Donnerstag, 31. Oktober 2024

Drei Nägel. Predigt zum Reformationstag 2024. Letzte Predigt im aktiven Dienst.

 

Kein Mensch ist vor Gott gerecht,  weil er das Gesetz befolgt. Vielmehr erkennen wir erst durch das Gesetz, was Sünde ist. Der Mensch wird gerecht durch den Glauben. Römer 3, 20, Basisbibel.

Liebe Gemeinde!

Einen einzigen Vers habe ich ausgewählt aus dem Brief an die Römer, und es ist der Vers, der für mich alles enthält, was für mich als Christenmensch wichtig ist, wenn man so will: meine Berufung.

Und er ist zugleich, und darum passt es, ein Schlüsselvers für den heutigen Tag: Es war einer der Verse, der Martin Luther zum Reformator machte.

Und drittens: In diesem Vers steckt auch die Deutung unseres christlichen Schlüsselsymbols: was das Kreuz bedeutet.

Meine Berufung, Martin Luthers Durchbruch, das Kreuz Jesu. Von ihnen will ich sprechen. Sie verdichten sich für mich im Symbol des Nagels : darum die drei Nägel.

Der erste Nagel: Das Kreuz Jesu

Vielen Menschen ist das Kreuz unheimlich, sie finden es abstoßend. Und das aus zwei Gründen.

Der erste ist sehr schwerwiegend und hat mich ein ganzes Leben lang beschäftigt: Im Namen und unter dem Zeichen des Kreuzes sind abscheuliche Verbrechen begangen worden. Das Kreuz ist für viele Menschen das Symbol für alles, was in, an und mit der Kirche schiefgelaufen ist. Und wir tun, gerade am Reformationstag, gut daran, uns das immer wieder vor Augen zu halten.

Eine Evangelische Kirche, das war mir mein Pfarrerleben lang wichtig, ist keine Heilsanstalt, kein Institut der besseren Menschen, der besonders Berufenen, Erleuchteten und Befähigten. Sie ist eine Organisation, die dafür sorgt, dass die frohe Botschaft verkündigt wird. Dafür sind wir da. Als solche ist sie eine menschliche Organisation, sie unterscheidet sich darin in nichts von der AOK oder einer Versicherung. Und das heißt auch: Sie ist fehlbar, sie ist in ihrem Möglichkeiten so begrenzt, wie Menschen nun einmal begrenzt sind. Auch die Kirche steht unter dem Kreuz wie alle Menschen, ja die ganze Schöpfung.

Ich glaube, das ist der tiefere Grund, warum das Kreuz für viele Menschen so schwierig ist. Es erinnert uns daran, was wir sind: sterbliche Menschen.

Als solche aber sind wir von Gott geliebt, der nicht mit Gewalt auf Gewalt antwortete, sondern mit noch mehr Liebe, symbolisch gefasst im Bild der Auferstehung. Hinter dem Kreuz geht es weiter. Das Kreuz ist nicht das letzte Wort.

So war mir das Kreuz immer ein Zeichen der Hoffnung. Mein Leben ist geprägt von Verlusten, es ist geprägt von der Geschichte meiner Eltern, die beide früh verwaist die Zeit des Krieges erlebt habe, Geschichten von Flucht und Entwurzelung prägten meine Kindheit, es ist bestimmt vom Verlust vieler Freunde, seit der Grundschulzeit erlebte ich, dass Freunde sterben, eine zerbrochene Ehe in meinen sogenannten besten Jahren, die darum keine waren, lebensbedrohliches berufliches Scheitern samt Zusammenbruch in der Mitte meines Berufslebens – immer war mir das Kreuz ein Symbol, ein Zeichen der unverbrüchlichen Liebe Gottes, der lieber selber die Gewalt auf sich nahm, als selbst gewalttätig zu werden. Das Kreuz ist mir ein Zeichen, dass Leid, Kummer und Scheitern überwunden werden können und zugleich die Wahrheit unseres Leben sind. Das heile Welt Christentum mit Engelchen und Alles-halb-so schlimm-EiaPopeia war und ist nicht mein Ding.

So steht der erste Nagel für das Kreuz, steht für die Gewaltlosigkeit Gottes in einer gewaltvollen Welt, steht für die Zuwendung zu mir, für die ich nichts tun kann, außer sie mir gefallen zu lassen, wie man sich die Liebe gefallen lassen muss. Nicht, weil ich ein guter Mensch bin, liebt mich Gott, sondern weil ich ein Mensch bin. Genau das sagt der Vers aus dem Römerbrief, den ich noch einmal, jetzt freier übertragen, zitiere:

Kein Mensch von Gott geliebt, weil er sich an die Regeln hält, sondern in unserem Scheitern erkennen wir erst, wie es um uns steht: Nur durch Vertrauen bleiben wir bei Gott.

Vertrauen. Das war die große Entdeckung Martin Luthers. Er war ein von Angst geplagter Mensch, geplagt von der Angst vor Gott, der ihm in seiner Zeit nur als Richter begegnete, der die Menschen bestraft und belohnt, wie sie es verdient haben. Er spürte, dass es gar nicht möglich war, diesem Anspruch gerecht zu werden. Er wurde Mönch, um ein besonders gutes und gottgefälliges Leben zu führen, und das machte alles nur noch viel schlimmer. Er geriet in die Fänge eines abscheulichen Leistungsdenkens. Wie ein Kind, das verspricht, immer artig zu sein, weil es Angst vor Strafe hat oder Angst, die Liebe seiner Eltern zu verlieren, quälte er sich. Er bestrafte sich, er richtete sein ganzes Leben an dem aus, was ihm als Gebot Gottes vermittelt wurde – und scheiterte. 

Er studierte Theologie, um dem auf den Grund zu gehen, doch je tiefer er in die Bibel eindrang, um so schlimmer wurde seine Angst. Aus jeder Zeile grinste ihm der fruchtbareGott entgegen, und was immer er tat: Es wurde nur noch furchtbarer. Bis er, nach langen Jahren des Ringens, die ihn auch körperlich kaputt machten, den Gedanken im Römerbrief entdeckte, den wir gerade hörten. Der Gerechte wird aus Glauben leben. Aus Glauben! Und Glauben meint nicht sklavischen Kadavergehorsam und gute Werke tun, sondern Vertrauen. Vertrauen auf die Liebe Gottes. Nicht ich muss Gott gerecht werden, sondern Gott wird mir gerecht. Je weiter ich mich von ihm abwende, um so näher kommt er mir, nicht, um mich zu bestrafen, sondern um mich zu befreien.

Das Leben, so Luthers Entdeckung modern formuliert, ist keine Casting-Show und kein Olympiastadion, in der die Guten belohnt und die Bösen von Gott bestraft werden, mit no chance, zu bestehen. Sondern für das Leben gilt, was Jesus sagt, mein Konfirmationsspruch: Jesus Christus spricht, ich lebe, und ihr sollt auch leben! (Joh 14,18). Am Ende ist das ein ganz einfacher Satz. Ihr sollt leben! 

Das war Luthers Erkenntnis. Die musste er der Welt mitteilen. Sie machte ihm schlagartig deutlich, dass eine Kirche, die Menschen Angst macht, nicht die Kirche Gottes ist, sondern, wie er es formulierte, die Kirche des Teufels. Diese Erkenntnis packte er in die 95 Thesen, die er zur öffentlichen Diskussion stellte, in dem er sie am Vorabend des Allerheiligenfestes 1517 an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg nagelt.

Dafür steht der zweite Nagel: Für die Befreiung der Kirche von einem Gottesbild, das Angst macht, anstatt zu ermutigen. Auch für Luther wurde das Kreuz zum Zeichen der Befreiung.

Wir können uns als Kirche abstrampeln, soviel wir wollen – und wir strampeln gerade sehr – ohne Vertrauen wird das zu nichts führen außer zu Angst, Verzweiflung und Mutlosigkeit. Ohne Vertrauen werden wir festgenagelt auf unsere Leistungen, und das kann nicht gutgehen.

Wir hören noch einmal den Vers aus dem Römerbrief:

Kein Mensch von Gott geliebt, weil er sich an die Regeln hält, sondern in unserem Scheitern erkennen wir erst, wie es um uns steht: Nur durch Vertrauen bleiben wir bei Gott.

Und der dritte Nagel: Das ist der Nagel, an den ich nun meinen Talar hängen werde.

Ich habe meine Berufung zum Christsein, die ich schon früh verspürte, zu meinen Beruf gemacht. Denn Pfarrer-sein bedeutet im evangelischen Verständnis nichts anderes, als für die Verkündigung des Evangeliums freigestellt und bezahlt zu werden. Ich habe, um es mal ganz deutlich zuzuspitzen, damit meinen Lebensunterhalt bestritten.

Und es ist ein toller Beruf, wie es nur wenige gibt. Dass er so gut zu vielen meiner Talente und Interessen passte, war noch das Sahnehäubchen obendrein, die mir den Umgang mit den weniger leichten Aufgaben, wie z.B. Bauen, Verwalten, Umgang mit Geld - erleichterte.

Aber ich hatte ja auch immer Menschen um mich herum, die besser konnten, was ich nicht konnte. Pfarrer konnte ich jedenfalls immer nur als Teamplayer sein, wenn auch vielleicht manchmal als ein anstrengender Teamplayer, mein lockeres Mundwerk war nicht immer hilfreich.

Das tat ich nun 38 Jahre im Dienst, auf wahrlich vielen verschieden Stellen – ich habe 16 Urkunden in meinem Aktenordner – getan. Und wie jeder Beruf, hat auch der ein Ende und eine Zeit der Ruhe, die ihm zusteht.

Ich habe getan, was ich konnte, und leider auch vieles nicht getan, was ich hätte tun können und oft auch getan, was ich besser nicht hätte tun sollen.

Wie es jedem geht, der seinem Beruf mit Leidenschaft nachgeht, ob er nun Architektin, Müllmann, Ärztin oder Ingenieurin ist. Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, Scheitern und Gelingen, ich habe Sachen richtig gut hinbekommen und andere gründlich vermurkst, ich war mutig und feige, ich war voller Hoffnung und voller Verzagen. Immer aber, und dafür bin ich dankbar, immer aber wurde ich getragen von dem, was Paulus das Wort vom Kreuz nennt, immer wurde ich getragen von der Hoffnung, dass das Wort Gottes sich seinen Weg bahnt, selbst dann, wenn ich ihm im Wege stehe.

Immer wurde ich getragen von Menschen, die mich begleiteten und stützten, die mich kritisierten und herausforderten.

Dafür bin ich dankbar. Ich gehe in den Ruhestand, ein wenig vorzeitig aus persönlichen Gründen, ich mache keinen Hehl daraus, dass ich auch ein bisschen müde geworden bin und mich darauf freue, meine Füße hochzulegen.

Aber ich bin auch hoffnungsfroh, denn ich sehe, dass die, die nach mir kommen, den Beruf auf ihre Weise füllen, und vieles davon, was die jüngeren Kolleginnen und Kollegen machen gefällt mir sehr gut. Es wird nicht alles schlechter. In dieses Altmännergenörgel möchte ich nicht verfallen, davor behüte mich Gott!

Und das gilt auch für die Gemeinden. Die Kirche verändert sich gerade rasant. Für manche ist es ein Zerfall, sie werden irre an dem, was gerade geschieht und wollen ängstlich an dem festhalten, was gewesen ist.

Denen möchte ich zurufen: Bedenkt unsere Anfänge! Die Reformation war ein gewaltiger Umbruch, die alles in Frage stellte, was bis dahin für gut und richtig galt. Es waren nur Zufälle und günstige Gelegenheiten so wie ein paar mutige und weitsehende Menschen, die Luther vor dem Scheiterhaufen bewahrten.

Meine Haltung zu all den Veränderungen, an denen ich die letzten Jahre auch als Teil der Kirchenverwaltung meinen winzigen Beitrag geleistet habe, ist völlig klar: Wir brauchen keine neue Reformation, wir brauchen nur die alte Reformation neu zu verstehen.

Ecclesia semper reformanda – die Kirche muss ständig erneuert werden,  formulierte es der Theologe Karl Barth in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Und das ist ein Satz, der mich ein Pfarrerleben lang begleitete. Wer hier Angst hat, dass alles zu Grunde geht, sehe zu, ob er nicht an etwas hängt, was uns letztlich sogar als Kirche geschadet hat: mittelalterliche und behördliche Strukturen, patriarchales Amtsverständnis, moralische Besserwisserei, obrigkeitliches Denken, bürgerliche Privilegien.

Wie sagt doch der Vers aus dem Römerbrief so schön: Kein Mensch von Gott geliebt, weil er sich an die Regeln hält, sondern in unserem Scheitern erkennen wir erst, wie es um uns steht: Nur durch Vertrauen bleiben wir bei Gott.

In diesem Vertrauen hänge ich nun meinen Talar, der nicht Ausdruck einer besonderen Weihe ist, sondern ein Symbol für meinen Beruf der öffentlichen Verkündigung, an den Nagel. Für immer? Naja, man wird sehen. Die Katze lässt das Mausen nicht. Ich gönne mir eine Pause, und dann sehen wir mal, was sich ergibt.

Drei Nägel: Alle drei Symbole der Hoffnung. Auf den ersten Blick sicher nicht, aber ich hoffe, dass sich nach dieser Predigt – und das war immer das Anliegen meines Predigens – der Blick auf diese Nägel verändert hat. Was aussieht wie ein Symbol des Schreckens, entpuppt sich als Symbol der Hoffnung.

Was bleibt? Ich sage hier und heute "Danke" an Euch alle, stellvertretend für all die Menschen, denen ich ein Pfarrerleben lang begegnete: Danke, dass ihr mir zugehört habt. Danke, dass ihr mich getragen und manchmal auch ertragen habt. Ich habe immer aus Gottesdiensten, aus Unterricht und Seelsorge, ja selbst aus meiner Arbeit in der Kirchenverwaltung, mehr mitgenommen, als ich gegeben habe.

Das ist nicht selbstverständlich: Ich gehe ohne Groll, ohne falsche Wehmut und durchaus getröstet.

Und damit kommt der letzte Dank, der wichtigste Dank: Dank an Gott, der mich diesen Weg hat gehen lassen und mir immer sein Kreuz vor Augen gemalt hat als Zeichen der Hoffnung.

Ein letztes Mal der Vers aus dem Römerbrief in meiner Übertragung:

Kein Mensch wird von Gott geliebt, weil er sich an die Regeln hält, sondern in unserem Scheitern erkennen wir erst, wie es um uns steht: Nur durch Vertrauen bleiben wir bei Gott.

Seid gesegnet. Gelobt sei Jesus Christus. Amen.

Samstag, 5. November 2022

Präsentation Barcamp 5.11.2022

 Für das digitale Barcamp, das am 5.11. stattfand, habe ich einige Gedanken in eine Präsentation gefasst:

Digitale Kollaboration und Bilder von Kirche


Der Post ist im falschen Blog gelandet. Das macht nichts, aber er gehört hier hin: 

Blog Digitalisierung und Bilder von Kirche

Segen zwischen Bits und Bytes

 




Zwischen Bit und Bytes. Dein Wort

Im Tanz der Elektronen: Deine Kraft

In Netz der Netze: Deine Energie, 

Mehr als neuronal

Über alle kosmischen Strings hinaus:

Ewige Schwingung von Liebe zu Liebe.


Vielfältig sprichst Du

In Zeichen und Gesten

Berührst Du

Bewegst Du

Rufst du ins Leben

Führst zusammen

Bist Du präsent

In allen Räumen.


Licht bist du

Aus dem innersten Kern

Der dreieinigen Umarmung

Pure Energie


Die Welten verschmelzen

Unter dem Feuer Deiner Liebe,

Die Ströme der Gnade

Durchpulsen alles, 

Was Geschaffenes ist


Atmendes, Stoffwechselndes, 

Glühendes, Kaltes

Gewachsenes; Menschengemachtes, 

Alles, was schaltet und waltet: 

Das ganze Gefüge dessen, was ist. 


Alles durchpowert von Dir:

Nimm uns hinein in diesen Fluß

Webe uns ein in dein Netz


Weltweit wirke Dein Segen

In allen, die wir lieben

Mehr noch in allen

Die uns hassen

Die zu lieben 

Uns schwerfällt.


Speise die Armen

Tröste die Trauernden

Die Vermessenen weise in ihre Schranken

Den Lügnern falle ins Wort

Hetze lasse erlahmen

Wehre der Gewalt

Kranken schenke Gesundheit

Trauenden und Sterbenden Hoffnung

Deiner Kirche mache Mut

Neue Räume zu betreten.


Steh uns bei


Leuchte uns entgegen

Im Licht der Displays

Im Strahlen der Sonne

Im Blick, der uns trifft

Und aus dem du uns anschaust:

Jesus Christus.


Es segne und behüte uns der barmherzige Gott, 

Vater, Sohn, Heiliger Geist


Montag, 31. Oktober 2022

Gottesdienst am 31. Oktober 2022 Psalm 46

 Gottesdienst am 31. Oktober 2022 Psalm 46


 

Liebe Gemeinde, 

„Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“ – das Lied Martin Luthers war über Jahrhunderte so etwas wie die Hymne der evangelischen Kirche, und zumindest die Älteren unter uns werden es wohl noch auswendig können. Luther nahm in diesem Lied den Psalm 46 auf, der auch ein Lied voller Zuversicht und Hoffnung ist, auch mit ein bisschen Trotz. 

Eine tiefe Sehnsucht drückt sich hier aus, aber auch eine große Hoffnung und eine Zuversicht: dass wir, wir Menschenkinder, wir Geschöpfe, in all dem Schlamassel, der uns umgibt, geborgen und gehalten sind, geschützt und bewahrt. Der Psalm möchte uns anstecken damit, möchte, dass wir unsere verzagten Blicke erheben und uns umschauen in der Schöpfung, er möchte, dass wir die Angst bei Seite legen und anstatt Worte der Verzagtheit und der Resignation andere Worte sprechen, dass wir an Stelle der alten Leier von Tod und Vergänglichkeit, von Müdigkeit und Schwere ein Lied des Lebens und der Leichtigkeit singen, ein neues Lied. 

Schauen wir uns den Psalm genauer an, es lohnt, sich, und machen wir es, zur Feier des Tages, mal ganz altmodisch, sowie wie über Jahrhunderte hinweg gepredigt wurde und wie Luther es gerne machte: Vers für Vers, in der Hoffnung, die Gefühle und die Stimmung freizulegen, die darin stecken, in der Hoffnung, dass wir angesteckt werden, infiziert von Zuversicht, um mal einen in diesen Zeiten sehr gewagten Vergleich zu verwenden. So ein Lied voller Kraft und Zuversicht kann tatsächlich so etwas wie eine Impfung sein, kann uns neue, schöne Wörter und Bilder ins Herz geben, als Antikörper gegen all jene Worte, die uns traurig, müde, wütend und verzagt machen. 

 

„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben“: 

Was für ein Anfang! Ein Trompetenstoß, der das auf den Begriff bringt, was Glauben meint: Ein lautes „trotzdem“ oder „dennoch“. Der Psalm sagt eben nicht: „Alles halb so schlimm“. „Stellt Euch nicht so an“. Sondern er sagt, was Sache ist: Große Nöte haben uns betroffen, die geradezu nach Weltuntergang aussehen. Aber gerade deswegen brauchen wir ja die Hoffnung. Wäre alles halb so schlimm, könnte man ja auch sagen: Warts ab, geh in Deckung, es wird schon. Aber nein: Es bleibt dabei. Es riecht nach Weltuntergang. Deswegen braucht es trotzige Hoffnung: 

Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütet und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. 

Vulkane, Erdbeben, Tsunami: Die Natur wird hier als Feindin des Lebens beschrieben, ohne Verharmlosung. Das haben wir erlebt: Ein Virus legt uns lahm, macht Menschen nachhaltig krank, tötet, bringt Wirtschaft und Kultur zu erliegen, zerstört Beziehungen; eine Flutwelle zerstört an der Ahr eine ganze Landschaft. So ist es. Nichts wird beschönigt: Das ist hart, und das ist der Fall. Wer wollte es bestreiten. Hier waltet große Nüchternheit. Aber: 

Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist in ihr drinnen, darum wird sie festbleiben, Gott hilft ihr früh am Morgen. 

Die Natur ist eben nicht nur Feindin. Sie ist auch der Ort, in der Gott wohnt. Sie ist nicht von Gott verlassen. Die Lebensfeindin ist auch Lebensspenderin: In der Stadt, in der Gott wohnt, gibt es einen Brunnen, eine Quelle, einen Ort der lebensnotwendigen Versorgung. Ein Zeichen dafür, dass wir nicht von Gott verlassen sind, sondern geborgen an dem Wort, an dem er wohnt, eine sichere Stadt.

Nicht von ungefähr wird hier eine Stadt genannt: in der kargen und wüstenhaften Landschaft, in der dieser Psalm entstand, waren Städte oft auf Bergen gebaut, um sie vor Feinden und Tieren zu schützen. Und darum sind auch unsere Kirchen, jedenfalls die älteren, oft wie Burgen gebaut, in denen wir Schutz finden und trinken können von der Quelle des Wortes Gottes: „Kommt her zu mir alle, die mühselig und beladen seid, ruft Jesus Christus, ich will euch erfrischen“, erfrischen mit dem Wasser des Lebens, das wir umsonst kriegen. Und dieses „umsonst“, im Sinne von kostenlos, ohne Preis, ohne Gegenleistung, das war es, was Luther wiederentdeckte und was ihn auf den Weg brachte: Allein der Glaube, allein das Vertrauen auf sein Wort, bringt uns zu Gott und Gott zu uns. 

Und so sind auch die steinernen Kirchen nur Zeichen und Symbole dafür, dass Gott mitten unter uns ist, wo immer sich zwei oder drei Miteinander in seinem Namen versammeln: Geborgen sind wir in der Gemeinde derer, die auf Gott vertrauen. 

Doch auch Menschen können übel sein, ja sogar Bestien werden. Davon singt die nächste Strophe: Vom Krieg und von der Macht, von unseren vergeblichen Versuchen, mit Königreichen und mit Gewalt Ruhe und Ordnung zu schaffen. Doch Gewalt schafft immer nur neue Gewalt: jemand muss sie beenden. 

Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen,
das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Kommt her und schauet die Werke des Herrn,
der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet,
der den Kriegen steuert in aller Welt,
der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt.

Ja, hier wird Gott als ein Krieger geschildert, der dem Krieg ein Ende macht. Das ist ein Bild, das uns nach den vernichtenden Kriegen der letzten Jahrhunderte nicht mehr so anspricht und uns unbehaglich ist. Aber versetzen wir uns für einen Moment in die Antike oder das Mittelalter und sehen wir einen Ritter vor uns, der so mächtig ist, dass er alle anderen Krieger, alle Machthaber und Gewaltherrscher in Ihre Schranken weist, der seinen Schild über uns deckt und uns verteidigt, wie nur er es kann: Das ist doch ein starkes Bild von der Macht Gottes, der das Zerstörerische zerstört. Es ist, aus heutiger Sicht, ein gewagtes Bild, da wir Gewalt als Mittel der Friedensstiftung nicht mehr akzeptieren können und gegenüber edlen Rittern sehr skeptisch geworden sind. 

Denn durch Christus, mit Jesus von Nazareth kommt etwas Neues dazu, ein neues Vertrauen in die Kraft des Wortes, das die kriegerischen Bilder des Psalmes überbietet. Gottes Waffe ist eben nicht das blutige Schwert, sondern sein kraftvolles Wort, mit dem er, wie bei Jesus geschehen, Tote zum Leben erweckt und der Macht des Todes ein deutliches „Nein“ entgegenschleudert. So kämpft er für uns und auch mit uns, diese Waffe tötet nicht, sie macht lebendig. Und das zeigt uns, wie anders Gott ist, als wir es sind, die wir so schnell nur in der Gewalt eine Lösung sehen. Aber das ist auch ein Erbe der Reformation, eine Wiederentdeckung Luthers: Nicht auf körperliche Gewalt sollen wir setzen, sondern auf die überwältigende Kraft der Liebe. Gott herrscht, sagte Luther einmal, nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort. Zum Beispiel mit einem der schönsten Sätze, die Jesus gesagt hat: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ (Joh 14,19). Oder mit den Worten der Bergpredigt, die wir in der Lesung gehört haben. Den wütenden Mächten der Gegenwart setzt er ein Wort aus der Zukunft entgegen: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen!“ Was für eine Zusage, was für ein Zuspruch. Die Gewalt des Krieges wird überwunden mit der Gewalt der Liebe: Letztlich kann man das wirklich nur in einem Gedicht sagen, davon kann man nur singen, und darum war die Reformation ja auch so eine Singbewegung, darum dichtete Luther Lieder, und darum war in der Zeit der Pandemie vielleicht das Schlimmste für uns als Gemeinde Gottes, dass wir nicht singen durften. 

Aber dann singen wir eben in unserem Herzen, und wir können singen, was Gott uns vorsingt: 

Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!
Ich will der Höchste sein unter den Heiden, der Höchste auf Erden.
Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.

„Seid stille“: das heißt nicht, dass uns der Mund verboten wird. Aber das Geschrei sollen wir einstellen, das Gerede von Katastrophe, Untergang und Zerstörung, das Geschrei der Angst und der Furcht. Stille sollen wir werden, um hören zu können, was er uns sagt, um das Lied der Liebe zu hören im Gebrüll der Vernichtung, das neue Lied, das Lied, das da singt: „Der Herr Jakobs ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“. Und wenn wir hören, wenn wir lauschen, wenn wir erst zaghaft, dann immer kräftiger und schließlich laut und vernehmlich singen, dann wächst uns auch die Kraft wieder zu, unsere Burg zu verlassen und hinauszugehen in die Welt und zu tun, was zu tun ist: Sie zu jenem besseren, jenem gutem, jenem lebenswerten Ort zu machen, als der sie einmal von Gott gedacht war und gedacht ist. 

Ein Ort des Lebens inmitten des Todes, ein Ort der Kraft inmitten der Schwäche, ein Ort der Zuversicht inmitten der Verzagtheit. Überall kann dieser Ort sein, überall, wo Menschen davon singen und sagen: „Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“. Mehr können wir nicht tun. Aber das war ja gerade die umstürzende Erkenntnis Luthers, derer wir heute gedenken: Alles fängt an mit dem Glauben, der ein Vertrauen ist in die bergende, schützende und behütende Macht Gottes. Er liegt vor allem Tun und Machen, das aus ihm erst seine Kraft zum Guten gewinnt. 

Gott schenke uns diese Gelassenheit und Zuversicht, er ziehe in unsere Herzen ein, und werde uns dort eine feste Burg, er lasse uns singen mit diesem Psalm: Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. 

Amen. 

Montag, 27. Juni 2022

Predigt Jona 3 2. S.n. Tr. 2022

 Liebe Gemeinde!


Die Einführung des 9.- Euro-Tickets sorgte für eine handfeste Überraschung: plötzlich fuhren so viele Menschen Bus und Bahn, dass der Betrieb auf manchen Strecken zusammenbrach und die Kapazitäten nicht ausreichten. Was als Entlastung für die gedacht war, die auf Bus und Bahn angewiesen sind, setzte etwas ganz anderes frei: Menschen, die es sich bisher schlicht nicht leisten konnten, mit Bus und Bahn zu reisen, nutzten die Gelegenheit. Und das waren nicht nur Touristen, die sozusagen auf Spritztour gingen. Es waren, das konnte man z.B. in den sozialen Medien ganz gut verfolgen, auch viele darunter, die sagten: Ich wollte mein Auto schon immer stehen lassen, weil ich es für eine Umweltsünde halte, aber die Alternativen waren zu teuer. 

Als der Ukraine-Krieg ausbrach, kam es sofort zu einer großen Flüchtlingswelle aus der Ukraine in die Nachbarländer, und Deutschland war davon auch recht stark betroffen, weil nicht wenige ukrainische Menschen schon Beziehungen hierher hatten. Es war keine Frage, sie aufzunehmen. Alle, die in Sorge gerieten, dass wir eine Art zweites 2015 erleben und sich hier Unmut und Protest breitmachen würde, wurden enttäuscht: Die Bereitschaft in der Bevölkerung, diese Menschen zu unterstützen, war riesig. Noch überraschender aber ist, was Bundeskanzler Scholz unter dem Begriff der „Zeitenwende“ in seiner Rede im Februar auslöste. 100 Millionen Euro für die Bundeswehr – und er stieß auf wenig Widerstand, quasi über Nacht wurde die Bundeswehr, die bis dahin ein Stiefkind der öffentlichen Aufmerksamkeit war oder sogar ziemlich schlecht behandelt wurde, populär, auf einmal saßen Menschen in Uniform in den Talkshows und man hörte ihnen zu. 

Was haben diese drei Bespiele gemeinsam? Offensichtich wird die Bereitschaft der Menschen, tatsächlich etwas zu ändern, den Kurs zu wechseln, ja sogar Einschränkungen und Anstrengungen auf sich zu nehmen, wenn es nur klar gesagt und ins Werk gesetzt wird, höher, als oft vermutet. Wäre das auch ein Signal für die Maßnahmen, die dringend anstehen für den Klimawandel? Könnten hier ein klares Wort, eine klare Anweisung und eine deutliche Benennung dessen, was der Fall ist, am Ende auch Menschen in Bewegung bringen? Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich vor das Problem gestellt sieht, einem Winter entgegenzugehen, der uns in ernsthafte Schwierigkeiten mit der Gas- und Energieversorgung bringen kann, versucht das seit einiger Zeit, auch, indem er deutlich und klar die Konsequenzen auf den Begriff bringt. Er spricht Sachverhalte an, die noch vor wenigen Monaten höchsten hinter vorgehaltener Hand gesagt werden konnten: Es kann so nicht weitergehen. Und überraschenderweise stößt er auch wenig Widerstand, er ist im Moment einer der populärsten Politiker. 

Es ist offensichtlich so, dass man den Menschen mehr zutrauen kann, als man oft denkt – vor allem auf Seiten der Mächtigen und der Entscheider. Und manchmal müssen die dann auch wenig Druck von unten bekommen, damit sich etwas bewegt und sie erkennen: Die Menschen sind in vielem manchmal viel weiter, als von ängstlichen Politikern angenommen.

Genau das ist die Erfahrungen, die der Prophet Jona macht. Er bekommt von Gott den Auftrag, in die Stadt Ninive zu gehen und dort zu sagen: „Gott hat von Eurer Schlechtigkeit gehört, er wird die Stadt vernichten!“ 

Beim ersten Mal ging Jona diesem Auftrag aus dem Weg. Denn Ninive war die Hauptstadt der Assyrer, des aggressiven Feindes im Osten von Israel, dem heutigen Irak, der schon mehrfach das Land überfallen und ausgeplündert hatte, der Erzfeind. Begreiflicherweise hatte Jona Angst, er flüchtete auf einem Schiff nach Westen, Richtung Spanien. Das aber nützte natürlich gar nichts – das Schiff geriet in einen Sturm, die Seeleute losten, an wem das liegen könnte, und das Los fiel auf Jona. Er wurde über Bord geworfen. Aber er ertrank nicht. Die schöne Geschichte erzählt, dass er von einem großen Fisch verschlungen wurde und nun im Bauch des Fisches erkannte, dass er Gott nicht entwischen kann. Er betete ein langes Bußgebet, und schließlich spuckte der Fisch ihn aus. Jona bekam seinen Auftrag erneut. Diesmal machte er sich auf den Weg. Und wir haben gehört, was geschieht. Ohne große Umschweife wird erzählt: “Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage!“

Also predigte er und sprach: „Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen. Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an“.

Die Menschen reagieren! Jonas Ängste waren völlig unbegründet. Wir erfahren ja gar nicht genau, was er ihnen gesagt hat, außer: Es kann so nicht weitergehen, wenn ihr so weitermacht, werdet ihr untergehen! Und sie reagieren, wie man eben in antiken Zeiten reagierte: Sie warfen sich, und das ist ja bis heute sprichwörtlich, in Sack und Asche und fingen an, ihr Verhalten zu ändern. Jona hatte die Menschen völlig falsch eingeschätzt! Aber es geht noch weiter: „Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche.“ Er verkündigt eine große Staatsbuße und einen Wechsel in der Politik. Jetzt, als der König sieht, wie das Volk reagiert, nimmt er es auch an und verkündet eine Umkehr des gesamten Staates, sogar das Vieh wird miteinbezogen. 

Und daraufhin ändert auch Gott sein Vorhaben: Er sieht, dass er gehört wird, und „…da reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht“.


Die Stadt war gerettet. Das war nun also genau so ein Moment: Die Menschen hörten Klartext, und sie reagierten. Und als die Regierung das sah, sah sie sich auch genötigt, zu reagieren. 

Interessant ist, wie es weitergeht – Jona wird nämlich wütend. Jona hatte nämlich, mit der durchaus üblichen Arroganz, die einen Propheten schon einmal befallen kann, damit gerechnet, dass Gott sein Vorhaben nicht durchzieht und den Feind Israel nicht vernichtet. Er wollte die Stadt in Schutt und Asche sehen. Aber das geschieht nicht. Für seine Arroganz bekommt er nun eine eindrückliche Lehre verpasst: 

Jona schmollt und setzt sich auf einen Hügel vor der Stadt. Weil es so heiß war, ließ Gott eine Rhizinus-Staude wachsen, die ihm Schatten bot. Das war natürlich angenehm. Aber dann schickte Gott auch einen Wurm, der die Pflanze verdorren ließ, so dass Jona wieder in der Hitze saß. Er beklagte sich darüber bei Gott und musste folgendes als Antwort hören: „Ist es recht von dir, wegen des Rizinusstrauches zornig zu sein? Er antwortete: Ja, es ist recht, dass ich zornig bin und mir den Tod wünsche. Darauf sagte der HERR: Du hast Mitleid mit einem Rizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Soll ich da nicht Mitleid haben mit Ninive, der großen Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die zwischen rechts und links nicht unterscheiden können - und außerdem so viel Vieh?“


Jona musste lernen, anders über die Menschen und über Gott zu denken. Seine heimliche Rachsucht wurde entlarvt, aber auch sein mangelndes Zutrauen in die Menschen und ihre Fähigkeit, sich wirklich zu ändern, wenn es hart auf hart geht. Gott sagt ja: Sie können rechts und links nicht unterscheiden, sie haben keine Orientierung. Aber ich habe ihnen eine gegeben. Soll ich sie darum trotzdem vernichten, nur, damit Du Recht behältst? Gott ist ein Gott des Lebens und nicht des Todes. 

Die Geschichte endet hier. Es wird kein Fazit gezogen. Sie ist für viele Deutungen offen. 

Heute aber hören wir aus der Geschichte: Man kann den Menschen auch etwas zutrauen, und manchmal sind die Menschen, das Volk, die Bevölkerung, die Bewohner, man mag es nennen, wie man will, viel weiter als die Mächtigen oder die Regierenden und durchaus bereit, aus einer drohenden Katastrophe die nötigen Schlüsse zu ziehen. 

Das kann uns eine Ermutigung sein. Das 9-Euro Ticket, die Zeitenwende-Rede, die Einschränkungen, die möglicherweise auf uns zukommen wegen der Energie- und der Klimakrise: Wir sollten einander da etwas zutrauen, und wir sollten Klartext miteinander reden. Dann kann es geschehen, was in Ninive geschehen ist: Die Menschen besinnen sich und sind bereit, etwas zu ändert, und das bringt dann auch die Regierenden dazu, entschiedene Schritte zu gehen. Wichtig ist halt, die Menschen wirklich mitzunehmen und keine Angst zu haben. 

Das ist die Jona-Geschichte, trotz all ihrer märchenhaften Züge, überraschend aktuell. Vielleicht kann man es in einen einfachen Satz zusammenfassen: Die Menschen sind gar nicht so, wenn man sie ernst nimmt. Traut Euch, die Wahrheit zu sagen. 

Gott gebe uns, als Volk, Bevölkerung und Einwohner, als Regierende und Verantwortliche diesen Mut, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die Wahrheit furchtlos auszusprechen und die nötigen Schritte zu tun. Dann kann sich tatsächlich etwas ändern, von dem es eben noch hieß: das geht nicht! Es kann nur besser werden. 

Amen. 


Fürbitte: 

Gott, unser himmlischer Vater, 

es sind schwierige Zeiten, und wir müssen uns ändern. Wir müssen aufhören, de Erde zu plündern, wir müssen aufhören, fragwürdige politische Bündnisse zu schließen und schiefe Kompromisse einzugehen. Wir müssen den Mut finden, neue Wege zu gehen und dafür auch bereit sein, einen Preis zu zahlen. Die Zeichen der Zeit sind eindeutig und klar. Und so bitten wir dich: Sende uns Menschen, die Klartext reden. Öffne die Ohren der Menschen, das auch zu hören. Nimm uns die Angst vor Veränderungen; so wie es ist, kann es nicht bleiben. Gib uns Zutrauen in unsere Kraft, auch schwierige Zeiten zu ertragen, und sie nicht einfach auszuhalten und abzuwarten, sondern etwas zu verändern und neu zu beginnen. Sende den Regierenden den Mut, den Menschen reinen Wein einzuschenken. Und gib uns die Hoffnung, dass Du uns dabei begleitest und uns deine Kraft zur Veränderung sendest. Führe uns zu Umkehr, wie du es durch deine Propheten, durch Jona und Jesus Christus getan hast. Wir wissen, dass wir mehr können, als wir meinen. Lass uns Zutrauen finden zu dieser Kraft, damit die Erde ein guter Ort wird für alle. 

Amen


Dienstag, 3. Mai 2022

Gefüge

 Gefüge


Wer hat die befugnis 

fügung zu fügen

und fuge um fuge

spuren zu spüren

wer hat die befugnis

eine fuge zu fügen

und lagen zu lagern. 

wer hat die befugnis 

meine stimme zu stimmen,

wer tönt meinen ton

aus dem ich gefügt bin? 


Donnerstag, 21. April 2022

Postheroischer Hymnus

 Postheroischer Hymnus



Wer ist nun noch blind genug

zu singen von helden

zerfetzt in den gräben

verbrannt in maschinen

in den kellern verschüttet

vergewaltigt, verschleppt, verhungert? 


Wer wagt es 

Achill zu beschwören, 

das eitle narzisstische vieh

Siegfried, 

den unverwundlichen deppen

Jaël, 

die schädelspaltende, 

frevelnd am gastrecht 

David, 

den schlingenschwingenden brecher der regeln von ehre und zweikampf?


Der krieg hat verloren: 

da gibts nichts zu dichten

was es zu singen gibt

erzeugt nur noch ekel

und die schmerzhafte liebe zu dir, 

weise kassandra. 

kenntest du doch

den getöteten gott aus judäa: 


Dein liedloses unheil 

wäre umschlungen 

von singbarem. 


So bleibt nur 

verstummende scham. 

Und das dröhnen der waffen . 


Dienstag, 19. April 2022

Religion

blut kristallenes leben 

zerknirscht unter weihen 

verlogenes träumen

ewigen lebens 

ihr nennt es opfer 

es ist aber: mord.



Dienstag, 12. April 2022

Nicht wirklich

 Es ist keine finsternis  

Es fehlt bloß das licht. 

Es ist kein schrecken

Es fehlt bloß das Glück. 



Kyrie eleison 

Schwester Sonne.

 Auch auf die Sonne

Herrliche, schreckliche

Lachende brennende

Alles versegende

Lebensspendende 

wartet 

in kollaps

das schwarze Loch. 


Kyrie eleison 

Montag, 11. April 2022

Wissen/Tod

Wissen/Tod


Die einen: drei Tag triefnase. 

Die andren: drei wochen  atemmaschine. 

Noch andere: drei monate schwäche. 

Wieder andere: Tod


Noch unsere großeltern: 

ausgeliefert, ohne option,

ratlos, namenlos bedroht: strafangst. 


Was geht vor  in den verächtern des wissens

den komplizen des vermeidbaren Unheils? 


Kyrie eleison