Montag, 28. Februar 2022

Der Tod der Anderen. Predigt Estomihi, Mk 8, 31-38

 Mk 8, 31-38

31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, 

34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben behalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's behalten. 36 Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

 

Liebe Gemeinde,

Wenn ein römischer Feldherr in einem Kriegszug erfolgreich und siegreich war, wurde ihm ein Triumphzug zugestanden: Ein Festzug, mit ihm an der Spitze,  aus Wagen voller Kriegsbeute, aber auch, und noch viel wichtiger, aus Gefangenen, die je nach politischer Situation entweder als Geiseln gehalten wurden, als Sklaven weiterverkauft oder in einer spektakulären Strafaktion im Zirkus hingerichtet wurden. Doch hinter dem Feldherrn lief ein Sklave, der einen Lorbeerkranz über den Kopf des Feldherrn hielt und ständig rufen musste: memento mori! Bedenke, dass Du sterblich bist! Das ist ja als Redensart bis heute gebräuchlich. Die Erwartung und die Hoffnung war, dass dieser Ruf verhinderte, dass der Sieg dem Sieger zu Kopf stieg. Wie man weiß, hat das wenig gefruchtet. Viele der römischen Kaiser und Feldherrn wurden zu Tyrannen und Schreckensherrschern, ließen sich als Götter verehren und konnten oft nur durch Mord beseitigt werden, wenn es zu schlimm wurde. Man nennt das deshalb den Cäsarenwahn, der Größenwahnsinn oder den Hochmut dessen des Mächtigen. Offensichtlich lässt sich Macht, vor allem ihr Missbrauch, nicht dadurch bändigen, dass man Menschen daran erinnert, dass sie sterben müssen. Eher im Gegenteil: die Angst vor dem Tod und dem Sterben führt gerade bei machtbesessenen Menschen dazu, dass sie erst recht ihre Menschlichkeit und jegliches Maß verlieren. An den eigenen Tod erinnert zu werden, macht die wenigsten bescheiden.

Jesus geht einen anderen Weg. Davon erzählt die Geschichte heute. Jesus spricht von seinem Tod, den er kommen sieht. Er erinnert seine Jünger daran, dass er sterben wird. Das wollen die auch nicht hören, wir haben ja gehört, wie Petrus darauf reagiert: Er wehrt den Gedanken ab. Und muss sich von Jesus einen strengen Verweis einfangen: Du denkst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist. Menschlich ist es, die Sterblichkeit und die Verletzlichkeit zu vergessen. Doch das, was Jesus sagt, unterscheidet sich von dem, was der römische Sklave ruft. Indem Jesus auf seinen Tod aufmerksam macht, spricht er von der Verletzlichkeit und der Sterblichkeit der anderen Menschen, er dreht die Sichtweise herum. Was Petrus und die Jünger so aufbringt und aufwühlt, ist der Gedanke, Jesus zu verlieren. Jesus zieht den Blick auf die Verletzlichkeit und die Verwundbarkeit der Anderen. Dafür geht er an das Kreuz. Dafür ist das Kreuz ein Symbol. Wenn wir in unser Tradition mit den alten Formeln sagen: „Er ist für uns gestorben“, dann ist damit gemeint: Er zeigt uns das Sterben der Anderen als Folge unseres Handelns. Denn er stirbt, weil eine bestimmte Gruppe von Herrschenden und Mächtigen seinen Ruf zur Liebe und seine Botschaft vom gnädigen Gott nicht hören wollen, weil er ihre Macht in Frage stellt und sie darauf mit Gewalt antworten – mit einer Gewalt, die einen anderen, einen Unschuldigen sogar in diesem Falle, treffen wird. Das Kreuz steht nicht nur für unseren Tod. Es steht für den Tod der anderen. Dieser Blick auf den Anderen als den, der in Not und Gefahr geraten kann auch durch das, was wir tun, das ist der christliche Blick auf den Menschen. An anderer Stelle sagt Jesus das dann ins Positive gewendet: ich lebe und ihr sollt auch leben! (Joh 14, 19). Es geht nicht nur darum, das Leiden und den Schmerz der anderen zu lindern oder wenn möglich zu verhindern, es geht darum, auch den anderen Menschen zu einem guten Leben, zu einem Leben ohne unnötige Angst, zu einem Leben in Frieden und Sicherheit zu führen. Dafür ist uns die Macht gegeben. Das geht darum sehr viel tiefer als der bloße Ruf: „Bedenke, dass du sterben musst“. Der christliche Ruf lautet: Bedenke, dass die Anderen sterben müssen! Bedenke, dass Menschen verletzlich sind!

Darum ist der Krieg für uns keine Möglichkeit, Politik zu gestalten und Politik zu machen. Die Aufgabe von Politik ist, angesichts der Sterblichkeit und der Verletzlichkeit der Anderen dafür zu sorgen, dass das Leben trotzdem gelingen kann, dass wir auch unter den Bedingen von Sterblichkeit und Verwundbarkeit, soweit es irgend möglich ist, Angst bekämpfen, Gerechtigkeit ermöglichen und Frieden gestalten.

Der Schrecken und das Entsetzen, dass die Politik von Wladimir Putin in diesen Tagen auslöst, trifft genau diesen Nerv. Er macht eine Politik, die radikal auf seine Interessen bezogen ist, die nicht nach dem Leid und der Verletzlichkeit der Anderen fragt, sondern kalt und berechnend den Tod anderer in Kauf nimmt. Das ist der wahre Cäsarenwahn, dass ist die wahre Gefahr, die in der Macht liegt, die nicht durch Regeln und Gesetze in Schranken gehalten wird, ein Wahn, der radikal selbstbezogen und machtinteressiert ist.

Darum redet Jesus auf einmal und auf den ersten Blick sehr unvermittelt genau davon: „Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele“? Was hilft es dem Menschen, Land zu erobern, Reichtümer zu scheffeln, Macht zu erweitern, wenn er dabei seine Menschlichkeit verliert? Gemeint ist: seine Fähigkeit zum Mitgefühl, seine Fähigkeit, sich in die anderen zu versetzen, die Fähigkeit, darüber zu erschrecken, was man anderen antun kann. Wir nennen das heute mit dem griechischen Fremdwort „Empathie“, was auf Deutsch nichts andere heißt als „Mitgefühl“. Eine Politik, die nicht nach dem Leid des anderen fragt, ist nicht göttlich, richtet sich nicht am Auftrag aus, Frieden zu stiften und sanftmütig zu sein, sondern sie ist menschlich in einem negativen Sinne: Egoistisch, selbstbezogen und selbstverliebt. Darum sagt er einen Satz vorher: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's behalten“. Was Jesus meint, ist: Richte Dein Leben nicht allein nach deinen Interessen aus, sondern an den Interessen der anderen. Wer nur an sich denkt, wird sein leben verlieren, oder sagen wir besser: Seine Menschlichkeit, seine Fähigkeit zu Mitgefühl. Leben ist hier also, ganz scharf formuliert mit einem Satz von Dietrich Bonhoeffer: Dasein für Andere.

Was da gerade in der Ukraine geschieht und was wir da gerade erleben, ist genau das: Hier werden Menschenleben geopfert wegen der Machtinteressen eines einzelnen, hinter denen natürlich die Machtinteressen einer Gruppe steht, die längst den Kontakt zum Leben, zum Leben der anderen, verloren hat, und ihre Macht nur dazu nutzt, ihre eigene Macht zu stärken. Davor erschrecken wir, und wir erschrecken davor vor allem auch deswegen, weil wir in den letzten 70 Jahren, nach den menschlichen Verwüstungen, die der zweite Weltkrieg und der mörderische Holocaust am jüdischen Volk in Europa ausgelöst hat, doch etwas gelernt haben. Wir hatten, zumindest in Europa, den Eindruck, dass wir da weiter gekommen sind, dass wir gelernt haben, dass nur eine Politik, die sich an den Bedürfnisse der Anderen ausrichtet, wirklich eine erfolgreiche Politik ist, eine Politik, die mit der Verletzlichkeit und Verwundbarkeit der anderen Menschen rechnet und dem auch Rechnung trägt.

Das wird nun radikal in Frage gestellt, und wir müssen uns dieser Frage stellen, weil ja die Frage im Raum steht, wie wir darauf antworten können und sollen. Die Antwort kann auch christlicher Sicht, angesichts des Kreuzes Jesu nur lauten: Auf keinen Fall mit Gewalt, auf keinen Fall mit einer Antwort, die nicht nach den Leben derer fragt, die betroffen sind. Als Christen sollten wir dafür beten, dass wir andere und bessere Wege finden, als Gewalt, selbst wenn es uns Opfer kosten wird, selbst wenn die wirtschaftlichen Maßnahmen – und welche anderen sollten es sein? – unseren Lebensstandard senken werden. Lassen wir uns auf das böse Spiel der Gewalt ein, werden wir unsere Seele verlieren, wird viel von dem, was wir uns erarbeitet haben, verloren gehen: Eine Politik, die mit der Verletzlichkeit und der Verwundbarkeit der anderen rechnet, die Leben bewahret um jeden Preis. Es hat also wenig Sinn, jetzt Wladimir Putin zu verteufeln und zum Unmenschen zu erklären. Mag sein, dass der dem Cäsarenwahn verfallen ist und alle Menschlichkeit verloren hat. Mag sein, dass sein Interesse an der Macht so groß geworden ist, dass er vergessen hat, dass uns Macht vor allem gegeben ist, damit Gutes zu tun. Das führt uns aber nicht weiter, so zu denken, ist schon ein Schritt in den Abgrund, weil es mit gleicher Münze heimzahlt. Die christliche Sicht der Dinge ist: Jetzt auf jeden Fall dafür zu sorgen, dass die Gewalt eingedämmt wird und wir nicht auf Gewalt mit Gegengewalt antworten, dass wir das Leiden der Menschen nicht aus den Augen verlieren, sondern immer das Bewusstsein dafür bewahren, wie verletzlich, verwundbar und wie kostbar das Leben der Anderen ist. Daran richtet sich eine christliche Politik aus. Gott gebe uns die Kraft und die Stärke, in diesem Sinne das zu denken, was göttlich ist: Das wir leben wollen uns sollen – und die anderen auch. „Denn was würde es dem Menschen helfen, wenn die ganze Welt gewönne, und doch seine Seele verliert?“ Die Antwort ist völlig klar: Nichts. Gott hat es nicht beim Kreuz als letzte Antwort belassen. Er hat den Schmerz überwunden und uns ein neues, ein anderes und besseres Leben eröffnet: Eines in Hoffnung. In Hoffnung darauf, dass der Schmerz der Anderen den wir sehen, uns dazu bringt, den Frieden zu suchen, um jeden Preis – außer dem des Todes. Memento mori – ganz gewiss. Aber viel mehr noch: Bedenke, dass auch die anderen verletzlich sind.

 

Amen.

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