1. Johannes 4, 16b.
Gott ist die Liebe; und wer
in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe
bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie
er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
18 Furcht ist nicht in der
Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht
rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der
Liebe.
19 Lasst uns lieben, denn er
hat uns zuerst geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst
seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den
er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.
21 Und dies Gebot haben wir
von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!
Wenn Christen von Liebe sprechen, dann meinen sie
damit nicht ein Gefühl. Sondern eine Haltung. Eine Haltung unterscheidet sich
von einem Gefühl in einem entscheidenden Punkt: man kann sie lernen, einüben
und ständig ausbauen.
Darum ist es kein Widerspruch, Menschen zur Liebe
aufzufordern.
Trotzdem bleibt ein merkwürdiges Gefühl, wenn wir zur
Liebe aufgefordert werden. Kann man das denn wirklich machen, Liebe befehlen?
Das kann man natürlich nicht. Und zwar aus einem ganz
einfach, sehr banalen Grunde: Wenn ich möchte, dass Menschen die Liebe lernen,
muss ich die Liebe selber auch kennen. Liebe entzündet sich an Liebe. Nur wer
sich selber geliebt weiß, kann Liebe weitergeben. Eine der Quellen des Hasses,
der im Moment unser Klima so vergiftet ist, dass Menschen einfach nicht wissen,
nicht erfahren und erlebt haben, was Liebe ist.
Und was ist Liebe, wenn sie nicht einfach ein Gefühl
der Sympathie und der Zuneigung ist? Es gibt zwei sehr schöne moderne Worte
dafür: Wertschätzung und Solidarität. Das eine ist die Haltung, das andere ist
die Tat.
Wir Christen können von der Liebe reden, weil der
Glaube nichts anderes ist, als das feste Vertrauen darauf, dass Gott uns liebt.
Und zwar ohne alle Voraussetzungen und Bedingungen. Er liebt uns, weil wir
seine Geschöpfe sind. Das ist alles. Aber in diesem einfachen Satz steckt auch
schon das Problem. Woher können wir das wissen?
Wir wissen es aus der Geschichte Jesu, die nichts anders
ist, als eine einzige Liebesgeschichte. Die Geschichte Jesu zeigt uns, dass wir
nichts so sehr fürchten, wie die Liebe. Denn die Liebe hat etwas Anarchisches. Die
Liebe reisst Grenzen ein, stellt Selbstverständliches in Frage, die Liebe ist
ein bisschen verrückt.
Liebe braucht Liebe, damit sie sich entzündet. Ich
habe das auch erst spät begriffen. Während unserer Ausbildung hörten wir einem
Vortrag von einem Suchtberater über die Ursachen der Sucht. Wir erwarteten einen
schönen theoretischen Vortrag über Psychologie, Soziologie, Pädagogik und
Prävention, also etwas sehr Kluges und Gelehrtes. Stattdessen fing der gute
Mann an, uns eine kleine Szene vor Augen zu malen. Ein Kind malt ein Bild und
läuft damit voller Stolz und Freude zu seiner Mutter. „Mammi, ich hab dir ein Bild gemalt: das ist
unser Haus“. Zu sehen sind auf dem Bild ein paar Krickelkrackel, die man mit
Mühe als das erkennt, was sie darstellen sollen. Die Mutter sieht das Bild an
und sagt: „Das ist aber kein Haus, das kann man ja gar nicht erkennen. Komm, ich
zeige dir mal, wie man ein richtiges Haus malt.“ Sie nimmt den Stift und
zeichnet ein Haus.
Eine harmlose Szene, sollte man meinen, und die Mutter
hat es doch gut gemeint. Wir waren etwas geschockt. Was hat das mit Sucht zu
tun?
Wir sollten uns nun für einen Moment in die Rolle des
Kindes versetzen. Es malt ein Bild und will es seiner Mutter schenken. Weil es
seine Mutter liebt! Darum geht es. Nicht um ein Haus. Nicht um Kunst. Nicht um
Falsch und Richtig. Es geht um die Geste der Zuwendung und der Wertschätzung. Die
Mutter aber sieht diese Geste der Liebe nicht. Sie wertet sie ab. Sie korrigiert
das Kind. Wären wir im Kunstunterricht oder würden die beiden versuchen, zu
lernen, wie man ein Haus malt, wäre das völlig in Ordnung. Aber hier geht es um
etwas anderes. Das Kind wird frustriert. Es erfährt die Reaktion der Mutter als
Ablehnung.
Wir waren tief betroffen. Ich spüre es noch heute. So
schnell geht das also, dass wir Liebe übersehen und Menschen tief verletzen.
Der Therapeut führte uns dann vor, wohin dieses Muster
führen kann. Das Kind verinnerlicht die Ablehnung. Es hat einen Vertrauensbruch
erlebt. Es verliert den Halt. Den Rest kann man sich ausmalen. Am Ende wird es Halt
und Stütze suchen, wo es keinen finden wird. Denn Halt finden wir nur in
Menschen und in einem Glauben, der nicht bevormundet und erzieht, sondern trägt
und ermutigt.
Das war natürlich eine Vereinfachung, eine Zuspitzung.
Man muss jetzt als Vater, Mutter oder Erzieher nicht in Panik geraten. Aber was
ich durch diesen Vortrag begriffen habe: An der Liebe müssen wir arbeiten. Wir
müssen sie trainieren, sie üben. Und wie geht das? Indem wir uns in den anderen
hineinversetzen. Indem wir die Frage stellen: Was würde ich jetzt gerne hören,
was würde ich jetzt gerne erlebe, ja: was brauche ich jetzt? Und wir müssen
lernen, auf unsere eigene Sehnsucht nach Liebe, Zuwendung und Anerkennung zu
hören. Das ist der Weg zum anderen Menschen. Darin nehmen wir ihn ernst. In dem
wir für einen Moment seine Stelle einnehmen, finden wir heraus, was er braucht.
Und noch einfacher: wir fragen ihn! Das Fremdwort dafür heißt: Empathie. Einfühlung.
Wir finden die Quelle der Liebe in uns selbst, wenn wir auf unsere Wünsche
hören. Nur so können wir Haß und Gefühlskälte vermeiden. Es schönes indianische
Sprichwort sagt: Wenn du wissen willst, wer ich bin, dann gehe eine Meile in
meinen Schuhen.
Liebe kommt aus Liebe. Gott ist eine Meile in unseren
Schuhen gegangen. Er hat in Jesus Christus unsere Not mit der Liebe erlebt. Hat
gefühlt, wie es ist, angesichts von Tod, Not und Krankheit, angesichts von
Angst, Haß und Verachtung zu leben. Und er setzte noch größere Liebe dagegen. Die
Auferweckung Jesu von den Toten ist der größte Liebesbeweis, den er uns
Menschen jemals entgegengebracht hat. Wir können aus dieser Liebe leben. Mit
ihr fängt es an.
Wenn es denn so einfach wäre.
Ich habe vor einigen Wochen syrische Flüchtlinge
kennengelernt. Sie haben mir erzählt, woher sie kommen und was sie erlebt
haben. Es war kaum zu ertragen. Unvorstellbar für mich, was es heißt, geliebte
Menschen durch Krieg zu verlieren, in die Fremde zu gehen, wo keiner meine
Sprache spricht, unvorstellbar für mich, was es heißt, in ein Land zu kommen,
wo Menschen mich verachten und mir misstrauen, nur weil ich ein Fremder bin.
Was mir vorher im Kopf schon klar war: dass wir uns um die Flüchtlinge kümmern müssen,
wurde mir jetzt ein Anliegen. In der Begegnung von Mensch zu Mensch wurde aus
einem theoretischen Gedanken eine ganz praktische Sache und ich spürte, dass
ich mich dem nicht entziehen kann. Aber was tun? Die rettende Frage, die mich aus
der inneren Not herausholte, fiel mir dann – und ich sage mit voller Absicht:
Gott sei Dank!- noch rechtzeitig ein, weil ich an diesen Vortrag von dem
Suchtberater denken musste. Ich frug: Was brauchst du jetzt? Und die Antwort
war ganz einfach: Alles, was sie in diesem Moment brauchten, ist für mich
machbar und gar nicht schwer: „Üben Sie mit uns Deutsch sprechen. Wir verstehen
nicht, wie das mit den Umlauten funktioniert“. Also üben wir jetzt Ö, Ü und Ä
richtig auszusprechen. Mehr braucht es gar nicht. Ich erzähle das hier nicht
als Heldengeschichte, sondern als eine Rettungsgeschichte: ich bin davor
bewahrt worden, mich der Situation mit irgendwelchen klugen Geschwätzen zu
entziehen, weil ich mich an eine kluge Geschichte von der Liebe erinnerte, die
wiederum an das Evangelium erinnerte. Dafür bin ich dankbar, und auch ein wenig
erschrocken darüber, dass ich mich vor der Antwort. ja vor den fremden Menschen
selber gefürchtet habe. Und jetzt: Ich lerne hochinteressante Menschen kennen!
Und im Gegenzug helfen sie mir, ein wenig Arabisch zu lernen.
Mal sehen, was draus wird.
Gott hat uns zuerst geliebt, damit wir in der Liebe
bleiben. Die Worte aus der Schrift, die wir heute hörten, wollen uns daran
erinnern. Um mehr geht es nicht, aber auch nicht um weniger: Übt die Liebe, dann
bleibt ihr auch in der Liebe.
Übrigens, zurück zu der Geschichte von Mutter und
Kind.
Was hätte die Mutter antworten sollen? Oh, danke, mein
liebes Kind. Das hast du schön gemacht, ich freue mich sehr.
In zwanzig Jahren wird das Kind dann vielleicht auch
ein richtiges Haus malen können. Aber spielt das eine Rolle für die Liebe?
Amen.
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