Kein Mensch
ist vor Gott gerecht, weil er das Gesetz
befolgt. Vielmehr erkennen wir erst durch das Gesetz, was Sünde ist. Der Mensch
wird gerecht durch den Glauben. Römer 3, 20, Basisbibel.
Liebe
Gemeinde!
Einen
einzigen Vers habe ich ausgewählt aus dem Brief an die Römer, und es ist der
Vers, der für mich alles enthält, was für mich als Christenmensch wichtig ist,
wenn man so will: meine Berufung.
Und er ist
zugleich, und darum passt es, ein Schlüsselvers für den heutigen Tag: Es war
einer der Verse, der Martin Luther zum Reformator machte.
Und
drittens: In diesem Vers steckt auch die Deutung unseres christlichen
Schlüsselsymbols: was das Kreuz bedeutet.
Meine
Berufung, Martin Luthers Durchbruch, das Kreuz Jesu. Von ihnen will ich
sprechen. Sie verdichten sich für mich im Symbol des Nagels : darum die drei
Nägel.
Der erste
Nagel: Das Kreuz Jesu
Vielen
Menschen ist das Kreuz unheimlich, sie finden es abstoßend. Und das aus zwei
Gründen.
Der erste
ist sehr schwerwiegend und hat mich ein ganzes Leben lang beschäftigt: Im Namen
und unter dem Zeichen des Kreuzes sind abscheuliche Verbrechen begangen worden.
Das Kreuz ist für viele Menschen das Symbol für alles, was in, an und mit der
Kirche schiefgelaufen ist. Und wir tun, gerade am Reformationstag, gut daran,
uns das immer wieder vor Augen zu halten.
Eine
Evangelische Kirche, das war mir mein Pfarrerleben lang wichtig, ist keine
Heilsanstalt, kein Institut der besseren Menschen, der besonders Berufenen,
Erleuchteten und Befähigten. Sie ist eine Organisation, die dafür sorgt, dass
die frohe Botschaft verkündigt wird. Dafür sind wir da. Als solche ist sie eine
menschliche Organisation, sie unterscheidet sich darin in nichts von der AOK
oder einer Versicherung. Und das heißt auch: Sie ist fehlbar, sie ist in ihrem
Möglichkeiten so begrenzt, wie Menschen nun einmal begrenzt sind. Auch die
Kirche steht unter dem Kreuz wie alle Menschen, ja die ganze Schöpfung.
Ich glaube,
das ist der tiefere Grund, warum das Kreuz für viele Menschen so schwierig ist.
Es erinnert uns daran, was wir sind: sterbliche Menschen.
Als solche
aber sind wir von Gott geliebt, der nicht mit Gewalt auf Gewalt antwortete,
sondern mit noch mehr Liebe, symbolisch gefasst im Bild der Auferstehung.
Hinter dem Kreuz geht es weiter. Das Kreuz ist nicht das letzte Wort.
So war mir das
Kreuz immer ein Zeichen der Hoffnung. Mein Leben ist geprägt von Verlusten, es
ist geprägt von der Geschichte meiner Eltern, die beide früh verwaist die Zeit
des Krieges erlebt habe, Geschichten von Flucht und Entwurzelung prägten meine
Kindheit, es ist bestimmt vom Verlust vieler Freunde, seit der Grundschulzeit
erlebte ich, dass Freunde sterben, eine zerbrochene Ehe in meinen sogenannten
besten Jahren, die darum keine waren, lebensbedrohliches berufliches Scheitern
samt Zusammenbruch in der Mitte meines Berufslebens – immer war mir das Kreuz
ein Symbol, ein Zeichen der unverbrüchlichen Liebe Gottes, der lieber selber
die Gewalt auf sich nahm, als selbst gewalttätig zu werden. Das Kreuz ist mir
ein Zeichen, dass Leid, Kummer und Scheitern überwunden werden können und
zugleich die Wahrheit unseres Leben sind. Das heile Welt Christentum mit
Engelchen und Alles-halb-so schlimm-EiaPopeia war und ist nicht mein Ding.
So steht der
erste Nagel für das Kreuz, steht für die
Gewaltlosigkeit Gottes in einer gewaltvollen Welt, steht für die Zuwendung zu
mir, für die ich nichts tun kann, außer sie mir gefallen zu lassen, wie man
sich die Liebe gefallen lassen muss. Nicht, weil ich ein guter Mensch bin,
liebt mich Gott, sondern weil ich ein Mensch bin. Genau das sagt der Vers aus
dem Römerbrief, den ich noch einmal, jetzt freier übertragen, zitiere:
Kein
Mensch von Gott geliebt, weil er sich an die Regeln hält, sondern in unserem
Scheitern erkennen wir erst, wie es um uns steht: Nur durch Vertrauen bleiben
wir bei Gott.
Vertrauen. Das war die große Entdeckung Martin Luthers. Er war ein von Angst geplagter Mensch, geplagt von der Angst vor Gott, der ihm in seiner Zeit nur als Richter begegnete, der die Menschen bestraft und belohnt, wie sie es verdient haben. Er spürte, dass es gar nicht möglich war, diesem Anspruch gerecht zu werden. Er wurde Mönch, um ein besonders gutes und gottgefälliges Leben zu führen, und das machte alles nur noch viel schlimmer. Er geriet in die Fänge eines abscheulichen Leistungsdenkens. Wie ein Kind, das verspricht, immer artig zu sein, weil es Angst vor Strafe hat oder Angst, die Liebe seiner Eltern zu verlieren, quälte er sich. Er bestrafte sich, er richtete sein ganzes Leben an dem aus, was ihm als Gebot Gottes vermittelt wurde – und scheiterte.
Er
studierte Theologie, um dem auf den Grund zu gehen, doch je tiefer er in die
Bibel eindrang, um so schlimmer wurde seine Angst. Aus jeder Zeile grinste ihm
der fruchtbareGott entgegen, und was immer er tat: Es wurde nur noch
furchtbarer. Bis er, nach langen Jahren des Ringens, die ihn auch körperlich
kaputt machten, den Gedanken im Römerbrief entdeckte, den wir gerade hörten.
Der Gerechte wird aus Glauben leben. Aus Glauben! Und Glauben meint nicht
sklavischen Kadavergehorsam und gute Werke tun, sondern Vertrauen. Vertrauen
auf die Liebe Gottes. Nicht ich muss Gott gerecht werden, sondern Gott wird mir
gerecht. Je weiter ich mich von ihm abwende, um so näher kommt er mir, nicht,
um mich zu bestrafen, sondern um mich zu befreien.
Das Leben,
so Luthers Entdeckung modern formuliert, ist keine Casting-Show und kein
Olympiastadion, in der die Guten belohnt und die Bösen von Gott
bestraft werden, mit no chance, zu bestehen. Sondern für das Leben gilt, was
Jesus sagt, mein Konfirmationsspruch: Jesus Christus spricht, ich lebe, und ihr
sollt auch leben! (Joh 14,18). Am Ende ist das ein ganz
einfacher Satz.
Das war
Luthers Erkenntnis. Die musste er der Welt mitteilen. Sie machte ihm schlagartig
deutlich, dass eine Kirche, die Menschen Angst macht, nicht die Kirche Gottes
ist, sondern, wie er es formulierte, die Kirche des Teufels. Diese Erkenntnis
packte er in die 95 Thesen, die er zur öffentlichen Diskussion stellte, in dem
er sie am Vorabend des Allerheiligenfestes 1517 an die Tür der Schlosskirche in
Wittenberg nagelt.
Dafür steht
der zweite Nagel: Für die Befreiung der Kirche von einem Gottesbild, das Angst
macht, anstatt zu ermutigen. Auch für Luther wurde das Kreuz zum Zeichen der
Befreiung.
Wir können uns als Kirche abstrampeln, soviel wir wollen – und wir strampeln gerade sehr – ohne Vertrauen wird das zu nichts führen außer zu Angst, Verzweiflung und Mutlosigkeit. Ohne Vertrauen werden wir festgenagelt auf unsere Leistungen, und das kann nicht gutgehen.
Wir hören noch einmal den Vers aus dem Römerbrief:
Kein Mensch von Gott geliebt, weil er sich an die Regeln hält, sondern in unserem Scheitern erkennen wir erst, wie es um uns steht: Nur durch Vertrauen bleiben wir bei Gott.
Und der
dritte Nagel: Das ist der Nagel, an den ich nun meinen Talar hängen werde.
Ich habe
meine Berufung zum Christsein, die ich schon früh verspürte, zu meinen Beruf
gemacht. Denn Pfarrer-sein bedeutet im evangelischen Verständnis nichts
anderes, als für die Verkündigung des Evangeliums freigestellt und bezahlt zu
werden. Ich habe, um es mal ganz deutlich zuzuspitzen, damit meinen
Lebensunterhalt bestritten.
Und es ist
ein toller Beruf, wie es nur wenige gibt. Dass er so gut zu vielen meiner
Talente und Interessen passte, war noch das Sahnehäubchen obendrein, die mir
den Umgang mit den weniger leichten Aufgaben, wie z.B. Bauen, Verwalten, Umgang
mit Geld - erleichterte.
Aber ich
hatte ja auch immer Menschen um mich herum, die besser konnten, was ich nicht
konnte. Pfarrer konnte ich jedenfalls immer nur als Teamplayer sein, wenn auch
vielleicht manchmal als ein anstrengender Teamplayer, mein lockeres Mundwerk
war nicht immer hilfreich.
Das tat ich
nun 38 Jahre im Dienst, auf wahrlich vielen verschieden Stellen – ich habe 16
Urkunden in meinem Aktenordner – getan. Und wie jeder Beruf, hat auch der ein
Ende und eine Zeit der Ruhe, die ihm zusteht.
Ich habe
getan, was ich konnte, und leider auch vieles nicht getan, was ich hätte tun
können und oft auch getan, was ich besser nicht hätte tun sollen.
Wie es jedem geht, der seinem Beruf mit Leidenschaft nachgeht, ob er nun Architektin, Müllmann, Ärztin oder Ingenieurin ist. Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, Scheitern und Gelingen, ich habe Sachen richtig gut hinbekommen und andere gründlich vermurkst, ich war mutig und feige, ich war voller Hoffnung und voller Verzagen. Immer aber, und dafür bin ich dankbar, immer aber wurde ich getragen von dem, was Paulus das Wort vom Kreuz nennt, immer wurde ich getragen von der Hoffnung, dass das Wort Gottes sich seinen Weg bahnt, selbst dann, wenn ich ihm im Wege stehe.
Immer wurde
ich getragen von Menschen, die mich begleiteten und stützten, die mich
kritisierten und herausforderten.
Dafür bin
ich dankbar. Ich gehe in den Ruhestand, ein wenig vorzeitig aus persönlichen
Gründen, ich mache keinen Hehl daraus, dass ich auch ein bisschen müde geworden
bin und mich darauf freue, meine Füße hochzulegen.
Aber ich bin
auch hoffnungsfroh, denn ich sehe, dass die, die nach mir kommen, den Beruf auf
ihre Weise füllen, und vieles davon, was die jüngeren Kolleginnen und Kollegen
machen gefällt mir sehr gut. Es wird nicht alles schlechter. In dieses
Altmännergenörgel möchte ich nicht verfallen, davor behüte mich Gott!
Und das gilt
auch für die Gemeinden. Die Kirche verändert sich gerade rasant. Für manche ist
es ein Zerfall, sie werden irre an dem, was gerade geschieht und wollen
ängstlich an dem festhalten, was gewesen ist.
Denen möchte
ich zurufen: Bedenkt unsere Anfänge! Die Reformation war ein gewaltiger Umbruch,
die alles in Frage stellte, was bis dahin für gut und richtig galt. Es waren
nur Zufälle und günstige Gelegenheiten so wie ein paar mutige und weitsehende
Menschen, die Luther vor dem Scheiterhaufen bewahrten.
Meine
Haltung zu all den Veränderungen, an denen ich die letzten Jahre auch als Teil
der Kirchenverwaltung meinen winzigen Beitrag geleistet habe, ist völlig klar:
Wir brauchen keine neue Reformation, wir brauchen nur die alte Reformation neu
zu verstehen.
Ecclesia
semper reformanda – die Kirche muss ständig erneuert werden, formulierte es der Theologe Karl Barth in den
20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Und das ist ein Satz, der mich ein Pfarrerleben
lang begleitete. Wer hier Angst hat, dass alles zu Grunde geht, sehe zu, ob er
nicht an etwas hängt, was uns letztlich sogar als Kirche geschadet hat:
mittelalterliche und behördliche Strukturen, patriarchales Amtsverständnis, moralische
Besserwisserei, obrigkeitliches Denken, bürgerliche Privilegien.
Wie sagt
doch der Vers aus dem Römerbrief so schön: Kein Mensch von Gott geliebt,
weil er sich an die Regeln hält, sondern in unserem Scheitern erkennen wir
erst, wie es um uns steht: Nur durch Vertrauen bleiben wir bei Gott.
In diesem Vertrauen
hänge ich nun meinen Talar, der nicht Ausdruck einer besonderen Weihe ist,
sondern ein Symbol für meinen Beruf der öffentlichen Verkündigung, an den
Nagel. Für immer? Naja, man wird sehen. Die Katze lässt das Mausen nicht. Ich
gönne mir eine Pause, und dann sehen wir mal, was sich ergibt.
Drei Nägel:
Alle drei Symbole der Hoffnung. Auf den ersten Blick sicher nicht, aber ich
hoffe, dass sich nach dieser Predigt – und das war immer das Anliegen meines
Predigens – der Blick auf diese Nägel verändert hat. Was aussieht wie ein
Symbol des Schreckens, entpuppt sich als Symbol der Hoffnung.
Was bleibt?
Ich sage hier und heute "Danke" an Euch alle, stellvertretend für all die
Menschen, denen ich ein Pfarrerleben lang begegnete: Danke, dass ihr mir
zugehört habt. Danke, dass ihr mich getragen und manchmal auch ertragen habt.
Ich habe immer aus Gottesdiensten, aus Unterricht und Seelsorge, ja selbst aus
meiner Arbeit in der Kirchenverwaltung, mehr mitgenommen, als ich gegeben habe.
Das ist
nicht selbstverständlich: Ich gehe ohne Groll, ohne falsche Wehmut und durchaus
getröstet.
Und damit
kommt der letzte Dank, der wichtigste Dank: Dank an Gott, der mich diesen Weg
hat gehen lassen und mir immer sein Kreuz vor Augen gemalt hat als Zeichen der
Hoffnung.
Ein letztes
Mal der Vers aus dem Römerbrief in meiner Übertragung:
Kein
Mensch wird von Gott geliebt, weil er sich an die Regeln hält, sondern in
unserem Scheitern erkennen wir erst, wie es um uns steht: Nur durch Vertrauen
bleiben wir bei Gott.
Seid gesegnet.
Gelobt sei Jesus Christus. Amen.