kommen junge Menschen dazu, sich dem islamischen Staat anzuschließen und sich so einer menschenverachtenden Gruppe zugehörig zu fühlen? Wir haben ja diese Woche in der Zeitung von dem Vater lesen können, der zwei Söhne verloren hat, weil sie nach Syrien gegangen sind, um dort als Gotteskämpfer am Krieg teilzunehmen. Wie kommen die dazu? Wir wissen es leider nur zu genau. Weil sie keine Ahnung haben. Es ist erschütternd, aber es zeigt sich immer wieder: Die meisten der Menschen, die sich dem islamischen Staat anschließen, haben von ihrer Religion keine Ahnung! Das mag auf den ersten Blick ein wenig widersprüchlich klingen: sind das nicht fanatisch fromme Menschen, töten sie nicht gerade im Namen der Religion? Ja, das ganz gewiss, aber wenn man sich mit den ehemaligen Kämpfern unterhält, wird auf erschreckende Weise sichtbar, dass ihr angeblicher Glaube schierer und reiner Aberglaube ist, eine Karikatur, ein Zerrbild der Religion: Das, was im islamischen Staat als angeblicher Glaube verkündigt wird, hat mit dem Islam nur sehr wenig zu tun,  so wenig, wie Hexenverbrennung und die Inquisition mit dem christlichen Glauben . Sie kennen den Koran meistens gar nicht, und die, aus dem Christentum kommen, haben keine Ahnung von der Bibel. Sie habend en Kopf voller fanatischer, verzerrter Hirngespinste.  Was sich hier zeigt, ist ein erschreckender Mangel an religiöser Bildung. Von Gnade, von Vergebung, von Wertschätzung und Herzensbildung, die für uns Christen so wichtig sind  - und übrigens auch im Koran eine große Rolle spielen – haben sei noch nie gehört. Sie sind nicht einer Religion, sondern einer Ideologie aufgesessen, weil sie niemals eine wirkliche religiöse Bildung genossen haben. Darum, meine Lieben, ist es so wichtig, dass wir uns mit unserm Glauben wirklich  befassen. Es gibt, mit Verlaub, auch viele Christen, die schieren Unsinn reden, der keinerlei Anhalt an der Bibel und den Traditionen unseres Glaubens hat. Der Glaube lebt von der Auseinandersetzung mit der Wahrheit, nicht von der Behauptung der Wahrheit.  Darum hat Luther die Bibel übersetzt: damit jeder die Möglichkeit hat, sich kundig zu machen! Das ist heutzutage vielleicht die wichtigste Aufgabe des christlichen Glaubens in der Gesellschaft: dass wir unsern Glauben so konkret wie möglich weitergeben, dass wir religiöse Bildung verbreiten. Darum ist der Religionsunterricht, darum ist de Konfirmandenunterricht, darum ist die Predigt so wichtig. Denn der Gott, der hier durch sein Wort zu uns spricht, hat mit dem Hirngespinst-gott,den wir uns manchmal so zurechtlegen, nichts zu tun. Gottes Wort erleuchtet unseren Verstand, um uns vor der Finsternis unser Vorurteile und Meinungen zu befreien. Sich genau kundig zu machen, genau hinzuhören, mit Menschen wirklich in Kontakt zu treten: das ist die vielleicht wichtigste Aufgabe, die wir als Christen im Moment haben. Es ist kein Zufall, dass die Ausländerfeindlichkeit in unserem Lande da am höchsten sind, wo gar keine Ausländer leben: IN Sachsen wohnen prozentual die wenigsten Menschen, die nicht aus Deutschland stammen, gleichzeig ist die Zahl der Christen dort auch besonders niedrig. Ich glaube schon, dass es da einen Zusammenhang gibt. Wo das Licht des Glaubens nicht leuchtet, da wachsen Hass, Vorurteile und Gruppenzwänge, die Menschen dazu bringen,,, andere Menschen nur deshalb zu verachten, weil sie anders sind.

Lebt als Kinder des Lichtes kann also für nur heißen: Bleibt besonnen! Rechnet mit den Mächten der Finsternis auch in eurem eigenen Herzen und kämpft dagegen an – Mit Liebe, mit Geduld, mit guten Worten und Taten der Zuwendung. Nehmt den Menschen die Angst vor dem Fremde, in dem ihr nach dem Menschen fragt, der hinter dem fremden Gesicht steckt. Richtet euch an Christus aus, und nicht an irgendwelchen Hirngespinsten: Lasst Euch nicht durch leere Reden verführen, sondern hört auf das Wort Gottes, dass Euch zur Liebe führen will. Das heißt nicht, dass wir alles gutheißen und billigen. Das heißt nicht, dass wir das Böse in der Welt verleugnen und so tun, als wäre alles nur ein Missverständnis. Das heißt vielmehr; dass wir reden miteinander, dass wir einander der Liebe Gottes versichern, dass wir einander Mut machne, dem Bösen, auch dem bösen in uns, mit Sanftmut entgegentreten und uns für das Recht einsetzen: Denn nur das Recht kann uns schützen

Denn das Böse: das will das Recht nicht, das Böse will das Leben nicht in seiner Vielfalt.

 

Christen sind keine besseren Menschen, die auf andere Menschen herabblicken: Christen sind Menschen, die im Lichte der Liebe Gottes um ihre eigene Fehlbarkeit wissen und darum auf der Hut sind. Was uns helfen kann, diese Erkenntnis am Leben zu halten, ist das Gebet, das Gebet um Erleuchtung und Liebe und Gnade und Weisheit: die brauchen wir heute so dringend, wie selten zuvor.. Niemand hat behauptet, dass der Glaube das Leben einfacher macht: weit gefehlt. Der Glaube, der uns zur Liebe ruft, ist und bleibt eine Zumutung, weil er uns alle vermeintlich einfachen Erklärungen, alle schnellen Urteile und Vorurteile aus der Hand nimmt, und an ihre Stelle Besonnenheit, Klugheit du die Bereitschaft zur Versöhnung und Kompromiss stellt, vor allem aber das, was uns gerade am meisten fehlt: Nüchternheit. Ja, wir sollen leben als Kinder des Lichtes: Nicht weil wir bessere Menschen sind, sondern weil in diesem Licht auch der Schatten sichtbar wird, weil wir wie jeder anderer vor Gott stehen und nur rufen können: Herr, erbarme Dich! Durch Jesus Christus können wir gewiss sein, dass dieser Ruf nicht ungehört bleibt. Das Gebet um Erkenntnis, das Gebet um liebe und Gnade, das Gebet um Erleuchtung ist also die erste und wichtigste Tat des Glaubens: Lehrt unser Kinder in diesem Geiste beten, und ihr gebt ihnen einen kostbaren Schatz  in die Hand, der sie schützt vor Rattenfängern und Verführern, vor Vereinfachern und angeblich Frommen, die am Ende nur Unheil säen! Darum lasst uns das jetzt tun: Beten! Das ist der Anfang des Lebens im Licht.

Amen!

Dienstag, 27. Oktober 2015

Predigt zur Gnaden- und Diamantenen Konfirmation Großenritte 2015


Liebe Jubelkonfirmanden, liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

1945. 1955. Man muss sich diese Jahreszahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen, um ihnen ab zu spüren, was sie bedeuten. Die Termine Eurer Konfirmation sind fast ein Leben weit von uns entfernt.

Aber auch voneinander sind sie weit entfernt. Es sind ja nur 10 Jahre. Aber was für 10 Jahre! 1945 fand die Konfirmation unter dem Donner der Flakkanonen statt, die Amerikaner standen vor der Tür. Deutschland lag in Trümmern, nur wenige Kilometer von hier war Kassel eine entsetzliche Steinwüste. Ich kann mir die Stimmung gar nicht vorstellen. Und schon gar nicht kann ich mir vorstellen, wie 14jährige das erlebt haben. Was gab es wohl für Geschenke, wenn überhaupt? Ein paar Strümpfe? Eine neue Jacke, aus einer Uniformjacke oder einen Rock aus Fallschirmseide? Auf jeden Fall, so habe ich mir erzählen lassen, für die Jungen einen Hut.

1955: Die Besatzungszeit endet offiziell, Deutschland wird Mitglied der Nato. Der Wiederaufbau ist so in Fahr gekommen, dass die ersten Boten des künftigen Wohlstandes zu erkenne sind. Der Marshallplan hat gegriffen. Deutschland hat wieder eine Zukunft. In Kassel ist die neue Stadt schon deutlich zu erkennen. Erst Pläne zur Ansiedlung des VW-Werkes werden bekannt. Es beginnt ein Aufschwung, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat. Zugleich ist Deutschland ein geteiltes Land, ja die ganze Welt ist geteilt. Auch hier geht es mir so: ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das für 14 jährige angefühlt haben mag. Was gab es für Geschenke? Schon mehr als 1945? Gab es vielleicht sogar schon Geld? Aber immer noch war die Konfirmation für die meisten von Euch der Anfang des Erwachsenenlebens, der Einstieg in die Ausbildung, in den Beruf.

Die Konfirmanden von 1945 sind inzwischen junge Menschen, in Arbeit und Brot, verheiratet, die einen oder anderen vielleicht schon verheiratet, haben Kinder. Ich bin 5 Jahre später geboren!

Die Welt hat sich atemberaubend verändert in diesen 10 Jahren.

 

Und dann erst!

2015. Wir leben in einem Wohlstand, der, von 1945 und 1955 aus gesehen, unbegreiflich ist. Die Welt ist nicht mehr in Blöcke aufgeteilt, wir feiern gerade 25 Jahre deutsche Einheit. Die elektronische Revolution mit Computer, Smartphone und Tablett hat unsere Welt so verändert, das ältere Menschen  - und da zähle ich mich unter diesem Gesichtspunkt schon dazu – kaum noch mitkommen. Die Welt ist nach einer Phase der Ruhe von fast 50 Jahren wieder in Bewegung geraten, die Flüchtlingsströme fordern uns heraus. Die VW-Krise trifft uns hart, wenn auch vielleicht nicht direkt, aber auf jeden Fall als ein großer Schrecken und eine tiefe Verunsicherung und Kränkung. Und zugleich erlebt Ihr Euer Alter, wie es das auch noch nicht gegeben hat: Nie waren Menschen über 60 aufs Ganze gesehen so fit, gesund und gut versorgt.

So könnte ich jetzt noch stundenlang weiterreden, und ich denke, dazu werdet ihr heute noch Gelegenheit haben: Das ist ja der Sinn einer solchen Veranstaltung. Doch wir feiern ja heute einen ganz besonderen Jahrestag, und darauf möchte ich mich konzentrieren. Die Konfirmation war und ist ja so etwas wie der Abschluss der Erziehung im christlichen Glauben, ist die Entlassung in die Eigenverantwortlichkeit. Ihr habt einen Segen bekommen, der für das ganze Leben reichen soll.

Ein Segen meint: Ihr werdet ausgestattet mit der Kraft Gottes, Euer Leben zu bewältigen. So mag der Tag heute und der Gottesdienst jetzt auch eine Gelegenheit sein, einmal zu fragen: Wo und wie habe ich diesen Segen gespürt? Wo habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gott mit mir war, wo fühlte ich mich alleingelassen?

Ihr findet auf Eurer Urkunde, die ihr gleich bekommen werdet, den Wochenspruch, den ich für Euch ausgewählt habe. Denn er bringt ganz wunderbar und ganz einfach auf den Begriff, worum es im Glauben geht. Es ist ein Gebet, es ist eine Bitte an Gott:  Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.

Der Prophet Jeremia sagt diese Worte. Und er sagt sie in einem Moment, in dem sein Glaube gerade nicht stark war, wo es ihm gerade nicht gut geht, im Gegenteil: Er ist wegen seiner Botschaft, dier er in Gottes Auftrag zu verkündigen hat, in enorme Schwierigkeiten geraten, ja er ist sogar mit dem Tod bedroht. Jeremia betet, weil er Angst hat, weil sein Glaube schwach und angefochten ist. Jeremia betet, weil er aber dennoch glaubt und hofft, dass Gott ihm beisteht. Heile Du mich Herr, dann werde ich heil.

Heil sein meint: Mit sich selbst im Einklang leben. Heil sein bedeutet, geheilt sein von Egoismus, von der kleinlichen Angst, heil sein bedeutet: Mit sich und der Welt versöhnt sein. Denn nur dann kann man wirklich gut leben.

Wir haben in den vergangenen Jahren vielleicht doch zu sehr das Heil mit dem Wohl verwechselt. Wir haben, und gerad Eure Generation! mit einer ungeheuren Energie großen Reichtum und Wohlstand geschaffen. gerade Ihr wahrt es, die diesen Staat und diese Gesellschaft aufgebaut habt. Dafür sind wir Nachgeborenen Euch zutiefst zu Dank verpflichtet

Doch es zeigt sich auch ein Schatten des Wohlstandes, er hat auch eine dunkle und finstere Seite. Er macht bequem, er macht faul, er kann dazu führen, dass alles für selbstverständlich genommen wird. Wer sein Leben nur auf das Wohl setzt, wer nur nach Reichtum, Erfolg, Schönheit fragt, wird, sobal es schwierig wird, ängstlich werden, und aus der Angst heraus aggressiv und wütend. Wir erleben das gerade. Die Menschen kommen zu uns, weil es uns gutgeht, weil wir, aus ihrer Sicht in einem absolut unbegreiflichen Reichtum und vor allem: in Sicherheit leben. Und jetzt macht sich die Angst breit, dass es nicht für alle reichen könnte. Aber anstatt in Ruhe nachzudenken und zu überlegen, wie wir das in den Griff kriegen könnten, macht sich allenthalben ein Geschrei breit, und es kommt sogar zur Gewalt, was immer verachtenswert ist. Gerade Eure Generation hat es geschafft und erlebt, aus Trümmer, ja fast aus dem Nichts heraus alles das aufzubauen, was wir heute haben. Sollte es uns nicht gelingen, das noch einmal zu schaffen? Die Wiedervereinigung haben wir doch auch hinbekommen: gegen alle Unkenrufe brummt unsere Wirtschaft wie noch nie. Aber: sind die Herzen mitgekommen? Sind unsere Seelen mitgekommen? Fragen wir außer nach unserem Wohl auch nach unserem Heil? Der Glaube will uns dahin führen, gelassen zu werden und das Leben dankbar aus Gottes Hand zu nehmen, der glauben will uns dahin führen, dass wir aus dem Segen leben, den Gott über uns ausgeschüttet hat. Darum konfirmieren wir junge Menschen, um ihnen etwas mitzugeben, was sie sich eben nicht selbst geben können, um sie mit etwas auszustatten, mit dem sich Menschen eben nicht ausstatten können: Mit Heil!

Daran möchte ich Euch Erinnern. Ich möchte Euch ermutigen und ermuntern, heute die Frage nach dem Glauben, nach Eurem Glauben, noch einmal zu stellen, die Spuren Gottes in eurem Leben zu suchen und zu finden. Ich möchte euch noch einmal an die Kraft Gottes erinnern, die immer eine Kraft zum Guten ist, eine Kraft zum Heil. Wir werden den Segen gleich noch einmal hören. Nicht, weil der Segen schwach geworden ist oder gar erloschen. Er gilt für immer. Aber unser Gedächtnis, unsere Erinnerung ist schwach: die muss immer wieder aufgefrischt werden. Und vielleicht war für den einen oder andere von Euch der Glaube auf der weiten Strecke Eures Lebens gar nicht so wichtig, weil die Sorgen und Aufgaben des Alltags so groß waren. Vielleicht sind einige von Euch auf dem Weg bis hierher, wie der Prophet Jeremia, an Gott und der Welt auch wenig irre geworden oder gar verzweifelt. Dann möchte ich euch Mut machen, es wieder zu probieren, die Kraft des Gebets neue zu erfahren. Vielleicht war für einige von Euch der Glaube, das feste Vertrauen auf Gott, ein Leben lang ein starker und guter Begleiter, der euch auch in den dunkelsten Stunden Licht und Kraft gegeben hat: Dann seid dankbar dafür, dann erzählt Euren Enkeln und Kindern davon, den vom Erzählen lebt der Glaube.

Wie immer es war, wie immer es sein wird: Wir leben unter Gottes Segen und wir können immer zu ihm kommen mit der Bitte:

Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.

Denn aller Wohlstand hat nur Kraft und Bedeutung, wenn er eingewoben ist in das Heil, das uns zu ganzen Menschen macht.

Das wünsche ich Euch an diesem bewegenden Tag, das wünsche ich uns. Gott ist mit uns alle Tage, bis an der Welt Ende, wie es uns in unserer Taufe zugesagt hat und wie er es uns in der Feier des Abendmahl schmecken und spüren lässt. Ich wünsche Euch einen gesegneten Tag voller starker Erinnerungen und uns einen Gemeinschaft voller Heil, voller Frieden und Freude.

Amen.

Montag, 19. Oktober 2015

Abschiedspredigt über Micha 6,8, Wochenspruch


Am Sonntag, dem 18.10 wurden Hauke Rauschenbach, Jugendarbeiter, und ich, Gemeindepfarrer, verabschiedet. Wir teilten uns die Predigt.
 
Predigt über den Wochenspruch.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.   Micha 6,8

Liebe Gemeinde!

Worum geht es in der Kirche? Wozu ist sie da? Die Antwort ist ganz einfach. Die Aufgabe ist es, das Wort Gottes zu verkündigen. Denn das, was Gott uns zu sagen hat, können wir uns nicht selber sagen. So, wie wir uns nicht selber ins Leben rufen können. Ohne das Wort Gottes, wären wir nicht die, die wir sind. Das gilt auch für die, denen das Wort Gottes ganz egal ist. Unsere Aufgabe als Kirche ist es, weiterzusagen, was Gott uns zu sagen hat:. Davon haben die Propheten geredet, davon sprach Jesus Christus.

Davon reden auch wir. Indem wir aus der Heiligen Schrift die Stimme Gottes hören, wird uns gesagt, was gut ist.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.   Micha 6,8

Dem gehen wir jetzt nach. Ein älterer Herr, seit fast dreißig Jahren im Pfarramt, seit fast fünfzig Jahren, seit dem Kindergottesdienst, in der Kirche immer mit Vollgas aktiv, der nun einen Gang zurückschaltet, weil er an seine Grenzen gestoßen ist.

Ein junger Mann, schon mit Berufserfahrung, der gerade einen Wechsel hinter sich gebracht hat, auch im Dienst der Kirche und jetzt der Diakonie. Beide also Kirchenmenschen, beide Christen. Beide mit dem Auftrag, jeder auf seine Weise, an seinem Ort, und mit seinen Fähigkeiten und Erfahrungen, das Wort Gottes zu verkündigen in Wort und Tat. Wir wollen Euch zum Schluss noch einmal hören lassen, was das für uns bedeutet.

Hauke, du bist so viel jünger als ich. Was hörst Du, wenn dir gesagt ist: Du sollst Gottes Wort halten?

HR: Als allererstes denke ich da an die 10 Gebote. Diese geben uns ja 10 Worte oder 10 Regeln vor. Bei Luther steht dort am Anfang: Du sollst nicht... Das finde ich ganz schön einschränkend. In meiner Arbeit habe ich gemerkt, für Jugendliche und vor allem für Konfirmanden waren die 10 Gebote immer schwierig. Das darf ich nicht, dies soll ich nicht? Warum eigentlich? Erst muss ich mir das immer von meinen Eltern anhören und jetzt sagt mir auch noch Gott was ich tun und lassen soll.

Ich finde diesen Zugang verständlich, so habe ich früher auch gedacht und gefühlt. Aber in den letzten Jahren, in der Auseinandersetzung mit den 10 Geboten hat sich in meinem Verständnis und meinem Zugang jedoch etwas verändert. Gott fordert von mir nicht ein, dass ich mich so und so verhalte. Er verlangt nicht von mir, dass ich mich verbiege. Ich kann so sein wie ich bin und zwar in der festen Zuversicht, dass Gott mich so annimmt wie ich bin. In dieser Liebe bin ich geborgen. Und wenn ich das ernst nehme und annehme, dann wird es plötzlich ganz einfach mit Gottes Wort. Wenn ich anfange mich und Gott ernst zu nehmen, dann werde ich nicht stehlen, dann werde ich Vater und Mutter ehren usw. Dann ist das kein Zwang, sondern eine Aufgabe, der ich mich gerne stelle. Und so ist es für mich leicht Gottes Wort zu halten, indem ich mich und ihn ernst nehme.

RK: Ich höre: Frag zuerst nachdem, was Gott will. Er spricht zu uns. Gott ist Mensch geworden, damit wir ihn erkennen und verstehen. Er wohnt nicht in einem fernen Himmel, sondern er war als ein Mensch unter uns, in Jesus von Nazareth. Im Johannesevangelium heißt es: Das Wort wurde Fleisch und wohnt unter uns. Gott ist uns ganz nah. Wir erkennen ihn in Jesus. Und das heißt: wir erkennen ihn im Leiden, wir erkennen ihn im Menschen, der in Not ist. Es geht nicht um Prinzipien oder abstrakte Regeln. Jesus war immer ganz konkret. Wenn Du am Sabbat Hunger hast, dann ernte, haben wir gehört. Denn der Sabbat ist um des Menschen willen da. Wir sind nicht Automaten, die Gott am Gängelband führt. Wir sind freie Menschen, denen Gott zutraut, nach seinem Wort zu leben, damit die Welt ein besserer Ort wird. Nach 30 Jahren Pfarramt, in dem ich wahrlich viel erlebt habe, ist mir das immer klarer geworden. Was die Menschen am dringendsten brauchen, ist ein gutes Wort, das sie aufrichtet, wenn sie gekrümmt sind, das ihnen Mut macht, wenn sie verzweifelt sind, das sie tröstet, wenn sie traurig sind und das sie zurechtweist, wenn sie in die Irre laufen. Nicht, weil es das Gesetz fordert, sondern weil Gott will, dass wir in Frieden leben. Mein Konfirmationsspruch wurde mir zum Leitvers für mein ganzes Leben. Jesus Christus spricht: ich lebe, und du sollst auch leben. Je älter ich werde, um so einfacher und klarer erscheint mir das Wort Gottes. Mit diesem Satz ist für mich alles gesagt.

Hauke, was hörst du, wenn dir gesagt ist: Du sollst Liebe üben?

HR…. Ganz ehrlich fiel es mir erst schwer mit der Liebe. Doch dann fiel mir das Lied: Ins Wasser fällt ein Stein ein. Dort heißt es: Nimm Gottes Liebe an, du brauchst dich nicht allein zu müh'n. Denn seine Liebe kann/ in deinem Leben kreise zieh'n. Und füllt sie erst dein Leben und setzt sie dich in Brandt. Gehst du hinaus teilst Liebe aus, denn Gott füllt dir die Hand.

Zuerst heißt es da: Ich soll die Liebe annehmen. Und zwar brauche ich das nicht alleine zu tun, mir wird dabei geholfen. Gottes Liebe kann ich spüren und weitergeben. Und das wird mich und die Menschen um mich verändern. Also Liebe geht nicht alleine. Ich brauch dafür jemand anderen. Nur im Kontakt mit anderen wird deutlich was Gottes Liebe bedeutet. Für und mit anderen da zu sein. Zu helfen, zu reden, zu hören, zu teilen oder einfach zu schweigen. In den letzten dreieinhalb Jahren gab es viele Situationen, in denen ich Gottes Liebe spüren konnte. Besonders dann, wenn ich mit Kindern und Jugendlichen zusammen etwas gestaltet habe. Die Aktionen und Gespräche haben mir immer neue Kraft gegeben und mir die „Hände gefüllt“ und dann konnte ich da sein, wenn aus den lustigen mal ernste oder traurige Momente wurden. Da konnte ich Andere unterstützen, aber genau so habe ich auch an ganz vielen Punkten die Unterstützung und Liebe von anderen gespürt, die mich gestärkt hat.

RK: Ich höre: Du sollst Liebe üben. Sie ist nicht einfach so da. Ich muss mich auch bemühen. Was die Bibel mit Liebe meint, ist das, was wir heute Solidarität nennen. Die Kirche ist für mich vor allem eine Solidargemeinschaft des Erbarmens: vom Gottesdienst, der uns das zuspricht, von all den Kreisen, Gruppen und Initiativen, die sich das sagen lassen und versuchen, daraus zu leben bis hin zur Kirchensteuer, die all das ermöglicht. Denn alleine kannst Du keine Liebe üben. Das geht nur mit anderen zusammen. Denn nur gemeinsam finden wir heraus, was Liebe jeweils meint. Dazu gehört auch, dass wir uns darüber auseinandersetzen. Es kann, wie wir beim Thema Flüchtlinge gerade merken, sehr strittig sein, welcher Weg der Weg der Liebe ist. Auch die Frage nach der Zukunft der Gemeinde ist strittig in Zeiten, in denen das Geld knapp wird und die Menschen weniger. Immer aber muss es darum gehen, Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Liebe ist mehr als ein Gefühl. Gefühle kommen und gehen. Aber Solidarität kann ich einüben. Weil ich von Gott reich beschenkt bin, brauche ich keine Angst zu haben, zu kurz zu kommen. Schon lange, bevor ich in der Lage bin, zu lieben, bin ich geliebt. Wieder ist es am Ende ganz einfach. Die Liebe stellt eine einfache Frage: Was brauchst Du, was kann ich für dich tun?

Hauke, was hörst Du, wenn dir gesagt ist, du sollst demütig sein vor deinem Gott?

HR: ….. Ich muss dazu erst mal Wikipedia befragen, was Demut ist. Da steht dann: die Bereitschaft, etwas als Gegebenheit hinzunehmen, nicht darüber zu klagen und sich selbst als eher unwichtig zu betrachten. Das fällt mir dann doch schwer. Mich nicht so wichtig nehmen. Anerkennen, dass da über mir jemand ist und vor allem nicht zu klagen.

Es ist doch so einfach. Lieber laut klagen und jammern. Ja, dass fällt einem leichter. Außerdem geht es doch gerade heute unter Jugendlichen zu zeigen was man kann, was man hat. Man hat das neueste Smartphone oder 10000 Follower  beim eigenen Youtube-Channel...

Alles und alle werden schneller, besser und lauter. Und da kommt die Demut ins Spiel. Wenn ich so laut bin überhöre ich die anderen. Wenn ich so schnell bin übersehe ich die Langsamen. Und das war für mich in den letzten Jahren die Stärke der Ev. Jugendarbeit. Hier steigen wir aus der lauten, schnellen Welt aus. Hier musste man nicht der oder die Tollste und die Lauteste sein. Hier konnte man auch mal Schwäche zeigen, langsam machen und so sein, wie man ist. Und das macht mich demütig. Ich nehme mich selber nicht so wichtig, höre den anderen zu und dadurch zur Ruhe zu kommen. An manchen Gegebenheiten kann ich nichts ändern, aber ich muss sie ja nicht mitmachen. Und da ist eine Nische in der Kraft steckt.

RK: Ich höre: Übernimm dich nicht. Lerne, deine Grenzen zu erkennen. Demut heißt nicht, dass ich mich kleiner mache, als ich bin. Das will Gott sicherlich nicht. Aber ich musste in dreißig Jahren Pfarramt lernen, was geht, und was nicht geht, oft auf die harte Tour. Das ist heute mein vierter großer Abschied, und keiner war wirklich freiwillig, jeder hat heftige Kerben in der Seele hinterlassen. Das macht demütig. Ich musste lernen, mit meinen Fehlern zu leben. Ich habe als Pfarrer erlebt, dass ich es gut meinte, und damit Unheil anrichtete. Aber ich durfte auch erfahren, dass durch mich auch Gutes geschah, mit dem ich gar nicht rechnete. Demut heißt für mich heute vor allem Gelassenheit. Demut ist in unserer Hochleistungsgesellschaft zu einem Unwort geworden, es ist völlig aus der Mode gekommen. Aber ein Leben ohne Demut macht uns krank, furchtsam und aggressiv. Das merkt man überall. Ich aber spüre, je älter ich werde: Demut ist ein großes Gut, denn Demut macht uns menschlich. Dazu gehört auch, nicht alles auf einmal zu wollen, sondern Geduld zu haben und zu fragen, was wirklich wichtig ist. Und wirklich wichtig sind die Menschen. Ein Video auf You-tube hat mich sehr berührt. Ein kleiner Junge, vielleicht 4 oder 5  Jahre, wurde gefragt, ob in seinem Kindergarten auch Ausländer sind. Er schaute den Reporter erstaunt an: ne, da sind nur Kinder.

Das ist für mich Demut: Als Mensch dem Menschen ein Mensch sein, weil Gott Mensch geworden ist. Darum geht es in der Kirche. Der Rest ist Organisation und Verwaltung, viel weniger bedeutend, als die meisten meinen, und das sage ich ganz bewusst als einer, der an der Spitze dieser Verwaltung mitarbeitet. Aber immer geht es um den Dienst an den Menschen und die Gestaltung von Solidarität. Am Ende ist es wieder ganz einfach ist: Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Wir können das, weil wir glauben:

Gott ist der, der zuerst gibt, bevor er fordert. Er gibt uns sein Wort, er schenkt uns seine Liebe, in Jesus Christus kommt er uns demütig entgegen. Wir leben aus der Fülle.

Wenn wir mutig von unserem Glauben reden und ihn leben, so gut es geht, dann erfüllen wir als Kirche unseren Auftrag. Darum geht es. Pfarrer kommen und gehen, Jugendarbeiter kommen und gehen. Das kann traurig sein, das kann manchmal auch eine Befreiung sein. Aber das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit. Lasst es Euch gesagt sein, und ihr werdet leben. Amen.