Liebe Gemeinde!
(K 3) Wir hören die bewegende Erzählung davon, wie Abraham bereit war, seinen
Sohn Isaak zu opfern und von Gott davor bewahrt wurde. Sie steht im ersten Buch
Mose, im 22 Kapitel:
.
(K 4)Eines Tages stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm:
(K 5): Abraham!
(K 4)Und er antwortete:
(K6) Hier bin ich.
(K4) Und Gott sprach:
(K5) Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das
Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir
sagen werde.
(K4) Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit
sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer,
machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am
dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne 5 und
sprach zu seinen Knechten:
(K6) Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen,
und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
(K4) Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn
Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die
beiden miteinander.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:
(K7) Mein Vater!
(K4) Abraham antwortete:
(K6)Hier bin ich, mein Sohn.
(K4) Und Isaak sagte:
(K7) Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
(K4) Abraham antwortete:
(K6) Mein Sohn, Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer aussuchen
(K4) Und die beiden gingen miteinander weiter.
Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham
dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte
ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und fasste das
Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach:
(K8) Abraham! Abraham!
(K4) Er antwortete:
(K6) Hier bin ich.
(K4) Der Engel sprach:
(K8) Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß
ich, dass du Gott fürchtest und hast deinen einzigen Sohn nicht verschont um
meinetwillen.
(K4) Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der
Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte
ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.
Wir begehen dieses
Jahr die Erinnerung an den ersten Weltkrieg, der am 1. August 1914 begann und
mit rund 11 Mio Toten allein auf den Schlachtfeldern ein bis dahin ungeahntes,
furchtbares Gemetzel war, das eine ganze Kultur vollständig zerstört hat und
dessen Wirkungen über den Zweiten Weltkrieg wir bis heute spüren. Man kann mit
Worten gar nicht beschreiben, was die Soldaten in diesem Krieg erlebt haben,
und die Menge der Toten überstieg alles bis dahin gekannte. Der Krieg wurde zu
einem fast schon industriellem Töten und zu einem tiefen Schock für alle, die
daran beteiligt waren. Schon die Art, wie er ausbrach, ist aus heutiger Sicht
erschreckend und beschämend: Es war, im Rückblick eine Kette von
Fehlentscheidungen, die auf Inkompetenz, Engstirnigkeit,
Verantwortungslosigkeit und vor allem auch Ehrgehabe von Militärs und
Politikern beruhte. Die Köpfe waren noch voll von Idealen von Heldentum und
Tapferkeit, von Kampf Mann gegen Mann, von Feldherrenherrlichkeit und
Opferbereitschaft. Mahner und Warner wurden überhört, niedergebrüllt und
verächtlich behandelt: Ein Kontinent war im Rausch des Krieges.
Die Ernüchterung kam
bald, und sie war in einer bisher nicht gekannten Weise brutal. Nach wenigen
Wochen kam der Krieg zum Stillstand, die Soldaten gruben sich ein, und man lag
sich über Jahre in den Schützengraben von der Nordseeküste bis zur Schweizer
Grenze gegenüber, und auch auf dem Balkan, in Russland, in den Alpen und im
Nahen Osten entwickelte sich der Krieg zur einer nie gekannten Hölle. Das Elend
ist unvorstellbar: ich habe Euch drei Bilder mitgebracht, sie lassen etwas
ahnen. Es regierte die Artillerie mit, und das ist keine Übertreibung,
hunderten Millionen von Granaten, nun regierten die Maschinen: die Blutmühle
nannten es die Soldaten. Es waren keine Helden mehr, die da starben. Es war
Kanonenfutter, auf allen Seiten. Ihr merkt: Es fehlen die Worte. Und was
besonders beschämend ist, und gerade heute nicht vergessen werden darf: Auch
von den Kanzeln herunter wurde vaterländisch gepredigt, tief machte sich die
Kirche – nicht überall, nicht immer, nicht jeder: aber die allermeisten! –
daran schuldig, Menschen zum Töten aufgehetzt zu haben Sie haben die Botschaft
des Evangeliums missbraucht und mit
politischen Botschaften vermischt, zu ihm im denkbar weitester Entfernung
standen. Hier trägt auch die Kirche schwere Schuld! I
Ich will hier keine historische Vorlesung halten,
obwohl ich glaube, es wäre bitter nötig. Ich will hier eine Stimme aus dem
Schützengraben zu Worte kommen lassen, die mich tief berührt hat, als ich sie
das erste Mal hörte. Es ist das Gedicht eines jungen Engländers, der auch mit
hohen Idealen in den Kampf zog, und schon nach kürzester Zeit tief verzweifelt
war. Er starb, wie zum Hohn, in den letzten Tagen des Krieges, am 4. November
1918, 25 Jahre alt.
Wo war Gott in
diesem Gemetzel? Wie konnte er es zulassen, dass sein Name so geschändet wurde?
Ist es am Ende kein
gnädiger Gott, sondern doch ein rachgieriges Monster, der von uns Menschen
Opfer verlangt? Wir haben die Geschichte gehört, die seit je Menschen tief
verstört hat, die Geschichte davon, wie Gott Abraham auffordert, seinen Sohn
Isaak zu opfern. Und Abraham ist dazu bereit! Warum? Weil er es so kannte von
den Göttern seiner Umwelt, weil er gar nicht in Frage stellt, dass Gott es
ernst meinen könnte damit. Erst hat er ihm Isaak, den einzigen Sohn mit seiner
Frau Sarah, in hohem Alter geschenkt, nun will er ihn zurückhaben. Abraham
fragt nicht. So sehr war die Gewalt für ihn ein Teil von Gott, dass er fraglos
sich auf den Weg machte, Frau, Kinder und Knechte belog, um seinen Sohn zu
töten. Was für ein grausamer Gott!
Nein, eben nicht.
Gerade das erzählt die Geschichte ja eben nicht. Am Ende ist es der Engel
Gottes, der Abraham in den Arm fällt. Am Ende stirbt nur ein Widder an Stelle
des Menschen. Die Botschaft dieser Geschichte war für die Menschen, zu der
Zeit, als sie erzählt wurde, völlig klar, und sie war revolutionär: Gott will
keine Menschenopfer. Er will das Töten von Mensch zu Mensch nicht. Abraham
wurde auf die Probe gestellt, ob er es durchzieht bis zum Ende. Und Abraham
gehorcht in der Tat: er opfert seinen Sohn eben gerade nicht. Gott ist ein Gott
des Lebens. das ist die Botschaft dieser Geschichte: Gott ist die Macht der
Liebe. Die Menschheit begreift das nur schwer. Es musste mit dem Tod Jesus noch
einmal zu einer Katastrophe kommen, zu einem unschuldigen Tot im Namen Gottes,
damit nun aber auch jeder sehen kann: Gott will das Töten nicht, und
allerwenigsten in seinem Namen.
Warum fällt uns das
so schwer? Wieso muss Gott immer wieder herhalten als Grund für Gewalt?
Die Frage stellte
sich auch der junge englische Dichter Wilfred Owen. Und er fand die Antwort,
und drückte sie ein diesem wundervollen, aber auch sehr schmerzvollen Gedicht
aus, das ich Euch habe austeilenn lassen, zusammen mit den Bildern.
Er nimmt die
Geschichte von Abrahams Opfer auf. Und er erzählt sie so, dass sie durchsichtig
wird auf den Krieg, den Owen erlebt, mit seinen Schützengräben und Schanzen,
Seinen Uniformen mit Gürteln und Helmen, mit seinen Stacheldrahtverhauen und
Mordmaschinen:
Daher
erhob sich Abraham und hackte das Holz und ging
und
nahm das Feuer mit und ein Messer.
Und
als sie beide verweilten,
sprach
Isaak, der Erstgeborene und er sagte: Mein Vater,
alles
hast du vorbereitet, hast Feuer und
Eisen,
aber
wo ist das Lamm für das Brandopfer?
Da
fesselte Abraham den Knaben mit Gurten und Riemen,
baute
dort ein Gerüste und Schützengräben
und
strecke das Messer aus, seinen Sohn zu schlachten.
Doch
siehe, die Stimme eines Engels rief ihn vom Himmel und sprach: Lege nicht Hand
an den Jüngling, und tu ihm auch sonst nichts.
Sieh
doch, ein Widder hat sich im Dickicht mit seinen Hörnern verfangen:
Opfere
den Widder des Stolzes an seiner Stelle.
Doch
der alte Mann wollte nicht
und
erschlug seinen Sohn –
und
die Hälfte des Samens Europas,
einen
nach dem anderen
die Häfte des Samens Europas, einen nach dem anderen
Fast schon zynisch, aber auf jeden Fall zutiefst vom
Menschen enttäuscht und verbittert, erzählt Owen die Geschichte anders zu Ende:
Abraham schlug seinen Sohn, und die Hälfte des Samens Europas, einen nach dem
anderen, die Hälfte des Samens Europas, einen nach dem anderen.
So sieht er seine Gegenwart:
Abraham, der hier für die Generation der Väter überhaupt
steht, gehorcht Gott nicht. Er opfert nicht, was Owen den Widder des Stolzes
nennt. er tötet lieber seine Sohn, er zieht es durch, er lässt sich von Gott
nicht in den Arm fallen.
Drastischer kann man es nicht sagen. Krieg ist Sünde, ist
Widerstand gegen Gott, Ungehorsam. Die Wurzel des Krieges aber ist der Stolz,
der nicht nachgeben kann, der nicht mit der eigenen Fehlbarkeit rechnet, der
das eigene Denken und Fühlen und die Ehre zum einzigen Maßstab macht und damit
unfähig wird, das rettende Wort Gottes zu hören. Für Owen ist es einzig der
Mensch, der Nachkomme Abrahams, der es zu verantworten hat, dass die Hälfte des
Samens Europas auf den Schlachtfeldern verreckt. Und dem ist wenig
hinzuzusetzen. „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart“:
: Würden wir darauf wirklich hören, würden wir unseren Stolz beiseite stellen,
würden wir Gott wirklich gehorchen, hätte die Versöhnung ein Chance in unserer
Welt, und schon die Schützengräben, die oft genug durch Familien laufen,
zwischen den Hecken von Nachbarn, könnten zugeschüttet werden.
Mich bewegt dieses Gedicht zutiefst. Mehr als alle Zahlen
und drastische Bilder drückt es aus, was dieser Krieg angerichtet hat. Hier
wurden Menschen geopfert, sinnlos geopfert, weil alle Opfer sinnlos sind. Das
ist auch die Lehre dieses Krieges, die viele schon während des Krieges zogen.
Aber es waren nicht genug. Es musste noch die viel größere Katastrophe des
zweiten Weltkrieges folgen, bis auch die letzten erkannten, das Krieg nicht
Gottes Willen ist, das Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll.
Über den Gräbern von Verdun und der Somme, von Tannenberg
und am Isonzo entstand der Gedanke eines vereinten Europas als einziger Weg zum
Frieden. Jeder, der heute an der europäischen Idee zweifelt, muss sich vor den
Toten des ersten Weltkrieges verantworten und einen besseren Weg zum Frieden
zeigen!
Gott ist die Macht der Liebe, die das Leben will und keine
Opfer. Es gibt keinen Krieg in Namen Gottes. Es gab ihn auch nie. Und es darf
ihn auch nie wieder geben. Nur so ehren wir das Andenken an jene Männer, die
auf den Tafeln hier in der Kirche/draussen vor der Tür genannt werden. Der
Krieg ist immer noch in der Welt. Aber wir haben verstanden: er ist kein Mittel
der Politik mehr, er ist Scheitern von Politik.
Einen Gedanken noch: Abraham war auch der Stammvater der
Moslems. Dort heißt er Ibrahim. Der Koran kennt die Geschichte auch. das
islamische Opferfest erinnert daran. Und viele Moslems haben sie verstanden,
setzen sich auch mit ihrer Gewaltgeschichte auseinander und wollen den Frieden,
ohne Gewalt und ohne Waffen. Wir haben kein Recht, auf den Islam mit dem Finger
zu zeigen: denn auf unseren Koppelschlössern stand auch: Gott mit uns, das ist
erst hundert Jahre her.
Wir haben aber die Aufgabe, aus unserer Geschichte heraus
zu verkündigen, dass Gott und Tod, Gott und Krieg nicht zusammengehören. Glaubt
mir: Millionen von Moslems auf dieser Welt wissen das auch, denn der Koran ist
ein Buch des Friedens. Das er, wie die Bibel, in die Hände von verblendeten
Verrückten geraten ist, ist ein Unglück, an dem wir nicht ganz unschuldig sind.
Es ist ein politisches Phänomen, kein religiöses! Dieser Tag, wo wir vor
Millionen von Kriegstoten stehen, wo wir die Worte von Wilfred Owen direkt aus
dem Schützengraben hören, sollte uns das Mahnung sein und eine Ermutigung:
Lasst uns auf die Macht der Liebe vertrauen und aus ihr heraus allen Menschen die Chance geben, den
Widder ihres Stolzes zu opfern anstatt Söhne und Töchter. Der gnädige Gott wird
uns darin tragen und stützen. Denn das Geheimnis der Versöhnung heißt
Erinnerung: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts!“ Das ist
Gottes Gebot an Abraham, dem Vater unseres Glaubens.
Amen.
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