Montag, 4. April 2022

Macht und Herrschaft, Premium-Predigt Judika 2022 Mk 10.35-45

(Die Predigt wurde für das Projekt "Premium Predigt" des Bergmoser und Höller Verlages geschrieben, deswegen kann ich sie heute erst veröffentlichen.  Der Wortlaut dieser Predigt weicht von dem, was ich gestern gepredigt habe ab, der leitende Grundgedanke ist aber derselbe).  

Mk 10,35-45

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

 41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.

43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.



Liebe Gemeinde,

„Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an“. Es klingt wie ein Naturgesetz, was Jesus hier sagt. Herrschaft scheint überhaupt nur als Gewalt einiger über viele denkbar zu sein. Und Gewalt meint: Den anderen zwingen, zu tun, was er nicht will unter Androhung von Schmerz oder Vernichtung. 

Der Ukrainekrieg führt uns das gerade wieder vor Augen, und zu all dem Schrecken, den die Bilder in uns auslösen, kommt noch eine Art Enttäuschung, ein Unbehagen, ja sogar eine tiefe Frustration darüber, dass dieser Satz Jesus mehr zu stimmen scheint, als uns in den Jahren des Friedens, die wir erleben durften, lieb geworden ist. Herrschaft, so scheint es, ist tatsächlich letztlich nichts anderes als die Ausübung von Gewalt, und Macht ist letztlich nichts anderes als die Ermächtigung, Gewalt auszuüben. 

Ist also die Demokratie, ist das, was wir im sogenannten Westen kultivieren, eine Selbsttäuschung? Ist die Vorstellung davon, dass man Herrschaft so einzäunen kann, dass daraus Regierung wird, ein Irrtum? Ist die Vorstellung falsch, dass die Gewalt, wenn sie schon nicht ausgerottet werden kann, so aber doch durch Teilung, durch Recht und Gesetz, durch Kontrolle und Beobachtung eingehegt und gezähmt werden kann? 

Der simple Satz, dass wir gegen den Krieg sind, reicht da sicher nicht aus. Auch das System Putin ist "gegen den Krieg". Deswegen nennen sie es „militärische Spezialoperation“. Das Gefühl, dass Gewalt und Krieg letztlich doch keine wirklich guten und moralisch vertretbaren Handlungen sind, scheint selbst dort angekommen zu sein. Erschrecken ist natürlich auch, dass die russisch-orthodoxe Kirche, jedenfalls auf der Ebene ihrer Leitung, so geschlossen und eindeutig die Gewalt bejahrt und unterstützt, die hier entfesselt worden ist.

Das Thema „Macht und Gewalt“ hat uns gerade massiv am Wickel und verunsichert uns als Christen sehr. Das ist deutlich zu spüren. „Ihr wisst, Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an“ – der Satz, den Jesus sagt, geht ja noch weiter: „Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“. Der Zusammenhang von Macht und Gewalt wird hier von Jesus gerade aufgelöst. Macht und Gewalt müssen nicht miteinander verkoppelt sein. Es ist gerade kein Naturgesetz. 

Wie macht er das? Jesus fragt nach der Funktion von Macht. Er sagt nicht: Es darf keine Macht geben. Das wäre sehr naiv. Sondern er gibt der Macht eine Aufgabe, ein Ziel und eine Funktion: Die Macht soll dienen. Und zwar „den Vielen“. Gemeint sind: die Menschen. Macht soll den Menschen dienen, und wer Macht hat und haben will, soll nicht Herrschen, sondern sich in den Dienst der Menschen stellen. Die Macht erhebt sich also nicht über die Menschen, sondern sie unterwirft sich ihnen. Sie ist kein Selbstzweck. Sie hat eine Aufgabe. 

Jesus sagt dann weiter – und das klingt auf den ersten Blick ein wenig rätselhaft: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“. Der Menschensohn: damit beschreibt sich Jesus gerne selbst, es ist ein Wort aus der jüdischen Tradition und es meint letztlich den Boten Gottes, den von Gott abgesandten, der, der Gottes Macht auf der Erde repräsentiert. So sieht sich Jesus. Er ist der von Gott Abgesandte, der mit der Macht Gottes beschenkte Mensch, der diese Macht aber nun eben nicht zum Herrschen benutzt, sondern dazu, sein Leben hinzugeben für die vielen. 

Damit spielt er auf seinen Tod an. Dass Jesus sterben wird, und zwar von der Hand mächtiger Menschen, dass Jesu ein Opfer der Macht, der falschen Macht, der Macht der Gewalt wird: gerade darin zeigt sich seine Macht. Sein Tod wird befreiende Macht haben, so wie ein Lösegeld, mit dem man Geiseln befreit. Worin besteht diese Befreiung? Sie besteht darin, dass im Tod Jesus etwas sichtbar wird: dass Macht, die sich als Herrschaft versteht und Gewalt ausübt, gegen den Willen Gottes ist. 

Denn was geschieht am Karfreitag? Die weltliche Macht, repräsentiert durch die Römer und die von ihnen eingesetzte jüdische Regierung, wird Jesus im Namen Gottes töten. Aber Gott lässt diesen Tod nicht gelten. Er hebt ihn auf. Gott widerspricht der Gewalt in der Auferstehung. Das Kreuz soll nicht sein. Das Kreuz entlarvt die Macht der Gewalt als falsche, anmaßende und lebenszerstörende Macht. Das Kreuz ist ein deutliches, unübersehbares Zeichen dafür, dass Gewalt nach Gottes Willen nicht sein soll. 

Hier zeigt sich ein völlig neues, völlig anderes Verständnis von Macht. Macht wird nicht als Gewaltausübung verstanden, sondern als Hingabe. Und Hingabe ist nicht anderes als äußerste Liebe, der tiefste Akt der Zuwendung, den wir uns als Menschen überhaupt vorstellen können. Der gewaltsame Tod Jesu ist ein Zeichen für das Ende der Gewalt von Gottes Seite aus. Nie wieder wird sich Gewalt und wird sich Herrschaft, die sich auf Gewalt stützt, auf Gott berufen können. Macht ist nur als Hingabe, als Liebe, als Zuwendung, als Lebensförderung denkbar und möglich. Alles andere ist Missbrauch von Macht, ist ihre Perversion. Das heißt also: Nicht die Macht ist böse, aber die Art und Weise, wie sie ausgeübt wird, die kann böse sein. Nämlich dann, wenn sie Leben zerstört, anstatt Leben zu ermöglichen. Das ist an Klarheit nicht zu überbieten und völlig eindeutig.

 

Jesus sagt das zu seinen Jüngern, die genau das nicht verstanden haben. Die beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes, haben eine Bitte an Jesus: sie möchten gerne, als Lohn für ihre Treue, am Ende der Zeiten neben Jesus auf dem Thron sitzen und mit ihm herrschen. Aber Jesus weist dieses Ansinnen ab. Sie werden nicht die Kraft haben, den letzten Weg zu gehen, den Jesus geht. Denn nur Gott selbst kann den Weg durch die Gewalt gehen, und sie so beenden. Bekommen Menschen Macht in die Hand, ist die Gefahr immer da, dass sie zur Gewalt wird. Denn die letzte Kraft zur Liebe fehlt uns. Die totale Hingabe ist uns nicht möglich. Davor haben wir viel zu viel Angst. Denn heißt totale Hingabe nicht, dass man sich selbst dabei völlig aufgibt? Nur Gott kann das. Nur Gott hat die Macht zur totalen Liebe. So weist Jesus das Ansinnen der Jünger ab. Nur Gott kann dafür einstehen, dass Macht nicht zur Gewalt wird. Nur er kann den letzten Weg gehen, den Weg durch den Tod in das Leben, durch die Gewalt in die Gewaltfreiheit.

Und was heißt das nun für uns? Wie umgehen damit? Diese Sätze Jesu zeigen uns, dass wir gegen unseren natürlichen Impuls, Macht als Gewalt zu denken, angehen müssen. Dass wir immer damit rechnen müssen, dass Macht zur Gewalt führt. Und dass wir deswegen alles für tun müssen, Macht zu begrenzen und einzudämmen, dass wir mit Macht ganz vorsichtig umgehen müssen, dass wir auf der Hut sein müssen. 

In der Tat: Diese Sätze Jesu sind ein Stachel in unserem Fleisch. Sie sind eine massive Kritik an unserem sogenannten normalen Denken. Indem Jesus Macht nicht mit Gewalt verbindet, sondern mit der Liebe, verändert er den Umgang mit Macht. Diese Worte Jesu hatten eine große Wirkung. Sie sind einer der Gründe, warum in unserer, der sogenannten westlichen, der christlichen Welt, Methoden der Aufteilung von Gewalt entwickelt worden sind, die Gewaltenteilung, die die Grundlage aller Demokratie ist, die Idee, dass wir die Macht nur zeitlich befristet verteilen und dass die Macht von Volk, von den vielen verliehen wird und das Macht nur verliehen wird, um sie in den Dienst der Menschen zu stellen. 

Dieser Gedanke ist einer der Grundlagen unserer Kultur – und genau dieser Gedanke wird gerade durch den Krieg in der Ukraine in Frage gestellt. Dieser Krieg ist nicht nur ein Krieg eines Volkes gegen ein anderes. Es geht hier nicht nur um Ressourcen und Einfluss. Es geht hier auch um die Demokratie, es geht hier auch darum, wie Macht ausgeübt werden kann und darf. Dieser Krieg richtet sich zutiefst gegen unsere moderne, christliche fundierte Tradition. Das ist die große Beunruhigung, die er auslöst. Und darum müssen wir, gerade als Christen, diesen Kampf auch unterstützen. Mit unseren Gebeten, die nicht ablassen dürfen, um Frieden zu bitten. Aber auch ganz konkret mit Waffen und Beistand. 

Die Gewalt, die hier entfesselt wurde, wird nur mit Gewalt beendet werden können – aber mit einer Gewalt, die letztlich das Ziel des Friedens hat, und zwar eines Friedens, der die Gewalt eindämmt. Das ist ein Dilemma. Das steht völlig außer Frage. Es fühlt sich nicht gut an. Sehr groß ist die Gefahr, dass sich aus dieser, sozusagen gut gemeinten Gewalt am Ende verselbstständigt und doch wieder selbst zu dem wird, was sie gerade verhindern will. Deswegen dürfen die Gespräche nicht abreißen. Deswegen muss versucht werden, selbst diese Gegenwalt in den Griff zu bekommen. 

So schwierig der Gedanke auch ist: Selbst in diesem Krieg muss die Feindesliebe zu Wort kommen und eine Chance bekommen. Das ist unsere große Aufgabe als Christen in diesem Krieg: Dafür das Bewusstsein wach zu halten und das Gespür dafür nicht zu verlieren, wie gefährlich die Gewalt ist, dass sie nur ein äußerstes Mittel sein kann. Das ist nicht leicht zu ertragen. Es ist eigentlich nur ertragen, wenn wir die Hoffnung auf die Kraft der Liebe nicht verlieren, der Liebe, die Herrschaft nicht als Gewalt, sondern als Hingabe versteht. 

Diese Kraft können wir gewinnen, wenn wir auf das Kreuz Jesu schauen und daran immer wieder aufs Neue lernen: Gewalt darf niemals das letzte Wort sein, Gewalt darf niemals ein Mittel der Politik sein, sie ist das, was wir beenden müssen, um Gottes und der Menschen willen. Gott gebe uns die Kraft, das wachzuhalten und uns von der Gewalt, die hier ausgebrochen ist, nicht mitreißen zu lassen. Es steht zu viel, es steht alles auf dem Spiel. Gewalt soll um Gottes Willen nicht sein. Davon dürfen wir nicht lassen, selbst wenn wir, weil es uns aufgezwungen wurde, Gewalt anwenden müssen. 

Kyrie elesion, Herr erbarme dich, gib uns die Kraft der Liebe, die die Gewalt eindämmt. Lass uns der Versuchung der beiden Jünger widerstehen, herrschen zu wollen. Gib uns die Kraft, mit Liebe zu regieren. Amen.


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