Montag, 31. Oktober 2022

Gottesdienst am 31. Oktober 2022 Psalm 46

 Gottesdienst am 31. Oktober 2022 Psalm 46


 

Liebe Gemeinde, 

„Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“ – das Lied Martin Luthers war über Jahrhunderte so etwas wie die Hymne der evangelischen Kirche, und zumindest die Älteren unter uns werden es wohl noch auswendig können. Luther nahm in diesem Lied den Psalm 46 auf, der auch ein Lied voller Zuversicht und Hoffnung ist, auch mit ein bisschen Trotz. 

Eine tiefe Sehnsucht drückt sich hier aus, aber auch eine große Hoffnung und eine Zuversicht: dass wir, wir Menschenkinder, wir Geschöpfe, in all dem Schlamassel, der uns umgibt, geborgen und gehalten sind, geschützt und bewahrt. Der Psalm möchte uns anstecken damit, möchte, dass wir unsere verzagten Blicke erheben und uns umschauen in der Schöpfung, er möchte, dass wir die Angst bei Seite legen und anstatt Worte der Verzagtheit und der Resignation andere Worte sprechen, dass wir an Stelle der alten Leier von Tod und Vergänglichkeit, von Müdigkeit und Schwere ein Lied des Lebens und der Leichtigkeit singen, ein neues Lied. 

Schauen wir uns den Psalm genauer an, es lohnt, sich, und machen wir es, zur Feier des Tages, mal ganz altmodisch, sowie wie über Jahrhunderte hinweg gepredigt wurde und wie Luther es gerne machte: Vers für Vers, in der Hoffnung, die Gefühle und die Stimmung freizulegen, die darin stecken, in der Hoffnung, dass wir angesteckt werden, infiziert von Zuversicht, um mal einen in diesen Zeiten sehr gewagten Vergleich zu verwenden. So ein Lied voller Kraft und Zuversicht kann tatsächlich so etwas wie eine Impfung sein, kann uns neue, schöne Wörter und Bilder ins Herz geben, als Antikörper gegen all jene Worte, die uns traurig, müde, wütend und verzagt machen. 

 

„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben“: 

Was für ein Anfang! Ein Trompetenstoß, der das auf den Begriff bringt, was Glauben meint: Ein lautes „trotzdem“ oder „dennoch“. Der Psalm sagt eben nicht: „Alles halb so schlimm“. „Stellt Euch nicht so an“. Sondern er sagt, was Sache ist: Große Nöte haben uns betroffen, die geradezu nach Weltuntergang aussehen. Aber gerade deswegen brauchen wir ja die Hoffnung. Wäre alles halb so schlimm, könnte man ja auch sagen: Warts ab, geh in Deckung, es wird schon. Aber nein: Es bleibt dabei. Es riecht nach Weltuntergang. Deswegen braucht es trotzige Hoffnung: 

Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütet und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. 

Vulkane, Erdbeben, Tsunami: Die Natur wird hier als Feindin des Lebens beschrieben, ohne Verharmlosung. Das haben wir erlebt: Ein Virus legt uns lahm, macht Menschen nachhaltig krank, tötet, bringt Wirtschaft und Kultur zu erliegen, zerstört Beziehungen; eine Flutwelle zerstört an der Ahr eine ganze Landschaft. So ist es. Nichts wird beschönigt: Das ist hart, und das ist der Fall. Wer wollte es bestreiten. Hier waltet große Nüchternheit. Aber: 

Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist in ihr drinnen, darum wird sie festbleiben, Gott hilft ihr früh am Morgen. 

Die Natur ist eben nicht nur Feindin. Sie ist auch der Ort, in der Gott wohnt. Sie ist nicht von Gott verlassen. Die Lebensfeindin ist auch Lebensspenderin: In der Stadt, in der Gott wohnt, gibt es einen Brunnen, eine Quelle, einen Ort der lebensnotwendigen Versorgung. Ein Zeichen dafür, dass wir nicht von Gott verlassen sind, sondern geborgen an dem Wort, an dem er wohnt, eine sichere Stadt.

Nicht von ungefähr wird hier eine Stadt genannt: in der kargen und wüstenhaften Landschaft, in der dieser Psalm entstand, waren Städte oft auf Bergen gebaut, um sie vor Feinden und Tieren zu schützen. Und darum sind auch unsere Kirchen, jedenfalls die älteren, oft wie Burgen gebaut, in denen wir Schutz finden und trinken können von der Quelle des Wortes Gottes: „Kommt her zu mir alle, die mühselig und beladen seid, ruft Jesus Christus, ich will euch erfrischen“, erfrischen mit dem Wasser des Lebens, das wir umsonst kriegen. Und dieses „umsonst“, im Sinne von kostenlos, ohne Preis, ohne Gegenleistung, das war es, was Luther wiederentdeckte und was ihn auf den Weg brachte: Allein der Glaube, allein das Vertrauen auf sein Wort, bringt uns zu Gott und Gott zu uns. 

Und so sind auch die steinernen Kirchen nur Zeichen und Symbole dafür, dass Gott mitten unter uns ist, wo immer sich zwei oder drei Miteinander in seinem Namen versammeln: Geborgen sind wir in der Gemeinde derer, die auf Gott vertrauen. 

Doch auch Menschen können übel sein, ja sogar Bestien werden. Davon singt die nächste Strophe: Vom Krieg und von der Macht, von unseren vergeblichen Versuchen, mit Königreichen und mit Gewalt Ruhe und Ordnung zu schaffen. Doch Gewalt schafft immer nur neue Gewalt: jemand muss sie beenden. 

Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen,
das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Kommt her und schauet die Werke des Herrn,
der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet,
der den Kriegen steuert in aller Welt,
der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt.

Ja, hier wird Gott als ein Krieger geschildert, der dem Krieg ein Ende macht. Das ist ein Bild, das uns nach den vernichtenden Kriegen der letzten Jahrhunderte nicht mehr so anspricht und uns unbehaglich ist. Aber versetzen wir uns für einen Moment in die Antike oder das Mittelalter und sehen wir einen Ritter vor uns, der so mächtig ist, dass er alle anderen Krieger, alle Machthaber und Gewaltherrscher in Ihre Schranken weist, der seinen Schild über uns deckt und uns verteidigt, wie nur er es kann: Das ist doch ein starkes Bild von der Macht Gottes, der das Zerstörerische zerstört. Es ist, aus heutiger Sicht, ein gewagtes Bild, da wir Gewalt als Mittel der Friedensstiftung nicht mehr akzeptieren können und gegenüber edlen Rittern sehr skeptisch geworden sind. 

Denn durch Christus, mit Jesus von Nazareth kommt etwas Neues dazu, ein neues Vertrauen in die Kraft des Wortes, das die kriegerischen Bilder des Psalmes überbietet. Gottes Waffe ist eben nicht das blutige Schwert, sondern sein kraftvolles Wort, mit dem er, wie bei Jesus geschehen, Tote zum Leben erweckt und der Macht des Todes ein deutliches „Nein“ entgegenschleudert. So kämpft er für uns und auch mit uns, diese Waffe tötet nicht, sie macht lebendig. Und das zeigt uns, wie anders Gott ist, als wir es sind, die wir so schnell nur in der Gewalt eine Lösung sehen. Aber das ist auch ein Erbe der Reformation, eine Wiederentdeckung Luthers: Nicht auf körperliche Gewalt sollen wir setzen, sondern auf die überwältigende Kraft der Liebe. Gott herrscht, sagte Luther einmal, nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort. Zum Beispiel mit einem der schönsten Sätze, die Jesus gesagt hat: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ (Joh 14,19). Oder mit den Worten der Bergpredigt, die wir in der Lesung gehört haben. Den wütenden Mächten der Gegenwart setzt er ein Wort aus der Zukunft entgegen: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen!“ Was für eine Zusage, was für ein Zuspruch. Die Gewalt des Krieges wird überwunden mit der Gewalt der Liebe: Letztlich kann man das wirklich nur in einem Gedicht sagen, davon kann man nur singen, und darum war die Reformation ja auch so eine Singbewegung, darum dichtete Luther Lieder, und darum war in der Zeit der Pandemie vielleicht das Schlimmste für uns als Gemeinde Gottes, dass wir nicht singen durften. 

Aber dann singen wir eben in unserem Herzen, und wir können singen, was Gott uns vorsingt: 

Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!
Ich will der Höchste sein unter den Heiden, der Höchste auf Erden.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.

„Seid stille“: das heißt nicht, dass uns der Mund verboten wird. Aber das Geschrei sollen wir einstellen, das Gerede von Katastrophe, Untergang und Zerstörung, das Geschrei der Angst und der Furcht. Stille sollen wir werden, um hören zu können, was er uns sagt, um das Lied der Liebe zu hören im Gebrüll der Vernichtung, das neue Lied, das Lied, das da singt: „Der Herr Jakobs ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“. Und wenn wir hören, wenn wir lauschen, wenn wir erst zaghaft, dann immer kräftiger und schließlich laut und vernehmlich singen, dann wächst uns auch die Kraft wieder zu, unsere Burg zu verlassen und hinauszugehen in die Welt und zu tun, was zu tun ist: Sie zu jenem besseren, jenem gutem, jenem lebenswerten Ort zu machen, als der sie einmal von Gott gedacht war und gedacht ist. 

Ein Ort des Lebens inmitten des Todes, ein Ort der Kraft inmitten der Schwäche, ein Ort der Zuversicht inmitten der Verzagtheit. Überall kann dieser Ort sein, überall, wo Menschen davon singen und sagen: „Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“. Mehr können wir nicht tun. Aber das war ja gerade die umstürzende Erkenntnis Luthers, derer wir heute gedenken: Alles fängt an mit dem Glauben, der ein Vertrauen ist in die bergende, schützende und behütende Macht Gottes. Er liegt vor allem Tun und Machen, das aus ihm erst seine Kraft zum Guten gewinnt. 

Gott schenke uns diese Gelassenheit und Zuversicht, er ziehe in unsere Herzen ein, und werde uns dort eine feste Burg, er lasse uns singen mit diesem Psalm: Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. 

Amen. 

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