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Lk 13,6-9
Das Gleichnis vom Feigenbaum
6 Er sagte ihnen aber dies
Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem
Weinberg, und er kam und [a]suchte Frucht darauf und fand keine.
Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich
bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum
und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber
antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn
grabe und ihn dünge;
9 vielleicht bringt er doch
noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.
Lass ihn noch dieses Jahr!
das ist die Bitte des Weingärtners an den Besitzer des Baumes. Da kommt noch
was: gib ihm eine Chance!
Der Kreatur eine Chance
geben, weil da noch etwas kommt. Besser kann man kaum auf den Begriff bringen,
worum es dem christlichen Glauben geht. Wer nur an den Profit denkt, wer nur an
das Ergebnis denkt, so wie der Weinbergbesitzer, der verfehlt das Leben und wir
zum Unmenschen. Wir Menschen sind vernunftbegabte Wesen, und ein wesentliches
Merkmal der Vernunft ist es, in die Zukunft denken zu können. Die Forschung am
Menschen zeigt immer deutlicher, dass das wahrscheinlich sogar die Quelle
unserer Intelligenz ist. Der aufrechtstehende Affe mit den beiden Augen, die
räumlich sehen können, sieht den Horizont und kann abschätzen, was da kommt. Aber
er sieht nicht, was hinter dem Horizont ist. Kommt da noch was? Es war immer
eine der großen Triebfedern des Menschen, es ist der Schlüssel zu unserem
Fortschritt, dass wir wissen wollen, was hinter dem Horizont ist. Alle großen
Entdeckungen waren Horizontüberschreitungen. Natürlich denken wir dabei sofort
an Columbus, der geradezu das Symbol dafür geworden ist. Oder an die
Mondlandung oder an Rosetta und Philea, die auf dem Kometen gelandet sind. Doch
auch in das Winzigkleine wurden Horizonte überschritten: Mit dem Mikroskop, mit
den Teilchenbeschleunigern tauchen wir tief in eine Welt ein, die weit jenseits
unseres natürlichen Horizontes liegt. Und die erstaunlichste aller Entdeckungen
dabei ist: es kommt immer noch etwas! Als Max Planck, der berühmte deutsche
Physiker, sich ungefähr 1870 der theoretischen Physik zuwandte, rieten ihm, so
erzählt eine Anekdote, seine Lehrer ab: da gäbe es nichts mehr zu forschen, die
Physik wisse im Grunde schon alles. Ein großer Irrtum, wie sich zeigen sollte.
Max Planck und Albert Einstein sorgten mit der Quantentheorie und der
allgemeinen Relativitätztheorie 1905 dafür, dass die Physik als Wissenschaft
überhaupt erst richtig Fahrt aufnahm und heute zur bestimmenden Wissenschaft für
unser gesamtes Leben geworden ist: kein Computer, keine Krebstheapie ohne
Planck, keine Raumfahrt ohne Einstein. Wenn der Feigenbaum keine Frucht mehr
trägt, hau ihn ab? Das ist nicht nur dumm, das ist vor allem ungnädig
Denn wir Menschen überschreiten
auch noch ganz andere Horizonte. Der Mensch kann lieben. In der Liebe
überschreiten wir den Horizont unseres engen und selbstbezogenen Ichs und
starten zum größten Abenteuer, zu dem wir Menschen überhaupt in der Lage sind:
Die Erkundung des anderen Menschen. Und wie bei jeder Entdeckungsreise ist das
nicht ungefährlich. Wer lieben will, muss mutig sein. Wer lieben will, muss
leidensfähig und geduldig sein. Wer leiben will, muss offen sein und innerlich
beweglich. Wer lieben will, muss eine Vision davon haben, wie die Liebe sein
soll. Wer lieben will, muss vor allem bereit sein, sich lieben zu lassen, dafür brauchts besonders viel Mut. Denn
in der Liebe treffen die Horizonte aufeinander, ganze Welten, ganze Universen
verschmelzen: denn kein Land ist so weit weg, keine Sonne und kein Stern so
fern, wie der andere Mensch; und keinem Land, keinem Stern und keinem Atom
können wir so nahe kommen, wie dem anderen Menschen. Von allen Abenteuern ist
die Liebe das größte. Bei ihr heißt es immer: da kommt noch was. Wer in der
Liebe auf halbem Wege kehrt macht, bringt sich um tiefe Erfahrungen, bringt
sich um das, was wir das Glück nennen. Den Feigenbaum umhauen, wenn er einmal
keine Frucht bringt? Kurzen Prozess machen? Wie töricht, wie ungnädig und wie
dumm. Gib der Liebe eine Chance! Das ist die Botschaft. Und das ist eine
zutiefst religiöse Botschaft. Denn dass es hinter dem Horizont des Menschen
noch weitergeht, wissen wir von Gott. Das ist die tiefste Erfahrung Gottes, die
wir machen können: wenn sich der Horizont öffnet. Darum ist genau das die
Grunderfahrung des Glaubens: Hinter dem Horizont geht es weiter, da kommt noch
etwas. Der Glaube, unser Glaube, weiß das aus der Erfahrung, die Menschen mit Jesus
gemacht haben. Der überschritt alle Horizonte und öffnete uns eine Weite des
Lebens, von der wir vorher nichts wussten. Wir Menschen kennen nur den kurzen
Prozess: hau den Baum um! Wir kennen nur den Tod. Gott aber kennt die zweite
Chance: lass ihn stehen. Gott kennt uns will das Leben So haben es die Menschen
erlebt. Als Jesus tot war, war er hinter dem Horizont verschwunden. Aber er
riss den Horizont auf. Wie die Sonne am Morgen wiederkommt, war er wieder da,
strahlender und kraftvoller als vorher: seine Kraft reicht bis zu uns, und der
Glaube spürt es: seine Kraft reicht bis in Ewigkeit. Darum spricht der Glaube
von der Zukunft in so kraftvollen, strahlenden und mutigen Bildern: vom
himmlischen Jerusalem haben wir gehört, von der zukünftigen Stadt, die ein Ort
des glücklichen Leben sein wird.
Das sind mutige Bilder. Es
sind Bilder der Hoffnung und des Vertrauens. Als Columbus aufbrach, hatte er
eine Vorstellung davon, wohin er will, er hatte ein inneres Bild davon, was
hinter dem Horizont kommt. Er wollte nach Indien! Er hatte sich vollständig
geirrt: er traf auf Amerika. Was er fand, was viel größer als das, was er sich
hat träumen lassen: bunter, reicher, weiter. Er entdeckte nicht nur neues Land,
er entdeckte eine neue Welt. Als Max Planck anfing Physik zu studieren, hatte
er eine Ahnung davon, dass es noch mehr Geheimnisse zu finden gibt, als die
Physik seiner Zeit meinte. Auch er hatte sich geirrt darüber, was er finden
könnte. Was er fand, war noch viel größer als alles, was er sich hätte träumen
lassen. Und wenn die jungen Menschen die Liebe entdecken, haben sie auch
Wünsche und Träume, Sehnsüchte und Verheißungen. Sie werden etwas ganz anders
entdecken, als sie erwarten: Und es wird auch größer, bunter und
atemberaubender sein, als sie ahnen.
Aber immer ist es ein
Aufbruch: und Aufbrüche machen uns Angst. Es ist die Angst vor Veränderungen,
die Angst, unterwegs verloren zu gehen. Hätte Columbus Angst gehabt, wäre er ein
kleiner Handelskapitän geblieben, oder vielleicht ein Pirat geworden. Hätte
sich Max Planck von seinen Lehrern einschüchtern lassen, wäre er sicher ein
erfolgreicher, aber unendlich langweiliger Physikprofessor geworden, der nur
nachkaute, was alle längst wussten. Wäre Jesus nicht bereit gewesen, hinter den
Horizont des Todes zu gehen, wären unser Glauben immer noch eine Mischung aus Magie
und Aberglauben, langweilige und kleingeistige Religion. Weil er aber hinter
den Horizont ging, wurde der Glaube eine Kraft der Hoffnung, eine Kraft der
Veränderung. Hau den Baum nicht ab, nur weil er keine Früchte trägt. Gib ihm
eine Chance und entdecke, was er dir bedeutet! Gib der Liebe eine Chance.
Buße ist ein altmodisches
Wort, und wir hören es gar nicht gerne. Weil es auch mit Angst besetzt ist. Denn
Buße meint: Umkehr! Da denken viele: Aha, ich muss mein Leben ändern, weil es
schlecht ist.
Aber so geht das nicht. So
kann man Menschen nicht zur Hoffnung führen. Das ist ein krasses
Missverständnis. Das ist schlechte Theologe für Angsthasen und Religion für
Furchtsame, die meinen, dass nur die Angst uns ändern kann.
Nein, der Glauben macht uns
eine Hoffnung. Er will uns in Bewegung bringen, indem er uns zeigt, was hinter
dem Horizont ist. Er will uns Mut machen, aufzubrechen. Das Wort "Aufbrechen" hat ja im
Deutschen einen schönen Doppelsinn. Der Glaube will alte, falsche, festgefahrene
Vorstellungen aufbrechen, die uns vorgaukeln, unser Leben wäre eine Sackgasse.
Und gleichzeitig will er, dass wir aufbrechen, indem wir mit den alten
Vorstellungen brechen. In Märchen von den Bremer Stadtmusikanten wird von dem
Esel erzählt, der alt und müde geworden ist und nicht mehr arbeiten kann. Er
soll zum Abdecker. Doch das lässt er sich nicht gefallen: er büxt aus, er
bricht auf, der alte Esel fängt er ein neues Leben an. Und er reisst den alten,
halbblinden Kater, den alten, dürre gewordenen Hahn und den zahnlosen,
traurigen Hund mit in sein neues Leben. Und wisst ihr noch, mit welchem Satz er
das tut, was er den anderen Tieren sagt und womit er sie in Bewegung bringt:
"Kommt", sagt er, "etwas besseres als den Tod werden wir überall finden".
Das, meine Leiben, ist mit
Buße gemeint. Die schlichte Einsicht: etwas besseres als den Tod werden wir
überall finden.
Alles andere folgt daraus. Auch
Feigenbäume, die keine Frucht mehr bringen, haben noch eine Chance. Und sei es,
dass sie uns Schatten spenden, und sei es, dass uns ihr bloßes Dasein erfreut. Denn
hinter dem Horizont geht es weiter, und unser Leben ist keine Sackgasse. Gebt der Liebe eine Chance.
Dafür steht Gott.
Amen.
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