Liebe Jubelkonfirmanden, liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!
1945.
1955. Man muss sich diese Jahreszahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen, um
ihnen ab zu spüren, was sie bedeuten. Die Termine Eurer Konfirmation sind fast
ein Leben weit von uns entfernt.
Aber
auch voneinander sind sie weit entfernt. Es sind ja nur 10 Jahre. Aber was für
10 Jahre! 1945 fand die Konfirmation unter dem Donner der Flakkanonen statt,
die Amerikaner standen vor der Tür. Deutschland lag in Trümmern, nur wenige
Kilometer von hier war Kassel eine entsetzliche Steinwüste. Ich kann mir die
Stimmung gar nicht vorstellen. Und schon gar nicht kann ich mir vorstellen, wie
14jährige das erlebt haben. Was gab es wohl für Geschenke, wenn überhaupt? Ein
paar Strümpfe? Eine neue Jacke, aus einer Uniformjacke oder einen Rock aus
Fallschirmseide? Auf jeden Fall, so habe ich mir erzählen lassen, für die
Jungen einen Hut.
1955:
Die Besatzungszeit endet offiziell, Deutschland wird Mitglied der Nato. Der
Wiederaufbau ist so in Fahr gekommen, dass die ersten Boten des künftigen
Wohlstandes zu erkenne sind. Der Marshallplan hat gegriffen. Deutschland hat
wieder eine Zukunft. In Kassel ist die neue Stadt schon deutlich zu erkennen.
Erst Pläne zur Ansiedlung des VW-Werkes werden bekannt. Es beginnt ein
Aufschwung, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat. Zugleich ist
Deutschland ein geteiltes Land, ja die ganze Welt ist geteilt. Auch hier geht
es mir so: ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das für 14 jährige
angefühlt haben mag. Was gab es für Geschenke? Schon mehr als 1945? Gab es
vielleicht sogar schon Geld? Aber immer noch war die Konfirmation für die
meisten von Euch der Anfang des Erwachsenenlebens, der Einstieg in die
Ausbildung, in den Beruf.
Die
Konfirmanden von 1945 sind inzwischen junge Menschen, in Arbeit und Brot,
verheiratet, die einen oder anderen vielleicht schon verheiratet, haben Kinder.
Ich bin 5 Jahre später geboren!
Die
Welt hat sich atemberaubend verändert in diesen 10 Jahren.
Und
dann erst!
2015.
Wir leben in einem Wohlstand, der, von 1945 und 1955 aus gesehen, unbegreiflich
ist. Die Welt ist nicht mehr in Blöcke aufgeteilt, wir feiern gerade 25 Jahre
deutsche Einheit. Die elektronische Revolution mit Computer, Smartphone und
Tablett hat unsere Welt so verändert, das ältere Menschen - und da zähle ich mich unter diesem
Gesichtspunkt schon dazu – kaum noch mitkommen. Die Welt ist nach einer Phase
der Ruhe von fast 50 Jahren wieder in Bewegung geraten, die Flüchtlingsströme
fordern uns heraus. Die VW-Krise trifft uns hart, wenn auch vielleicht nicht
direkt, aber auf jeden Fall als ein großer Schrecken und eine tiefe
Verunsicherung und Kränkung. Und zugleich erlebt Ihr Euer Alter, wie es das
auch noch nicht gegeben hat: Nie waren Menschen über 60 aufs Ganze gesehen so
fit, gesund und gut versorgt.
So
könnte ich jetzt noch stundenlang weiterreden, und ich denke, dazu werdet ihr
heute noch Gelegenheit haben: Das ist ja der Sinn einer solchen Veranstaltung.
Doch wir feiern ja heute einen ganz besonderen Jahrestag, und darauf möchte ich
mich konzentrieren. Die Konfirmation war und ist ja so etwas wie der Abschluss
der Erziehung im christlichen Glauben, ist die Entlassung in die
Eigenverantwortlichkeit. Ihr habt einen Segen bekommen, der für das ganze Leben
reichen soll.
Ein
Segen meint: Ihr werdet ausgestattet mit der Kraft Gottes, Euer Leben zu
bewältigen. So mag der Tag heute und der Gottesdienst jetzt auch eine
Gelegenheit sein, einmal zu fragen: Wo und wie habe ich diesen Segen gespürt?
Wo habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gott mit mir war, wo fühlte ich mich
alleingelassen?
Ihr
findet auf Eurer Urkunde, die ihr gleich bekommen werdet, den Wochenspruch, den
ich für Euch ausgewählt habe. Denn er bringt ganz wunderbar und ganz einfach
auf den Begriff, worum es im Glauben geht. Es ist ein Gebet, es ist eine Bitte
an Gott: Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist
mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.
Der
Prophet Jeremia sagt diese Worte. Und er sagt sie in einem Moment, in dem sein
Glaube gerade nicht stark war, wo es ihm gerade nicht gut geht, im Gegenteil:
Er ist wegen seiner Botschaft, dier er in Gottes Auftrag zu verkündigen hat, in
enorme Schwierigkeiten geraten, ja er ist sogar mit dem Tod bedroht. Jeremia
betet, weil er Angst hat, weil sein Glaube schwach und angefochten ist. Jeremia
betet, weil er aber dennoch glaubt und hofft, dass Gott ihm beisteht. Heile Du
mich Herr, dann werde ich heil.
Heil
sein meint: Mit sich selbst im Einklang leben. Heil sein bedeutet, geheilt sein
von Egoismus, von der kleinlichen Angst, heil sein bedeutet: Mit sich und der
Welt versöhnt sein. Denn nur dann kann man wirklich gut leben.
Wir
haben in den vergangenen Jahren vielleicht doch zu sehr das Heil mit dem Wohl
verwechselt. Wir haben, und gerad Eure Generation! mit einer ungeheuren Energie
großen Reichtum und Wohlstand geschaffen. gerade Ihr wahrt es, die diesen Staat
und diese Gesellschaft aufgebaut habt. Dafür sind wir Nachgeborenen Euch
zutiefst zu Dank verpflichtet
Doch
es zeigt sich auch ein Schatten des Wohlstandes, er hat auch eine dunkle und
finstere Seite. Er macht bequem, er macht faul, er kann dazu führen, dass alles
für selbstverständlich genommen wird. Wer sein Leben nur auf das Wohl setzt,
wer nur nach Reichtum, Erfolg, Schönheit fragt, wird, sobal es schwierig wird,
ängstlich werden, und aus der Angst heraus aggressiv und wütend. Wir erleben
das gerade. Die Menschen kommen zu uns, weil es uns gutgeht, weil wir, aus
ihrer Sicht in einem absolut unbegreiflichen Reichtum und vor allem: in
Sicherheit leben. Und jetzt macht sich die Angst breit, dass es nicht für alle
reichen könnte. Aber anstatt in Ruhe nachzudenken und zu überlegen, wie wir das
in den Griff kriegen könnten, macht sich allenthalben ein Geschrei breit, und
es kommt sogar zur Gewalt, was immer verachtenswert ist. Gerade Eure Generation
hat es geschafft und erlebt, aus Trümmer, ja fast aus dem Nichts heraus alles
das aufzubauen, was wir heute haben. Sollte es uns nicht gelingen, das noch
einmal zu schaffen? Die Wiedervereinigung haben wir doch auch hinbekommen:
gegen alle Unkenrufe brummt unsere Wirtschaft wie noch nie. Aber: sind die
Herzen mitgekommen? Sind unsere Seelen mitgekommen? Fragen wir außer nach
unserem Wohl auch nach unserem Heil? Der Glaube will uns dahin führen, gelassen
zu werden und das Leben dankbar aus Gottes Hand zu nehmen, der glauben will uns
dahin führen, dass wir aus dem Segen leben, den Gott über uns ausgeschüttet
hat. Darum konfirmieren wir junge Menschen, um ihnen etwas mitzugeben, was sie
sich eben nicht selbst geben können, um sie mit etwas auszustatten, mit dem
sich Menschen eben nicht ausstatten können: Mit Heil!
Daran
möchte ich Euch Erinnern. Ich möchte Euch ermutigen und ermuntern, heute die
Frage nach dem Glauben, nach Eurem Glauben, noch einmal zu stellen, die Spuren
Gottes in eurem Leben zu suchen und zu finden. Ich möchte euch noch einmal an
die Kraft Gottes erinnern, die immer eine Kraft zum Guten ist, eine Kraft zum
Heil. Wir werden den Segen gleich noch einmal hören. Nicht, weil der Segen schwach
geworden ist oder gar erloschen. Er gilt für immer. Aber unser Gedächtnis,
unsere Erinnerung ist schwach: die muss immer wieder aufgefrischt werden. Und
vielleicht war für den einen oder andere von Euch der Glaube auf der weiten
Strecke Eures Lebens gar nicht so wichtig, weil die Sorgen und Aufgaben des
Alltags so groß waren. Vielleicht sind einige von Euch auf dem Weg bis hierher,
wie der Prophet Jeremia, an Gott und der Welt auch wenig irre geworden oder gar
verzweifelt. Dann möchte ich euch Mut machen, es wieder zu probieren, die Kraft
des Gebets neue zu erfahren. Vielleicht war für einige von Euch der Glaube, das
feste Vertrauen auf Gott, ein Leben lang ein starker und guter Begleiter, der
euch auch in den dunkelsten Stunden Licht und Kraft gegeben hat: Dann seid
dankbar dafür, dann erzählt Euren Enkeln und Kindern davon, den vom Erzählen
lebt der Glaube.
Wie
immer es war, wie immer es sein wird: Wir leben unter Gottes Segen und wir
können immer zu ihm kommen mit der Bitte:
Jer
17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen;
denn du bist mein Ruhm.
Denn
aller Wohlstand hat nur Kraft und Bedeutung, wenn er eingewoben ist in das
Heil, das uns zu ganzen Menschen macht.
Das
wünsche ich Euch an diesem bewegenden Tag, das wünsche ich uns. Gott ist mit
uns alle Tage, bis an der Welt Ende, wie es uns in unserer Taufe zugesagt hat
und wie er es uns in der Feier des Abendmahl schmecken und spüren lässt. Ich
wünsche Euch einen gesegneten Tag voller starker Erinnerungen und uns einen
Gemeinschaft voller Heil, voller Frieden und Freude.
Amen.
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