Samstag, 30. Oktober 2021

Über die Freiheit, kein Armleuchter zu sein. Predigtscribble für den Reformationstag 2021 zu Gal 5, 1-5

 




Das Reformationsfest ist das Fest der Freiheit, und wir haben klare und deutliche Worte aus der Bibel über die Freiheit gehört.

Aber was für eine Freiheit? Es ist das am meisten missbrauchte Wort der letzten Jahre, und ich bin geradezu entsetzt darüber, welches Schindluder damit getrieben wird. Lasst mich also eine Runde schimpfen. Heute also keine beschaulichen Worte über den Reformator, sondern eher Worte, wie sie der Reformator gesprochen haben könnte: voller Zorn und voller Vernunft. Bei erstem bin ich mir sicher. Das zweite könnt ihr überprüfen.  

 

Also: Über die Freiheit, kein Armleuchter zu sein.

 

Freedom Day. All warten drauf. Aber das wird kein Freedom day werden, sondern der Tag, wo die Freiheit noch mühsamer wird, als sie schon war.

 

Der wahre Freedom-Day war der 13. März 2020, als der Lockdown verkündigt wurde. Der Freedom-Day, auf den wir jetzt zugehen, wird keiner werden. Er wird uns, mit den Worten des Paulus, ein Joch auferlegen, mit dem wir uns in eine noch viel größere Unfreiheit hineinkatapultieren. Denn wovon werden wir befreit an diesem Freedom Day? Von Regeln, die uns geholfen haben, den Zustand zu erreichen, den wir jetzt haben. Ich finde den Begriff "Freedom Day", gerade als Christ, gerade auf der Grundlage der Worte des Paulus, die wir gehört haben, völlig unangemessen, ja sogar, ehrlich gesagt, ein bisschen verlogen. Das, was Christen mit Freiheit meinen, ist damit jedenfalls nicht gemeint.

 

Das ist eine steile These. Und ich will Euch erklären, warum.

 

Was ist Unfreiheit? Unfreiheit heißt: Regeln unterworfen zu sein, in seinen Handlungen eingeschränkt, in seiner Bewegung gehindert sein. Unfreiheit heißt, in Angst und Furcht zu leben, in Unsicherheit, Vertrauenslosigkeit und Verzagtheit. Die Betonung liegt auf: Regeln unterworfen sein. Wer Regeln unterworfen ist, ist ein unfreier Mensch. Er ist fremdbestimmt, lebt nicht sein Leben, sondern das Leben anderer. Wer auch immer diese Anderen sind.

 

Was ist Freiheit? Freiheit meint: Die Regeln, nach denen jemand lebt, selbst zu setzen. Freiheit meint, in Sicherheit und innerer Ruhe zu leben. Freiheit meint Selbstbestimmung.

 

 

Wie aber kann man zu dieser Freiheit gelangen? Der Philosoph Kant hat das vor über zweihundert Jahren formuliert, und er steht mit dem, was er das sagt, in der Tradition des Protestantismus und Luthers, und über Luther hinaus in der Tradition von Paulus. Frei ist ein Mensch, sagt Kant, wenn er sich an Regeln hält, weil er sie als vernünftig erkannt hat. Vernünftig sind Regeln, die das Leben so regeln, dass maximale Freiheit für jeden dabei herausspringt. Frei ist ein Mensch, der sich auch innerer Freiheit an die Regeln hält.

Das klingt auf den ersten Blick ziemlich ausgedacht und auch ein bisschen schräg. Heißt Freiheit nicht, tun und lassen, können, was man will? Heißt Freiheit nicht, von allen Zumutungen anderer Menschen oder gar Gottes völlig frei zu sein? Für egoistische Armleuchter schon. Für  vernunftbegabte Wesen nicht.  

 

Aber schauen wir uns mal Regeln an und üben wir ein wenig, echte Freiheit von falscher Freiheit zu unterscheiden.

 

Wer sich an die Verkehrsregeln hält, weil er weiß, dass er bestraft wird, wenn er sie übertritt: ist das ein freier Mensch? Oder ist der ein freier Mensch, der sich an die Verkehrsregeln hält, weil sie vernünftig sind, weil sie nach menschlichem Maß dafür sorgen, dass wir angstfrei am Verkehr teilnehmen können? Verkehrsregeln geben Sicherheit, dass ist ihr vernünftiger Grund. Und wer diesen vernünftigen Grund erkannt hat und sich freiwillig an die Regeln hält, der ist ein freier Mensch. Wer unbedingt meint, auf der Autobahn 200 km/h fahren zu dürfen, weil er sich ein fettes Auto leisten kann und gerne schnell fährt, ist ein unfreier Menschen: Getrieben von Gefühlen. Denn vernünftig ist das nicht. An dieser Stelle ist das Volk der Dichter und Denker gerade auf eine Weise anstrengend dumm, dass eigentlich weltweit alle den Kopf über uns schütteln. Ich habe das Gleichnis nicht ohne Grund gewählt. Die lächerliche Freiheit des Rasenkönnens ist ein großartiges Beispiel für die Freiheit der Armleuchter. Da rücke ich keinen Millimeter von ab, ich habe eine Schwester und zwei Freunde an den Autoverkehr verloren. 

 

Wer sich die Regeln des Handels hält, Verträge einhält, Rechnungen bezahlt,  Fristen einhält, Zusagen nachkommt: das ist ein freier Mensch, weil er diese Regeln als vernünftig erkannt hat, denn er möchte, dass alle Menschen auch ihn so behandeln. Wir möchten nicht betrogen, belogen und hintergangen werden. Die Regeln und Gesetze, nach denen wir Verträge schließen und Geschäfte machen, engen unserer Freiheit nicht ein, sie öffnen sie überhaupt erst. Sie geben uns Freiheit und Sicherheit.

 

Das ist der Sinn von Gesetzen. Sie wollen Freiheit eröffnen und Räume, in denen wir uns so sicher bewegen können, wie das nach menschlichem maß überhaupt möglich ist.

 

Das oberste Gebot der Freiheit lautet also: Handle immer so, dass die Art und Weise, wie du handelst, auch Gesetz für alle sein könnte.

 

Oder, wie Jesus es formulioert: handele so, wie du möchtest, dass du behandelt werden möchtest und wie du möchtest, dass alle anderen auch behandelt werden.

 

Und da sehen wir schon: Freiheit hat Grenzen. Nämlich die Grenze, an der wir anderen und uns selbst Schaden zufügen, Angst machen, wo wir das Leben anderer einengen und klein machen, wo wir Leben verhindern, anstatt es zu ermöglichen. Freiheit hat auch da Grenzen, wo das Gesetz und die Regeln nicht aus Gründen der Vernunft, sondern aus Angst und Furchtsamkeit gehalten werden. Wer mit dem Auto auf der Landstrasse 100 fährst, weil er Angst hat, geblitzt zu werden, ist eine unfreier Mensch.

Freiheit, so hat es die Historikern Hedwig Richter vor Kurzen formuliert,  ist nicht allein die Freiheit von Zumutungen, sie ist auch die Freiheit zu Zumutugen. Denn die Zumutung: das sind die anderen. Die Zumutung ist: das ich  nur frei sein kann, wenn andere frei sind.

 

 

Und darum haben alle Unrecht, die den Lockdown als einen Akt der Unfreiheit, des Einsperrens und der Beraubung von Rechten verstehen. Es war demokratischer Konsens, dass wir das miteinander tun. Weil jedem, der bei Trost war und verstanden hat, was das Wort „Pandemie“ meint, klar war: alles andere hätte verheerende Folgen.

Wir haben die Freiheiten, die wir haben, eingeschränkt, um Freiheit zu gewinnen. Das meinte ich damit, dass der 13. März 2020 der wahren freedom Day war. Und der Freedom Day, der das kommen soll, wird, wenn er zu früh kommt, erst recht in die Unfreiheit führen. Denn wenn er zu früh kommt, ist wieder jeder für jeden ein Risiko. Schöne Freiheit: wir heben die Verkehrsregeln auf. Gut für SUV-Fahrer. Schlecht für Fußgänger-

 

 

Und ich will Euch was sagen: dass wir als Kirchen durch diese Zeit ohne größer Ausbrüche, ohne schlimme Hotspot, ohne massenhaften Ansteckungen durchgekommen sind, hat viele damit zu tun, dass Christenmenschen wenigsten noch eine Ahnung davon haben, dass Freiheit nicht meint, zu tun und zu lassen, was einem in den Sinn kommt, sondern nach dem Wohl des Nächsten zu fragen und sich nicht von der Angst, sondern von der Vernunft bestimmen zu lassen.  

Die sogenannten Querdenker, und das ist der einzige Satz, den ich dazu sagen, denken genau darin völlig quer, dass die Freiheit, von der sie reden, nicht anderes ist als blanker Egoismus, als schiere Unvernunft und Selbstbezogenheit. Es ist die Freiheit der Raser auf der Autobahn, der Großmäuler auf dem Schulhof und der Vordrängler in der Kassenschlagen, es ist die Freiheit der Stammtischstrategen und Bescheidwisser. Ich bin dessen so müde, dass kann man sich gar nicht vorstellen.

Aber das ist eine letztlich kleine Groppe von Krakeelern, die durch die Medien großer gemacht worden sind, als sie sind. Es sind Scheinriesen, die kleiner werden, je näher man ihnen kommt.

Darum, meine Lieben, ist für mich der Tag des Lockdowns ein Tag der Freiheit gewesen. Und jetzt möchte ich wahrhaftig mit Paulus rufen: Zur Freiheit hat Euch Christus befreit! Lasst Euch nicht wieder unter das Joch der Knechtschaft zwingen, unter das Leben, dass sich nur an Regeln hält, weil die Angst es diktiert, anstatt in Freiheit sich Regeln zu setzen, die die Freiheit der anderen ermöglicht.  Ich sehe dem kommenden Freedom Day, so wie jetzt über ihn geredet wird, mit Sorge entgegen.

Meinetwegen solle es Freedom day heißen. Aber dann nur unter einer Voraussetzung: dass nun jeder für sich, auch ohne denZwang des Gesetztes, auch ohne Angst vor Strafe und Ausgrenzung, dass dann jede und Jede ihr Leben vernünftig lebt, immer eingedenk der Gefahr, die nach wie vor da sein wird. Immer eingedenkt der Alten und der Kinder, die noch lange nicht aus dem Schneider sind. Immer eingedenk der Kliniken und Krankenhäuser, in denen zutiefst erschöpfte Menschen arbeiten, die jetzt sogar Impfverweigerer bis zu derem Tod pflegen, und ich möchte nicht in der Haut eines Menschen stecken, der seine lebenswichtige Operation verschieben muss, weil ein Impfwahnwichtel sein Intensivbett belegt.

Wenn es einen Freedom Day geben solle, dann wir es der Tag sein, wo jeder für sich seine eigenen Freiheit Tag für Tag daran wird prüfen müssen, ob es die Freiheit anderer einschränkt. Der Freedom Day wird ein Working Day werden.

Als Christenmenschen sind wir freie Menschen. Unsere Freiheit hängt nicht an Gesetzen und Regeln. Unserer Freiheit hängt am vernünftigen Vertrauen. Glauben heißt Vertrauen, nicht ängstliches Halten von Regeln. Glauben heißt Vertrauen auf die Kraft der Liebe, die nicht das Ihre sucht, sondern das Wohl des Anderen, und dazu die Vernunft einsetzt.  

Da sind wir als Christenmenschen tatsächlich auch gefordert: sollte es einen freedom day geben, wird es der Tage sein, an dem sich die Freiheit von Christenmenschen darin bewährt, dass sie die Freiheit der andern achten, vorsichtig bleiben, rücksichtsvoll bleiben. Maske tragen, wenn sie krank sind, sich zurückziehen, wenn nicht ganz klar ist, wie es um einen steht, Rücksicht auf die, die schwächsten sind in unsere Gesllschaft. Das sind im Moment die Kinder und die Ungeimpften: Die einen weil sie nicht dürfen, sie brauchen besonderen Schutz. Die anderen, weil sie nicht wollen. Hier gilt: Liebet Eure Feinde. Da fällt mir das unglaublich schwer.

Unsere Freiheit bewährt sich darin, dass wir die Freiheit der anderen achten – gerade weil wir frei sind. .

Das ist, was Paulus seinen Galatern ins Stammbuch schreibt, wenn er ihnen zuruft: Zur Freiheit hat Euch Christus befreit. Es ist die Freiheit von der Angst, es ist die Freiheit zur Liebe.

 

Sollte der Freedom Day unter dieser Maxime stehen: dann soll er kommen. Aber ich sage Euch: Dann fängt die Arbeit erst richtig an – es wird keine Rückkehr zur Normalität geben, solange die Krankheit nicht besiegt, ausgerottet oder harmlos geworden ist.

Gott schenke uns Vernunft und Einsicht, Kraft und Charakterstärke, diese Herausforderung, diese Prüfung zu bestehen. Denn es warten noch ganz andere Herausforderungen an unsere Fähigkeit zur Freeheit auf uns, der uns noch ganz anderes abverlangen wird: Aber über den Klimawandel predige ich ein anderes Mal.

 

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Freiheit vom Egoismus, Freiheit vom Aberglauben, Freiheit von religiösen Fesseln. Freiheit zur Entscheidung für die Vernunft, Freiheit für das Ergreifen der Liebe, Freiheit, die Freiheit der anderen zu schützen. Freiheit, keine Armleuchter zu sein. Und das ist schon richtig viel.

Lasst uns dafür dankbar sein an diesem Tag, der unter der Losung der Freiheit steht, aber auch an jedem Morgen, wenn wir aufwachen und in den Tag gehen. So bewähren wir uns als Christenmenschen in der Welt zum Wohle der Welt. 





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