Dienstag, 27. Oktober 2015

Predigt zur Gnaden- und Diamantenen Konfirmation Großenritte 2015


Liebe Jubelkonfirmanden, liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

1945. 1955. Man muss sich diese Jahreszahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen, um ihnen ab zu spüren, was sie bedeuten. Die Termine Eurer Konfirmation sind fast ein Leben weit von uns entfernt.

Aber auch voneinander sind sie weit entfernt. Es sind ja nur 10 Jahre. Aber was für 10 Jahre! 1945 fand die Konfirmation unter dem Donner der Flakkanonen statt, die Amerikaner standen vor der Tür. Deutschland lag in Trümmern, nur wenige Kilometer von hier war Kassel eine entsetzliche Steinwüste. Ich kann mir die Stimmung gar nicht vorstellen. Und schon gar nicht kann ich mir vorstellen, wie 14jährige das erlebt haben. Was gab es wohl für Geschenke, wenn überhaupt? Ein paar Strümpfe? Eine neue Jacke, aus einer Uniformjacke oder einen Rock aus Fallschirmseide? Auf jeden Fall, so habe ich mir erzählen lassen, für die Jungen einen Hut.

1955: Die Besatzungszeit endet offiziell, Deutschland wird Mitglied der Nato. Der Wiederaufbau ist so in Fahr gekommen, dass die ersten Boten des künftigen Wohlstandes zu erkenne sind. Der Marshallplan hat gegriffen. Deutschland hat wieder eine Zukunft. In Kassel ist die neue Stadt schon deutlich zu erkennen. Erst Pläne zur Ansiedlung des VW-Werkes werden bekannt. Es beginnt ein Aufschwung, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat. Zugleich ist Deutschland ein geteiltes Land, ja die ganze Welt ist geteilt. Auch hier geht es mir so: ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das für 14 jährige angefühlt haben mag. Was gab es für Geschenke? Schon mehr als 1945? Gab es vielleicht sogar schon Geld? Aber immer noch war die Konfirmation für die meisten von Euch der Anfang des Erwachsenenlebens, der Einstieg in die Ausbildung, in den Beruf.

Die Konfirmanden von 1945 sind inzwischen junge Menschen, in Arbeit und Brot, verheiratet, die einen oder anderen vielleicht schon verheiratet, haben Kinder. Ich bin 5 Jahre später geboren!

Die Welt hat sich atemberaubend verändert in diesen 10 Jahren.

 

Und dann erst!

2015. Wir leben in einem Wohlstand, der, von 1945 und 1955 aus gesehen, unbegreiflich ist. Die Welt ist nicht mehr in Blöcke aufgeteilt, wir feiern gerade 25 Jahre deutsche Einheit. Die elektronische Revolution mit Computer, Smartphone und Tablett hat unsere Welt so verändert, das ältere Menschen  - und da zähle ich mich unter diesem Gesichtspunkt schon dazu – kaum noch mitkommen. Die Welt ist nach einer Phase der Ruhe von fast 50 Jahren wieder in Bewegung geraten, die Flüchtlingsströme fordern uns heraus. Die VW-Krise trifft uns hart, wenn auch vielleicht nicht direkt, aber auf jeden Fall als ein großer Schrecken und eine tiefe Verunsicherung und Kränkung. Und zugleich erlebt Ihr Euer Alter, wie es das auch noch nicht gegeben hat: Nie waren Menschen über 60 aufs Ganze gesehen so fit, gesund und gut versorgt.

So könnte ich jetzt noch stundenlang weiterreden, und ich denke, dazu werdet ihr heute noch Gelegenheit haben: Das ist ja der Sinn einer solchen Veranstaltung. Doch wir feiern ja heute einen ganz besonderen Jahrestag, und darauf möchte ich mich konzentrieren. Die Konfirmation war und ist ja so etwas wie der Abschluss der Erziehung im christlichen Glauben, ist die Entlassung in die Eigenverantwortlichkeit. Ihr habt einen Segen bekommen, der für das ganze Leben reichen soll.

Ein Segen meint: Ihr werdet ausgestattet mit der Kraft Gottes, Euer Leben zu bewältigen. So mag der Tag heute und der Gottesdienst jetzt auch eine Gelegenheit sein, einmal zu fragen: Wo und wie habe ich diesen Segen gespürt? Wo habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gott mit mir war, wo fühlte ich mich alleingelassen?

Ihr findet auf Eurer Urkunde, die ihr gleich bekommen werdet, den Wochenspruch, den ich für Euch ausgewählt habe. Denn er bringt ganz wunderbar und ganz einfach auf den Begriff, worum es im Glauben geht. Es ist ein Gebet, es ist eine Bitte an Gott:  Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.

Der Prophet Jeremia sagt diese Worte. Und er sagt sie in einem Moment, in dem sein Glaube gerade nicht stark war, wo es ihm gerade nicht gut geht, im Gegenteil: Er ist wegen seiner Botschaft, dier er in Gottes Auftrag zu verkündigen hat, in enorme Schwierigkeiten geraten, ja er ist sogar mit dem Tod bedroht. Jeremia betet, weil er Angst hat, weil sein Glaube schwach und angefochten ist. Jeremia betet, weil er aber dennoch glaubt und hofft, dass Gott ihm beisteht. Heile Du mich Herr, dann werde ich heil.

Heil sein meint: Mit sich selbst im Einklang leben. Heil sein bedeutet, geheilt sein von Egoismus, von der kleinlichen Angst, heil sein bedeutet: Mit sich und der Welt versöhnt sein. Denn nur dann kann man wirklich gut leben.

Wir haben in den vergangenen Jahren vielleicht doch zu sehr das Heil mit dem Wohl verwechselt. Wir haben, und gerad Eure Generation! mit einer ungeheuren Energie großen Reichtum und Wohlstand geschaffen. gerade Ihr wahrt es, die diesen Staat und diese Gesellschaft aufgebaut habt. Dafür sind wir Nachgeborenen Euch zutiefst zu Dank verpflichtet

Doch es zeigt sich auch ein Schatten des Wohlstandes, er hat auch eine dunkle und finstere Seite. Er macht bequem, er macht faul, er kann dazu führen, dass alles für selbstverständlich genommen wird. Wer sein Leben nur auf das Wohl setzt, wer nur nach Reichtum, Erfolg, Schönheit fragt, wird, sobal es schwierig wird, ängstlich werden, und aus der Angst heraus aggressiv und wütend. Wir erleben das gerade. Die Menschen kommen zu uns, weil es uns gutgeht, weil wir, aus ihrer Sicht in einem absolut unbegreiflichen Reichtum und vor allem: in Sicherheit leben. Und jetzt macht sich die Angst breit, dass es nicht für alle reichen könnte. Aber anstatt in Ruhe nachzudenken und zu überlegen, wie wir das in den Griff kriegen könnten, macht sich allenthalben ein Geschrei breit, und es kommt sogar zur Gewalt, was immer verachtenswert ist. Gerade Eure Generation hat es geschafft und erlebt, aus Trümmer, ja fast aus dem Nichts heraus alles das aufzubauen, was wir heute haben. Sollte es uns nicht gelingen, das noch einmal zu schaffen? Die Wiedervereinigung haben wir doch auch hinbekommen: gegen alle Unkenrufe brummt unsere Wirtschaft wie noch nie. Aber: sind die Herzen mitgekommen? Sind unsere Seelen mitgekommen? Fragen wir außer nach unserem Wohl auch nach unserem Heil? Der Glaube will uns dahin führen, gelassen zu werden und das Leben dankbar aus Gottes Hand zu nehmen, der glauben will uns dahin führen, dass wir aus dem Segen leben, den Gott über uns ausgeschüttet hat. Darum konfirmieren wir junge Menschen, um ihnen etwas mitzugeben, was sie sich eben nicht selbst geben können, um sie mit etwas auszustatten, mit dem sich Menschen eben nicht ausstatten können: Mit Heil!

Daran möchte ich Euch Erinnern. Ich möchte Euch ermutigen und ermuntern, heute die Frage nach dem Glauben, nach Eurem Glauben, noch einmal zu stellen, die Spuren Gottes in eurem Leben zu suchen und zu finden. Ich möchte euch noch einmal an die Kraft Gottes erinnern, die immer eine Kraft zum Guten ist, eine Kraft zum Heil. Wir werden den Segen gleich noch einmal hören. Nicht, weil der Segen schwach geworden ist oder gar erloschen. Er gilt für immer. Aber unser Gedächtnis, unsere Erinnerung ist schwach: die muss immer wieder aufgefrischt werden. Und vielleicht war für den einen oder andere von Euch der Glaube auf der weiten Strecke Eures Lebens gar nicht so wichtig, weil die Sorgen und Aufgaben des Alltags so groß waren. Vielleicht sind einige von Euch auf dem Weg bis hierher, wie der Prophet Jeremia, an Gott und der Welt auch wenig irre geworden oder gar verzweifelt. Dann möchte ich euch Mut machen, es wieder zu probieren, die Kraft des Gebets neue zu erfahren. Vielleicht war für einige von Euch der Glaube, das feste Vertrauen auf Gott, ein Leben lang ein starker und guter Begleiter, der euch auch in den dunkelsten Stunden Licht und Kraft gegeben hat: Dann seid dankbar dafür, dann erzählt Euren Enkeln und Kindern davon, den vom Erzählen lebt der Glaube.

Wie immer es war, wie immer es sein wird: Wir leben unter Gottes Segen und wir können immer zu ihm kommen mit der Bitte:

Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.

Denn aller Wohlstand hat nur Kraft und Bedeutung, wenn er eingewoben ist in das Heil, das uns zu ganzen Menschen macht.

Das wünsche ich Euch an diesem bewegenden Tag, das wünsche ich uns. Gott ist mit uns alle Tage, bis an der Welt Ende, wie es uns in unserer Taufe zugesagt hat und wie er es uns in der Feier des Abendmahl schmecken und spüren lässt. Ich wünsche Euch einen gesegneten Tag voller starker Erinnerungen und uns einen Gemeinschaft voller Heil, voller Frieden und Freude.

Amen.

Montag, 19. Oktober 2015

Abschiedspredigt über Micha 6,8, Wochenspruch


Am Sonntag, dem 18.10 wurden Hauke Rauschenbach, Jugendarbeiter, und ich, Gemeindepfarrer, verabschiedet. Wir teilten uns die Predigt.
 
Predigt über den Wochenspruch.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.   Micha 6,8

Liebe Gemeinde!

Worum geht es in der Kirche? Wozu ist sie da? Die Antwort ist ganz einfach. Die Aufgabe ist es, das Wort Gottes zu verkündigen. Denn das, was Gott uns zu sagen hat, können wir uns nicht selber sagen. So, wie wir uns nicht selber ins Leben rufen können. Ohne das Wort Gottes, wären wir nicht die, die wir sind. Das gilt auch für die, denen das Wort Gottes ganz egal ist. Unsere Aufgabe als Kirche ist es, weiterzusagen, was Gott uns zu sagen hat:. Davon haben die Propheten geredet, davon sprach Jesus Christus.

Davon reden auch wir. Indem wir aus der Heiligen Schrift die Stimme Gottes hören, wird uns gesagt, was gut ist.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.   Micha 6,8

Dem gehen wir jetzt nach. Ein älterer Herr, seit fast dreißig Jahren im Pfarramt, seit fast fünfzig Jahren, seit dem Kindergottesdienst, in der Kirche immer mit Vollgas aktiv, der nun einen Gang zurückschaltet, weil er an seine Grenzen gestoßen ist.

Ein junger Mann, schon mit Berufserfahrung, der gerade einen Wechsel hinter sich gebracht hat, auch im Dienst der Kirche und jetzt der Diakonie. Beide also Kirchenmenschen, beide Christen. Beide mit dem Auftrag, jeder auf seine Weise, an seinem Ort, und mit seinen Fähigkeiten und Erfahrungen, das Wort Gottes zu verkündigen in Wort und Tat. Wir wollen Euch zum Schluss noch einmal hören lassen, was das für uns bedeutet.

Hauke, du bist so viel jünger als ich. Was hörst Du, wenn dir gesagt ist: Du sollst Gottes Wort halten?

HR: Als allererstes denke ich da an die 10 Gebote. Diese geben uns ja 10 Worte oder 10 Regeln vor. Bei Luther steht dort am Anfang: Du sollst nicht... Das finde ich ganz schön einschränkend. In meiner Arbeit habe ich gemerkt, für Jugendliche und vor allem für Konfirmanden waren die 10 Gebote immer schwierig. Das darf ich nicht, dies soll ich nicht? Warum eigentlich? Erst muss ich mir das immer von meinen Eltern anhören und jetzt sagt mir auch noch Gott was ich tun und lassen soll.

Ich finde diesen Zugang verständlich, so habe ich früher auch gedacht und gefühlt. Aber in den letzten Jahren, in der Auseinandersetzung mit den 10 Geboten hat sich in meinem Verständnis und meinem Zugang jedoch etwas verändert. Gott fordert von mir nicht ein, dass ich mich so und so verhalte. Er verlangt nicht von mir, dass ich mich verbiege. Ich kann so sein wie ich bin und zwar in der festen Zuversicht, dass Gott mich so annimmt wie ich bin. In dieser Liebe bin ich geborgen. Und wenn ich das ernst nehme und annehme, dann wird es plötzlich ganz einfach mit Gottes Wort. Wenn ich anfange mich und Gott ernst zu nehmen, dann werde ich nicht stehlen, dann werde ich Vater und Mutter ehren usw. Dann ist das kein Zwang, sondern eine Aufgabe, der ich mich gerne stelle. Und so ist es für mich leicht Gottes Wort zu halten, indem ich mich und ihn ernst nehme.

RK: Ich höre: Frag zuerst nachdem, was Gott will. Er spricht zu uns. Gott ist Mensch geworden, damit wir ihn erkennen und verstehen. Er wohnt nicht in einem fernen Himmel, sondern er war als ein Mensch unter uns, in Jesus von Nazareth. Im Johannesevangelium heißt es: Das Wort wurde Fleisch und wohnt unter uns. Gott ist uns ganz nah. Wir erkennen ihn in Jesus. Und das heißt: wir erkennen ihn im Leiden, wir erkennen ihn im Menschen, der in Not ist. Es geht nicht um Prinzipien oder abstrakte Regeln. Jesus war immer ganz konkret. Wenn Du am Sabbat Hunger hast, dann ernte, haben wir gehört. Denn der Sabbat ist um des Menschen willen da. Wir sind nicht Automaten, die Gott am Gängelband führt. Wir sind freie Menschen, denen Gott zutraut, nach seinem Wort zu leben, damit die Welt ein besserer Ort wird. Nach 30 Jahren Pfarramt, in dem ich wahrlich viel erlebt habe, ist mir das immer klarer geworden. Was die Menschen am dringendsten brauchen, ist ein gutes Wort, das sie aufrichtet, wenn sie gekrümmt sind, das ihnen Mut macht, wenn sie verzweifelt sind, das sie tröstet, wenn sie traurig sind und das sie zurechtweist, wenn sie in die Irre laufen. Nicht, weil es das Gesetz fordert, sondern weil Gott will, dass wir in Frieden leben. Mein Konfirmationsspruch wurde mir zum Leitvers für mein ganzes Leben. Jesus Christus spricht: ich lebe, und du sollst auch leben. Je älter ich werde, um so einfacher und klarer erscheint mir das Wort Gottes. Mit diesem Satz ist für mich alles gesagt.

Hauke, was hörst du, wenn dir gesagt ist: Du sollst Liebe üben?

HR…. Ganz ehrlich fiel es mir erst schwer mit der Liebe. Doch dann fiel mir das Lied: Ins Wasser fällt ein Stein ein. Dort heißt es: Nimm Gottes Liebe an, du brauchst dich nicht allein zu müh'n. Denn seine Liebe kann/ in deinem Leben kreise zieh'n. Und füllt sie erst dein Leben und setzt sie dich in Brandt. Gehst du hinaus teilst Liebe aus, denn Gott füllt dir die Hand.

Zuerst heißt es da: Ich soll die Liebe annehmen. Und zwar brauche ich das nicht alleine zu tun, mir wird dabei geholfen. Gottes Liebe kann ich spüren und weitergeben. Und das wird mich und die Menschen um mich verändern. Also Liebe geht nicht alleine. Ich brauch dafür jemand anderen. Nur im Kontakt mit anderen wird deutlich was Gottes Liebe bedeutet. Für und mit anderen da zu sein. Zu helfen, zu reden, zu hören, zu teilen oder einfach zu schweigen. In den letzten dreieinhalb Jahren gab es viele Situationen, in denen ich Gottes Liebe spüren konnte. Besonders dann, wenn ich mit Kindern und Jugendlichen zusammen etwas gestaltet habe. Die Aktionen und Gespräche haben mir immer neue Kraft gegeben und mir die „Hände gefüllt“ und dann konnte ich da sein, wenn aus den lustigen mal ernste oder traurige Momente wurden. Da konnte ich Andere unterstützen, aber genau so habe ich auch an ganz vielen Punkten die Unterstützung und Liebe von anderen gespürt, die mich gestärkt hat.

RK: Ich höre: Du sollst Liebe üben. Sie ist nicht einfach so da. Ich muss mich auch bemühen. Was die Bibel mit Liebe meint, ist das, was wir heute Solidarität nennen. Die Kirche ist für mich vor allem eine Solidargemeinschaft des Erbarmens: vom Gottesdienst, der uns das zuspricht, von all den Kreisen, Gruppen und Initiativen, die sich das sagen lassen und versuchen, daraus zu leben bis hin zur Kirchensteuer, die all das ermöglicht. Denn alleine kannst Du keine Liebe üben. Das geht nur mit anderen zusammen. Denn nur gemeinsam finden wir heraus, was Liebe jeweils meint. Dazu gehört auch, dass wir uns darüber auseinandersetzen. Es kann, wie wir beim Thema Flüchtlinge gerade merken, sehr strittig sein, welcher Weg der Weg der Liebe ist. Auch die Frage nach der Zukunft der Gemeinde ist strittig in Zeiten, in denen das Geld knapp wird und die Menschen weniger. Immer aber muss es darum gehen, Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Liebe ist mehr als ein Gefühl. Gefühle kommen und gehen. Aber Solidarität kann ich einüben. Weil ich von Gott reich beschenkt bin, brauche ich keine Angst zu haben, zu kurz zu kommen. Schon lange, bevor ich in der Lage bin, zu lieben, bin ich geliebt. Wieder ist es am Ende ganz einfach. Die Liebe stellt eine einfache Frage: Was brauchst Du, was kann ich für dich tun?

Hauke, was hörst Du, wenn dir gesagt ist, du sollst demütig sein vor deinem Gott?

HR: ….. Ich muss dazu erst mal Wikipedia befragen, was Demut ist. Da steht dann: die Bereitschaft, etwas als Gegebenheit hinzunehmen, nicht darüber zu klagen und sich selbst als eher unwichtig zu betrachten. Das fällt mir dann doch schwer. Mich nicht so wichtig nehmen. Anerkennen, dass da über mir jemand ist und vor allem nicht zu klagen.

Es ist doch so einfach. Lieber laut klagen und jammern. Ja, dass fällt einem leichter. Außerdem geht es doch gerade heute unter Jugendlichen zu zeigen was man kann, was man hat. Man hat das neueste Smartphone oder 10000 Follower  beim eigenen Youtube-Channel...

Alles und alle werden schneller, besser und lauter. Und da kommt die Demut ins Spiel. Wenn ich so laut bin überhöre ich die anderen. Wenn ich so schnell bin übersehe ich die Langsamen. Und das war für mich in den letzten Jahren die Stärke der Ev. Jugendarbeit. Hier steigen wir aus der lauten, schnellen Welt aus. Hier musste man nicht der oder die Tollste und die Lauteste sein. Hier konnte man auch mal Schwäche zeigen, langsam machen und so sein, wie man ist. Und das macht mich demütig. Ich nehme mich selber nicht so wichtig, höre den anderen zu und dadurch zur Ruhe zu kommen. An manchen Gegebenheiten kann ich nichts ändern, aber ich muss sie ja nicht mitmachen. Und da ist eine Nische in der Kraft steckt.

RK: Ich höre: Übernimm dich nicht. Lerne, deine Grenzen zu erkennen. Demut heißt nicht, dass ich mich kleiner mache, als ich bin. Das will Gott sicherlich nicht. Aber ich musste in dreißig Jahren Pfarramt lernen, was geht, und was nicht geht, oft auf die harte Tour. Das ist heute mein vierter großer Abschied, und keiner war wirklich freiwillig, jeder hat heftige Kerben in der Seele hinterlassen. Das macht demütig. Ich musste lernen, mit meinen Fehlern zu leben. Ich habe als Pfarrer erlebt, dass ich es gut meinte, und damit Unheil anrichtete. Aber ich durfte auch erfahren, dass durch mich auch Gutes geschah, mit dem ich gar nicht rechnete. Demut heißt für mich heute vor allem Gelassenheit. Demut ist in unserer Hochleistungsgesellschaft zu einem Unwort geworden, es ist völlig aus der Mode gekommen. Aber ein Leben ohne Demut macht uns krank, furchtsam und aggressiv. Das merkt man überall. Ich aber spüre, je älter ich werde: Demut ist ein großes Gut, denn Demut macht uns menschlich. Dazu gehört auch, nicht alles auf einmal zu wollen, sondern Geduld zu haben und zu fragen, was wirklich wichtig ist. Und wirklich wichtig sind die Menschen. Ein Video auf You-tube hat mich sehr berührt. Ein kleiner Junge, vielleicht 4 oder 5  Jahre, wurde gefragt, ob in seinem Kindergarten auch Ausländer sind. Er schaute den Reporter erstaunt an: ne, da sind nur Kinder.

Das ist für mich Demut: Als Mensch dem Menschen ein Mensch sein, weil Gott Mensch geworden ist. Darum geht es in der Kirche. Der Rest ist Organisation und Verwaltung, viel weniger bedeutend, als die meisten meinen, und das sage ich ganz bewusst als einer, der an der Spitze dieser Verwaltung mitarbeitet. Aber immer geht es um den Dienst an den Menschen und die Gestaltung von Solidarität. Am Ende ist es wieder ganz einfach ist: Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Wir können das, weil wir glauben:

Gott ist der, der zuerst gibt, bevor er fordert. Er gibt uns sein Wort, er schenkt uns seine Liebe, in Jesus Christus kommt er uns demütig entgegen. Wir leben aus der Fülle.

Wenn wir mutig von unserem Glauben reden und ihn leben, so gut es geht, dann erfüllen wir als Kirche unseren Auftrag. Darum geht es. Pfarrer kommen und gehen, Jugendarbeiter kommen und gehen. Das kann traurig sein, das kann manchmal auch eine Befreiung sein. Aber das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit. Lasst es Euch gesagt sein, und ihr werdet leben. Amen.

Samstag, 10. Oktober 2015

Heile Du mich Herr Predigt zum Wochenspruch. Diamantene und Gnadenkonfirmation in Großenritte. 2015


Liebe Jubelkonfirmanden, liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

1945. 1955. Man muss sich diese Jahreszahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen, um ihnen ab zu spüren, was sie bedeuten. Die Termine Eurer Konfirmation sind fast ein Leben weit von uns entfernt.

Aber auch voneinander sind sie weit entfernt. Es sind ja nur 10 Jahre. Aber was für 10 Jahre! 1945 fand die Konfirmation unter dem Donner der Flakkanonen statt, die Amerikaner standen vor der Tür. Deutschland lag in Trümmern, nur wenige Kilometer von hier war Kassel eine entsetzliche Steinwüste. Ich kann mir die Stimmung gar nicht vorstellen. Und schon gar nicht kann ich mir vorstellen, wie 14jährige das erlebt haben. Was gab es wohl für Geschenke, wenn überhaupt? Ein paar Strümpfe? Eine neue Jacke, aus einer Uniformjacke oder einen Rock aus Fallschirmseide? Auf jeden Fall, so habe ich mir erzählen lassen, für die Jungen einen Hut.

1955: Die Besatzungszeit endet offiziell, Deutschland wird Mitglied der Nato. Der Wiederaufbau ist so in Fahr gekommen, dass die ersten Boten des künftigen Wohlstandes zu erkenne sind. Der Marshallplan hat gegriffen. Deutschland hat wieder eine Zukunft. In Kassel ist die neue Stadt schon deutlich zu erkennen. Erst Pläne zur Ansiedlung des VW-Werkes werden bekannt. Es beginnt ein Aufschwung, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat. Zugleich ist Deutschland ein geteiltes Land, ja die ganze Welt ist geteilt. Auch hier geht es mir so: ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das für 14 jährige angefühlt haben mag. Was gab es für Geschenke? Schon mehr als 1945? Gab es vielleicht sogar schon Geld? Aber immer noch war die Konfirmation für die meisten von Euch der Anfang des Erwachsenenlebens, der Einstieg in die Ausbildung, in den Beruf.

Die Konfirmanden von 1945 sind inzwischen junge Menschen, in Arbeit und Brot, verheiratet, die einen oder anderen vielleicht schon verheiratet, haben Kinder. Ich bin 5 Jahre später geboren!

Die Welt hat sich atemberaubend verändert in diesen 10 Jahren.

 

Und dann erst!

2015. Wir leben in einem Wohlstand, der, von 1945 und 1955 aus gesehen, unbegreiflich ist. Die Welt ist nicht mehr in Blöcke aufgeteilt, wir feiern gerade 25 Jahre deutsche Einheit. Die elektronische Revolution mit Computer, Smartphone und Tablett hat unsere Welt so verändert, das ältere Menschen  - und da zähle ich mich unter diesem Gesichtspunkt schon dazu – kaum noch mitkommen. Die Welt ist nach einer Phase der Ruhe von fast 50 Jahren wieder in Bewegung geraten, die Flüchtlingsströme fordern uns heraus. Die VW-Krise trifft uns hart, wenn auch vielleicht nicht direkt, aber auf jeden Fall als ein großer Schrecken und eine tiefe Verunsicherung und Kränkung. Und zugleich erlebt Ihr Euer Alter, wie es das auch noch nicht gegeben hat: Nie waren Menschen über 60 aufs Ganze gesehen so fit, gesund und gut versorgt.

So könnte ich jetzt noch stundenlang weiterreden, und ich denke, dazu werdet ihr heute noch Gelegenheit haben: Das ist ja der Sinn einer solchen Veranstaltung. Doch wir feiern ja heute einen ganz besonderen Jahrestag, und darauf möchte ich mich konzentrieren. Die Konfirmation war und ist ja so etwas wie der Abschluss der Erziehung im christlichen Glauben, ist die Entlassung in die Eigenverantwortlichkeit. Ihr habt einen Segen bekommen, der für das ganze Leben reichen soll.

Ein Segen meint: Ihr werdet ausgestattet mit der Kraft Gottes, Euer Leben zu bewältigen. So mag der Tag heute und der Gottesdienst jetzt auch eine Gelegenheit sein, einmal zu fragen: Wo und wie habe ich diesen Segen gespürt? Wo habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gott mit mir war, wo fühlte ich mich alleingelassen?

Ihr findet auf Eurer Urkunde, die ihr gleich bekommen werdet, den Wochenspruch, den ich für Euch ausgewählt habe. Denn er bringt ganz wunderbar und ganz einfach auf den Begriff, worum es im Glauben geht. Es ist ein Gebet, es ist eine Bitte an Gott:  Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.

Der Prophet Jeremia sagt diese Worte. Und er sagt sie in einem Moment, in dem sein Glaube gerade nicht stark war, wo es ihm gerade nicht gut geht, im Gegenteil: Er ist wegen seiner Botschaft, dier er in Gottes Auftrag zu verkündigen hat, in enorme Schwierigkeiten geraten, ja er ist sogar mit dem Tod bedroht. Jeremia betet, weil er Angst hat, weil sein Glaube schwach und angefochten ist. Jeremia betet, weil er aber dennoch glaubt und hofft, dass Gott ihm beisteht. Heile Du mich Herr, dann werde ich heil.

Heil sein meint: Mit sich selbst im Einklang leben. Heil sein bedeutet, geheilt sein von Egoismus, von der kleinlichen Angst, heil sein bedeutet: Mit sich und der Welt versöhnt sein. Denn nur dann kann man wirklich gut leben.

Wir haben in den vergangenen Jahren vielleicht doch zu sehr das Heil mit dem Wohl verwechselt. Wir haben, und gerad Eure Generation! mit einer ungeheuren Energie großen Reichtum und Wohlstand geschaffen. gerade Ihr wahrt es, die diesen Staat und diese Gesellschaft aufgebaut habt. Dafür sind wir Nachgeborenen Euch zutiefst zu Dank verpflichtet

Doch es zeigt sich auch ein Schatten des Wohlstandes, er hat auch eine dunkle und finstere Seite. Er macht bequem, er macht faul, er kann dazu führen, dass alles für selbstverständlich genommen wird. Wer sein Leben nur auf das Wohl setzt, wer nur nach Reichtum, Erfolg, Schönheit fragt, wird, sobal es schwierig wird, ängstlich werden, und aus der Angst heraus aggressiv und wütend. Wir erleben das gerade. Die Menschen kommen zu uns, weil es uns gutgeht, weil wir, aus ihrer Sicht in einem absolut unbegreiflichen Reichtum und vor allem: in Sicherheit leben. Und jetzt macht sich die Angst breit, dass es nicht für alle reichen könnte. Aber anstatt in Ruhe nachzudenken und zu überlegen, wie wir das in den Griff kriegen könnten, macht sich allenthalben ein Geschrei breit, und es kommt sogar zur Gewalt, was immer verachtenswert ist. Gerade Eure Generation hat es geschafft und erlebt, aus Trümmer, ja fast aus dem Nichts heraus alles das aufzubauen, was wir heute haben. Sollte es uns nicht gelingen, das noch einmal zu schaffen? Die Wiedervereinigung haben wir doch auch hinbekommen: gegen alle Unkenrufe brummt unsere Wirtschaft wie noch nie. Aber: sind die Herzen mitgekommen? Sind unsere Seelen mitgekommen? Fragen wir außer nach unserem Wohl auch nach unserem Heil? Der Glaube will uns dahin führen, gelassen zu werden und das Leben dankbar aus Gottes Hand zu nehmen, der glauben will uns dahin führen, dass wir aus dem Segen leben, den Gott über uns ausgeschüttet hat. Darum konfirmieren wir junge Menschen, um ihnen etwas mitzugeben, was sie sich eben nicht selbst geben können, um sie mit etwas auszustatten, mit dem sich Menschen eben nicht ausstatten können: Mit Heil!

Daran möchte ich Euch Erinnern. Ich möchte Euch ermutigen und ermuntern, heute die Frage nach dem Glauben, nach Eurem Glauben, noch einmal zu stellen, die Spuren Gottes in eurem Leben zu suchen und zu finden. Ich möchte euch noch einmal an die Kraft Gottes erinnern, die immer eine Kraft zum Guten ist, eine Kraft zum Heil. Wir werden den Segen gleich noch einmal hören. Nicht, weil der Segen schwach geworden ist oder gar erloschen. Er gilt für immer. Aber unser Gedächtnis, unsere Erinnerung ist schwach: die muss immer wieder aufgefrischt werden. Und vielleicht war für den einen oder andere von Euch der Glaube auf der weiten Strecke Eures Lebens gar nicht so wichtig, weil die Sorgen und Aufgaben des Alltags so groß waren. Vielleicht sind einige von Euch auf dem Weg bis hierher, wie der Prophet Jeremia, an Gott und der Welt auch wenig irre geworden oder gar verzweifelt. Dann möchte ich euch Mut machen, es wieder zu probieren, die Kraft des Gebets neue zu erfahren. Vielleicht war für einige von Euch der Glaube, das feste Vertrauen auf Gott, ein Leben lang ein starker und guter Begleiter, der euch auch in den dunkelsten Stunden Licht und Kraft gegeben hat: Dann seid dankbar dafür, dann erzählt Euren Enkeln und Kindern davon, den vom Erzählen lebt der Glaube.

Wie immer es war, wie immer es sein wird: Wir leben unter Gottes Segen und wir können immer zu ihm kommen mit der Bitte:

Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.

Denn aller Wohlstand hat nur Kraft und Bedeutung, wenn er eingewoben ist in das Heil, das uns zu ganzen Menschen macht.

Das wünsche ich Euch an diesem bewegenden Tag, das wünsche ich uns. Gott ist mit uns alle Tage, bis an der Welt Ende, wie es uns in unserer Taufe zugesagt hat und wie er es uns in der Feier des Abendmahl schmecken und spüren lässt. Ich wünsche Euch einen gesegneten Tag voller starker Erinnerungen und uns einen Gemeinschaft voller Heil, voller Frieden und Freude.

Amen.

Freitag, 18. September 2015

Freiheit! Predigt zum 16. S. n. Trin., Apg 12,1-11, Kirmesgottesdienst Großenritte


 

12 1 Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln. 2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.

3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote. 4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen. 5 So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.

 6 Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. 7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.

Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!

 9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. 10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel. 11 Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.


 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

Das ist es, wovon die Bibel erzählt: Von der Freiheit. Oder besser und genauer gesagt: Von der Befreiung!

 

Es war die Urerfahrung des Volkes Israels, des Volkes Gottes, dass er sie aus der Gefangenschaft in Ägypten führte. Als ihre Situation aussichtslos erschien, als die Last von Frondienst, Ausbeutung und Misshandlung das Übermaß erreicht hatte, da berief Gott den Mose, dass er sein Volk aus der Gefangenschaft führte. Es muss ein unglaubliches Bild gewesen sein: Zehntausende machten sich auf, nahmen das Nötigste und brachen auf, einfach so, und gingen. Gott hatte den Pharao, den ägyptischen König, so weit gebracht, dass er sie ziehen ließ. Gott hat sich als stärker erwiesen als die vermeintlichen Götter der Ägypter, er hat die Ägypter seine Macht spüren lassen, und so ließen sie das Volk Israel ziehen! Und es brach auf, ohne eigentlich genau zu wissen, wohin. Es brach auf, auf ein bloßes Wort des Mose hin, dass er sie in ein Land führen wird, in dem Milch und Honig fließen. Es war ein Flüchtlingstreck, wie ihn die Geschichte bis dahin noch nie gesehen hatte – wie sie ihn aber, wie wir wohl wissen, künftig immer wieder sehen wird. Dieses Ereignis sitzt im Gedächtnis des Volkes Gottes bis heute ganz tief, und jedes Jahr wird es aufs Neue gefeiert, wenn Israel das Fest der ungesäuerten Brote feiert, das Passahfest! Gott ist der Gott, der in die Freiheit führt, und wenn es auch, wie beim Volk Israel, vierzig Jahre dauern wird, am Ende steht die Freiheit, steht das neue Leben in Selbstbestimmung und ohne Unterdrückung!

Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat! Das ist der Satz, mit dem Gott sich seinem Volk künftig immer wieder vorstellen wird, Mit ihm leitet er die 10 Gebote ein, dieser Satz taucht immer auf, wenn Israel dabei ist, seinen Gott zu vergessen. „Gedenke, dass auch du ein Flüchtling warst aus dem Lande Ägypten und dass Du ein Fremdling warst in dem Land, dass ich dir gegeben habe, darum bedrücke den Fremden nicht, denn er ist ein Flüchtling wie du! wird dem Volk immer wieder eingebläut, wenn es dabei ist, zu vergessen, wer es ist und woher es kommt. Ich muss glaube ich, kein Wort dazu sagen, wie aktuell diese Worte sind. Aber was gehen sie uns an? Wir sind doch nicht Israel?

Oder doch?

Aber doch!

Denn wir sind die Erben, die geistlichen geschwisterlichen Erben dieses Volkes. Über Jesus Christus, den Juden, sind auch wir, sind alle Menschen berufen, Teil des Volkes Gottes zu sein und an seiner Erfahrung teilzuhaben! Denn hunderte Jahre nach dem Auszug aus Ägypten wird Gott wieder eine große Befreiungsaktion starten: Diesmal aber geht es um die Befreiung aus der Not von Sünde und Tod, von Dummheit, Hochmut, Trägheit und Gewalt, diesmal werden die Menschen, alle Menschen, in die Freiheit der Versöhnung und der Vergebung geführt. Durch Jesus Christus. Es ist kein Zufall, dass er genau an dem Fest starb, als Israel seiner Befreiung aus Ägypten gedachte, es ist kein Zufall, dass wir Ostern, das Fest der Auferstehung und der Befreiung vom Tode, zu gleichen Zeit feiern, wie die Juden ihr Passafest. Genau an diesem Tag vollführte Gott sein größtes Wunder, in dem er Jesus, den von den Menschen ermordeten Boten der Liebe und der Versöhnung, von den Toten erweckte und so allem Haß, aller Vergeltung, allen Wünschen nach Rache und Zurückzahlung ein für allemal einen Riegel vorschob: Wir feiern den Auszug aus der Sünde, aus der Schuld und aus dem Tode, das Ende von Rache und Gewalt, wenn wir Ostern feiern, wie Israel den Auszug aus dem Lande seiner Unterdrückung. Wir ziehen aus dem Land des Unfriedens in das Land der Versöhnung: Zur Freiheit hat uns Gott befreit, denn er will, dass wir freie Menschen sind. Und so ist es auch kein Zufall, dass die beiden Apostel, die beiden Boten Gottes, ihre Befreiung aus dem Gefängnis auch genau wieder am Passahfest erfahren, einige Jahre später: Sie waren in Gefangenschaft geraten, weil der König Herodes dem Drängen des Volkes nachgab, die Verkündiger des Gottessohnes und der fleischgewordenen Liebe einzusperren und am Ende, genau wie den Apostel Jakobus, umzubringen. Gott sprengt die Mauern des Gefängnisses, und auch wenn die ganze Geschichte ein bisschen märchenhaft und ein wenig im Stil von frommen Kitsch ausgeschmückt wird, ist ihre Botschaft völlig klar: Gott lässt seine Boten nicht in der Unfreiheit sitzen, er lässt die Mauern einstürzen. Er bricht aus der Mauer der Verzweiflung Steine der Hoffnung, wie es Martin Luther King so schön formulierte.

 

Das ist eine klare Botschaft, für uns alle. Die Freiheit ist unsere Sache, sie ist der Kern der christlichen Botschaft. Freiheit von der Angst, verloren, vergessen und verdammt zu sein, Freiheit von der Angst, zu kurz zu kommen und benachteiligt zu werden, Freiheit von der Angst überhaupt, und das meint immer auch: politische Freiheit, bürgerliche Freiheit, menschliche Freiheit. Denn die Angst ist die Wurzel allen Übels: Sie macht Menschen aggressiv, sie lähmt Menschen. Es ist unser Auftrag als Christen, die Botschaft von der Freiheit überall zu verkünden, das Virus der Freiheit allen Menschen in das Herz zu senken, damit Unterdrückung und Unrecht auf der Welt zu einem Ende kommen. „Virus“ klingt gefährlich, aber hier es ganz positiv gemeint: Ist der Gedanken der Freiheit einmal in der Welt, kann er nicht mehr hinausgeschafft werden! Zu groß ist unsere Liebe zur Freiheit, unsere Sehnsucht nach Freiheit! Gott ist bei den Gefangenen dieser Welt, um sie in die Freiheit zu führen, seien es Gefangene der Seele oder des Leibes: egal! Die Gefangenschaft soll aufhören, die Freiheit beginnen!

Eine Freiheit freilich, die uns auch verpflichtet. Wir sind als seine Botinnen und Boten in die Welt gesandt, diese Freiheit nun auch in die Welt zu bringen. Das war die große Erkenntnis Martin Luthers, der mit dieser Gewissheit im Herzen die Mauern der damaligen Kirche sprengte und die Menschen, uns, herausführte aus dem Gefängnis von frommer Angst und religiöser Bevormundung. Was Luther wiederentdeckte und uns allen schenkte, war diese Freiheit: Gott ist ein Gott, der in die Freiheit führt, kein Mensch darf in seinem Namen Unfreiheit verkünden oder auch nur bestehen lassen!

Und das ist eine politische Botschaft. Das ist nicht nur frommes Gerede. Das ist ganz konkret gemeint. Wir haben hier, in unsrem Land, als, wenn man so will, nachgeborene Kinder des Volkes Israels, als Kinder Gottes und Geschwister Jesu, ein hohes Maß an Freiheit politisch umgesetzt. Wenn es so etwas wie ein christliches Abendland überhaupt gibt, dann erkennt man es daran: an seiner Liebe zur Freiheit!

Die Menschenrechte, die uns so wichtig sind, sie sind ein Ergebnis dieses Glaubens, und so schenkt der Glauben auch den Menschen Freiheit, die selber gar keinen Glauben haben und denen Gott herzlich egal ist: Sie ist unser, Sie ist Gottes Geschenk an die Welt. Freiheit kann nur Freiheit für alle sein! Die Freiheit, in der wir leben können hier in Deutschland, hier in Europa, ist die Freiheit der Kinder Gottes. Und wir sollten alles dafür tun, dass diese Freiheit nicht Gefahr gerät. Keine Schreier von Rechts und keine Chaoten von Links, keine furchtsamen Bedenkenträger aus der Mitte und keine Geschäftemacher aus der Welt der Gier, keine Hassprediger im Namen irgendeiner Religion oder einer Ideologie dürfen uns in einen Staat und in eine Gesellschaft führen, wo diese Freiheit in Gefahr gerät. Die Freiheit, in die Gott uns führt, ist auch die Freiheit des Gedankens und die Freiheit der Wahl, sein Leben zu führen in Verantwortung und Nächstenliebe. Freiheit verpflichtet: sie muss immer neu errungen und gestaltet werden, denn Trägheit und Hochmut lassen uns schnell vergessen, wie kostbar sie und gaukeln uns vor, Unfreiheit wäre bequemer. Freiheit geht auch nicht ohne Regeln, ohne Recht und Gesetz: An den Verkehrsregeln könne wir lernen und begreifen, dass wir genau dann frei sein können von Angst, wenn sich alle an die Regeln halten – nicht um der Regeln willen, sondern um der anderen willen! Die Apostel, die da aus dem Gefängnis geholt wurden, machten sich sofort auf den Weg, von der Freiheit zu predigen: sie wurden nicht nur befreit, sie wurden auch in den Dienst genommen! Ja, der Strom der Flüchtlinge, er jetzt über uns hereinbricht, hat auch etwas Bedrohliches und Beängstigendes, ja, es ist eine ungeheure Aufgabe, die da auf uns zu kommt, ja, es ist eine politische Herausforderung, wie wir sie aber doch alle paar Jahrzehnte immer wieder erleben: ich nenne nur 1945, 1989; und wer tiefer in die Geschichte blickt wird sehen: Europa war immer in Bewegung, die Suche nach Freiheit war immer ein starker Impuls! Menschen kommen zu uns, weil sie den Ruf der Freiheit gehört haben – und zwar einer ganz konkreten Freiheit: der Freiheit von nackter Überlebensangst. Wir werden diese Träume nicht alle erfüllen können. Wir werden nicht alle Probleme lösen können. Aber wir sollten allen, die zu uns kommen, zeigen, dass die Freiheit ein hohes Gut ist: das gilt auch für die, die kommen, um die Freiheit in Gefahr zu bringen. Wir werden sie nur überzeugen, wenn wir ihnen die Freiheit so schmackhaft machen, dass ihre Gewalt ins Leere läuft. Die wahren Feinde Gottes sind nicht die Ungläubigen, denn das sind wir irgendwie alle, die wahren Feinde Gottes sind immer die, die Freiheit in Gefahr bringen, am schlimmsten die, die das im Namen Gottes tun. Wer wüsste das besser als wir, die wir in einer Freiheit leben, wie sie die Weltgeschichte noch kaum gesehen hat. Wir sind doch in den letzten Jahrhunderten wahrhaftig aus vielen Gefängnissen von Unfreiheit und Bevormundung geführt worden, und wir als Christen sehen darin doch die Hand Gottes am Werk, der beharrlich die Freiheit in der Welt durchsetzen will. Da dürfen wir als Christenmenschen nicht locker lassen. Wir leben in Freiheit und Wohlstand, wie noch nie Menschen in Freiheit und Wohlstand gelebt haben. Und wenn wir heute Kirmes feiern, in Sicherheit, im Überfluss, im Frieden, dann ist das doch auch eine Feier der Freiheit, eine Feier der Befreiung, der Dankbarkeit und der schieren Freude am Leben. Aber wir feiern auch in einem Zelt: noch mehr Symbolik geht nicht. Ein Zelt ist ein Symbol für die letzte Unbehaustheit, die für uns alle gilt – wir feiern so gerne in Zelten, weil wir dann wieder zurückgehen können in unsere festen Häuser! Wir sind hier freiwillig und genießen unsere Freiheit: das ist wahrlich ein Grund zum Feiern!

Lasst uns alles dafür tun, dass so viele Menschen wie möglich daran teilhaben können, lasst uns alles dafür tun, dass die Freiheit in der Welt einen Raum gewinnt: und wenn es auch Opfer kostet, so haben wir davon doch vielfachen Gewinn: 40 Jahre wanderte das Volk durch die Wüste, das war kein Zuckerschlecken. Jesus starb für die Freiheit am Kreuz: das war doch ein großes Elend. die Boten der Liebe saßen im Gefängnis, erfuhren Verfolgung, Spott und Bedrängnis: das war kein leichtes Leben. Die Freiheit ist nichts für Weicheier! Aber am Ende stand die Freiheit, am Ende stand das Leben ohne Fesseln, am Ende stand der Sieg der Macht Gottes, die keine andere ist, als die Liebe. Die lasst uns heute feiern, dafür lasst uns Gott loben und preisen, und dafür lasst uns beten: Dass er uns Kraft gibt, die Freiheit zu wahren und auf ihn und seine Kraft, die Mauern zertrümmert und Fesseln sprengt, zu vertrauen. Das Volk Gottes, Israel und mit ihm wir, die wir auf Jesus Christus getauft sind, sind gut damit gefahren: Lasst auch andere in diesen Genuss kommen und uns nicht müde werden, Wege aus der Wüste und den selbstgemachten Gefängnissen zu finden. Gott geht voran: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!

 

Amen

Samstag, 12. September 2015

Guten Morgen, liebe Sorgen, Predigt für den 15. S. n. Trin., Mt 6, 24-35 .


Mt 6,25-34

25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?

Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?

 28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.

Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? 31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.

 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

 

Liebe Gemeinde!

 

Die Worte Jesu stammen aus der Bergpredigt: jener großen Sammlung von Jesusworten, die am Anfang des Matthäusevangeliums steht und die in den 2000 Jahren der Geschichte des christlichen Glauben immer wieder für Zündstoff gesorgt hat. Wenn man meint, der christliche Glaube sei weltfremd und versponnen, dann kann man hier die Munition dafür finden. Es klingt wie Hohn, was Jesus hier sagt: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet…..Dabei ist das doch unsere Grundsorge, die Sorge um das leibliche Wohl. Wenn man das so einfach könnte, die Sorgen einfach wegstreichen. Ich muss an den albernen Schlager denken, der in meiner Jugend von Jürgen von der Lippe gesungen wurde: „Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen, na, dann ist ja alles klar“. Das ist zwar witzig, aber auch ein bisschen bitter. Ähnlich klingen die Worte des amerikanischen Komikers Groucho Marx. Der hat gesagt: “Drei Fragen treiben den Menschen um. Wo komme ich her, wo gehe ich hin, was gibt es heute Mittag zu essen?“ Wobei das ja schon eine Luxusfrage ist. Es gibt leider auf dieser Welt viel zu viele Menschen, die stellen sich die Frage: Gibt es heute Mittag überhaupt etwas zu essen?

Und ich glaube, das macht es uns letztlich so schwer, die Worte Jesu wirklich ernst zu nehmen. Denn die richtigen, die schwere, die lebensbedrohende Sorge um Essen und Trinken kennen wir nicht wirklich. Das spüre ich im Moment bei der Diskussion um die Flüchtlinge sehr deutlich: es fehlt uns in unsrem reichen und wohlhabenden Land ein wenig an der Fantasie für die Armut, für die Not und den echten Hunger. Was heißt schon Wirtschaftsflüchtlinge? Das sind Menschen, die vor der Armut, der Not und dem Hunger fliehen. Und Armut und Not meint mehr als die Sorge um den Kühlschrank. Armut und Not meint auch: für das Leben keine Perspektive mehr zu sehen. Arm ist auch jemand, der heute nicht weiß, was das Morgen bringt, ja schärfer noch: arm ist jemand, der heute Angst vor Morgen hat.

Das kennen wir nur noch, wenn wir zum Beispiel ernsthaft erkrankt sind. Diese Menschen werden die Worte Jesu in ihrer vollen Schärfe hören – und werden sie im ersten Moment als Hohn empfinden. Wer wirklich Sorge hat, dem ist doch damit nicht gedient, dass ihm gesagt wird, er solle sich keine Sorgen machen, Gott wird schon einen Weg finden. Will Jesus diese Menschen vor den Kopf stoßen?

Das glaube ich natürlich nicht. Obwohl es in der Geschichte des christlichen Glaubens diese Position und diesen Standpunkt auch gab: die Armen sollen sich nicht so anstellen, sich Sorgen zu machen, ist gottlos und zeugt von wenig Gottvertrauen. Na danke, möchte man das sagen, das ist wirklich hilfreich!

Worauf will Jesus also hinaus?

Letztlich ist es ein Aufruf dazu, sich von den Sorgen nicht auffressen zu lassen. Wir sollen sie über unser Leben nicht herrschen lassen. Denn wer sich der Sorge hingibt, der wird von ihr am Ende zerstört. Wer sich in die Ecke setzt und jammert und klagt, wird sich am Ende gar nicht mehr bewegen. So muss man die Menschen, die wir so einfach „Flüchtlinge“ nennen, auch mal sehen: Sie warten ihr Schicksal nicht ab, sie nehmen es an und bewegen sich. Das ist doch für meissten von uns kaum vorstellbar, einfach alles stehen und liegen zu lassen und aufzubrechen. Auch das muss man sehen: Diese Menschen machen sich auf, sie haben das Vertrauen, dass es anderswo tatsächlich ein besseres Leben gibt. Flucht ist immer auch Ausdruck von Hoffnung!

Deswegen sagt Jesus: Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes, dann wird euch das alles zufallen. Deswegen der Hinweis auf die Vögel am Himmel und die Blumen auf dem Felde. Sie überlassen sich ganz dem Gang der Natur, vertrauen sozusagen darauf, dass der Tisch reich gedeckt ist. Schaut man genauer hin, dann wird einem aber schon klar: Auch die Vögel legen Vorräte an und bauen Nester. Aber sie tun es mit einem geschöpflichen Vertrauen, das wir Menschen, weil wir zweifeln und grübeln, sehr schnell verlieren. Was uns von den Vögeln unterscheidet ist, dass wir Angst vor Morgen haben.  Im Grunde heißt die Botschaft: Schaut genau hin, es ist genug für alle da, der Tisch ist reich gedeckt.

Es ist dieser andere Blick auf die Welt, zu dem uns Jesus führen will. Wir sollen nicht auf den Mangel starren, sondern auf das, was da ist. Und es ist ja etwas dran. Der Tisch ist reich gedeckt. Die Nahrung, die wir produzieren, würde reichen, ein Vielfaches der bisherigen Weltbevölkerung zu ernähren. Denn Knappheit ist nicht unser Problem. Unser Problem ist die Verteilungsgerechtigkeit. Das wird sichtbar, wenn man über die Worte Jesus ein wenig länger nachdenkt. In Paris haben diese Woche die Bauern demonstriert, weil sie so viel Milch produzieren, dass die Preise zusammenbrechen, und ähnliches gilt auch für die Fleischpreise und den Getreidepreis. Das ist doch ein großer Widerspruch. Auf der einen Seite eine Armee von Menschen, die zu uns kommt, weil sie nicht satt werden und kein Dach mehr über dem Kopf haben, weil sie nicht in Sicherheit leben können und täglich mit vielfältigem Tod rechnen müssen, auf der anderen Seite eine Gesellschaft, die nicht weiß, wohin mit ihren Gütern. Es hat mich daher sehr berührt, als ich die Bilder von den überquellenden Spenden sah, die die Menschen in München, Dortmund, Wien und Düsseldorf zusammengetragen haben, es sind ja so viele Spenden zusammengekommen, dass die Helfer schon sagen: Wir brauchen nichts mehr! Das zeigt doch, in welchem Überfluss wir leben, denn niemand, der da etwas hingebracht hat, wird deswegen selber in der Armut enden. Wir geben ab von unserem Überfluss, denn es ist genug da. So ist das gemeint. Das ist die Logik des Reiches Gottes, nachdem wir trachten sollen. Jesus ist nicht naiv. Es geht hier nicht darum, dass er sagt, dass Gott uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen lässt. Er will darauf hinweisen, dass genug für alle da ist, und dass im Reiche Gottes Gerechtigkeit herrschen soll, und damit ist auch die Verteilungsgerechtigkeit gemeint. Darum sollen wir uns von der Sorge nicht auffressen lassen, sondern uns die Frage stellen, wie wir die Güter gerecht verteilen. Und damit wird die Bergpredigt doch unmittelbar politisch. Bismarck soll ja gesagt haben: Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen. Das halte ich für einen törichten Satz. Man kann sehr wohl damit Politik machen, wenn man aus dem Geist der Bergpredigt heraus handelt. Und in einem freiheitlichen Staat ist es geradezu die Hauptaufgabe der Politik, Menschen die Sorgen um das tägliche Brot zu nehmen, indem sie Solidarität organisiert. Freilich: man kann darüber streiten, ja man muss es sogar, wie das am besten geschieht. Es ist sicher nicht hilfreich, hier Essen und Wohnraum zu verteilen, wenn man nicht gleichzeitig dort, wo die Not entsteht, für Abhilfe sorgt. Solange in Syrien, in Eritrea und im mittleren Afrika Krieg herrscht, werden die Menschen von der Sorge um das nackte Überleben zu uns getrieben. Solange in den Balkanstaaten die wirtschaftliche Situation so schlecht ist, wie sie ist, wird die Sorge sie zu uns treiben. Würden wir es anders machen? Haben wir nicht auch in unserem Lande eine starke Migration dorthin, wo es den Menschen gutgeht? Die Menschen kommen doch aus der ganzen Republik nach Baunatal, weil sie hier einen Arbeitsplatz und gute Bedingungen finden – man muss gar nicht weit fahren, ums selbst in Deutschland in Gegenden zu kommen, wo Arbeit so knapp ist, dass die Menschen weggehen. Und nicht nur das. Wir stehen doch einigermaßen fassungslos vor dem Phänomen, das Menschen aggressiv und gewalttätig auf die Fremden reagieren, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen etwas weggenommen wird. Das muss man schon ernst nehmen, selbst wenn diese Angst bei Lichte betrachtet wenig begründet ist – unser Finanzminister, wahrhaftig kein verschwenderischer Typ – weist immer wieder darauf hin. Geld ist kein Problem. Aber die Verteilung. Das ist, was die Menschen aggressiv macht. Also ist der Satz des Jesus, dass wir uns nicht sorgen sollen, gerade auch an uns Reiche gerichtet. Wir dürfen uns von unserem Überfluss und unseren Verlustängsten nicht das Herz versteinern lassen, sondern immer wieder einmal genau hinschauen, wie gut es uns im Grunde geht. Dass die Menschen hierher kommen, weil es uns gut geht, ist doch ein deutliches Zeichen dafür.

Es ist genug für alle da. Gott sorgt für uns. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Gaben auch alle erreichen. Das Gegenteil von Sorge ist Glück. Und am glücklichsten sind wir doch alle, wenn alle glücklich sind. Ungerechtigkeit ist am Ende am schwersten zu ertragen, vor allem dann, wenn man erkennt, dass die Ungerechtigkeit von Menschen gemacht ist. Denn nur gegen diese Ungerechtigkeit können wir in einer gemeinsamen Anstrengung etwas unternehmen. Dafür müssen wir aber das Gefühl verlieren, dass uns daran hindert, genau hinzusehen: und das ist die Angst. Darum geht es Jesus in Wahrheit am meisten. Auch in diesen Wort der Bergpredigt, die so weltfremd klingen und so naiv wirkt, ist die Kernbotschaft des Evangeliums verborgen: Fürchtet Euch nicht! und mehr noch: Habt Vertrauen! Der Gott, der sogar die Mächte des Todes besiegt hat, wird auch die Mächte der Ungerechtigkeit besiegen, und er will, dass wir dabei mitarbeiten, damit wir am Ende stolz sein können auf unser Werk; und wenn wir scheitern, dann sollen wir nicht verzweifeln, sondern im Gebet uns Gott anvertrauen und ihn bitten, uns neue Wege zu zeigen, wie wir das Glück der Menschen fördern können. So würde sich das Abendland, von dem immer so viel die Rede ist, als ein wahrhaft christliches zeigen. Das ist alles andere als naiv.

Ja, jeder Tag hat seine eigene Sorge. Darum sollen wir uns auf die konzentrieren, und uns immer wieder vergewissern, dass Gott uns nicht alleine lässt. Die Angst macht uns kirre. Um Gottes und vor allem um der Menschen willen sollen nicht die Sorge, sondern das Vertrauen in unserm Herzen herrschen lassen. Denn die Angst macht uns dumm und gewalttätig. „Trachtet zuerst nach dem  Reiche Gottes, dann wir Euch das alles zufallen“ kann man auch ganz einfach übersetzten: habt Vertrauen, dann werdet ihr frei, gute Lösungen zu finden und werdet nicht von der Angst beherrscht. Das also ist das, was wir als Christen tun können: Neben der ganz konkreten Hilfe, die wir leisten können, können und sollen wir auch vom Vertrauen reden, Vertrauen schaffen und um Vertrauen beten: da kann wirklich jeder etwas tun. Denn Vertrauen ist die Quelle des Glücks, weil es das Heilmittel gegen die Angst ist. Dafür steht Jesus mit seinem Leben, mit seinem Tod und mit seiner Auferstehung.  Dafür stehen wir Christen mit der Botschaft von Gottes schenkender Gerechtigkeit, die nichts anderes ist als: Liebe. Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Schert Euch zum Teufel, denn da kommt ihr her.

Amen

 

Dienstag, 28. Juli 2015

Von den anvertrauten Zentnern. Mt 25, 14-30 9. S. n. Trin.

Es mag etwas ungewöhnlich sein, eine Predigt schon vor dem Gottesdienst zu veröffentlichen, aber Matthäus-Texte sind immer eine exegetische und vor allem homiletische Gratwanderung. Vielleicht hat der reine oder andere eine schönere Idee dazu - oder kann es als Anregung gebrauchen.



Predigt

Mt 25,14-30

Von den anvertrauten Zentnern

14 Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes ging: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an; 15 dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen, [a]jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort.

16 Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu. 18 Der aber einen empfangen hatte, ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.

 19 Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft von ihnen. 20 Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen. 21 Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

22 Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen. 23 Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!

 24 Da trat auch herzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; 25 und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine. 26 Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht! Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe? 27 Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen. 28 Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat. 29 Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden.

30 Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

 

 

Liebe Gemeinde,

das ist ganz ohne Zweifel eine der krassesten Geschichten, die Jesus erzählt. Sie verblüfft gleich auf mehreren Ebenen.

 

Zum einen klingt sie wie ein Loblied auf den Kapitalismus. Die beiden Knechte, die mit ihren anvertrauten Zentnern gewuchert haben – und zwar mit einer Rendite von 100% Prozent! – werden belohnt. Dabei kann man sich an den zehn Fingern ablesen, dass eine solche Rendite nur mit fast verbrecherischen Methoden der Spekulation erreicht werden kann. 100%! Mit Recht wäre uns jemand, der sein Vermögen in kurzer Zeit verdoppelt, ein wenig suspekt. Der vorsichtige Knecht aber wird nicht nur betraft, er bekommt nicht nur sein Geld abgenommen –nein, sein Gewinn wird auch noch dem gegeben, der ohnehin schon ein riesiges Vermögen hat! Das ist krass. Das entspricht eigentlich nicht dem, was wir von der Kanzel zu hören gewohnt sind: Dass Gott uns liebt allein aus Gnade. Etwas scheint mit diesem Gleichnis nicht zu stimmen.

Das Zweite, was schockiert, ist die absolute Härte, mit der hier geredet wird. Dem ängstlichen Knecht, der sich nicht auf das unsichere Geschäft von Handel und Wandel einlässt, wird unverblümt gesagt, wie es läuft: Wer hat, dem wir gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das, was er hat genommen werden. Und am Ende landet er auch noch in der Hölle.

Das ist hart. Es ist deswegen hart, weil es doch genauso läuft – so und nicht anders lautet das Gesetz der Börse, so und nicht anders erleben es gerade die Griechen, so und nicht anders erleben es gerade die vielen Menschen, die nicht so fit, nicht so klug, nicht so mutig, ja man möchte fast sagen: nicht so dreist sind. Wer sein bisschen Geld zusammenhält, der kriegt es auch noch abgenommen, wer sich auf riskante Abenteuer einlässt, Zinsen nimmt, die weit über das Erlaubte hinausgehen und in windige Unternehmen investiert, kriegt noch eins oben drauf. Meine Großmutter hatte dafür einen drastischen Spruch, und besser kann man gar nicht sagen, was uns dieses Gleichnis offensichtlich sagen will: Der Teufel kackt auf den großen Haufen!

Ist das die göttliche Gerechtigkeit und Liebe?

Spricht Jesus hier also dem unbeschränkten, dem Raubtierkapitalismus das Wort? Ist das die Aufforderung genau das zu tun, was gewissenlose Menschen immer wieder tun: sich auf Kosten anderer bereichern?

 

Natürlich nicht. Nicht mal im Ansatz. Es ist ein Gleichnis. Es geht hier um etwas ganz anderes. Das wird deutlich, wenn ich Euch sage, was hier im griechischen Original für ein Wort steht. Luther hat es mit „Zentner“ übersetzt. Das ist zweifelsohne richtig. Aber im Griechischen steht hier das Wort Talentos. Es geht um anvertraute Talente – und zwar genau in dem übertragenen Sinne, wie wir das Wort heute verwenden. Es geht darum, dass wir unsere Talente einsetzen sollen. Talente sind von Gott gegebene Fähigkeiten und Gaben. Wir sprechen vom musikalischen Talent, vom mathematischen Talent, oder auch vom Talent, Menschen für sich zu gewinnen oder Frieden zu stiften. Jeder von uns hat etwas mitbekommen, was er kann, und was uns das Gleichnis, freilich sehr drastisch, deutlich machen will: mit diesen Talenten sollen wir wuchern, die sollen wir anwenden und ausbauen. Denn gemeint sind natürlich all die Gaben, die uns gegeben sind, um Gutes zu tun. Und davon hat jeder etwas. Und wir haben die Pflicht, diese Gaben auch zum Nutzen der Allgemeinheit einzusetzen. Dazu gehört auch, dass wir diese Gaben fördern und entdecken. Es geht also hier um ein Grundanliegen der menschlichen Gesellschaft. Darauf will Jesus hinaus. Er nimmt das Geld als Beispiel für etwas, das viel mehr wert ist als Geld. Tatsächlich ist es so: wer seine Gaben nicht einsetzt, ist ein Verschwender und in der Tat ein törichter Mensch. Und sage niemand, er habe nicht und könne nichts. Jetzt zeigt sich, dass das Gleichnis doch sehr raffiniert ist. Denn die Knechte bekommen ja unterschiedlich viel Geld. Unsere Gaben und Talente sind unterschiedlich, manchmal meint man sogar: ungerecht. So mancher traut sich selber nichts zu, wie der ängstliche Knecht, weil er denkt, seine Gaben seien nicht wichtig. Aber das ist ein Irrtum. Es gibt nichts, das wir nicht brauchen. Und es ist eine wichtige Aufgabe für uns als Gesellschaft, als Menschen, als Erzieherinne und Erzieher, unsere Talente zu entdecken und zu fördern. Zum einen weil es die Lebensfreude fördert und einen Menschen innerlich stärkt, wenn er spürt, dass er etwas kann. Deswegen haben wir ein Bildungssystem entwickelt, das niemanden zurücklässt und jedem die Förderung angedeihen lässt, die er braucht. Ich habe das sehr eindrücklich gelernt in der Zeit, als meine Frau in der Schule für praktische Bildbare gearbeitet hat. Konfirmandenunterricht und Schulunterricht für schwer geistig behinderte Menschen? Ja hat das denn einen Zweck, lohnt sich denn diese Investition? Ich war immer wieder sehr berührt, wenn ich mit Schülerinnen und Schülern aus ihrer Schule zu tun hatte. Sie waren, allein dadurch, dass sich Menschen ihnen zuwandten und ihnen halfen, zu entdecken, was sie können, auch stolze, fröhliche und engagierte Menschen – auch wenn sie vielleicht in all den Jahren auf der Schule gerade mal gelernt haben, ein paar Worte zu sprechen. Aber mit ihnen zu reden war eine Bereicherung, und sie machte es glücklich. Das gilt für alle Gebiete unseres Lebens. Jedem ist ein Talent anvertraut, niemand kann nichts. Jesus will uns anspornen, daraus etwas zu machen. Denn wenn man sein Talent zum Nutzen aller einsetzt, dann treibt man eben gerade keinen Wucher! Und ihr merkt: So herum betrachtet wird das Gleichnis nun doch zu einer harten Kritik am Kapitalismus – denn der treibt Wucher auf Kosten der andren Menschen. Wer aber sein Talent einsetzt, fördert und ausbaut, der wuchert mit seinem Talent zum Wohl anderer Menschen.

Wer hat, dem wird gegeben: das ist eine Erfahrung, die man auf diesem Gebiet wirklich machen kann, man wächst mit seinen Aufgaben. Man wird bereichert, ohne sich zu bereichern. Wer seine Talente verkümmern lässt, der wird arm, dem wird tatsächlich etwas genommen – oder genauer gesagt: der nimmt sich selber etwas. Viel Verbitterung unter den Menschen kommt aus dieser Quelle: Wer über sich selber sagt, ich hab nichts, ich kann nichts – der kann schnell in dieser Höhle der Traurigkeit festsitzen. Da braucht es dann doch auch mal einen kräftigen Anstoß: wie ihn Jesus mit seinem Gleichnis ja auch gibt.

Darum dürfen wir niemanden zurücklassen, darum dürfen wir uns auch selber nicht zurücklassen. Das gilt zum Beispiel auch für die vielen Menschen, die zu uns kommen, weil sie sich hier ein besseres Leben erhoffen: All die Menschen, die zu uns kommen, bringen auch Talente mit: wir sollten alles dafür tun, sie zu fördern und auszubauen, wir brauchen jeden und jeder kann etwas beitragen, wenn man ihn nur lässt. Von vornherein zu sagen, es sind Schmarotzer und Taugenichtse, die sich auf unsere Kosten ein gutes Leben machen wollen, ist genau der falsche Ansatz. Jeder Mensch, der kommt, bringt etwas mit, und wenn man ihm Gelegenheit gibt, das zu zeigen, wird er es dankbar tun.

So also ist das mit diesem schockierenden Gleichnis: es dreht unser Denken genau herum: Im Ersten Moment scheint es unseren finstersten Ängste zu bedienen. Auf den zweiten Blick macht es uns Mut. Niemand ist nutzlos. Niemand ist unbegabt. Jeder ist gefordert und gebeten, das, was er kann, für andere einzusetzen. Nur so kann unser Leben funktionieren, nur so kann eine Gemeinschaft wirklich wachsen und gedeihen. Und selbst wenn es nur ganz wenig ist: es ist wertvoll. Wir sind von Gott begabte Wesen. So lasst uns mit unseren Talenten wuchern, zum Wohle aller, und uns aneinander bereichern, ohne uns voneinander zu bereichern. Der Lohn, den du bekommst, ist ganz einfach: du wirst wachsen! Gott schaut nicht auf das, was wir nicht können, sondern auf das, was wir können. Er nimmt uns nicht bei unseren Defiziten, sondern bei unseren Stärken. Er fordert nicht, er fördert. Er misttraut uns nicht, er traut uns etwas zu.

So sollten wir es auch tun: denn es tut uns gut.

Amen.