Donnerstag, 21. Oktober 2021

Das Schwert der Liebe. Predigt zu Mt 10, 34-39, 21.S. n. Trinitatis, 24.10.2021

 

Mt 10,34-39

34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.

 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.

38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert.

39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.


Liebe Gemeinde,

das sind harte Worte, die Jesus hier spricht, sie widersprechen auf dem ersten Blick so ziemlich allem, was wir erwarten. Ja, schlimmer noch: Sie sprechen eine große Angst an: dass der Glaube uns von den anderen Menschen entfremdet und dass er nicht Frieden bringt, sondern Gewalt und Streit.

Diese Erfahrung machen wir freilich auch. Es endet in unserer Gesellschaft Gott sei Dank nicht gleich in Mord und Totschlag, aber dass man als Christin und Christ immer wieder einmal auf Gegenwind stößt, für lächerlich, dumm oder verblendet gehalten wird, kann schon vorkommen. In anderen Winkeln der Welt werden Menschen um ihres Glaubens willen verfolgt, gejagt und sogar getötet. Die Geschichte aller Religionen zieht auch eine Blutspur hinter sich her, das steht völlig außer Frage, und für die Kritiker der Religion ist das ein starkes Argument, Glauben und Religion vollständig abzulehnen oder sogar für die Wurzel allen Übels zu halten. Und so richtig widersprechen kann man dem ja auch nicht. Und nicht nur Christen werden und wurden verfolgt, es waren auch Christen selbst, die als Verfolger und Mörder auftraten und noch auftreten. Wie damit umgehen? Es steht ja da: er bringt das Schwert, und er stellt knallhart vor die Alternative: entweder ich oder die anderen. Und der Riss geht dann durch Familien und Völker.

Wie damit umgehen?

Nun, im Grunde ist es ganz einfach: Jesus spricht hier in einem Bild. Seine Worte sind eine Gleichnisrede, wie viele seiner anderen Gleichnisse auch. Nur, dass die Gleichnisse, die wir kennen und lieben, eben von der Versöhnung sprechen, von der Liebe und von der Gnade, etwa das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Oder von der geheimnisvollen Kraft des Wortes Gottes, dass wie ein kleines Senfkorn daherkommt und am Ende ein großer Baum wird. Das sind Bilder, und Bilder müssen ausgelegt und verstanden werden. Sie wollen etwas veranschaulichen. Und so auch hier. Wenn Jesus davon redet, dass er das Schwert bringt, dann meint er: Er ruft in eine Entscheidung. Entweder ich oder die anderen. Das ist immer noch eine harte Rede. Doch bei Lichte betrachtet, ist es nicht anderes als das, was das erste Gebot auch sagt: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir“. Und Luther hat dieses Gebot so ausgelegt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“. Vertraust Du auf Güter und Erfolg? Vertraust Du auf Gewalt und autoritäres Verhalten? Vertraust Du nur Dir oder auch anderen? Worauf vertraust Du? Was tröstet dich, was gibt dir Kraft, was hält dich? Von wo aus blickst du auf die Welt: aus deinem kleinen, eingeschränkten Blickwinkel oder aus der Perspektive Gottes? Und wenn Jesus von Gott spricht, und jetzt kommen wir der Sache schon näher, dann spricht er von dem Gott, der uns gnädig ist, der sich uns in Liebe zuwendet, der uns unsere Sünden vergibt und sich mit uns versöhnt. Das Schwert also, von dem hier die Rede ist, ist ein Bild für die Liebe. Das klingt nun sehr verblüffend und auch ein bisschen schräg. Kann man das denn zusammendenken, ein Schwert und die Liebe? Es gib ein schönes Lied, das Gustav Mahler auch ganz wundervoll vertont hat,  aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“. Darin kommt eine Zeile vor, an die ich hier denken muss: „Ich habe ein glühend Messer, ein Messer in meiner Brust, O weh! O weh! Das schneid’t so tief.“ – das Messer ist seine Liebe zu einer Frau, die nicht erwidert wird. Hier leuchtet uns das Bild sofort ein. Die Liebe kann auch wehtun, vor allem, wenn sie nicht erwidert wird. Dann ist sie wirklich ein zweischneidiges Schwert, das sehr verletzen kann. Und jetzt kommen wir in die tiefste Schicht dieses Bildes: Das ist ja genau Jesu Schicksal! Er selbst erleidet auch einen ziemlich schrecklichen Tod – weil er der Bote der Liebe, ja sogar die Liebe selber ist. „Liebe ist stark wie der Tod“, heißt es im Hohelied (Hoheslied 8,6b), und wer je Liebe gefühlt hat, wird das kennen. Aber sie ist eben nicht der Tod, sie ist stark wie der Tod. Auch hier also: ein Bild!

Gerade wenn man die Welt liebt, gerade wenn man unter dem leidet, was wir mit ihr gerade tun und wie wir uns in ihr bewegen, fühlen wir Schmerzen. Wir möchten, dass sich das ändert, dass die Welt ein guter Ort wird, dass das Böse und Üble, das wir ihr und uns antun, aufhören möge, dass jemand mit einem Schwert dazwischenginge und es beseitige. Jesus spricht also hier von der Zweideutigkeit der Liebe, von der Leidenschaft, die sie freisetzen kann, von dem Schmerz, die sie zufügen kann. Diese Erfahrung spiegelt sich in den Worten Jesu. Es ist ein zugespitztes Bild dafür, was geschehen kann, wenn man sich für die Liebe entscheidet. Und das kann tatsächlich Gräben aufreißen. Junge Menschen möchten, dass wir aufhören, die Welt mit unserem Müll zuzuschütten, sie auszubeuten und durch den Menschenanteil am Klimawandel zu zerstören. Sie greifen dazu zu drastischen und deutlichen, aber gewaltlosen Mitteln. Sie versammeln sich Freitags während der Schulzeit und bringen Ihren Protest zum Ausdruck. Diese jungen Menschen sind voller Leidenschaft und Liebe für die Erde, sie handeln nicht aus böser Absicht oder aus rein eigennützigen Motiven. Aber jeder bekommt auch mit, auf welche Schwierigkeiten sie stoßen. Greta Thunberg, die junge Frau, die sich an die Spitze der Bewegung gesetzt hat, bekommt Morddrohungen. Indem diese jungen Menschen für die Liebe zur Erde und zur Schöpfung eintreten, „bringen sie das Schwert“ und bekommen es zu spüren. Ist das nicht furchtbar? Diese jungen Menschen haben sich für etwas entschieden, und allein dadurch geraten sie in Schwierigkeiten und erfahren Hass und Ablehnung. Und dieser Riss geht tatsächlich auch durch Familien!

Das Wort Jesu, dass so furchtbar klingt, als wäre es eine Aufforderung, zum Schwert zu greifen und gewalttätig zu werden, hält uns also einen Spiegel vor: Wer sich für die Liebe entscheidet, wird auf Schwierigkeiten stoßen und kann sich schwere Verletzungen holen. Es ist also entscheidend wichtig, zu begreifen, dass Jesus hier ein Bild benutzt. Nicht um uns einen Schrecken einzujagen, sondern um den Ernst der Frage deutlich zu machen: Wofür entscheidest du Dich? Für die Liebe oder für die Gleichgültigkeit? Bist Du bereit, für die Wahrheit auch Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen oder nicht? Wer sich für den Glauben entscheidet, wer auf die Liebe vertraut, wird in der Welt, die so sehr mit sich beschäftigt ist, diese Erfahrung immer wieder machen. Sie darf uns aber nicht müde werden lassen oder in die Resignation führen. Auf eine merkwürdige Art und Weise entpuppt sich das harsche Wort Jesu, das so gewalttätig und abweisend klingt, sogar als ein Zuspruch oder ein Trost: Wer sich für mich entscheidet, wird leiden um der Liebe willen. Aber er hat mich an seiner Seite. Wer sich für die Liebe entscheidet, entscheidet sich für die Kraft Gottes, die die Welt eben gerade nicht mit Gewalt, sondern mit Sanftmut und mit dem Wort verändern will. Es geht also gar nicht darum, den Konflikt, die Auseinandersetzung und den Streit zu suchen. Es geht darum, nicht zu erschrecken, wenn wir die Erfahrung machen, dass das Eintreten für die Liebe auf Abwehr stoßen kann, dass wir, wenn wir glauben, auch ein glühendes Messer in unsere Brust haben. „Brannte nicht unser Herz?“ Fragen die beiden Jünger am Morgen nach Ostern, als sie Jesus begegneten und ihn nicht erkannten? Am brennenden Herzen haben sie ihn schließlich erkannt. Der Apostel Paulus spricht in seinem Brief an die Epheser auch in einem militärischen Bild: "So steht nun, eure Lenden umgürtet mit Wahrheit, bekleidet mit dem Brustpanzer der Gerechtigkeit und beschuht an den Füßen mit der Bereitschaft zur Verkündigung des Evangeliums des Friedens! Bei alledem ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr alle feurigen Pfeile des Bösen auslöschen könnt! Nehmt auch den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, das ist Gottes Wort!" (Epheser 6:14-17). Hier ist es ganz deutlich: das ist ein Bild, das ist nicht wörtlich gemeint.

Es ist also völlig absurd und geradezu bösartig, im Namen der Religion oder des Glaubens zum Krieg oder zur Gewalt aufzurufen und sich dabei auf dieses oder andere Worte der Bibel zu berufen. Man muss schon genau hinhören, wer hier spricht. Der Bote der Liebe bringt das Schwert der Liebe. Und darum gehört unser Mitgefühl, unsere Solidarität und unser Einsatz allen Menschen, die um des Glaubens willen verfolgt, verleumdet, gejagt oder getötet werden. Darum sollten unsere Sympathie und unser Aufmerksamkeit all jenen zukommen, die um der Liebe willen kämpfen und dafür Widerstände nicht scheuen.

Jesus sagt diese Worte zu seinen Jüngern. Er rief sie letztes Mal in die Entscheidung, bevor er sie in die Welt sandte und zeigte Ihnen die Konsequenzen. Sie sind trotzdem losgezogen als Boten der Liebe und haben so das Evangelium in die Welt gebracht. Manche haben das mit ihrem Leben bezahlt. Wir nennen sie Märtyrer, Blutzeugen, in der katholischen und Orthodoxen Kirchen werden sie als Heilige verehrt und auch wir ehren sie, denken wir an Dietrich Bonhoeffer, der im KZ um seines Glaubens willen hingerichtet wurde.

 

Die harten Worte Jesu, die eine harte Wirklichkeit benennen, sind am Ende eine Ermutigung: Lasst Euch nicht einschüchtern, kämpft den guten Kampf des Glaubens, auch wenn ihr Gegenwind bekommt: Das ist zu erwarten! Aber vergesst niemals: Das Schwert ist die Liebe, nicht die Gewalt. Die große Kunst des Glaubens ist es, auf diese Gewalt, diese Verachtung, diesen Spott, dem wir begegnen, nicht wieder mit Verachtung, Spott und Gewalt zu antworten. Sonst huldigen wir dem falschen Gott. Da gibt es keine Alternative. Dem müssen wir uns stellen. Nirgendwo steht geschrieben, dass der Glaube das Leben einfacher macht. Er macht es erträglicher, weil er uns starke Bilder der Hoffnung gibt in einer Welt voller Not und Tod. Das Schwert des Geistes ist stärker als alle Schwerter der Welt, weil es nicht den Tod bringt, sondern das Leben. Die Liebe ist stark wie der Tod, aber sie gewinnt am Ende.

Amen.

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