4 Aber Gott, der reich ist an
Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 auch
uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht # aus Gnade
seid ihr selig geworden #; 6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt
im Himmel in Christus Jesus, 7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den
überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus
Jesus.
Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch
Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es,
9 nicht aus Werken, damit sich nicht
jemand rühme.
10 Denn wir sind sein Werk,
geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass
wir darin wandeln sollen.
Liebe Gemeinde,
diese überschwänglichen Verse, die man mindestens
zweimal lesen muss, um sie verstehen, sind ein Lob auf und an Gott. Ein Lob,
das keinen Zweifel daran lässt, dass Gott uns liebt, ja dass Gott die Liebe
ist. Und hinter so einem Lob muss eine Erfahrung stecken, so ein Lied singt man
nicht ohne Grund. „Wir waren tot in den Sünden, und sind lebendig gemacht
worden mit Christus“, und zwar „aus Gnade“. Hinter diesen inzwischen etwas
abgenutzten Formeln und Redewendungen steht die Geschichte des Jesus von
Nazareth.
Er ist der Grund für dieses Lob. Die Menschen haben
durch Jesus eine Erfahrung gemacht, die ihr ganzes Leben geändert hat, und zwar
so sehr, dass sie das wie eine Auferweckung erlebt haben, wie den Beginn eines
neuen Lebens. Sie sind wie neugeboren.
Was sie so gelähmt hat, dass sie sich wie tot fühlten,
wird hier mit „Sünde“ beschrieben.
Das Wort hat heute keinen guten Klang mehr, weil damit
viel Schindluder getrieben wurde. Menschen wurde Angst gemacht damit, dass sie
„Sünderinnen und Sünder“ sind. Dass sie nicht richtig sind, falsch,
unbrauchbar; so unbrauchbar, dass sogar Gott mit ihnen nichts zu tun haben will.
Das Wort „Sünde“ wurde verwendet, um Menschen klein zu
machen und zu erniedrigen, indem man ihnen Angst vor Gott machte und ihnen mit
Strafe drohte.
Und viele Texte und Erzählungen der Bibel gehen ja –
scheinbar – in diese Richtung. Wenn da nicht Jesus von Nazareth gewesen wäre,
der dieser Rede von Strafe und Sünde widersprach und stattdessen gerade zu
denen ging, die als vemeintiche Sünderinen und Sünder ausgegrenzt waren. Er
erzählte Gesichten von der Vergebung , und am Ende ist seine eigene
Geschichte die stärkste Geschichte der Versöhnung von Gott und Mensch überhaupt.
Menschen mit Strafe Gottes zu drohen ist daher nichts
anderes als grausam und barbarisch. Menschen einzuschüchtern und zu
erniedrigen, ist das Schlimmste, das man ihnen antun kann. Und genau dazu wurde
das Wort „Sünde“ immer wieder verwendet, und darum kann man es heute eigentlich
guten Gewissens gar nicht mehr verwenden.
Das ist ein bisschen schade. Denn eigentlich
beschreibt das Wort eine Erfahrung, die jeder von uns kennt: Dass Gott uns
fremd geworden ist. Dass wir ihn in unserem Leben eben nicht nicht spüren und
erfahren, sondern meistens eher als abwesend und fern erleben, wenn überhaupt.
Was das Wort „Sünde“ einmal meinte, ist die Erfahrung unserer Einsamkeit und
Angst, das Gefühl verloren zu sein, nicht klar zu kommen und zu scheitern. Wir
sind nicht so, wie wir gerne wären. Und die Welt ist nicht so, wie wir sie
gerne hätten. Sie ist in vielem ein schrecklicher Ort.
Das ist doch ein ganz elementares, ganz starkes Gefühl.
Und wer es kennt, weiß auch, was es mit uns macht: Es lähmt uns, wenn wir eher
der müde, depressive Typ sind. Oder es macht uns wütend, wenn wir eher der
dynamische, vorwärtstürmende Typ sind. Der Theologe Paul Tillich sprach daher
lieber von „Entfremdung“. Sünde beschreibt das Gefühl, dass wir uns fremd
fühlen, dass wir nicht ganz bei uns sind, nicht bei den anderen Menschen und
schon gar nicht bei Gott. Das macht uns Angst, die Angst macht und wütend dumm.
Sünde beschreibt also gar nicht eine Verfehlung und „böse Taten“, sondern erst
einmal einen großen Schmerz, einen bohrenden Kummer, eine tiefe Verletzung. Es
ist am Ende die Angst, nicht geliebt, und nicht gewollt zu sein, es ist die
Angst vor Einsamkeit und Trennung, ein Gefühl des Verlorensein. Und wenn es
richtig schlimm wird, dann fühlen wir uns auch noch schuldig, selbst wenn wir
gar nicht genau sagen können, warum. Am Ende steht ein angeschlagenes
Selbstbewußtsein, das Gefühl, lebendig tot zu sein. Das ist schlimm. Und dieses
Gefühl bekommt ja auch noch ständig Futter. Wir machen doch ständig Erfahrungen
von Scheitern und Misslingen. Wie gehen wir mit der Welt um, die uns anvertraut
ist? Wieso schaffe ich nicht, was ich mir vorgenommen habe?
Es gibt viele Gründe, sich, wie die Redensart es so schön
drastisch sagt, „klein, dumm und hässlich“ zu fühlen. Das ist ein wahrer
Teufelskreis. Wir kommen wir da raus?
Am Montag veröffentlichte der Weltklimarat seine Studie
zur Klimaentwicklung. Es ist alles noch viel schlimmer, als erwartet. Wörtlich
heißt es da: Die Einwirkungen des Menschen auf das Klima habe „irreversible
Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme“. Die Umweltministerin Svenja
Schulze hat es auf den Begriff gebracht, worum es geht: „Der Planet schwebt in
Lebensgefahr“. Das sind keine Meinungen, dass sind auch keine Sätze von
religiösen Propheten und Unheilsverkündern, das ist das Ergebnis der Arbeit von
hunderten von Wissenschaftlern, die tausende von Studien ausgewertet haben. Die
Sachlage ist völlig eindeutig.
Die Welt brennt und ersäuft gleichzeitig, und das
Gefühl, dass wir die Quittung dafür bekommen, was wir alles falsch gemacht
haben, wird geradezu übermächtig - wenn
man es überhaupt an sich heranlässt und nicht einfach alles abstreitet und
verharmlost. Und jetzt schließt sich der Kreis: Ist das nicht eben doch alles
„Sünde“, und wir werden bestraft? So merkwürdig es klingt: Gerade das ist ein
absurder Gedanke, mit dem wir es uns zu leicht machen. Man kann sich nämlich in
seinem Elend auch einrichten und das Gejammer zu einer Lebenshaltung machen.
Man kann sich in seiner Wut auch einrichten und das Rumpöbeln zu einer
Lebenspraxis machen. Man kann sich auch einigeln und in der Lüge leben, dass
das alles nur Lügen sind. Man kann sich auch selbst kleinmachen, so klein, dass
man gar nichts mehr tun braucht: wir sind eben alle Sünder. Aber der Zahn wird
uns von Gott gezogen: Das ist im Grunde ein Strick, den wir uns selbst drehen.
Wir werden eben nicht bestraft. Wir werden mit den Folgen unseres Tuns
konfrontiert, wobei es Aufgabe der Wissenschaftler ist, das genau
herauszufinden und Wege zu finden, das zu ändern. Das ist etwas völlig anderes
als Strafe. Wenn ich meinen Dreck in den Fluss schmeiße, dessen Wasser ich
trinke, und davon krank werde, bin ich kein Sünder, sondern ein Dummkopf. Ich
werde nicht bestraft, ich erlebe die Folgen. Das Gerede von der Sünde an dieser
Stelle hat noch eine fatale Folge: Es werden Schuldige gesucht und es gibt
endlose Debatte darüber. Dabei müssen wir Lösungen finden. Und natürlich unser
Leben ändern.
Aber wenn wir uns jetzt hinsetzen, den Kopf hängen
lassen und uns mit Asche bestreuen oder ein großes Geschrei machen, ist
niemandem geholfen. Und jetzt kommen wir wieder zu den biblischen Worten, die
dieser Predigt zu Grunde liegen: Hier wird ja gerade gesagt, dass unsere
„Sünde“, unsere Entfremdung, überwunden ist! Und zwar von Gott her. Es geht ja
gerade nicht um Strafe und moralische Vorhaltungen, was für schlechte Menschen
wir sind. Nein, hier wird ja gerade davon gesungen, dass Gott sich uns zuwendet
und von sich aus die Grenze überschreitet und auf uns zugegangen ist: In Jesus!
Wir sollen uns gerade nicht fürchten und Resignation
verfallen, sondern vielmehr auf Gott schauen und sehen, dass wir Grund zu
Freude haben und daraus neuen Mut finden! Die „Sünde“, um das Wort noch ein
letztes Mal zu verwenden, ist das, was hinter uns liegt. Vor uns aber liegt das
ewige Leben, vor uns liegt die Liebe, vor uns liegt Gott. Er ist eben nicht ein
strenger Richter, der uns verurteilt oder ein Lehrer, der uns Noten gibt,
sondern er ist die Liebe selbst, die doch in allem waltet, was ist. Er will zum
Guten bewegen, indem er uns die Schönheit, die Zerbrechlichkeit und die
Kostbarkeit des Lebens vor Augen führt. Glaube ist das Vertrauen, dass Gott uns
liebt, selbst wenn wir uns verachten. Er spielt unsere bösen Spiele von
Verachtung und Demütigung nicht mit, denn sie machen alles noch viel schlimmer.
Debatten über Schuld und Sünde helfen der Reduzierung des CO2 Ausstoßes nicht im
Geringsten. Gott durchbricht diese bösen
Spiele, und das nennen wir Gnade. Er rettet uns vor uns selbst, damit wir
rauskommen aus Lähmung, Wut und Ohnmacht und nüchtern und wachsam tun, was zu tun ist.. Und jetzt lesen wir die biblischen
Worte am Anfange dieser Predigt noch einmal, und ersetzen das Wort Sünde durch
„Fremdheit“ oder „Einsamkeit“, und ich glaube, dann hören wir, was hier
wirklich gesagt wird: Wir können leben aus einem Gefühl der Güte und der Wärme
heraus, in der Gewissheit, dass Gott keiner ist, der uns etwas Übles will. Wenn
wir das hören, treten wir, um es mal mit der etwas geschwollenen Sprache dieses
Liedes zu sagen, aus dem Tod in das Leben, dann stehen wir mitten am Tag auf.
Und das kann der Anfang von etwas Gutem sein. Das kann uns ermutigen, die Ärmel
hochzukrempeln und zu tun, was zu tun ist: Die Welt zu einem besseren Ort zu
machen, in dem alle einen Platz zum Leben haben, koste es, was es wolle. Wir
leben „aus dem Reichtum seiner Gnade“. Das ist doch mal ein Wort.
Amen.
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