Samstag, 5. Oktober 2013

Jesus, Marilyn und der Gottesknecht. Predigt zum Karfreitag 2013

Predigt zum Karfreitag 2013, Elgershausen. Predigttext: Das Gottesknechtlied aus Jes 52 f. Vor Verlesung des Textes gab ich ein paar einleitende Hinweise auf die Entstehung des Textes und wovon die Rede ist: vom leidenden Gottesknecht, der in der Verkennung die Erlösung bringt - als Muster zum Verständnis des Karfreitag, aber des menschlichen Schicksals überhaupt.


13 Siehe, meinem Knecht wird's gelingen, er wird erhöht und sehr hoch erhaben sein. 14 Wie sich viele über ihn entsetzten, weil seine Gestalt hässlicher war als die anderer Leute und sein Aussehen als das der Menschenkinder, 15 so wird er viele Heiden besprengen, dass auch Könige werden ihren Mund vor ihm zuhalten. Denn denen nichts davon verkündet ist, die werden es nun sehen, und die nichts davon gehört haben, die werden es merken.


53 1 Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart?

Er schoss auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.

Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet.

4 Fürwahr,er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.

Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.

6 Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.

Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.

8 Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. 9 Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.



Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!



Am Karfreitag muss ich oft an Marilyn Monroe denken. Das mag Euch verblüffen, aber im Grunde ist es ganz einfach.

Sie war der Inbegriff der schönen und begehrenswerten Frau, der Inbegriff eines erfolgreichen Menschen, ein Idol, geliebt und geehrt von Millionen, nicht nur Männern.

Sie starb an einer Überdosis Schlaftabletten am 8. August 1962 in Hollywood, ein psychisches Wrack, einsam, seelisch tief beschädigt, verlassen, ausgenutzt, drogenabhängig. Bis heute ist ungeklärt, ob es Selbstmord war oder ein besonders gemeiner Mord.

Von Außen war sie schön und erhaben, stand sie hoch und, wie ein Fan es schreibt: „Es umgab sie ein herrliches Licht.“

Ihr Tod aber ist und bleibt eine Schande, denn er hat viel damit zu tun, dass niemand sehen wollte, wer sie wirklich war, was in ihr vorging. Die wirkliche Marilyn, die mit bürgerlichem Namen Norma Jeane Baker hieß, wollte niemand sehen, mit der wollte niemand etwas zu tun haben. Sie war eine einfache Verkäuferin, die Karriere machte, weil sie mit einem schönen Körper und einem mässigen Talent zum Schauspielen beschenkt worden war. Das reichte: mehr brauchte man nicht zum Träumen.

Sie wurde benutzt und sie hat sich benutzen lassen, sie war die Leinwand für die Träume der Menschen von einem besseren Leben, von einem schöneren Körper und einer besseren Welt.

Sie lebte in äußerer Herrlichkeit, sie starb in äußerster Niedrigkeit – so sieht es aus, aber in Wahrheit war es noch viel schlimmer: Sie lebte in Niedrigkeit, und sie starb in noch viel tieferer Niedrigkeit.

Noch heute wird sie ausgeschlachtet und benutzt, keine Ehrfurcht, keine Scham ist zu spüren, kein Zurückschrecken davor, einen zerbrochenen Menschen wenigstens im Tode seinen Frieden zu lassen. Sie lebte in Niedrigkeit, sie starb in Niedrigkeit und sie bleibt in Niedrigkeit: Ein elendes Schicksal, den Menschen bleibt sie ausgeliefert, noch nach ihrem Tod.

Herr, erbarme Dich!

Jesus starb und lebte auch in Niedrigkeit, aber ohne äußeren Glanz. Wenige waren es, die ihn bewunderten, und wenn, dann weniger wegen seiner Worte, sondern wegen seiner Wunder und weil er so mutig gegen die Mächtigen auftrat und gegen die Weisen sprach, die den Menschen Vorschriften für ihr Leben machten. Aber er war zu Lebzeiten eher verachtet und geringgeschätzt, man machte sie über ihn lustig und man hielt ihn für gefährlich, als die Menschen anfingen, von ihm größere Taten zu erwarten. Er wurde getötet, damit die Schwachen und die kleinen Leute gar nicht erst auf den Gedanken kommen, sich gegen ihr Schicksal zu wehren. Das Unrecht fürchtete sich vor dem Recht – und so töteten sie ihn, obwohl er eigentlich harmlos war und vielen nur als ein Spinner erschien. Er starb in Niedrigkeit und Elend, in Gottverlassenheit und verspottet. Niemand wollte hören und sehen, wer er in Wahrheit war, niemand sah in dieser Niedrigkeit die Herrlichkeit des Herren. Niemand vermutet hier das Göttliche. Er war der Allerverachtetste, allein am Ende, auch von denen verlassen, die ihm gefolgt waren. Da kommen Marilyn und Jesus zusammen: der Tod in Niedrigkeit. Doch ihr Tod war das Ende eine Kette von Erniedrigungen, die aus ihrer falschen Herrlichkeit kamen, den Träumen von Schönheit, Ruhm und Macht der Menschen. Sein Tod aber war die Wirkung seiner göttlichen Herrlichkeit: denn es war ein freiwilliger Gang in die Niedrigkeit. Er wusste, was er tat. Und so erschien in seiner Erniedrigung die Herrlichkeit des Herrn.

Der so in Niedrigkeit lebte und in Niedrigkeit starb, lebte in Wahrheit in Herrlichkeit, denn er lebte aus der Kraft Gottes, er lebte ganz aus in der Liebe – bis hin zu seinem Tode, den er auf sich nahm, damit wir frei würden von falschen Bildern und falschen Hoffnungen und falschen Illusionen. Der Tod am Kreuz war der tiefste Punkt dieses Menschen, und doch sehen wir heute, sehen wir jetzt darin die Herrlichkeit Gottes, die Herrlichkeit eine liebenden, solidarischen, sanften Gottes, der uns im Kreuz nicht nur zeigt, wer wir in Wahrheit sind, sondern auch, wer er in Wahrheit ist: der uns in den Leidenden begegnet, an der Grenze des Lebens - ein Gott in der Niedrigkeit. Da ist Gott: ganz unten.

So wissen wir im Glauben, wie es in Wahrheit ist: Der Glanz der Marilyn Monroe, ihre Herrlichkeit, ihre Schönheit ist nicht das, was göttlich an ihr war. Das ist nicht, was des Menschen Herrlichkeit und Schönheit ausmacht.

Da, wo sie hässlich war, zerbrechlich, zerschlagen, zerstoßen und zerrissen, da sehen wir auch in ihrem Antlitz Gott, wie wir Gott sehen im Gesicht des zerschlagenen Jesu von Nazareth.

Im Lichte des Ostermorgens aber leuchten auch sie, wie das Leben aller Gedemütigten, verlassenen und geknechteten.

Meine Lieben. Das werden wir auch als Kirche lernen müssen. Wir sind nicht herrlich und schön. Wir sind für immer weniger Menschen wichtig. Ja, vielen sind wir inzwischen sogar ein Dorn im Auge. Überall auf der Welt werden Christen verfolgt, z.T. sogar bis in den Tod. Selbst in der Katholischen Kirche ist es zu spüren: weltliche Macht und Herrlichkeit uns ihre Insiginien und Symbole sind Christus unangemessen. Als Kirche sind wir stark, wenn wir schwach sind: Denn unsere Schwäche ist nur von außen Schwäche. Sanftmut, Solidarität, Vertrauen auf die Kraft der Liebe, der recht verstandenen Demut und der Kraft des Wortes sind keine wirklichen Schwächen. So sollten wir alles das, was wir gerade erleben als Kirche, geistlich ernst nehmen und uns dem stellen, wie sich Jesus dem gestellt hat im Garten Gethsemane. Das Geld wird knapp: also lasst uns allen unnötigen Plunder abwerfen. Und wir werden uns wundern, was alles unnötig ist, und wie beim Kellerausmisten werden wir die Last erst spüren, wenn wir uns ihr entledigt haben. Die Pfarrer und Pfarrerinnen werden weniger: also lasst sie als Geistliche arbeiten, und nicht als hochbezahlte Gemeindemanager, Hausmeister und Vorstandsvorsitzende. Die sog. Ehrenamtlichen – also Menschen, die freiwillig, unentgeldlich arbeiten – werden wichtiger: also lasst uns sie stützen und tragen und geistlich festigen, dass gute Zeugen der Gnade werden können..

Die Menschen wenden sich von der Kirche ab: dann schimpft nicht auf sie, sondern fragt: warum? Vielleicht wenden sie sich von der Kirche ab, weil wir allzunah an den Mächtigen, allzunah an den Wichtigen, allzunah an den scheinbar Erfolgreichen waren? Vielleicht sind wir als Kirche auf einem völlig falschen Weg, wenn wir uns an der „gesellschaftlichen Mitte“ und ihren Bedürfnissen orientieren anstatt an den Rändern und am Worte Gottes?

Sind wir als Kirche wirklich ein Bild des zerschlagenen, leidenden, solidarischen Christus, der die Menschen tröstet, oder wären wir – prüft euch ernsthaft – nicht doch lieber eine geliebte, strahlende, superwichtige Institution von Menschen, die besser Bescheid wissen als „die anderen“?

Der Karfreitag erinnert uns daran, wo unser Platz ist: in der Niedrigkeit. Das hat mich falscher und verlogener Demut nichts zu tun. Das hat auch nichts zu tun mit Kriecherei oder gar mit Ohnmacht. Lass dir an meiner Stärke genügen, meine Kraft ist in den Schwachen mächtig, musste Paulus hören und ertragen.

Jetzt wisst ihr, warum ich an Karfreitag so oft an Marilyn Monroe denken muss: Wir wären als Kirche auch gerne oft wie eine sexy Blondine, der die Menschen scharenweiser hinterherlaufen. Aber Ihr Schicksal sollte uns mahnen und das Wort des Propheten von der Niedrigkeit des Gottesknechtes sollte uns zu denken geben. In Licht des Kreuzes wird alles, was auf Erden glänzt, zu Plunder und Staub. So ist der Karfreitag, weil an ihm Niedrigkeit und Herrlichkeit die Rollen tauschen, der Tag der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Kein Wunder, dass ihn niemand von den Stolzen, Mächtigen, Schönen, Reichen und Partymachern ihn wirklich haben will: Und dafür liebe ich ihn. Es ist der Tag der Erniedrigten und Sterblichen. Es ist unser Tag.


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Anreger für diese Predigt war Ernesto Cardenals Gebet für Marilyn, für mich einer der schönsten und bewegensten Texte der Theologie der Befreiung. Lang ist´s her...
gebet-fur-marilyn-monroe
Vielleicht hat die Theologie der Befreiung jetzt wieder eine Chance?????

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