Gal 4,4-7
4 Als aber die Zeit erfüllt war,
sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
5 damit er die, die unter dem Gesetz
waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. 6 Weil ihr nun Kinder seid,
hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba,
lieber Vater!
So bist du nun nicht mehr Knecht,
sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
Weihnachten, liebe Gemeinde, ist eine
Zumutung.
Und ich meine damit nicht all den
lauten oder leisen Kult, den wir in den letzten Wochen wieder erlebt haben und
der uns, je nach Gemüt und Charakter, auf die Nerven geht oder auch
nicht. Das ist Brauchtum: das kann man mögen oder nicht.
Weihnachten ist eine Zumutung, weil
es eine Tat, ein Fest Gottes ist. Weihnachten mutet uns zu, zu glauben. Und
gleichzeitig traut uns Gott auch zu, zu glauben. So wie es den Hirten und den
Weisen aus dem Morgenland, ja sogar den Engeln zugemutet wurde zu glauben.
Maria, Joseph, die Hirten, die Weisen, später die Jünger und all die
Menschen, denen Jesus begegnete, und noch später all die Menschen, die vom
Geist Gottes getroffen wurden, durch das Wort der Predigt und die Zeichen der
Sakramente: Sie wurden vom Wort Gottes getroffen und nun hieß und heißt es:
Glaube! Vertraue auf das, was du hörst! Vertraue auf Gott! Sie wurden und werden
überwältigt von der Liebe Gottes. Es kam alles so anders, als sie dachten. Weil
Gott ganz anders ist, als wir denken.
Sie alle hatte nicht damit gerechnet
und rechnen nicht damit, das Gott ernst macht mit dem, was er seit
Jahrhunderten verheißen hat: dass er kommt, um die Welt zu ändern. Dass er
kommt, um Gericht zuhalten und Gerechtigkeit herzustellen. Aber auf seine
Weise. Nicht mit Feuer und Schwert, sondern mit Leibe und Sanftmut. Fürchtet
Euch nicht! lautet die frohe Botschaft. Gott kommt!.
Aber wie kommt er! Er kommt als ein
Kind, das zu einem sanftmütigen, den Menschen zugewandter Mann heranwächst. Er
kommt nicht gewaltig, und schon gar nicht gewalttätig. Er erfüllt nicht unsere
Träume von Rache und Vergeltung, sondern von Liebe und Wertschätzung. Er
kommt nicht als Mächtiger zu den Mächtigen, sondern als Armer zu den Armen. Er
kommt zu seinen Kindern, nicht um sie zu enterben, wozu er allen Grund hätte,
sondern um sie als Erben einzusetzen. Er macht ernst mit dem, was er über
Jahrhunderte durch die Propheten verkündigt hat: Er kommt, die Welt zu ändern,
von innen heraus. Mit einfachen, schlichten Mitteln. Mitten in der
Weltgeschichte mit all ihren Grausamkeiten, mit aller ihrer Ungerechtigkeit,
Brutalität und entfesselten Dummheit beginnt er eine neue Geschichte. Und
an Weihnachten fängt diese Geschichte an. Und wir kommen alle darin vor.
Das ist die Zumutung des
Weihnachtsfestes: es ist die Zumutung der Freiheit und der Liebe, die uns in
den Dienst nehmen und uns rufen. In Wahrheit ist eine Ermutigung!
So hat es Paulus erlebt, davon
schreibt er in den trockenen und scheinbar so spröden Worten, die uns heute als
Predigttext aufgegeben sind.
„4 Als aber die Zeit erfüllt
war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
5 damit er die, die unter dem Gesetz
waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. 6 Weil ihr nun Kinder seid,
hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba,
lieber Vater!
So bist du nun nicht mehr Knecht,
sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.“
Inder trockenen Sprache des frommen
Rabbiners und Rechtsgelehrten hört man die tiefe Erschütterung, die diesem
Menschen wiederfahren ist. Und was ist ihm wiederfahren? Nun, seine kühnsten
Träume, seine tiefsten Hoffnungen, seine innersten Wünsche gingen in Erfüllung.
Aber wie! Es traf ihn, wie Maria, wie Joseph, wie die Hirten, wie die Weisen
aus dem Morgenlande: Er hörte den Ruf Gottes und konnte nur noch „Ja!“ sagen.
Und das krempelte sein Leben vollständig um. Aus dem fanatischen
Schriftgelehrten, aus dem Christenverfolger und Jesushasser wurde der Apostel,
der den Glauben zu uns brachte.
Paulus, der jüdische Gelehrte, hatte
versucht, wie die meisten von uns, ein rechtschaffenes, ein gutes, ein frommes,
ein gottgefälliges Leben zu führen, in der stillen Hoffnung, dass er damit den
Willen Gottes erfüllt, dass er damit mit sich und mit Gott ins Reine kommt,
wenn er sich an die Worte des Gesetzes hält und bis aufs letzte Komma alles
tut, was er für den Willen Gottes hielt. Seine Hoffnung war: so verdient er
sich das Erbe Gottes, Ruhm, Ehre, einen Platz an Gottes Seite, ewiges Leben.
Sein Fehler war: Gott mit dem Menschen zu verwechseln.
Das denken ja viele Menschen, dass
das so geht:
Wir rechnen auf. Wir stellen
Rechnungen aus. Wir denken nur in Gabe und Gegengabe. Wir stellen uns
Gerechtigkeit vor als die große Abrechnung.
Aber weit gefehlt. Was Paulus als
Frömmigkeit und Ernst des Glauben lebte und erlebte, entpuppte sich als
Heuchelei und Überheblichkeit, als fromme Raserei und tödlicher Fanatismus. Was
er als Glauben lebte und erlebte, entpuppte sich als bloße Ideologie und
Rechthaberei. Es war für Paulus eine zutiefst erschütternde Einsicht, dass Gott
ganz anders ist, als er ihn sich vorstellte. Es war eine zutiefst erschütternde
Einsicht, eine Zumutung eben, dass Gott sich als Liebe zeigte und seine
Gerechtigkeit sich als Geschenk entpuppte. Gott sprach zu ihm nicht, weil
er perfekt, fromm und gläubig war, sondern weil er ein Sünder, ein verlogener
und verwirrter Menschen war. Gott hat Paulus aus seinem religiösen Wahn
gerettet, wie er die Hirten aus der Vereinsamung und die Weisen aus ihrer
verdrehten Gelehrsamkeit holte, wie er Maria und Joseph aus der
Bedeutungslosigkeit holte.
Das war das Weihnachten des Paulus.
In ihm wurde Christus geboren, als er plötzlich die Stimme Gottes hörte. Und
was er hörte, war ungeheuer. Reine Liebe sprach zu ihm. Reine Gerechtigkeit.
Pure Gnade.
Paulus wurde nicht zur
Rechenschaft gezogen. Er musste sich nicht rechtfertigen vor Gott. Er wurde
nicht blamiert, vorgeführt und bestraft. Etwas völlig anderes geschah mit
ihm: Er wurde in den Dienst der Liebe gerufen. Alle Fesseln des Gesetzes, alle
Fesseln von Religion und Brauchtum fielen von ihm ab, etwas ganz Neues begann,
etwas Radikales, nie zuvor Gehörtes und Gesehenes: die Geschichte der Liebe.
Der Messias war längst da: geboren von einer jüdischen Frau. Es war der Mann,
den Paulus so tief verachtete, Jesus von Nazareth. Gott hat seine Erben längst
bestimmt: Alle die ihm vertrauen, gehören dazu. Es waren die Christen, die so
tief verfolgte.
Fortan sollte Paulus ein Zeuge von
dem sein, was er erlebt hat: Gnade! Überströmende Liebe, die weder nach Recht
und Gesetz, weder nach Sitte und Moral, weder nach Brauchtum, Kirche oder
Frömmigkeit fragt, sondern die nur eines will: unsere Gegenliebe, damit wir aus
Liebe zu lieben lernen. Die wirkliche Liebe steht nämlich über aller Moral und
Weisheit. Sie ist eine Tat: unbedingte Zuwendung, so, wie es eben nur Gott
kann. Das ist die Zumutung von Weihnachten: die Zumutung der Liebe.
Der Lebendige Christus rief ihn in
den Dienst, ohne alles, einfach so. Wie er die Hirten rief, wie er Maria rief,
und wie er uns ruft, bis heute. Erben sollen wir sein, Erben seines Reiches.
Hier ist diese Botschaft ganz
unmittelbar menschlich und politisch: Wir sind die Erben dieser Welt. Uns so
sollten wir sie auch behandeln. Muss ich euch jetzt noch große Vorlesungen
darüber halten, was das bedeutet? Wir Christen sind keine besseren Menschen,
aber wir sind hörende, aufmerksame Menschen, die Gott an ihrer Seite wissen.
Christen sind nicht mutiger als
andere, nicht klüger, nicht geschickter. Aber wir sind ohne Angst, wir kennen
den Grund der Welt, wir wissen, worauf wir vertrauen können. Wir müssen die Welt
nicht retten, weil sie längst gerettet ist. Unsere Aufgabe ist, das
weiterzusagen und uns zu fragen: wie gehen wir mit dem Erbe um, das uns
anvertraut ist?
Lasst uns dieses Erbe teilen: Brot
und Wein sind ja nur ein Anfang, sie stehen für alle Gaben der Schöpfung. Für
den Glauben ist der Wein, der hier steht, der wahre Glühwein, weil er uns zum
Brennen bringen will: Zum Brennen für Gott. Für den Glauben ist das Brot, das
wir reichen, der wahre Weihnachtschmaus: denn es stillt den Hunger unsere Seelen.
Gott sei Dank dafür, dass er unser
Leben so reich macht mit einfachen Mitteln. Gott sei Dank dafür, dass er uns zu
unserer Menschlichkeit führt mit so einfachen Taten. Gott sei Dank für Jesus
Christus, der uns alle Furcht nimmt und uns vereint in dem einen Volk, in das
man nicht geboren, sondern gerufen wird. Gott sei Dank für sein Wort, das uns
treffen will wie einst die Hirten auf dem Felde und den frommen Rabbiner
Paulus: Fürchtet Euch nicht, ich bins, der Vater Jesu Christi, Eures Bruders,
und ihr seid meine Kinder!
Amen.
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