5.Mose 6,4-9
4 Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der
HERR allein. 5 Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem
Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. 6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete,
sollst du zu Herzen nehmen. 7 und sollst sie deinen Kindern einschärfen und
davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich
niederlegst oder aufstehst. 8 Und du [a]sollst sie binden zum Zeichen auf deine
Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, 9 und du
sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
Liebe Gemeinde, diese sehr feierlichen Worte
sind das Glaubensbekenntnis des Volkes Israel. Es wird in der Synagoge bei
jedem Gottesdienst gebetet, auch für das tägliche Gebet ist es entscheidend.
Wer das Schma Jisrael verkündet, stellt sich als Jude und als Christ in die
große Geschichte Gottes mit seinem erwählten Volk und der ganzen Menschheit. Es
steht im fünften Buch Mose und eröffnet den großen Block der Gesetze und
Regeln, mit denen Gott das Leben der Menschen, vor allem aber des jüdischen
Volkes, regeln will.
Es ist
Ausdruck eines tiefen Glaubens daran, dass Gott in der Geschichte wirkt, weil
er Menschen in die Freiheit führt, so wie es das Volk Israel erlebt hat, als er
aus der Knechtschaft in Ägypten und aus der Gefangenschaft in Babylon befreit
hat.
Uns Christen erinnert es zudem an die große Tat
Gottes, als er in der Auferweckung Jesu die Gefangenschaft des Todes beendet
hat und die frohe Botschaft so für alle Menschen öffnete.
Es ist ein Bekenntnis zu dem Gott, der in die
Freiheit führt. Und so ist gut und angemessen, dass wir diese Worte heute, am
Gedenktag der Reformation, hören und bedenken. Denn das Schma Israel, das in
unserer gemeinsamen Bibel steht und uns unserem gemeinsamen Gott spricht,
erinnert uns an noch etwas, und es ist im Grunde ein Skandal, dass ich das
heute, im Jahre 2019, nach allem was wir in der Geschichte mit dem Volk der
Juden erlebt und ihnen angetan haben, sagen muss:
Man
kann nicht Christ sein und Antisemit. Man kann nicht das Vaterunser beten und
gleichzeitig Juden hassen. Denn wer Juden hast oder verachtet, der verachtet
Jesus Christus. Denn er ist der Gesandte, der Sohn eben jenes Gottes, von den
Israel in seinem Glaubensbekenntnis spricht, von dem einen Gott, Schöpfer und Erhalter
der Welt. Darum können wir auch keine Muslimen hassen, denn auch sie beten zu
dem einen Gott, wenn auch auf ihre Weise, die nicht die unsere ist. Ja, man
kann überhaupt keinen Menschen hassen, denn wir sind alle Kinder dieses einen Gottes:
Seine Gnade, seine Liebe gehört allen Geschöpfen. Wer sind wir, zu hassen, was
Gott über alle Dinge liebt?
Und
wenn doch der Hass da ist, wie er unter Geschwistern schon einmal auftritt,
dann haben wir die heilige Pflicht, die unaufgebbare Aufgabe, die Versöhnung zu
suchen und den Hass zu überwinden: er ist Sünde. Denn dass Gott uns vergibt,
heißt nicht, dass wir uns beruhigt zurücklehnen sollen. Versöhnung und
Vergebung nehmen uns vielmehr in die Pflicht, sie weiterzusagen und in die Welt
zu tragen und für Versöhnung zu kämpfen.
Mögen
die Auffassungen, die Erfahrungen von Juden, Christen und Moslems mit diesem
einen Gott auch noch so verschieden sein, mögen wir auch einander auch noch so
fremd sein: Dieser Auftrag steht im Raum: Sucht die Versöhnung.
Und Versöhnung
geschieht durch Begegnung. Es ist schon auffallend, dass der Hass auf andere
meist da am größten ist, wo man die anderen gar nicht kennt!
Unkenntnis,
Vorurteile und Angst vor dem Fremden, nur weil es das Fremde ist, ist die
Quelle von Hass.
Wir
sollen nicht übereinander reden, sondern miteinander, wir sollen nicht in Unkenntnis
verharren, sondern uns kundig machen: Wer sind diese Anderen? Was immer ihr
über Juden und das Judentum zu wissen meint, überprüft es. Was immer ihr denkt
und meint, eines steht fest: Sie sind unsere Schwestern und Brüder im Glauben
an den einen Gott, der in die Freiheit führt. Daran erinnert uns Christen das
Schma Jisrael, das Glaubensbekenntnis im fünften Buch Mose. Da müssen wir anfangen,
wenn wir den absurden und grotesken Verschwörungsmythen über Juden und das
Judentum entgegentreten wollen, die unser Denken und Handel vergiften und, wie
wir sahen, bis zum Mord führen.
Und
ich bekenne aufrichtig meine Naivität in diesem Punkt.
Ich
hätte es als junger Pfarrer vierzig Jahren nicht für möglich gehalten, dass ich
das einmal so deutlich und kompromisslos in einer Predigt sagen muss , und
nicht nur aus frommer Beschaulichkeit, weil man da ja ab und zu drüber predigen
muss, sondern weil hier in diesen Land jüdische Menschen wieder um ihr Leben
fürchten müssen, weil hier der Hass wieder seine widerliche Fratze zeigt, der
nicht nur widerlich ist, wie es Hass eben ist, sondern geradezu gottlos. Der
Hass zerfrisst unsere Gesellschaft von innen heraus, er ist der schlimmste
Feind von Freiheit und Frieden.
Wie konnte
es dazu kommen? Nun, weil es unser schweres Erbe ist, da man eben nicht so
einfach los wird: und da kommt Martin Luther ins Spiel. Ja, es war Luther, der
als alter, verbitterter und von seiner Kirche und den Menschen, und auch von
sich selbst zutiefst enttäuschter alter Mann als seine Wut, all seine Frustration
und alle seine Verletzungen auf dieses Volk, auf Gottes, auf die Juden warf und
die vielleicht schlimmsten judenfeindlichen Schriften schrieb, die ein Christ
je verfasst hat. Da gibt es kein Vertun: das ist so. Er hat uns damit den Hass
auf die Juden tief in unser Denken eingepflanzt, es ist unser dunkles, schweres
und schwarzes Erbe, das wir seitdem tragen: Der Theologe Martin Luther hat
vieles geschrieben, was bis heute zum großen Schatz des christlichen Glaubens
gehört, für alle Christen, wie inzwischen auch in der Ökumene gesehen wird.
Aber der Mensch Martin Luther, der Kirchenmann Martin Luther hat auch Sachen
geschrieben, die zum Unerträglichsten und Schlimmsten gehören, was je aus der
Feder eines Christenmenschen geflossen ist. damit müssen wir uns
auseinandersetzen, von diesem Erbe müssen wir uns trennen: Wir müssen mit
Martin Luther, der so umwälzende und kraftvolle Worte für die Freiheit und die
Kraft des Glaubens gefunden hat, gegen Martin Luther denken und reden, der so
scheußliche Sachen geschrieben hat, über Juden und Moslems, über Bauern und
Katholiken.
Es
sitzt tief uns. Selbst ich erwische mich in Stunden der Frustration und der
Schwermut bei dem Gedanken: Haben die Juden es nicht doch verdient, ist nicht
doch etwas daran an den jahrhundertealten Vorurteilen über das Volk der Juden?
Und erschrecke zugleich zutiefst, weil ich spüre, wie dieses schlimmes Erbe in
mir wirkt und tobt wie eine Erbkrankheit, und ich höre dann das Nein! Nein!
Nein!, das Gott mir entgegenruft, wenn er mir Jesus Christus, den Juden aus
jüdischer Familie, vor Augen stellt. Die Reformation hat eine dunkle Seite,
auch sie war nicht frei von Hass und Verachtung, auch sie scheiterte immer
wieder an der Verkündigung des Evangeliums, darin ist sie menschlich, zutiefst
menschlich, und darum feiern wir sie zwar als Anfang einer neuen befreiten Art
des Glaubens, aber zugleich erkennen wir, wohin es führt, wenn man auch nur
einen Moment aus den Augen verliert, was wir eigentlich glauben: Dass durch den
Juden Jesus das Heil in die Welt kam. Wie lautet der Vorwurf dann, wie lautet
die Formel des Hasses, des frommen Hasses:
Die Juden
haben Jesus getötet? Nein, ein aufgehetzter Mob hat seinen Tod gefordert und
ein machtgieriger und zugleich zutiefst feiger römischer Besatzungsmilitär hat
es zugelassen. Nicht „die Juden“, nicht „die Römer“, , sondern einzelne,
verblendete, vom Hass aufgewiegelte Menschen waren es, die riefen: Kreuziget
ihn! Nicht „den Juden“ und „den Römern“ wird hier der Spiegel vorgehalten,
Sonden all jenen Menschen, die aus religiösen Gründen hassen, die den Glauben
nicht als ein Kraft zum Leben, sondern als eine Energie zum Töten missbrauchen,
und wenn es eine Sünde gibt, die man die größte nennen kann, dann ist es die:
Den Namen Gottes zum Töten zu missbrauchen. Das ist die Sünde, von deren
Vergebung wir immer reden: Glaube und Tod miteinander zu vermischen.
Gott
macht es anders. Er führt uns ins Leben und nimmt sogar seinen Tod in Kauf,
anstatt auf Gewalt mit Gewalt zu antworten: dass er gestorben ist, ist nicht seine
Schwäche, es ist Zeichen seiner Stärke: Er starb aus Liebe zu seinen
Geschöpfen, die ihn so widerlich behandeln.
Darum
ist der Glaube an Gott für uns Christen kein anderer Glaube als der Glaube an den Gott
der Juden, der sein Volk erwählt und befreit hat und der sich aller Welt in Jesus
Christus gezeigt hat. Glaube ist Glaube ab den versöhnenden und barmherzigen
Gott oder es ist kein Glaube, und darin sind sich die Menschen, die von Gott
jemals berührt wurden, zutiefst einig: Hass ist pervers, und wo eine Religion,
die sich auf den einen Gott beruft, Hass predigt, und wo selbst in ihren
heiligen Schriften, die ja auch von Menschen geschrieben sind, vom Hass anders
die Rede ist als so, dass er überwunden werden muss, da ist diese Religion nur eine
Fratze des Glaubens und verdient dieses Wort nicht, da ist dieser Glaube nicht
als Ideologie, Lüge und Verblendung.
Das
ist die frohe Botschaft für das 21. Jahrhundert, und es war nie eine andere,
auch und gerade weil sie immer und immer wieder in ihr Gegenteil verkehrt wurde
und wir Schuld über Schuld auf uns geladen haben, weil wir den Namen Gottes
missbrauchen. Darum sprechen die Juden aus Klugheit und Vorsicht den Namen
Gottes nicht aus, darum rufen auch die Moslem Gott als „Allah“, als Gott, an,
und darum nennen wir ihn beidem Namen an, der für die Liebe schlechthin steht:
Jesus Christus, damit wir Gott nicht verwechseln mit dem Götzen unserer
gottlosen Angst.
Das
ist die wahre Reformation, die wahre Umwandlung, die Umkrempelung und
Erneuerung unseres Herzens und Denkens, und die brauchen wir immer und immer
wieder, weil der Hass nach uns greift, der Hass auf alles, was anders ist, der
Hass auf alles, was uns in Frage stellt, der Hass auf uns selbst sogar, wenn
wir unseren Ansprüchen nicht genügen. Die wahre Reformation, die wir Tag für
Tag brauchen, ist, dass wir von der Liebe berührt und verwandelt werden.
Wie
aber kann das geschehen? Indem durch das Wort Gottes die die Augen geöffnet
bekommen für die Zerbrechlichkeit und Schönheit des Lebens. In dem wir uns und
andere erinnern, wie es ist, geliebt zu werden. Indem wir die Sehnsucht zulassen
nach Berührung und Nähe, indem wir miteinander trauern und feiern, weinen und
lachen, erzählen und zuhören, indem wir einander sehen als das, was wir sind: Sterbliche,
die nichts wollen als leben, gut leben, mit Dir und mit Dir und mir Dir. Wir sind
Geschwister unter dem einen Vater:
4
Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. 5 Und du sollst den
HERRN, deinen Gott, lieb haben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all
deiner Kraft. 6 Und diese Worte, die ich
dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen. 7 und sollst sie deinen Kindern
einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist,
wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
Die
einen loben Gott, weil er sie aus der Knechtschaft führt und Ihnen ein Gesetz
gibt, nach dem sie gut leben können, das Volk der Juden; die anderen loben
ihren Gott, weil er durch den Erzengel Gabriel und den Propheten gesprochen hat
und sie vor Hölle und Verdammnis bewahrt, die Moslems, wir loben ihn, weil er
unter uns lebte als Mensch unter Menschen, damit wir Menschen werden.
Meine
Lieben: Gerade weil uns heute, am wichtigsten Gedenktag der evangelische
Kirche, weil wir uns heute an dem Tag versammeln, wo wir auch die schmerzliche
Trennung der Christengeit so brennend spüren, gerade weil uns heute als biblisches
Wort das Bekenntnis des Volkes Israel
begegnet, das kein anders ist als das Bekenntnisses unseres Herkunft, gerade
darum lasst uns heute hören, was der Gott Abrahams Isaaks und Jakobs, der Vater
Jesu Christi, zuruft: seid Botschafter der Versöhnung an Christi statt, lasst
euch versöhnen mit Gott, damit die Versöhnung in der Welt des Hasses eine
Chance hat, denn nur so können wir leben: Versöhnt mit Gott, versöhnt mit der
geschundenen Schöpfung, versöhnt mit dem Nächsten, versöhnt mit uns selbst. Das
ist unser Auftrag in der Welt, das ist die wundervolle Aufgabe die wir haben:
Botschafterinnen und Botschafter der Friedens zu sein. Bewegt das in eurem
Herzens, schärt das euren Kindern ein, verkündet es laut in der Öffentlichkeit.
Dann
dürfen wir uns mir Freude und mit recht “evangelisch“ nennen, Kinder der frohen
Botschaft, zum Zeichen für alle Völker. Wir haben besseres als den Hass: wir
haben den einen Gott, der die Liebe ist. Oder, hält, nein, wir haben gar
nichts. Er hat uns.
Amen
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