Der Hauptmann von Kapernaum
5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein
Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause
und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen
und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin
nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird
mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und
habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und
zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut
er's.
10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach
zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe
ich in Israel bei keinem gefunden! Aber
ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und
Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen;
12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen
in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir
geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben
Stunde.
Liebe Gemeinde:
Die Botschaft ist völlig klar. Die Gute Nachricht,
die Frohe Botschaft, das Evangelium, der Glaube, das Wort Gottes, die
christliche Religion – nennt es, wie ihr wollt, kennt keine Grenzen, keine
Nationen, keine Völker, keine Stämme, keine Rassen, kein Geschlecht und keinen
Stand.
Ja, mehr noch, sie kennt auch keinen Verdienst und
keine Würdigkeit, keine Privilegien und keine Barrieren, keine Hierarchien und
keine Ordnungen. Es kommt nur auf Vertrauen an.
Genau davon erzählt die so harmlos daherkommende
Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum. Jesus heilt den Knecht eines römischen
Hauptmanns auf dessen Bitte hin. Wir schauen uns das gleich noch genauer an.
Aber es ist völlig deutlich: was Jesus hier macht,
ist nichts anderes als Feindesliebe. Denn ein römischer Hauptmann: Das war der
Feind schlechthin, der Besatzer, ein Symbol der Unfreiheit des jüdischen
Volkes, ein Agent der verhassten Großmacht im Westen. Was Jesus hier tut, ist
eine Provokation ersten Ranges. Er stellt sich damit gegen so gut wie alles,
was die meisten Menschen empfanden. Ein Römer war ja nicht nur ein Besatzer. Er
war ja vermutlich sogar ein Heide, also einer, der gar nicht an den Gott Israels
glaubte. Obwohl man das so genau nicht wissen kann, es gab schon auch römische
Soldaten und Offiziere, die sich dem Judentum zuwandten. Aber sagen wir mal so:
so „ganz richtige“ Juden waren sie nach damaligem Denken damit nicht. Na, und
so weiter. Ich denke, es ist ziemlich klar: Jesus überschreitet hier eine
deutliche Grenze, eine Grenze, die uns nur zu vertraut ist.
Am Ende steht die schlichte Botschaft: Gottes Gnade
und Barmherzigkeit ist für alle da. Und zwar, das ist dann die nächste Spitze,
auch ohne Vorbedingungen. Dafür müssen wir uns die Geschichte jetzt genauer
ansehen.
Jesus betritt die Stadt Kapernaum, in der er für
eine Weile gelebt hat, im Norden Israels, am See Genezareth. Er ist schon eine
Weile unterwegs, es hat sich schon herumgesprochen, wer er ist, oder besser
gesagt: Was die Menschen denken, wer er sei. Ein besonders begabter Prophet und
Gottesmann, der auf eine ganze neue und ziemlich radikale Weise von Gott
spricht, der sich mit der religiösen und politischen Obrigkeit, vor allem aber
mit den traditionellen Gelehrten, angelegt hat und der, besonders wichtig,
heilende Kräfte hat.
In dem Moment also, wo er die Stadt betritt, kommt
ihm ein römischer Hauptmann entgegen und spricht ihn an. Das ist nach den
damaligen religiösen Regeln, jedenfalls in ihrer strengen Auslegung, eine
schwierige Situation für Jesus: Eigentlich sollte er den Kontakt mit einem
solchen Menschen eher vermeiden.
Aber der spricht ihn sofort an, und er sagt zu ihm
„Herr“! Das ist eine starke Anrede, die schon zeigt, dass dieser Hauptmann mit
einer sehr ungewöhnlichen Bitte zu Jesus kommt. Ein römischer Hauptmann, der
einen jüdischen Rabbi mit „Herr“ anredet. Man kann sich vorstellen, wie die
umstehende Menge und seine Jünger verwundert waren, wenn nicht sogar ein wenig
erschrocken. Der Hauptmann redet also sofort los: Mein Knecht ist krank und
leidet sehr! Und ohne Zögern, ohne Rückfragen antwortet Jesus.
Auch das ganz ungewöhnlich. Jesus will gar nicht
wissen, mit wem es hier zu tun hat. Er sieht es: ein Mensch in Not steht vor
ihm, und zwar ein Mensch, der in Not ist, weil ein anderer Mensch in Not ist.
Der Hauptmann will gar nicht für sich, jedenfalls nicht direkt, sondern für
seinen Diener, wie man das Wort „Knecht“ heute besser übersetzen sollte. Unter
Umständen war es sogar ein Sklave, was die Situation noch heikler macht Seit
wann kümmert sich ein Sklavenhalter um das Wohlergehen seines Sklaven?
Wie auch immer: keine Rückfragen. Jesus antwortet:
„Ich will kommen und ihn gesund machen“. Man sieht förmlich, wie die umstehende
Menge sich fragt: Wie, einfach so? Und er will auch noch hingehen, er will in
das Haus eines Menschen gehen, der erstens ein Fremder, zweitens ein Nicht-Jude
und drittens ein Römer ist? Das ist stark - bisher war Jesus zwar auch in Häuser
gegangen, die in zumindest ein streng religiöser frommer Jude nicht geht. In
das Haus von Matthäus zum Beispiel, der ein Zolleinnehmer für die Römer war,
aber immerhin einer, der bereute, was er getan hat. Jesus war auch in das Haus
eines Phärisäers gegangen, einer von den jüdischen Gelehrten, die Jesus sehr
kritisch gegenüberstanden. Das kannte man also schon.
Aber das hier ist noch einmal ein Schritt darüber
hinaus. Und das spürt auch der Hauptmann – er wehrt diesen Gedanken ab. Aber
mit was für einem seltsamen Argument:
„Herr“, sagt er, also wieder: „Herr“! – so redet ein
Sklave seinen Besitzer an oder ein niedrigstehender einen Höherstehenden, also
wieder. „Herr“.
„Herr, ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach
gehst, aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“. Der Hauptmann
stellt sich unter Jesus und geht davon aus, dass Jesus das auch aus der Ferne
erledigen kann. Der Hauptmann glaubt an die Kraft Jesu, und daran, dass Jesus,
wie auch immer, weit über ihm steht. Deswegen erklärt er auch sofort, wie er
das sieht: „Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe
Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu
einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut
er's“.
Der Hauptmann geht davon aus, dass Jesus eine Kraft
hat, den bösen Geistern, die seinen Diener krank gemacht haben, auch aus der
Ferne Befehle zu geben und dass die das dann tun, wie seine Soldaten Befehle
erfüllen.
Nun ist uns dieser Gedanke heute etwas fremd, weil
wir ja wissen, dass nicht böse Geister am Werk sind, aber das spielt hier
letztlich keine Rolle. Was sich hier zeigt, ist das ungeheure Zutrauen des
Hauptmannes in Jesus.
Und das verblüfft jetzt sogar Jesus. Er wendet sich
an die Umstehenden und sagt: „Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich
in Israel bei keinem gefunden!“
Das ist ein sehr harter Satz!
Den muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Jesus behauptet hier nichts anderes, als dass dieser Hauptmann mehr oder
weniger der erste ist, der wirklich an ihn glaubt, mehr alle alle jüdischen
Menschen, mit denen Jesus bisher zu tun hat. Ein ziemlich grenzwertiger Satz,
man kann ja leicht hier wieder den uns sehr vertrauten Judenhass am Werk sehen.
Aber das war Jesus natürlich sehr fremd. Ihm geht es hier um etwas anderes –
und um das noch verstärken, schiebt er etwas für unser Ohren recht Rätselhaftes
nach: „Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit
Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des
Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und
Zähneklappern“. Was er meint: Am Ende der Zeit werden Menschen aus allen
Völkern kommen und bei Gott mit am Tisch sitzen, aber die, die sich selbst für
die wahren Frommen halten, werden ausgestoßen werden – weil sie auf ihre
Herkunft vertraut haben, auf ihren Stand, auf ihre Frömmigkeit und ihre
Tradition, auf ihre Religion und ihre Frömmigkeit. Eine sehr heftige
Zuspitzung, die leicht falsch verstanden werden kann. Es kommt Jesus hier auf
den Kontrast an:
Aber das, was wir Menschen so für wichtig halten,
wird nicht zählen. Worauf es ankommt, ist Vertrauen, Vertrauen auf Gott. Und
zwar ein Vertrauen, dass wirklich nur auf die Kraft Gottes zum Guten, auf seine
Barmherzigkeit und Liebe vertraut, und eben nicht auf Stand, Herkunft und
Privilegien. Und dann: „Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir
geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben
Stunde.“
Das Wunder geschieht, und es wird gar nicht
berichtet wie genau, weil das auch gar nicht wichtig ist. Gemeint ist: Das
Gebet dieses Mannes wird erhört, weil es voller Vertrauen gesprochen wurde.
Letztlich kann man das ganz einfach sagen: Es ist
der Glaube dieses Mannes, dieses geradezu kindliche Vertrauen, auf das es
ankommt und der Berge versetzen kann. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“,
sagt Jesus an anderer Stelle, „werdet ihr das Reich Gottes nicht erlangen“.
Was Gott von uns will, ist einfach nur Vertrauen.
Alles andere, alle sonstigen Regeln und Bestimmung, alles was uns Menschen
sonst so wichtig und bedeutsam ist, alles, nach dem wir Menschen sonst so
einteilen und beurteilen, spielt hier überhaupt keine Rolle. Hier ist ein
Mensch in Not, in seiner Not wendet er sich an Jesus, voller Vertrauen, und so
wird ihm geholfen. Einfach, weil er ein Mensch in Not ist.
Das ist es, worum es im Glauben geht. Vertrauen über
alle Grenzen hinweg. Man kann es noch einfacher sagen: Gottes Liebe ist für
alle da, die sie brauchen. Und wer braucht sie nicht? Es gibt da keine
Schranken.
So einfach ist das. Und es bleibt für uns eine
Herausforderung, denn wir wissen, dass es unter uns nicht so läuft. Darum ist der
Glaube immer auch eine Anfrage an uns: Worauf vertraust Du?
Amen.
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