Samstag, 5. Oktober 2013

Predigt 4. Advent 2012, Elgershausen, 2. Kor 1,18-22

Das ist die Langfassung, die Kanzelfassung ist immer etwas kürzer, damit ich Platz zum Improvisieren habe.


2.Kor 1,18-22

Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.





Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn,



ein bisschen schwanger gibt es nicht. Entweder man ist es, oder man ist es nicht. Das ist eine biologische Notwendigkeit. Wenn es geschehen ist, dann ist es geschehen, und dann geht es seinen Gang. Ein bisschen heiraten gibt es auch nicht. Entweder man heiratet und verspricht einem anderen Menschen, ein Leben lang treu zu sein, oder nicht. Man kann sich das doch schlecht vorstellen, dass die Eheleute gefragt werden: Wollt ihr bis auf weiteres zusammen leben und mal sehen, ob es klappt? Hier muss man Ja sagen, und das Ja kann man nicht einfach zurücknehmen.



Das ist keine biologische Notwendigkeit, sondern eine psychologische und juristische. Weil es um Treue geht und um Verlässlichkeit. Nichts macht uns Menschen nämlich so viel Angst, als wenn wir das Gefühl haben, wir könnten uns auf einander und auf die Welt nicht verlassen.



Denn unsere Lebenserfahrung lehrt uns, dass auf nichts wirklich Verlass ist – außer auf den Tod. und das ist ja nun keine besonders schöne Perspektive. Es ist eine absolute Grundlage unseres Lebens, dass wir uns auf bestimmte Dinge verlassen können, damit wir nicht ständig in Angst leben.



Ein Kind, dass sich nicht auf seine Eltern verlassen kann – wie soll das leben können? Ich kann mich gut an Abende im Bett erinnern, wo ich voller Angst im Bett lag, dass meine Eltern nicht zurückkommen von ihrer Abendveranstaltung. Oder wo ich voller Angst im Bett lag, ich könnte morgens nicht mehr aufwachen. Das waren so Momente, wo ich mich auf das Leben und auf die Menschen, die ich liebe, meinte, mich nicht verlassen zu können. Ich hatte Grund dazu – meine Schwester war, noch vor meiner Geburt, als kleines Mädchen tödlich verunglückt, und überall in unserem Haus waren noch ihre Spuren zu sehen, bis dahin, dass ich in typischer Mädchenbettwäsche lag. Wir hatten die Erfahrung schon gemacht, wie unzuverlässig das Leben sein kann. Meine Eltern hatte beide jeweils einen Elternteil verloren; mein Großvater väterlicherseits, Russlanddeutscher, hatte zweimal in beiden Kriegen alles verloren und war ein gebrochener Mann. Die Brüchigkeit des Lebens war mir schon sehr früh sehr nahe, und die Frage: Worauf kann ich mich verlassen? war für mich immer sehr wichtig. Und immer wusste ich auch: Von Menschen kann ich das nicht völlig erwarten und verlangen; das ist eine Überforderung und für mich gefährlich. Es ist ungnädig.



Ich erzähle das so freimütig von mir, weil ich weiß, dass viele von Euch, auch von den jüngeren, diese Angst gut kennen. Als Konfirmand und Konfirmandin spürt man das zum Beispiel dann, wenn man sich das erste Mal verliebt hat und plötzlich merkt, dass die Liebe eine ganz schmerzhafte Seite hat: nämlich die Angst um den Verlust und die Frage danach, ob es der andere wirklich ganz, ganz ernst meint. Wir alle haben schon gebrochene Versprechen erfahren und, das wage ich mal zu behaupten, jeder von uns schleppt auch eine Geschichte mit sich herum, wo er selber ein Versprechen nicht gehalten hat. Das ist furchtbar. Menschen können daran zerbrechen, dass ein Versprechen nicht gehalten wurde oder dass sie selbst daran gehindert wurden, ein Versprechen zu halten



Darum sind Treue und Verlässlichkeit für uns etwas ganz und gar Lebenswichtiges. Untreue und Lüge können uns so tief verletzen wie kaum etwas anderes. Unsere ganze Lebenssehnsucht geht daraufhin, dass es doch etwas geben möge, auf das wir uns 100prozentig verlassen können, etwas – mit anderen Worten – an das wir glauben können, ohne zu riskieren, enttäuscht zu werden.



Das ist ja oft der Grund, warum Menschen ihr Leben ganz klein machen, warum sie sich aus dem Leben zurückziehen, misstrauisch oder bitter, traurig oder abgestumpft werden: zu groß die Angst vor Enttäuschung, zu groß die Angst, sich zu binden, zu groß die Angst, aufs falsche Pferd zu setzen und am Ende belogen und betrogen da zu stehen. Es wird ja viel geklagt darüber, dass wir immer weniger in der Lage sind, feste Bindungen einzugehen. Viele Ehen und Beziehungen zerbrechen, viele lassen sich darauf gar nicht erst ein: aus Angst, verletzt zu werden.



Es ist schon so: Die Liebe ist ein Risiko. Sich auf einen Menschen einzulassen ist eine Herausforderung. Kein Mensch kann letztlich mit letzter Gewissheit sagen, dass er ein Leben lang treu sein kann, und es ist, dass wissen wir wohl, auch eine völlig illusorische, übertriebene und ganz und gar unreife Haltung, das von einem anderen Menschen wirklich zu verlangen.



Wir müssen mit dieser letzten Unsicherheit leben, und wir nennen einen Menschen genau dann erwachsen, wenn er gelernt hat, damit zu leben: Absolute Verlässlichkeit ist zwischen uns Menschen nicht zu erwarten, weder von anderen, noch von uns selbst. Damit zu leben, das ist die Kunst und die Herausforderung. Denn im Kern, im innersten Kern, sind wir gespaltene Wesen. Wir erwarten und wollen und sehnen uns nach Treue und Verlässlichkeit, und zugleich fürchten wir sie und weichen aus, weil wir uns nicht festlegen und nicht binden und nicht hingeben wollen. Wir erwarten immer das absolute Ja, aber wir möchten selber am liebsten sagen: Vielleicht, mal sehn, eventuell.







Darum, meine Lieben, ist es ein großes Geschenk, eine wirkliche Gnade, dass Gott zu uns Ja gesagt hat, ein unerschütterliches, unverbrüchliches Ja, egal was wir tun. Davon spricht der Apostel Paulus in seinen bewegenden Worten. Gott hat Ja gesagt, und das ist der Kern unseres Glaubens. Er hat Ja gesagt, vom ersten Moment der Schöpfung an, als er rief: Es werde Licht! Er hat es nur für uns Licht werden lassen. Er hat ja zu uns gesagt, als er Mose das Gesetz und die Gebote gegeben hat, damit wir eine Richtschnur und eine Richtung für das Leben haben, damit wir eine verlässliche und stabile Welt bauen, in der wir keine Angst voreinander und keine Angst vor Gott haben müssen. Gott hat ja zu uns gesagt, als Noah einen Bund anbot und ihm zusagte: Die Schöpfung bleibt stabil, ihr könnt euch auf Sonne und Mond, auf die Jahreszeiten und den Zyklus von Saat und Ernte verlassen, absolut verlassen, ich stehe mit meinem Wort dahinter. Gott hat Ja zu uns gesagt, als er mit Abraham einen ewigen Bund schloss und zu ihm sagte: Aus dir soll ein großes Volk kommen und ihr sollt mein Volk sein und ich will Euer Gott sein, und alles, was ich erwarte, ist, dass ihr auf mich hört und mich nicht verlasst – und da haben wir es schon.



Gott hat Ja gesagt, wohl wissend, was er von uns erwarten kann. Es ist doch eine traurige Geschichte, die da erzählt wird. Kaum ist der Mensch im Garten Eden, isst er von der verbotenen Frucht. Noch während Mose auf dem Berg ist und die zehn Gebote empfängt, bauen die Israeliten das goldene Kalb und treiben Abgötterei. man könnte schier verzweifeln, wenn man Gott wäre. Die Bibel ist ,wenn man so will, eine einzige Geschichte davon, wie Gott um uns Menschen wirbt, wie ein Bräutigam um eine Braut, und wie wir es immer und immer wieder vermasseln, weil wir Menschen nicht in der Lage und willens sind, treu zu sein und zu bleiben, weil wir immer wieder eigene Wege gehen und einen eigenen Kopf haben. Es wäre zum Verzweifeln – wenn Gott nicht Gott wäre.



Und jetzt sind wir bei Weihnachten und beim Advent angekommen. Ihr werdet Euch ja schon gefragt haben, wovon ich hier eigentlich die ganze Zeit rede – aber ich rede vom Wunder der Weihnacht und von der Verheißung der Adventszeit. Weihnachten ist der Moment, wo Gott wieder zu uns Menschen Ja sagt, und zwar diesmal auf eine ganz besondere, tief bewegende Art und Weise: Er wird selber ein Mensch. Er wird selber ein Mensch, geboren von einer Frau, wie wir alle. Seine Treue, seine Liebe zu uns ist so groß, sein Wille, uns nahe zu sein, ist so stark, dass er alles dafür aufgibt: sein ganze himmlische Herrlichkeit, seine ganze Macht und seinen Glanz, und einer von uns wird. Das ist es, wovon Paulus spricht: In ihm ist nur Ja, soviel Ja, dass er Nein zu sich selber sagen kann, das er sich ganz und gar für uns Menschen dahingibt. Und wir wissen ja, wie die Geschichte ausgeht. Er wird dafür sterben, dass er Mensch geworden ist. Er gibt alles, wir nehmen ihm alles. Und er hört nicht auf zu geben: Am Ende besiegt er für uns auch noch den Tod, öffnet das Grab, zeigt seine Macht, aber nicht, indem er straft und sich abwendet, sondern in dem er uns auch das ewige Leben öffnet und schenkt, indem er uns vergibt und sich mit uns versöhnt und uns in der Taufe ein starkes Zeichen seiner Liebe gibt.



Was soll er noch mehr tun, um unsere Liebe zu erfahren? Welche Zeichen der Treue und der Zuwendung soll er uns noch geben? Gibt es mehr als das: die völlige Hingabe? Es gibt ja Menschen, die denken, Gott ist im Himmel und lenkt dort unser Leben und unser Schicksal wie ein König oder ein Despot. Viele Menschen fühlen sich deswegen von Gott verlassen und haben für den Glauben nichts übrig und sind deswegen verängstigt und verbittert. Andere wieder sagen: Was tut er denn, euer Gott? Die Welt ist doch immer noch der gleiche Schreckensort wie immer, voller Not und Tod und Krankheit und Ungerechtigkeit. Was tut er denn, euer Gott?



Weihnachten ist die Antwort. Gott sagt Ja zu uns und traut uns ein Leben auf dieser Erde zu. Gott sagt Ja zu uns und schenkt uns damit die Freiheit. Gott wird Mensch, damit wir einander zu Menschen werden. Er riskiert damit alles. Weil er Mensch geworden ist, riskiert er es, verlassen, belogen und betrogen, verlacht und verspottet zu werden. Weil er Mensch geworden ist, riskiert er es, zu scheitern und zu versagen. Und so sieht es auch aus. Seine Geburt hat die Welt nicht schlagartig verändert. Für die Kinder in Bethlehem, so hören wir doch auch, war es eine Katastrophe. Seine Worte verhallen bis heute weitgehend ungehört, seine sanfte Predigt von Gnade, Liebe und Vergebung brachten ihn und seine Anhänger nur in Schwierigkeit, am Ende in den Tod. Aber Gott lässt nicht locker. Er wirbt um uns, täglich und stündlich neu, wie es ein guter Ehemann, eine gute Ehefrau auch tun sollte: als müsste die Liebe jeden Tag neu beginnen.



Darum, meine Lieben, feiern wir Weinachten und Advent, alle Jahre wieder, um uns immer und immer wieder diese wundervolle Geschichte erzählen zu lassen, wie Gott Mensch wird und JA zu uns sagt. Und wir sind gebeten, aufgefordert, gerufen von ihm, uns darauf einzulassen, uns eine Liebe gefallen zu lassen wie die Weihnachtsgeschenke, die wir uns ja genau aus diesem Grunde schenken: um einander an die Gnade Gottes, die unverdiente, die geschenkte, die geradezu verschwenderisch an uns geschenkte Liebe Gottes zu erinnern, an sein Ja ohne alles vielleicht, an sein Ja ohne alle Bedingung.



Das meine Lieben, ist das größte aller Weihnachtsgeschenke: Es gibt etwas in unserem Leben, auf dass wir uns vollkommen verlassen können:



auf Gott.



Mehr habe ich gar nicht zu sagen, dafür bin ich heute Morgen hierhergekommen: um es Euch zu sagen und um es mir selber zu sagen, damit wir nicht vergessen, worum es geht im Glauben: Ja zu sagen zum Ja, dass Gott zu uns gesagt hat, wie ein Bräutigam zu seiner Braut. In diesem Sinne gibt es eben auch kein „bisschen“ glauben, sondern immer nur ganzen Glauben: Ja, ich vertraue auf Gott, der uns so viele Zeichen seiner Liebe gegeben hat, ja ich lasse mich lieben. Ja, ich lasse es mir gefallen, beschenkt zu werden von Dir. Auf Hebräisch heißt das „AMEN“. Mehr haben wir gar nicht zu sagen, auf mehr wartet er gar nicht, aber darauf wartet er, liebeshungrig und liebesbedürftig – wie ein kleines Kind. Das ist das tiefe Geheimnis der Weihnacht, auf das wir zugehen in diesen Tagen. Ich wünsche Euch, dass ihr unter allem, was wir Weihnachten so tun und treiben, immer dieses JA hört und immer Euer Amen sprechen könnt. Dann seid ihr sehr beschenkt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.