Samstag, 31. März 2018

Opfer "Premiumpredigt" für Karfreitag, 30.3. 2018, Hebr 9,15.26b-28


Premiumpredigt zum Karfreitag, 30.3. 2018, Hebr 9,15.26b-28; Roland Kupski

Aus urheberrrechtlichen Gründen erst heute, der Text ist aber immer noch Eigentum des Bergmoser und Höller Verlags!


Predigt
Liebe Gemeinde!
Zumindest die Älteren unter uns kennen das noch: Blutsbrüderschaft. Zwei Freunde stechen sich in den Finger, legen die Finger aufeinander, sie vermischen ihr Blut, und ab jetzt sind sie Blutsbrüder. Die vielleicht berühmtesten Blutsbrüder waren Winnetou und Old Shatterhand, die beiden Helden aus Karl Mays Romanen. Etwas weniger männlich geht es zu, wenn Liebesbriefe mit einem Tropfen Blut besiegelt werden.
Oder, sozusagen die moderne Fassung des Ganzen, wenn sich Freunde oder Liebende ein Tattoo stechen lassen. das ist ein ziemlich schmerzhafter Vorgang, bei dem auch Blut fließt.
Blut ist eben ein Symbol für Leben und für Lebendigkeit. Wo Blut fließt, fließt Leben. Und darum ist es zugleich eklig, weil es bedrohlich wirkt, aber auch faszinierend.
Diese Faszination steht hinter dem Gedanken des Opfers, jedenfalls hinter dem Opfer, von dem in den fast allen Religionen die Rede ist. Blut muss fließen, um Verträge zu besiegeln, Blut muss fließen, um Versöhnung auszudrücken, Blut muss fließen, um symbolisch Schuld zu bereinigen.
So, liebe Gemeinde, können wir uns dem schwierigen Gedanken des Opfers nähern: ich gebe Leben, damit Leben möglich ist.
Schwierig ist der Gedanke nämlich nicht zuletzt auch deshalb, weil das Wort „Opfer“ im Deutschen mehrere sehr verschieden Bedeutungen hat.
Wir verwenden es auch für Menschen, die unschuldig gestorben sind. Wir sprechen von „Verkehrsopfern“, von „Verbrechensopfern“, von „Kriegsopfern“. Damit geben wir ihrem Tod eine Bedeutung. Es sind besondere Tote. Und dahinter steht die uralte Vorstellung, dass der Tod einen Grund haben muss. Der Gedanke an den Tod wäre unerträglich, wenn er bloß ein blinder Zufall wäre. Nennen wir einen Menschen ein „Opfer“, dann geben wir seinem Sterben einen Sinn, dann wird das Sterben eingebunden in einen Zusammenhang von Schuld und Unschuld. Denn wo ein Opfer ist, da ist auch ein Täter.
Und damit sind wir bei einer weiteren Bedeutung des Wortes „Opfer“. Ein „Opfer“ ist immer irgendwie unschuldig. Und doch spüren wir, dass das manchmal auch nicht stimmt. Man kann sich auch zum Opfer machen. Das spiegelt sich darin wieder, dass wir manchmal Menschen ein „Opfer“ nennen, um zu sagen: Er ist ein willenloser Idiot, der mit sich machen lässt, was andere wollen. Das hat in den letzten Jahren gerade in der Sprache der Jugendlichen um sich gegriffen: „Du Opfer!“ ist ein Schimpfwort geworden. Jemand, der sich zum Opfer machen lässt, ist ein bedauernswerte Mensch.
Immer aber, wenn wir vom Opfer reden, schwingt der Gedanke an den Tod mit. Ja, in seiner stärksten Verwendung gewinnt das Wort „Opfer“ dem Tod etwas absolut Positives ab: Nämlich dann, wenn das Opfer ein stellvertretender Tod ist.
So war es letzte Woche: In der Kleinstadt Trèbes in Frankreich gab es einen terroristischen Anschlag, in dessen Verlauf der Attentäter eine junge Frau als Geisel nahm, nachdem er schon drei Menschen erschossen hatte. Der Attentäter war zu allem entschlossen. Ein junger Polizist ließ sich gegen die Frau austauschen. Er ließ sein Handy eingeschaltet, was den Einsatzkräften die Möglichkeit gab, mitzubekommen, was im Inneren des Supermarktes vor sich ging. Als die Polizei Schüsse und Schreie hörte, stürmte sie den Supermarkt. Da war der junge Mann aber schon so schwer verletzt, dass er wenige Stunden später starb. Der Polizist hieß Arnaud Beltrame, war 45 Jahre alt, und ein Spezialist für Terrorbekämpfung. Er wusste genau, worauf er sich einließ. Er war kein dummes Opfer. Er war bereit, sein Leben zu geben für das Leben der jungen Frau und für die Bekämpfung des Terroristen.
Hier ist es ganz deutlich, dass all die Bedeutungen des Wortes „Opfer“ mitschwingen. Hingabe, Treue und die Bereitschaft, Leben zu retten unter Verlust des eigenen Lebens. Doch nicht nur das Leben dieser Frau wurde gerettet, auch die französische Demokratie und der Rechtsstaat wurde gestärkt. Sein Tod hatte einen Sinn. Aber tot ist er trotzdem, er hinterlässt eine Ehefrau. Ob sie der Gedanke tröstet, dass ihr Mann ein Held war?
Denn unter einer anderen, höheren Perspektive war sein Tod sinnlos. Denn dieser Tod war das Ergebnis eines Ausbruches von Gewalt. Wir hätten eine bessere Welt, wenn solche Opfer gar nicht nötig wären. Sein Opfer zeigt, dass Opfer, aus dieser höheren Sicht der Dinge, eigentlich immer sinnlos sind: denn wo ein Opfer ist, da ist Gewalt. Sein Opfer hat das besonders sichtbar gemacht: Wie wäre eine Welt, in der es keine Opfer geben müsste, in der kein Blut fließen muss? Wie wäre eine Welt, um es in der Sprache der Bibel zu sagen, in der keine Sünde, keine Gewalt mehr herrscht?
Denn das ist die Sünde: Die Herrschaft der Gewalt, die gegen alles Recht und gegen alles Gesetz den eigenen Willen durchsetzt und sich dabei nicht scheut, über Leichen zu gehen. Über wirkliche Leichen, aber auch über symbolische Leichen: zerstörte, vernichtete Leben.
Und darum kann und will auch Gott keine Gewalt einsetzen, um uns von der Gewalt abzubringen. Man kann Sünde nicht mit Sünde bekämpfen. Und darum hatte er keine andere Möglichkeit, als selber die Gewalt zu erleiden und auf sich zu nehmen.
Das Kreuz Jesu ist kein törichtes Opfer eines dummen Menschen, es ist auch kein Zeichen dafür, dass Gott auf unser Opfer wartet, wie manche Menschen ja immer noch glauben. Der Tod Jesu war kein Opfer, das Gott gefordert hat. Es war ein Opfer, dass er erlitten hat, um selber keine Gewalt auszuüben und Versöhnung zu ermöglichen. Darum hat er es durch die Auferstehung auch aufgehoben und rückgängig gemacht.
Ja, es ist ein bisschen paradox und auf den ersten Gedanken auch widersprüchlich: Gott opfert sich in seinem Sohn, damit das Opfern ein Ende hat und wir erkennen, dass Opfer, aus einer höheren Sicht des Menschlichen, keinen Sinn haben. Es war ein Opfer aus Liebe, damit die Opfer aus Gewalt aufhören.
Von jetzt an gilt: Gott und Opfer gehören nicht zusammen. Gott und Gewalt gehören nicht zusammen. Das zeigt ja auch das Opfer des Polizisten. Es hatte seinen Sinn auch darin, dass wir wieder einmal davor erschrecken, wie grausam die Gewalt ist – und dass sie unser größer Feind ist.
Und besonders pervers ist es daher, wenn solche Opfer auch noch im Namen Gottes geschehen oder gefordert werden. Was diese Gewalttat besonders grausam uns schlimm macht, ist, dass der Täter meinte, seine Gewalttat mit Gottes Willen begründen zu können. Und wer jetzt meint, das wäre jetzt eben typisch Islam, begeht einen großen Denkfehler. Die Vorstellung, Gott wolle Opfer, ist auch bei vielen Christen verbreitet. Es ist noch nicht lange her, 100 Jahre, da bekamen Angehörige von Männern, die im ersten Weltkrieg gefallen sind, eine Urkunde überreicht mit einem Bibelzitat aus dem Johannesbrief: „Wir sollen auch unser Leben hingeben für die Brüder“ (1. Joh 3,16). Das ist eine perverse Verdrehung des Sinnes dieses Verses. Denn hier ist nicht gemeint, dass wir füreinander sterben sollen, sondern dass wir füreinander leben sollen. Es ist die perverseste Form von Religion, die denkt, Gott fordere Leben, und diese Perversion finden wir in fast jeder Religion, auch in unserer. Dieser Gedanke ist eigentlich der gottloseste von allen, und er steckt tief in uns drin.
Und genau das, liebe Gemeinde, ist der Gedanke der hinter dem Karfreitag steht. Denn das Opfer, das Jesus brachte, sollte nach Gottes Willen das letzte Opfer sein. Gerade indem die Menschen den Tod Jesu als ein Opfer verstanden, verstanden sie auch, dass es nie mehr Opfer geben sollte. Das, was am Kreuz geschah, sollte sich nie wieder wiederholen. So sagte es Gott schon im Alten Testament: „Ich will Barmherzigkeit, keine Opfer“, und Jesus nimmt das auf (Hosea 6,6 / Mat 9,13). Töten ist kein Weg, um Frieden herzustellen.
Jetzt klingen die Worte des Hebräerbries nicht mehr ganz so rätselhaft, wie beim ersten Hören: „Nun aber, am Ende der Welt, ist er ein für allemal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben“. Setzen wir für Sünde das Wort „Gewalt“ ein, dann wird es sofort deutlich: Das Kreuz Jesu ist, als ein finaler Ausbruch von Gewalt, die der Mensch sogar Gott antut, das Ende der Gewalt. Jedenfalls von Gott aus.
Und alle die Bedeutungen von Opfer schwingen mit, wenn wir von Jesus Christus als einem Opfer reden. In seinem Tod wird ein neues Bündnis zwischen Gott und Mensch geschlossen, und mit Blut besiegelt. Zwischen Gott und Mensch herrscht Blutsbrüderschaft. Das Opfer traf einen Unschuldigen: Er predigte Liebe, er erntete Gewalt. So soll es nie wieder sein. Und darum ist der Karfreitag, mit seiner blutigen Symbolik, kein Tag des Todes, sondern ein Tag des Erschreckens: wie unerlöst ist unsere Welt! Und darum zugleich ein Tag des Lebens. Der französische Polizist starb für einen Menschen. Das ist bewunderungswürdig, aber so soll es nicht sein. Denn Jesus, das ist der große Unterschied, starb für alle Menschen, damit es nie wieder Opfer geben muss, schon gar nicht im Namen Gottes. Das ist anbetungswürdig. Es ist die ultimative Tat der Liebe, damit die Gewalt ein Ende findet. Christen lieben nicht den Tod. Sie lieben das Leben.
Amen.

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