Montag, 19. Oktober 2015

Abschiedspredigt über Micha 6,8, Wochenspruch


Am Sonntag, dem 18.10 wurden Hauke Rauschenbach, Jugendarbeiter, und ich, Gemeindepfarrer, verabschiedet. Wir teilten uns die Predigt.
 
Predigt über den Wochenspruch.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.   Micha 6,8

Liebe Gemeinde!

Worum geht es in der Kirche? Wozu ist sie da? Die Antwort ist ganz einfach. Die Aufgabe ist es, das Wort Gottes zu verkündigen. Denn das, was Gott uns zu sagen hat, können wir uns nicht selber sagen. So, wie wir uns nicht selber ins Leben rufen können. Ohne das Wort Gottes, wären wir nicht die, die wir sind. Das gilt auch für die, denen das Wort Gottes ganz egal ist. Unsere Aufgabe als Kirche ist es, weiterzusagen, was Gott uns zu sagen hat:. Davon haben die Propheten geredet, davon sprach Jesus Christus.

Davon reden auch wir. Indem wir aus der Heiligen Schrift die Stimme Gottes hören, wird uns gesagt, was gut ist.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.   Micha 6,8

Dem gehen wir jetzt nach. Ein älterer Herr, seit fast dreißig Jahren im Pfarramt, seit fast fünfzig Jahren, seit dem Kindergottesdienst, in der Kirche immer mit Vollgas aktiv, der nun einen Gang zurückschaltet, weil er an seine Grenzen gestoßen ist.

Ein junger Mann, schon mit Berufserfahrung, der gerade einen Wechsel hinter sich gebracht hat, auch im Dienst der Kirche und jetzt der Diakonie. Beide also Kirchenmenschen, beide Christen. Beide mit dem Auftrag, jeder auf seine Weise, an seinem Ort, und mit seinen Fähigkeiten und Erfahrungen, das Wort Gottes zu verkündigen in Wort und Tat. Wir wollen Euch zum Schluss noch einmal hören lassen, was das für uns bedeutet.

Hauke, du bist so viel jünger als ich. Was hörst Du, wenn dir gesagt ist: Du sollst Gottes Wort halten?

HR: Als allererstes denke ich da an die 10 Gebote. Diese geben uns ja 10 Worte oder 10 Regeln vor. Bei Luther steht dort am Anfang: Du sollst nicht... Das finde ich ganz schön einschränkend. In meiner Arbeit habe ich gemerkt, für Jugendliche und vor allem für Konfirmanden waren die 10 Gebote immer schwierig. Das darf ich nicht, dies soll ich nicht? Warum eigentlich? Erst muss ich mir das immer von meinen Eltern anhören und jetzt sagt mir auch noch Gott was ich tun und lassen soll.

Ich finde diesen Zugang verständlich, so habe ich früher auch gedacht und gefühlt. Aber in den letzten Jahren, in der Auseinandersetzung mit den 10 Geboten hat sich in meinem Verständnis und meinem Zugang jedoch etwas verändert. Gott fordert von mir nicht ein, dass ich mich so und so verhalte. Er verlangt nicht von mir, dass ich mich verbiege. Ich kann so sein wie ich bin und zwar in der festen Zuversicht, dass Gott mich so annimmt wie ich bin. In dieser Liebe bin ich geborgen. Und wenn ich das ernst nehme und annehme, dann wird es plötzlich ganz einfach mit Gottes Wort. Wenn ich anfange mich und Gott ernst zu nehmen, dann werde ich nicht stehlen, dann werde ich Vater und Mutter ehren usw. Dann ist das kein Zwang, sondern eine Aufgabe, der ich mich gerne stelle. Und so ist es für mich leicht Gottes Wort zu halten, indem ich mich und ihn ernst nehme.

RK: Ich höre: Frag zuerst nachdem, was Gott will. Er spricht zu uns. Gott ist Mensch geworden, damit wir ihn erkennen und verstehen. Er wohnt nicht in einem fernen Himmel, sondern er war als ein Mensch unter uns, in Jesus von Nazareth. Im Johannesevangelium heißt es: Das Wort wurde Fleisch und wohnt unter uns. Gott ist uns ganz nah. Wir erkennen ihn in Jesus. Und das heißt: wir erkennen ihn im Leiden, wir erkennen ihn im Menschen, der in Not ist. Es geht nicht um Prinzipien oder abstrakte Regeln. Jesus war immer ganz konkret. Wenn Du am Sabbat Hunger hast, dann ernte, haben wir gehört. Denn der Sabbat ist um des Menschen willen da. Wir sind nicht Automaten, die Gott am Gängelband führt. Wir sind freie Menschen, denen Gott zutraut, nach seinem Wort zu leben, damit die Welt ein besserer Ort wird. Nach 30 Jahren Pfarramt, in dem ich wahrlich viel erlebt habe, ist mir das immer klarer geworden. Was die Menschen am dringendsten brauchen, ist ein gutes Wort, das sie aufrichtet, wenn sie gekrümmt sind, das ihnen Mut macht, wenn sie verzweifelt sind, das sie tröstet, wenn sie traurig sind und das sie zurechtweist, wenn sie in die Irre laufen. Nicht, weil es das Gesetz fordert, sondern weil Gott will, dass wir in Frieden leben. Mein Konfirmationsspruch wurde mir zum Leitvers für mein ganzes Leben. Jesus Christus spricht: ich lebe, und du sollst auch leben. Je älter ich werde, um so einfacher und klarer erscheint mir das Wort Gottes. Mit diesem Satz ist für mich alles gesagt.

Hauke, was hörst du, wenn dir gesagt ist: Du sollst Liebe üben?

HR…. Ganz ehrlich fiel es mir erst schwer mit der Liebe. Doch dann fiel mir das Lied: Ins Wasser fällt ein Stein ein. Dort heißt es: Nimm Gottes Liebe an, du brauchst dich nicht allein zu müh'n. Denn seine Liebe kann/ in deinem Leben kreise zieh'n. Und füllt sie erst dein Leben und setzt sie dich in Brandt. Gehst du hinaus teilst Liebe aus, denn Gott füllt dir die Hand.

Zuerst heißt es da: Ich soll die Liebe annehmen. Und zwar brauche ich das nicht alleine zu tun, mir wird dabei geholfen. Gottes Liebe kann ich spüren und weitergeben. Und das wird mich und die Menschen um mich verändern. Also Liebe geht nicht alleine. Ich brauch dafür jemand anderen. Nur im Kontakt mit anderen wird deutlich was Gottes Liebe bedeutet. Für und mit anderen da zu sein. Zu helfen, zu reden, zu hören, zu teilen oder einfach zu schweigen. In den letzten dreieinhalb Jahren gab es viele Situationen, in denen ich Gottes Liebe spüren konnte. Besonders dann, wenn ich mit Kindern und Jugendlichen zusammen etwas gestaltet habe. Die Aktionen und Gespräche haben mir immer neue Kraft gegeben und mir die „Hände gefüllt“ und dann konnte ich da sein, wenn aus den lustigen mal ernste oder traurige Momente wurden. Da konnte ich Andere unterstützen, aber genau so habe ich auch an ganz vielen Punkten die Unterstützung und Liebe von anderen gespürt, die mich gestärkt hat.

RK: Ich höre: Du sollst Liebe üben. Sie ist nicht einfach so da. Ich muss mich auch bemühen. Was die Bibel mit Liebe meint, ist das, was wir heute Solidarität nennen. Die Kirche ist für mich vor allem eine Solidargemeinschaft des Erbarmens: vom Gottesdienst, der uns das zuspricht, von all den Kreisen, Gruppen und Initiativen, die sich das sagen lassen und versuchen, daraus zu leben bis hin zur Kirchensteuer, die all das ermöglicht. Denn alleine kannst Du keine Liebe üben. Das geht nur mit anderen zusammen. Denn nur gemeinsam finden wir heraus, was Liebe jeweils meint. Dazu gehört auch, dass wir uns darüber auseinandersetzen. Es kann, wie wir beim Thema Flüchtlinge gerade merken, sehr strittig sein, welcher Weg der Weg der Liebe ist. Auch die Frage nach der Zukunft der Gemeinde ist strittig in Zeiten, in denen das Geld knapp wird und die Menschen weniger. Immer aber muss es darum gehen, Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Liebe ist mehr als ein Gefühl. Gefühle kommen und gehen. Aber Solidarität kann ich einüben. Weil ich von Gott reich beschenkt bin, brauche ich keine Angst zu haben, zu kurz zu kommen. Schon lange, bevor ich in der Lage bin, zu lieben, bin ich geliebt. Wieder ist es am Ende ganz einfach. Die Liebe stellt eine einfache Frage: Was brauchst Du, was kann ich für dich tun?

Hauke, was hörst Du, wenn dir gesagt ist, du sollst demütig sein vor deinem Gott?

HR: ….. Ich muss dazu erst mal Wikipedia befragen, was Demut ist. Da steht dann: die Bereitschaft, etwas als Gegebenheit hinzunehmen, nicht darüber zu klagen und sich selbst als eher unwichtig zu betrachten. Das fällt mir dann doch schwer. Mich nicht so wichtig nehmen. Anerkennen, dass da über mir jemand ist und vor allem nicht zu klagen.

Es ist doch so einfach. Lieber laut klagen und jammern. Ja, dass fällt einem leichter. Außerdem geht es doch gerade heute unter Jugendlichen zu zeigen was man kann, was man hat. Man hat das neueste Smartphone oder 10000 Follower  beim eigenen Youtube-Channel...

Alles und alle werden schneller, besser und lauter. Und da kommt die Demut ins Spiel. Wenn ich so laut bin überhöre ich die anderen. Wenn ich so schnell bin übersehe ich die Langsamen. Und das war für mich in den letzten Jahren die Stärke der Ev. Jugendarbeit. Hier steigen wir aus der lauten, schnellen Welt aus. Hier musste man nicht der oder die Tollste und die Lauteste sein. Hier konnte man auch mal Schwäche zeigen, langsam machen und so sein, wie man ist. Und das macht mich demütig. Ich nehme mich selber nicht so wichtig, höre den anderen zu und dadurch zur Ruhe zu kommen. An manchen Gegebenheiten kann ich nichts ändern, aber ich muss sie ja nicht mitmachen. Und da ist eine Nische in der Kraft steckt.

RK: Ich höre: Übernimm dich nicht. Lerne, deine Grenzen zu erkennen. Demut heißt nicht, dass ich mich kleiner mache, als ich bin. Das will Gott sicherlich nicht. Aber ich musste in dreißig Jahren Pfarramt lernen, was geht, und was nicht geht, oft auf die harte Tour. Das ist heute mein vierter großer Abschied, und keiner war wirklich freiwillig, jeder hat heftige Kerben in der Seele hinterlassen. Das macht demütig. Ich musste lernen, mit meinen Fehlern zu leben. Ich habe als Pfarrer erlebt, dass ich es gut meinte, und damit Unheil anrichtete. Aber ich durfte auch erfahren, dass durch mich auch Gutes geschah, mit dem ich gar nicht rechnete. Demut heißt für mich heute vor allem Gelassenheit. Demut ist in unserer Hochleistungsgesellschaft zu einem Unwort geworden, es ist völlig aus der Mode gekommen. Aber ein Leben ohne Demut macht uns krank, furchtsam und aggressiv. Das merkt man überall. Ich aber spüre, je älter ich werde: Demut ist ein großes Gut, denn Demut macht uns menschlich. Dazu gehört auch, nicht alles auf einmal zu wollen, sondern Geduld zu haben und zu fragen, was wirklich wichtig ist. Und wirklich wichtig sind die Menschen. Ein Video auf You-tube hat mich sehr berührt. Ein kleiner Junge, vielleicht 4 oder 5  Jahre, wurde gefragt, ob in seinem Kindergarten auch Ausländer sind. Er schaute den Reporter erstaunt an: ne, da sind nur Kinder.

Das ist für mich Demut: Als Mensch dem Menschen ein Mensch sein, weil Gott Mensch geworden ist. Darum geht es in der Kirche. Der Rest ist Organisation und Verwaltung, viel weniger bedeutend, als die meisten meinen, und das sage ich ganz bewusst als einer, der an der Spitze dieser Verwaltung mitarbeitet. Aber immer geht es um den Dienst an den Menschen und die Gestaltung von Solidarität. Am Ende ist es wieder ganz einfach ist: Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Wir können das, weil wir glauben:

Gott ist der, der zuerst gibt, bevor er fordert. Er gibt uns sein Wort, er schenkt uns seine Liebe, in Jesus Christus kommt er uns demütig entgegen. Wir leben aus der Fülle.

Wenn wir mutig von unserem Glauben reden und ihn leben, so gut es geht, dann erfüllen wir als Kirche unseren Auftrag. Darum geht es. Pfarrer kommen und gehen, Jugendarbeiter kommen und gehen. Das kann traurig sein, das kann manchmal auch eine Befreiung sein. Aber das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit. Lasst es Euch gesagt sein, und ihr werdet leben. Amen.

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