1.
Korinther 2, 1-0
Auch ich, meine
Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder
hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. Denn ich hielt es
für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den
Gekreuzigten.
Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem
Zittern; und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden
Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, auf
dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes
Kraft.
Von Weisheit reden wir aber unter den
Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der
Herrscher dieser Welt, die vergehen. Sondern wir reden von der Weisheit
Gottes, die im
Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer
Herrlichkeit, die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn
wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht
gekreuzigt. Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jes 64,3):
»Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz
gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.«
Uns aber hat es Gott offenbart
durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.
Liebe
Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn.
Es
gibt nichts daran zu deuteln: Der Glaube widerspricht dem gesunden
Menschenverstand. Denn der gesunde Menschenverstand neigt dazu, nur das für
wahr und sicher zu halten, was er sehen kann und was er selbst erfahren hat. „Ich
glaube nur, was ich sehe“, sagen wir dann.
Doch
denkt man darüber einen Moment nach, dann kommt man schnell darauf, dass wohl
doch eine zu einfache Sicht der Dinge ist. Der sogenannte gesunde
Menschenverstand macht es sich da zu einfach. So gesund, wie er meint, ist er
nämlich gar nicht: er lieg of sehr daneben.
Denn
unsere Erfahrungen und unser Augenschein können uns sehr täuschen. Weil viele
von dem, was wahr ist, unsichtbar ist.
Nehmen
wir ein ganz aktuelles Beispiel: Dass Krankheiten von Viren und Bakterien
übertragen werden, wissen wir zwar inzwischen. Aber woher wissen wir das?
Die
wenigsten von uns werden je ein Bakterium oder einen Virus mit eigenen Augen
gesehen haben. Man braucht dafür ein Instrument: ein Mikroskop. Wir wissen
daher von Bakterien und Viren nur aus zweiter Hand. Wir vertrauen auf die
Ergebnisse der Wissenschaft.
Und
die Wissenschaft enthüllt Dinge, die wir eben nicht mit bloßem Auge sehen,
sondern die sich uns nur mit komplizierten Experimenten und jahrelanger
Forschung erschließen, und oft ist das, was dabei herauskommt, völlig gegen
unser Empfinden.
So
hat es auch fast drei Jahrhunderte gedauert, bis alle Menschen akzeptiert
haben, dass Krankheiten durch Ansteckung übertragen werden, und das hinter der
Ansteckung Bakterien und Viren stecken. Bis noch vor gut 150 Jahren dachte man,
Krankheiten übertragen sich durch Gerüche, wenn man nicht sogar annahm, dass am
Ende böse Geister und Dämonen oder gar Gott dahinterstecken.
Und
oft ist das, was die Wissenschaft herausbekommt, so gegen unser Empfinden, dass
es uns schwerfällt, das zu glauben. Von gut 150 Jahren verstand ein Arzt diesen
Zusammenhang, Ignaz Semmelweis.
Der
war Geburtshelfer und stellte sich die Frage, warum so viele Frauen am
Kindbettfieber starben. Und er fand heraus, durch jahrelange Beobachtung und
Versuche, dass die Frauen nicht so schnell krank werden, wenn sich die Ärzte
und Hebammen die Hände waschen.
Er
führte also in seinem Krankenhaus das Händewaschen ein. Und obwohl in seinem Krankenhaus
die Sterblichkeit rapide abnahm, wurde er für seine Entdeckung verspottet und
verlacht – Händeaschen galt damals als eher schädlich. Es kostete ihn seine
Karriere und seinen guten Ruf.
Erst
50 Jahre später wurden seine Ergebnisse von der Wissenschaft bestätigt und das,
wir heute Hygiene nennen, allgemein eingeführt. Aber immer noch gegen starke
Widerstände: zu sehr wiedersprach das, was er da herausgefunden hatte, dem
gesunden Menschenverstand. Heute ist Ignaz Semmelweis einer der großen Helden
der Medizin.
Das
ist nur ein ziemlich einfaches Beispiel dafür, wie unser alltägliches Wissen,
wie unser gesunder Menschenverstand, schief liegen kann, weil er eben nur
sieht, was vor Augen liegt.
Die
Sonne, so sagt unser Augenschein, geht im Ostern auf und im Westen unter, denn
das ist das, was wir sehen. Wir wissen aber inzwischen – auch nach
Jahrhunderten erbitterter Kämpfe um diese Wahrheit – dass das falsch ist. Die
Erde dreht sich, und die Erde rast um die Sonne, deswegen wandert sie über den
Horizont. Unser natürliches Empfinden liegt hier völlig falsch.
Wir
sind bei vielem, was wir wissen können, tatsächlich darauf angewiesen, dass wir
Menschen glauben. Glauben im Sinne von Vertrauen. Wir müssen den
Wissenschaftlern vertrauen, wenn sie uns ihre Ergebnisse mitteilen. Was wir mit
der Pandemie gerade erleben, der Streit um das Impfen, hat ja viel damit zu
tun, dass wir der Wissenschaft glauben – oder eben nicht. Ein Großteil der
sogenannten Impfskeptiker und Impfverweigerer bringen hier kein Vertrauen auf,
obwohl die Statistiken eindeutig sind. Impfen hilft uns in der Pandemie, weil
es schwere und tödliche Erkrankungen verhindert, weil die die Ansteckungsrate
senkt und die Risiken einer Impfung minimal sind gegenüber den Risiken einer
Erkrankung. Aber da wir das im alltäglichen Leben nicht unbedingt mitkriegen,
bleibt uns nur Vertrauen auf die Arbeit der Wissenschaftler, der bloße
Augenschein hilft da nicht.
Das
gilt auf allen Lebensgebieten. Das gilt zum Beispiel ja auch für die Liebe. Die
kann man schließlich auch nicht sehen. Dass ein Mensch mich liebt, kann ich nur
an Zeichen erkennen, und ich muss letztlich darauf vertrauen, dass das stimmt,
was er sagt und dass die Liebe, die er mir zeigt, nicht geheuchelt ist, sondern
echt und verlässlich. Wer kein Vertrauen aufbringt, keinen Glauben an den
anderen Menschen, wird auch keine Liebe erfahren können. Die Liebe ist
unsichtbar. Wir müssen darauf vertrauen, dass die Zeichen, die wir sehen, ein
Zeichen dafür sind, dass wir wirklich geliebt werden.
Und
da sind wir schon beim Glauben auch im religiösen Sinne. Denn Glauben heißt ja
auch Vertrauen. Denn niemand hat Gott je gesehen. Gott ist unsichtbar. Glaube
ist also ein Vertrauen auf etwas Unsichtbares, von dem wir nur Zeichen haben.
Wir haben Zeichen von Gott, dass er uns vertraut und uns liebt, und dass wir
ihm auch vertrauen und ihn lieben können.
Das
Zeichen für Gott, das für uns Christen bestimmend ist, ist Jesus Christus. Das
ist, was Paulus erlebt und erfahren hat, und diese Erfahrung gibt er an seine
Gemeinden und damit an uns weiter – und vieles von dem, was wir von Jesus
erzählen widerspricht auch dem gesunden Menschenverstand.
Denn
die Geschichte, die wir von Jesus erzählen, erzählt so ganz anders von Gott,
als wir uns Gott normalerweise so vorstellen. Wir erzählen die Geschichte eines
Menschen, der die Liebe Gottes verkündigte, die den Menschen, uns, ohne wenn
und aber, ohne Gegenleistungen und ohne Erwartungen an uns, liebt.
Das
ist der Kern des Evangeliums. Gott liebt uns, weil wir seine Geschöpfe sind,
aus keinem anderen Grund. Und er geht in seiner Liebe so weit, dass er Mensch
wird und für seine Liebe sogar bereit ist, zu sterben. Gott geht in den Tod. Dafür
steht das Kreuz. Dort erkennen wir Gott als einen Gott, der um der Liebe willen
leidet, damit wir von der Angst vor Gott erlöst werden.
Mit dieser Botschaft eckte Paulus sehr an, wie
ja auch schon Jesus damit aneckte. So von Gott zu reden, widerspricht dem
gesunden Menschenverstand – schließlich haben sie ihn dafür umgebracht.
Ist Gott nicht allmächtig, allwissend und
unsterblich? Paulus sagt: ja, das ist er. Aber benutzt seine Allmacht nicht
gegen uns, sondern für uns. Er nimmt uns nicht alles ab, sondern er geht mit
uns unseren Weg. Er lässt uns unsere Freiheit, und zu der gehört auch das
Leiden und der Schmerz.
Und darum, sagt Paulus, ist für in das Bild von
einem Gott am Kreuz so überzeugend und so stark. Es widerspricht der Weisheit
dieser Welt, die sich einen fernen und bedrohlich allmächtigen Gott ausdenkt,
der nichts anders ist als eine Karikatur unsere Angst.
Er widerspricht allen Versuchen, mit dieser
Macht Gottes auch menschliche Macht zu begründen. Er widerspricht allen
Versuchen, Gott zu beweisen, und stellt dann diese Stelle das Vertrauen, dass
wir in Jesus erfahren, wer Gott in Wahrheit ist: Nach menschlichem Ermessen, nach
der Logik des gesunden Menschenverstandes ist Jesus gescheitert, Aber genau
darin zeigt sich Gott: verletzlich, solidarisch und mitleidend, dem Menschen
nicht fern, sondern nah.
So haben es Christen über die Jahrhunderte
immer wieder erlebt und sich damit gegen all die ausgedachten Götter dieser
Welt gestellt, auch wenn sie dafür, wie Jesus und Paulus, ausgelacht und
verspottet, ja sogar verfolgt und gequält worden sind.
Für Paulus ist das fast schon ein Zeichen
dafür, dass die Botschaft wahr ist: der Glaube widerspricht dem gesunden
Menschenverstand, weil der nur das kennt, was er sieht oder zu sehen meint. Der
Glaube aber, als ein Vertrauen auf das, was man nicht sieht, schaut tiefer. Er
sieht da Geheimnis in der Welt, das Gott ist und vertraut, ist, im Kreuz, das
dem gesunden Menschenverstand, oder wie Paulus es nennt: der Weisheit dieser
Welt, geradezu widerspricht.
Deswegen schreibt er:
Sondern wir
reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott
vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, die keiner von den
Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten
sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Sondern wir reden, wie
geschrieben steht (Jes 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört
hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die
ihn lieben.«
Glauben,
liebe Gemeinde, heißt Vertrauen darauf, dass Gott sich im Kreuz gezeigt hat.
Gegen allen Augenschein, der hier nur einen leidenden Menschen sieht, sieht der
Glaube hier einen leidenden Gott, der durch unser Leiden hindurchgegangen ist,
um uns die Tür zum ewigen Leben zu öffnen. Glauben heißt Vertrauen, über den
sogenannten gesunden Menschenverstand hinaus, der so oft völlig falsch liegt.
Schaut
so auf die Welt, und überprüft, ob diese Art und Gott zu reden und diese Art,
sich ihm zu nähern nicht doch überzeugender, tröstlicher, kräftiger und letztlich
klüger ist, als alles, was wir uns über Gott so ausdenken.
Und
wenn wir spüren, dass uns das in Unruhe versetzt, dann ist das ein gutes
Zeichen: dann kommt die Wahrheit des Glaubens bei Euch an, die Wahrheit, die
nicht vor Augen liegt, sondern auf die Vertrauen müssen auf das Zeugnis der Vielen
hin, die damit bessere Erfahrungen gemacht haben, weil es ihnen halt, ihr altes
Denken, das auf Angst und Furcht beruhte abzulegen, und ein neues Denken zu
lernen, das auf Liebe und Vertrauen beruht und auf das Zeichen der Liebe Gottes
schaut, das er für uns aufgerichtet hat: das Kreuz. Erkennen wir uns selbst nicht
im Kreuz sehr viel klarer wieder, als in allen Phantasien von einem allmächtigen
Gott, der fern von uns teilnahmslos im Himmel thront?
Wir reden, sagt Paulus, darum davon: »Was kein Auge gesehen hat und
kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet
hat denen, die ihn lieben.« Auf das unser Menschenverstand erleuchtet werde und
über das hinausblickt, was vor Augen liegt. Da sind sich Glaube und
Wissenschaft unglaublich ähnlich, nämlich: vernünftig.
Amen.
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