Samstag, 5. Oktober 2013

Demut und Optimierung. Predigt zu Himmelfahrt anläßlich des Kongresses der ästhetisch-plastischen Chirurgen in Kassel

Es ist guter Brauch: wenn in den Veranstaltungsräumen des Landeskirchenamtes in Kassel (die nicht von der Kirche bewirtschaftet werden) eine Veranstaltung über einen christlichen Feiertag stattfindet, wird ein Gottesdienst als Teil des Programmes angeboten. Der fand nun heute morgen, 8.30 Uhr statt. Die Veranstaltung war schon bemerkenswert und erzeugte im Vorfeld schon hohe mediale Aufmerksamkeit.
vdaepc-kongress



Liebe Gemeinde,

Während draußen sich um diese Stunde tausende, wenn nicht hunderttausende von Vätern (echte und selbsternannte, künftige) sich auf den Weg machen, sich in der sogenannten freien Natur gepflegt zu betrinken und sich was zu grillen – was ich in meiner wilden Zeit auch sehr gerne tat,damit ich hier nicht missverstanden werde – während also draußen "Vatertag" gefeiert wird, haben Sie sich versammelt, um darüber zu beraten, wie Sie die Welt ein wenig schöner machen können. Denn das ist das besondere an Ihrem medizinischen Auftrag: Sie machen nicht nur gesund, in dem Sinne, dass sie einen Organismus wieder stabilisieren, sie machen auch schöner oder wieder schön, was durch Natur oder Schicksal verunstaltet wurde.

Und ich?

Ich stehe hier und verkündige das Wort Gottes, denn nur weil das, was ich gleich vorlese werde, in der Bibel steht, sind wir überhaupt heute zusammen. Christi Himmelfahrt ist eines der wenigen echten christlichen Feste, das sich nicht an irgendein anderes, schon vorhandenes Fest angedockt hat. Und es ist auch deswegen ein zutiefst christliches Fest, weil es die Hoffnung, die wir Christen haben, in ganz besonderer, geradezu kindlich bildhafter Weise zum Ausdruck bringt. Die Hoffnung auf den Himmel.

Lk 24.50-53, mit kurzer Einführung in die Szene.

50 Jesus führte die Jünger hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. 51 Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. 52 Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude 53 und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.



Was haben wir gehört? Die Geschichte einer Vision und einer Audition. Sie sind Ärzte oder doch medizinisch gebildet genug, um sich die physiologisch-psychologischen Voraussetzung solcher Erfahrungen erklären zu können. Aber damit ist natürlich gar nichts erklärt. Die Vision als solche ist ja nicht das Entscheidende, sondern ihre Deutung. Die Jünger müssen endgültig Abschied nehmen von ihrem Meister: Kaum haben sie den Schock seines gewaltsamen Todes überwunden, kaum haben sie die tief verunsichernden Erlebnisse seit dem Ostermorgen verkraftet, verlässt er sie nun endgültig. Und zwar in Richtung Himmel: nach oben. Und das ist es, was ich mit ihnen heute Morgen kurz bedenken möchte: der Himmel, der viel mit dem zu tun hat, was Sie tun.

Der Himmel nämlich war in der Antike der Ort, wo Gott wohnt: über den Himmeln, streng genommen sogar. Der Himmel war gedacht als eine Art Kristallschale, und zwar siebenfach gestaffelt: an jeder Schale hing ein Planet, - deswegen sieben - und darüber waren die Fixsterne angebracht, und das ganze drehte sich um die Erde – die übrigens in der Antike mehrheitlich mitnichten als Scheibe gedacht wurde. Und über dem siebten Himmel war Gottes Ort. Dorthin sehen die Jünger Jesus verschwinden. Und Sie wissen: Er geht ihnen voran. Die christliche Gewissheit, hier, unter dem Himmel, nicht verloren zu sein, sondern eine Hoffnung haben zu dürfen, die bis in den siebten Himmel reicht, drückt sich darin genau aus. Der Himmel steht uns offen.

Nun ist der Himmel für uns dieser Ort nicht mehr, auch wenn er in unserer Sprache so weiterlebt. Deswegen erfassen wir ja sofort, wovon die Geschichte erzählt. Aber um sie verstehen, müssen wir uns klar machen: Die Antike dachte in Räumen, wo wir in Zeiten denken. Was für die Alten der Himmel war, ist für uns die Zukunft – und zwar die herrliche Zukunft. Wie aber kommen wir dahin?

Und schon sind wir bei unserer Profession angelangt. Der Himmel ist der Ort unbeschwerten, glückseligen Lebens. Ein Leben in Schönheit und Unvergänglichkeit, ein Leben in Perfektion und Klarheit ohne Leid und Geschrei. Mit anderen Worten: Im Himmel gibt’s keine Kirche: denn die Menschen leben unmittelbar zu Gott. Keine spirituellen Krücken, keine Rituale, keine fromme Erziehung. Die überwältigende und beglückende Nähe Gottes ist unmittelbar. Die Kirche ist nur ein Hilfsmittel, diese Hoffnung am Leben zu halten: die Wolke der Zeugen. Sie ist nur ein Schatten des Künftigen, und oft genug ein recht kümmerlicher. Da ist viel Anlass zur Demut. Himmelfahrt erinnert uns auch an die Zerbrochenheit und Vorläufigkeit des Irdischen.

Schönheitschirurgen wird´s darum im Himmel auch nicht brauchen. Es wird sie nicht brauchen, weil wir im Himmel erlöste Menschen sein werden. Und was kann es für eine größere Erlösung geben als die Erlösung vom menschengemachten Leistungs-, Perfektions- und Schönheitsdruck. Was kann es schöneres geben, als ein Handicap zu verlieren. Wir werden im Himmel nicht schöner sein. Und auch nicht klüger. Und auch nicht fitter. Aber die Art und Weise, wie wir uns ansehen, auch im Spiegel, wird sich verändern. Und die Art und Weise, wie wir uns wertschätzen, wird sich verändern. Es wird nichts Hässliches mehr geben, nur Verschiedenes. Ich weiß, dass klingt völlig naiv und kindlich. Aber das Bild hat mächtige, tröstende Kraft, und es ist meilenweit entfernt von den naiven Himmelsbilder, wie man sie aus frommen Büchern kennt: lauter schöne Menschen um die Dreißig. Das ist der der Himmel der Sekten: Der Himmel der optimierten Menschen. Ein furchtbarer, ein langweiliger Ort.

Ich habe mal einen schwer behinderten Mann begraben, der unglaubliche 40 Jahre mit einem gewaltigen Hydrozephalus – und folglich auf eine fast pflanzenhafte Existenz verwiesen – von seinen Schwestern gepflegt wurde. Als er dann starb, war die Trauer groß. Und beim Gespräch stellte sich die Frage, wie er wohl im Himmel aussehen werde: Ob diesem Leben dann Gerechtigkeit wiederfahren werde. Denn natürlich wurde er, wie es noch bis vor gar nicht langer Zeit üblich war, versteckt, gar zu scheußlich und gräulich sein Anblick, angeblich. Ich habe dann auf das Bild des Gekreuzigten gezeigt, der in der frommen Stube hing, und gesagt: So wie Jesus. Mit den Wunden. Mit dem, was wir hässlich finden, wird er im Himmel sein. Denn nicht dieser Mensch muss verändert werden, sondern wir müssen verändert werden. So ist es mit dem Himmel. Das ist ein ganz naiver Gedanke, das weiß ich wohl, und ich hoffe, Sie verstehen, dass ich in Bildern rede, wie das der Glaube einzig tun kann. Aber Sie spüren hoffentlich auch, welche Kraft dieses Bild hat, auch für das, was Sie tun. Denn es macht deutlich: Wir leben eben auf der Erde. Und da werden Menschen täglich verunstaltet und in ihrer Lebensqualität eingeschränkt und eingedämmt, weil sie hässlich sind oder dazu erklärt werden, weil sie Körperteile verlieren, weil sie beim Blick in den Spiegel erschrecken oder ihr Leben unerträglich geworden ist, weil sie sozial, sexuell oder politisch ausgegrenzt werden um einer schiefen Nase, einer hängenden Brust oder einer verbrannten Haut willen. Was für ein Segen die moderne Technik ist, was können wir Menschen heute helfen, glücklicher zu werden. Wir sind ganz schon weit gekommen damit, den Himmel auf die Erde zu holen. Aber es ist immer ein menschengemachter Himmel. Es hat immer einen Schatten. Prof. Noah hat mir Ihren Ehrenkodex geschickt. Allein, dass es ihn geben muss, zeigt, dass hier nichts selbstverständlich ist. Der Philosoph Sloterdijk spricht, wenn er auf die Moderne blickt, von den „Anthropotechniken der Selbstoptimierung“, die uns in eine unerträgliche Spannung versetzen, die er „Vertikalspannung“ nennt: Immer höher hinaus. Das ist sozusagen Himmelfahrt aus eigener Kraft. Das kennen sie sehr gut. Und sie wissen auch, dass ihr Handeln, so segensreich es sein kann, auch begrenzt ist. Eine neue Nase allein reicht nicht, und eine wundervoll rekonstruierte und meinetwegen auch optimierte Brust reicht nicht. Was alle heilenden und helfenden Berufe sich immer wieder sagen lassen müssen: Wir können die Menschen nicht retten,m nur leiten und begleiten, und auch das nur in Maßen. Das ist eine oft demütigende Erfahrung. Sie beschreibt unsere Grenze, die wir akzeptieren müssen. Und es ist besonders schlimm, Menschen zu leiten und zu begleiten, um dem eigenen Ego zu dienen. Und der Himmel auf Erden hält meist nur von Zwölf bis Mittag, wie man hier in Hessen sagt – deswegen können Schönheitsoperationen süchtig machen und Religionen fanatisch: Dann will man´s mit Gewalt. Es gibt genauso fratzenhafte Formen des Glaubens wie es Gesichter gibt, denen man das Unmaß des Schönsein-Wollens ansieht. Gott ist im Himmel, wir sind auf der Erde. Auch das ist die Botschaft des Himmelfahrtstages.

Der Himmel aber, der wirklich ewig ist, ist der Himmel Gottes. Der steht uns offen, umsonst. Ich spüre, wie dieses „umsonst“, dieses „gratis“ uns als evangelische Kirche auch an Rand der Gesellschaft bringt: das will die Optimierungsgesellschaft nicht hören. Doch der Glaube beharrt darauf: Wir brauchen uns nicht zu verkrampfen. Unter dem offenen Himmel können wir leben; entspannt. Und gemeinsam Wege suchen, dass der Mensch, der auf Erde lebt, der Erde treu bleibt und lernt, sich zu lieben, wie er ist. Es ist eine große Aufgabe, dem Menschen zu seiner Schönheit zu verhelfen, die ihm vom Gott her seit je eingesenkt ist: Denn die wahre Schönheit eines Menschen ist seine Würde. Da können Skalpell und Gespräch einiges, viel sogar. Die Quelle der Würde aber ist Gott, indem er uns des Himmels für würdig erklärt. Da kommt alle chirurgische Kunst an ihre Grenzen, auch aller Erziehungs- und Predigtkunst und überhaupt alle Menschkunst: Da können wir tatsächlich nur, wie die Jünger damals, in den Tempel gehen und Gott loben und preisen, dass er den Himmel aufgerissen hat: Für alle. Die Hässlichen und die Schönen, die Lahmen und die Flotten, die Klugen und die Dummen, die Reichen und die Armen: das spielt dann alles keine Rolle.

Das Gotteslob sei hiermit geschehen zu Beginn dieses Tages mit seinem vollen Lernprogramm. Gott schenke Euch Phantasie und einen wachen Geist, Kreativität und tiefe Einsicht in das, was ihr tut: Dass ihr es mit Lust tut zum Wohle und zur Würde des Menschen – unter dem offenen Himmel.

Amen.

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