Samstag, 5. Oktober 2013

Aufgebohrte Ohren. Andacht zu Psalm 40 (Tageslosung)

Andacht zum Psalm 40, gehalten zur Sitzung des Rates der Landeskirche, Kassel.

Das kommt ganz selten vor: zwei Verse aus einem Psalm an zwei Tagen hintereinander als Losung.

Gestern lasen wir:
Du bist mein Helfer und Erretter; mein Gott, säume doch nicht! Psalm 40,18

Heute lesen wir:
Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den HERRN!
Psalm 40,5
 So wurde ich aufmerksam auf den Psalm 40, der, weil er in keiner Leseordnung ist, kaum im Blick ist. Aber man kann in ihm ein paar faszinierende Entdeckungen machen, und daran, liebe Schwestern und Brüder, möchte ich Euch teilhaben lassen: Was ich gehört habe, weil mir der Herr die Ohren aufgebohrt hat. Ich schaue auf einige Verse, die mir bemerkenswert erscheinen, denn wir haben heute noch mehr zu tun. Doch das, was wir zu tun haben, hat viel mit dem zu tun, wovon der Psalm singt: Gott loben und preisen in einer beklagenswerten Welt.


Ansprache 

Niemand hat Gott je gesehen, denn er ist unsichtbar.

Aber seine Zeugen werden gesehen, und gehört wird, was sie sagen. Und da steckt eine böse Falle drin.

Die Kirche wird gesehen und gehört. Und darum, so scheint es, kommt es auf uns an, dass wir reden und erzählen begeistern – so könnte man jedenfalls meinen, und so wird es von vielen auch gesehen, und das ist es, was uns krank macht: Die ganze Verantwortung für den Glauben liegt auf uns. Das Gelingen des Lebens als Beweis für die Wahrheit des Glaubens liegt auf uns. Wir müssen uns fragen, wie wir die Verkündigung optimieren, das Gemeindeleben auf die Kenraufgabe zurückführen, wie wir Menschen zur Gotteserfahrung führen und die Kirchen vollkriegen. So steht´s jedenfalls in der Zeitung, das wir das tun sollten und in mancher Pressemeldung aus Hannover und anderswo, wo man die Wahrheit kennt. Und diese Fragen hindern machen Ordinierten und Engagierten am Nachtschlaf und rauben ihm die Freiheit.

Und am Ende steht natürlich die drängendste aller Fragen: Wie komme ich selber dahin, Gott zu spüren und aufzuspüren in meinem Leben? Pilgern, fasten, studieren, spenden, sammeln, engagieren? Evaluieren, optimieren, validieren? Das macht uns krank, sage ich, weil es eine geradezu teuflische Einflüsterung ist, wenn wir ihr erliegen: Dass wir es sind, die Sorge tragen müssen für die Ausbreitung des Evangeliums. Tut doch was. Sagt doch was. Ändert was. Macht was Neues! Das ist der Schlamm, in dem wir stecken, die Grube, in der wir hocken.

Der Psalm aber sagt: 4 ER hat mir ein neues Lied in meinen Mund gegeben, zu loben unseren Gott. Das werden viele sehen und sich fürchten und auf den Herrn hoffen.

Er hat ein neues Lied in meinen Mund gegeben, und zwar nicht durch eine göttliche Inspiration, nicht durch eine spirituelle Spezial- und Sondererfahrung an einem heiligen Ort  (da kommen wir noch zu!) oder durch einen heiligen Menschen oder eine heilige Handlung. Er hat mir ein neues Lied zu singen gegeben, weil er mich gerettet hat aus der Not, die noch lange nicht vorbei ist.

Da werden sich die Heiden wundern: Wenn einer aus dem Elend heraus das Singen anfängt.



Darum fängt der Psalm mit Klage an und hört mit Klage auf, das ist ja sehr bemerkenswert. Aber er klagt, weil er vom Loben kommt: weiß, dass die Klage nicht vergeblich ist.

5 Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den Herrn – denn dem öffnet sich das Leben in seinem unendlichen Horizont. Der Lehrtext zur heutigen Losung ist darum klug gewählt, und beide Verse zusammen sind schon eine Predigt für sich: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, dann sind wir die ärmsten aller Kreaturen“ 1. Kor 15,19. Klar, weil sonst alle Hoffnung am Tod zerbräche. Hoffnung kann ja nur Hoffnung sein, wenn sie über den Tod hinausragt.

Ein bisschen Hoffnung: Das wäre dann schon wieder das alte Lied. Das alte, traurige Lied, das gesungen wird, wenn der Arzt mit besorgter Miene gefragt wird, ob denn noch Hoffnung bestehe, und er mit ebensolcher Miene den Kopf schüttelt: Keine Hoffnung mehr! Was für ein gottloser Satz, im Grunde, erschreckend, wenn man´s recht bedenkt.

Das ist das alte Lied vom begrenzten Leben, das uns so nahe liegt, weil es die Wirklichkeit besingt, die uns fertig macht.

Wie kommen wir dazu, das neue Lied zu singen?



Wir singen das neue Lied vom unbegrenzten Leben, weil wir von Jesus Christus singen. Um seinetwillen sind wir Christen. Er ist es, von dem der Psalm singt, auch wenn er es gar nicht wusste. Aber von der Gnade wusste er doch, und also von Christus. Ja mehr noch: Er ist es, der den Psalm singt. Nur in seinem Munde ist der Psalm wahr und mehr als Pfeifen im Wald. Darum sollen wir uns an ihn wenden, und nicht an die Spötter und die Selbstverliebten, nicht an Unseresgleichen also. Da kommt kein Mut her.

Denn wir singen immer noch das alte Lied vom Kummer und vom Sterben, wir singen das alte Lied von Golgatha, denn das ist unsere Wirklichkeit. Wer von uns kann das neue Lied aus eigener Erfahrung singen? Wer wurde selber aus dem Tod geholt? Wer überlebte von uns eine Kreuzigung? Nur der kann das neue Lied mit Volmacht singen, wir singen auf Hoffnung mit.

Denn die frohe Botschaft ist doch: dass ER es singt!. Und wir dürfen es hören, als wäre es unser Lied.

So öffnen sich mir die Psalmen: Als die Gebete Christi, die er an meiner Stelle singt. Seit ich das verstanden habe, liebe ich sie als Dokumente ungeheurer innerer Freiheit. Wir singen die Psalmen auf Hoffnung hin, Christus singt sie von der Erfüllung her. Wir brauchen für ihre Wahrheit nicht mit unserm Leben einzustehen, weil er es tat. Das ist doch das Evangelium: Er an meiner Stelle! Und dann ich an seiner Stelle!

Und was steht da dann noch für Ungeheuerliches und ganz und gar Protestantisches! Was für ein famoser Vers der Vers 7, was für eine befreiende Botschaft für eine Kirche, die sich gehetzt fühlt vom Anspruch, Religion bieten zu müssen:

Dieser Vers 7, der so klingt,  als wäre er nicht von Luther übersetzt, sondern geradezu von ihm geschrieben

7 Schlachtopfer und Speisopfer gefallen dir nicht, /

aber die Ohren hast du mir aufgetan.

Du willst weder Brandopfer noch Sündopfer.

So kommt der Glaube in uns: Gott, wie es im hebräischen Original heißt, bohrt uns die Ohren auf! Und zwar nicht im Tempel, nicht Ritual des Gebens und Nehmens, nicht im magischen Zauber des rituellen Austausches, nicht im Glöckchengebimmel und Würfelgewerfe der geweihten Männer begegnet er uns, das alles ist des Teufels Mummenschanz, ein Höllenkarneval. So ist manche gut gemeinte Predigt auch nur eine teuflische Büttenrede, wenn sie nämlich nichts ist als Gesetz: „Man müsste“, „wir sollten doch“, und vor allem der geliebte Konditional: „Wenn wir, dann wird…. „

Nein: Wenn Gott tut, dann wird….und besser nocht:  Weil Gott getan hat, darum wird…. Weil er spricht, darum hören wir: Das neue Lied nämlich, das dem alten Lied vom Tun und Machen, von Glück und Schicksal ins Wort fällt.

Ist das nicht großartig? Wenn man bedenkt, dass dieser Psalm, wenn denn die Gelehrten Recht haben, im Tempel gesungen wurde, angesichts des blutüberströmten Altar? Ist das nicht göttliche Ironie in Vollendung – und darin zugleich die einfache, simple, befreiende; Menschen aus einer wirklich quälenden Lebenslast befreiende Botschaft, die da lautet: Opfer sind sinnlos! Was quälen und schinden sich Menschen, weil sie meinen, mit ihrem Leben Schuld abbezahlen zu müssen. Schade um jeden Tropfen Blut, um jeden Tropfen Schweiss und jede Träne, die deswegen vergossen wurde.

Trauen wir uns das als Kirche wirklich zu sagen, in dieser Schärfe: Keine Werke? Nur Vertrauen?

Das genau ist ja die Botschaft, bei der den Heiden und den Frommen Hören und Sehen vergeht und die tonnenschwere Last abfällt, auch von uns als Kirche.

Der Psalm tut es. Christus tut es.

Mit diesem Wort er bohrt uns die Ohren auf, damit wir hören.



Pure Gottesfreude spricht sich hier aus, was zu einem letzten Blick führt auf das Ende des Psalmes. Denn in dieser Gottesfreude ist eben auch Platz für Hass und Zorn, Verachtung, Häme und Neid. Mitten im Leben wird der Beter gerettet, und mitten im Leben ist auch die Gefahr, und die geht nicht von der Natur aus, sondern von den Menschen. Lest den Psalm von Golgatha aus, und ihr wisst, wovon er singt:

Mobbing, Neid, und üble Nachrede, Zauberei (das ist das Mobbing mi t den Mitteln der Magie, sprich des unaufgeklärten Verstandes), klerikale Idiotie von der Wirksamkeit der Rituale und religiöser Wahn von der Notwendigkeit des Opfers – das hat ihn ans Kreuz gebracht, und das ist alles zutiefst hassenswert, weil es Sünde ist, begangen von Sündern.

Im Raum des Lobes darf sich der Hass aussprechen, denn er wird in Gottes Hand gelegt, hier darf sich die Häme aussprechen, denn wer zuletzt lacht, lacht am besten - und das glauben wir doch, dass wir zuletzt lachen, aber eben nicht über die Feinde, sondern mit den Feinden.

Doch Hass frisst auf, der Glaube aber will uns nähren, und darum lautet die Bitte, die aus dem Hass kommt:17 Lass Deiner sich freuen und fröhlich sein alle, die nach dir fragen, und die dein heil lieben, lass allewege sagen: Der Herr sei hoch gelobt!

Das Wort lenkt den Blick weg von dem, was und krank macht und zeigt uns Besseres, die Gemeinschaft der Hoffenden, die Kirche.

Denn lesen wir die Psalmen als Christi neues Lied, das er singt, weil wir es nicht singen können mit unsrem schwachen Glauben, dann lesen wir sie aber auch als das Lied der der Kirche, die doch nichts anderes ist als der sichtbare Leib des Unsichtbaren. Die Kirche ist doch der Chor der Geretteten auf Hoffnung hin, die versammelte, hörende, betende Gemeinde ist die einzige wirkliche Ikone Gottes, in der ER sichtbar wird. Der Einzelne mag zweifeln, die Kirche aber glaubt. Der Einzelne mag gottlos sein, die Kirche aber ist heilig. Der Einzelne mag längst stumm sein, die Kirche aber spricht. Gott mag unsichtbar sein, die Kirche aber ist sichtbar.

Trauen wir dieser Botschaft wirklich?

Wir, dieser jämmerliche Haufen von Angsthasen und Aktivisten, Frommen und Zweiflern, Juden und Heiden, wir machen ihn sichtbar? Doch was singt der Psalm am Schluss:

18 Denn ich bin arm und elend, der Herr aber sorgt für mich. Du bist mein Helfer und Erretter, mein Gott, säume doch nicht!

Hat er ja auch nicht. In wenigen Wochen schon werden wir´s ganz laut sagen: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“ aus dem Schlamm und der Grube.



So lasst uns fröhlich Kirche leiten und fröhlich an ihr leiden– denn retten wird sie Gott der Herr. Möge er sich unserer bedienen, wie er sich des Psalmisten bedient hat: Mitten im Geschäft des Alltags, dem bitteren und harten, zog er ihn aus dem Schlamm durch das Wort der Gnade und ließ ihn das neue Lied singen, dass den Heiden und den Frommen die Ohren aufgebohrt werden – bis zum Herzen.



Amen.

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