Premiumpredigt zum Karfreitag,
30.3. 2018, Hebr 9,15.26b-28; Roland Kupski
Predigt
Liebe
Gemeinde!
Zumindest
die Älteren unter uns kennen das noch: Blutsbrüderschaft. Zwei Freunde stechen
sich in den Finger, legen die Finger aufeinander, sie vermischen ihr Blut, und
ab jetzt sind sie Blutsbrüder. Die vielleicht berühmtesten Blutsbrüder waren
Winnetou und Old Shatterhand, die beiden Helden aus Karl Mays Romanen. Etwas
weniger männlich geht es zu, wenn Liebesbriefe mit einem Tropfen Blut besiegelt
werden.
Oder, sozusagen
die moderne Fassung des Ganzen, wenn sich Freunde oder Liebende ein Tattoo
stechen lassen. das ist ein ziemlich schmerzhafter Vorgang, bei dem auch Blut
fließt.
Blut ist
eben ein Symbol für Leben und für Lebendigkeit. Wo Blut fließt, fließt Leben.
Und darum ist es zugleich eklig, weil es bedrohlich wirkt, aber auch
faszinierend.
Diese
Faszination steht hinter dem Gedanken des Opfers, jedenfalls hinter dem Opfer,
von dem in den fast allen Religionen die Rede ist. Blut muss fließen, um
Verträge zu besiegeln, Blut muss fließen, um Versöhnung auszudrücken, Blut muss
fließen, um symbolisch Schuld zu bereinigen.
So, liebe
Gemeinde, können wir uns dem schwierigen Gedanken des Opfers nähern: ich gebe
Leben, damit Leben möglich ist.
Schwierig
ist der Gedanke nämlich nicht zuletzt auch deshalb, weil das Wort „Opfer“ im
Deutschen mehrere sehr verschieden Bedeutungen hat.
Wir
verwenden es auch für Menschen, die unschuldig gestorben sind. Wir sprechen von
„Verkehrsopfern“, von „Verbrechensopfern“, von „Kriegsopfern“. Damit geben wir
ihrem Tod eine Bedeutung. Es sind besondere Tote. Und dahinter steht die uralte
Vorstellung, dass der Tod einen Grund haben muss. Der Gedanke an den Tod wäre
unerträglich, wenn er bloß ein blinder Zufall wäre. Nennen wir einen Menschen
ein „Opfer“, dann geben wir seinem Sterben einen Sinn, dann wird das Sterben
eingebunden in einen Zusammenhang von Schuld und Unschuld. Denn wo ein Opfer
ist, da ist auch ein Täter.
Und damit
sind wir bei einer weiteren Bedeutung des Wortes „Opfer“. Ein „Opfer“ ist immer
irgendwie unschuldig. Und doch spüren wir, dass das manchmal auch nicht stimmt.
Man kann sich auch zum Opfer machen. Das spiegelt sich darin wieder, dass wir
manchmal Menschen ein „Opfer“ nennen, um zu sagen: Er ist ein willenloser
Idiot, der mit sich machen lässt, was andere wollen. Das hat in den letzten
Jahren gerade in der Sprache der Jugendlichen um sich gegriffen: „Du Opfer!“
ist ein Schimpfwort geworden. Jemand, der sich zum Opfer machen lässt, ist ein
bedauernswerte Mensch.
Immer aber,
wenn wir vom Opfer reden, schwingt der Gedanke an den Tod mit. Ja, in seiner
stärksten Verwendung gewinnt das Wort „Opfer“ dem Tod etwas absolut Positives ab:
Nämlich dann, wenn das Opfer ein stellvertretender Tod ist.
So war es
letzte Woche: In der Kleinstadt Trèbes in Frankreich gab es einen
terroristischen Anschlag, in dessen Verlauf der Attentäter eine junge Frau als
Geisel nahm, nachdem er schon drei Menschen erschossen hatte. Der Attentäter
war zu allem entschlossen. Ein junger Polizist ließ sich gegen die Frau
austauschen. Er ließ sein Handy eingeschaltet, was den Einsatzkräften die
Möglichkeit gab, mitzubekommen, was im Inneren des Supermarktes vor sich ging.
Als die Polizei Schüsse und Schreie hörte, stürmte sie den Supermarkt. Da war
der junge Mann aber schon so schwer verletzt, dass er wenige Stunden später
starb. Der Polizist hieß Arnaud Beltrame, war 45 Jahre alt, und ein Spezialist
für Terrorbekämpfung. Er wusste genau, worauf er sich einließ. Er war kein
dummes Opfer. Er war bereit, sein Leben zu geben für das Leben der jungen Frau
und für die Bekämpfung des Terroristen.
Hier ist es
ganz deutlich, dass all die Bedeutungen des Wortes „Opfer“ mitschwingen.
Hingabe, Treue und die Bereitschaft, Leben zu retten unter Verlust des eigenen
Lebens. Doch nicht nur das Leben dieser Frau wurde gerettet, auch die
französische Demokratie und der Rechtsstaat wurde gestärkt. Sein Tod hatte
einen Sinn. Aber tot ist er trotzdem, er hinterlässt eine Ehefrau. Ob sie der
Gedanke tröstet, dass ihr Mann ein Held war?
Denn unter
einer anderen, höheren Perspektive war sein Tod sinnlos. Denn dieser Tod war
das Ergebnis eines Ausbruches von Gewalt. Wir hätten eine bessere Welt, wenn
solche Opfer gar nicht nötig wären. Sein Opfer zeigt, dass Opfer, aus dieser
höheren Sicht der Dinge, eigentlich immer sinnlos sind: denn wo ein Opfer ist,
da ist Gewalt. Sein Opfer hat das besonders sichtbar gemacht: Wie wäre eine
Welt, in der es keine Opfer geben müsste, in der kein Blut fließen muss? Wie
wäre eine Welt, um es in der Sprache der Bibel zu sagen, in der keine Sünde,
keine Gewalt mehr herrscht?
Denn das ist
die Sünde: Die Herrschaft der Gewalt, die gegen alles Recht und gegen alles
Gesetz den eigenen Willen durchsetzt und sich dabei nicht scheut, über Leichen
zu gehen. Über wirkliche Leichen, aber auch über symbolische Leichen:
zerstörte, vernichtete Leben.
Und darum
kann und will auch Gott keine Gewalt einsetzen, um uns von der Gewalt
abzubringen. Man kann Sünde nicht mit Sünde bekämpfen. Und darum hatte er keine
andere Möglichkeit, als selber die Gewalt zu erleiden und auf sich zu nehmen.
Das Kreuz
Jesu ist kein törichtes Opfer eines dummen Menschen, es ist auch kein Zeichen
dafür, dass Gott auf unser Opfer wartet, wie manche Menschen ja immer noch glauben.
Der Tod Jesu war kein Opfer, das Gott gefordert hat. Es war ein Opfer, dass er
erlitten hat, um selber keine Gewalt auszuüben und Versöhnung zu ermöglichen.
Darum hat er es durch die Auferstehung auch aufgehoben und rückgängig gemacht.
Ja, es ist ein
bisschen paradox und auf den ersten Gedanken auch widersprüchlich: Gott opfert sich
in seinem Sohn, damit das Opfern ein Ende hat und wir erkennen, dass Opfer, aus
einer höheren Sicht des Menschlichen, keinen Sinn haben. Es war ein Opfer aus
Liebe, damit die Opfer aus Gewalt aufhören.
Von jetzt an
gilt: Gott und Opfer gehören nicht zusammen. Gott und Gewalt gehören nicht
zusammen. Das zeigt ja auch das Opfer des Polizisten. Es hatte seinen Sinn auch
darin, dass wir wieder einmal davor erschrecken, wie grausam die Gewalt ist –
und dass sie unser größer Feind ist.
Und
besonders pervers ist es daher, wenn solche Opfer auch noch im Namen Gottes
geschehen oder gefordert werden. Was diese Gewalttat besonders grausam uns
schlimm macht, ist, dass der Täter meinte, seine Gewalttat mit Gottes Willen
begründen zu können. Und wer jetzt meint, das wäre jetzt eben typisch Islam,
begeht einen großen Denkfehler. Die Vorstellung, Gott wolle Opfer, ist auch bei
vielen Christen verbreitet. Es ist noch nicht lange her, 100 Jahre, da bekamen
Angehörige von Männern, die im ersten Weltkrieg gefallen sind, eine Urkunde
überreicht mit einem Bibelzitat aus dem Johannesbrief: „Wir sollen auch unser
Leben hingeben für die Brüder“ (1. Joh 3,16). Das ist eine perverse Verdrehung
des Sinnes dieses Verses. Denn hier ist nicht gemeint, dass wir füreinander
sterben sollen, sondern dass wir füreinander leben sollen. Es ist die perverseste
Form von Religion, die denkt, Gott fordere Leben, und diese Perversion finden
wir in fast jeder Religion, auch in unserer. Dieser Gedanke ist eigentlich der
gottloseste von allen, und er steckt tief in uns drin.
Und genau
das, liebe Gemeinde, ist der Gedanke der hinter dem Karfreitag steht. Denn das
Opfer, das Jesus brachte, sollte nach Gottes Willen das letzte Opfer sein. Gerade
indem die Menschen den Tod Jesu als ein Opfer verstanden, verstanden sie auch,
dass es nie mehr Opfer geben sollte. Das, was am Kreuz geschah, sollte sich nie
wieder wiederholen. So sagte es Gott schon im Alten Testament: „Ich will
Barmherzigkeit, keine Opfer“, und Jesus nimmt das auf (Hosea
6,6 / Mat 9,13). Töten
ist kein Weg, um Frieden herzustellen.
Jetzt klingen
die Worte des Hebräerbries nicht mehr ganz so rätselhaft, wie beim ersten Hören:
„Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein
eigenes Opfer die Sünde aufzuheben“. Setzen wir für Sünde das Wort „Gewalt“
ein, dann wird es sofort deutlich: Das Kreuz Jesu ist, als ein finaler Ausbruch
von Gewalt, die der Mensch sogar Gott antut, das Ende der Gewalt. Jedenfalls
von Gott aus.
Und alle die
Bedeutungen von Opfer schwingen mit, wenn wir von Jesus Christus als einem
Opfer reden. In seinem Tod wird ein neues Bündnis zwischen Gott und Mensch
geschlossen, und mit Blut besiegelt. Zwischen Gott und Mensch herrscht
Blutsbrüderschaft. Das Opfer traf einen Unschuldigen: Er predigte Liebe, er
erntete Gewalt. So soll es nie wieder sein. Und darum ist der Karfreitag, mit
seiner blutigen Symbolik, kein Tag des Todes, sondern ein Tag des Erschreckens:
wie unerlöst ist unsere Welt! Und darum zugleich ein Tag des Lebens. Der
französische Polizist starb für einen Menschen. Das ist bewunderungswürdig,
aber so soll es nicht sein. Denn Jesus, das ist der große Unterschied, starb
für alle Menschen, damit es nie wieder Opfer geben muss, schon gar nicht im
Namen Gottes. Das ist anbetungswürdig. Es ist die ultimative Tat der Liebe,
damit die Gewalt ein Ende findet. Christen lieben nicht den Tod. Sie lieben das
Leben.
Amen.
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