Montag, 30. Oktober 2017

Ein feste Burg. Predigt zum Reformationstag, Großenritte, 31.10.2017



Predigt über „Ein Feste Burg“, Reformationsfest, Großenritte-Altenritte, 31.10.2017

Strophe 1
1. Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen.
Er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Der alt böse Feind
mit Ernst er’s jetzt meint;
groß Macht und viel List
sein grausam Rüstung ist,
auf Erd ist nicht seinsgleichen.

Ein feste Burg ist unser Gott. Unser Gott. Nicht die Kirche. Damit ist im Grunde schon alles gesagt. Nichts und niemand kann uns das Heil garantieren außer Gott allein. Die Kirche ist nur sein Werkzeug. Sie ist nichts aus sich heraus. Sie hat keine Ansprüche auf Macht, und schon gar nicht über die Seelen.
„Das Heil wird nur über die Kirche vermittelt, über den Papst, über den Priester?“
Der Theologieprofessor, Mönch und Seelsorger Luther las etwas anderes in der Bibel, das mit dem, was um ihn herum geschah, nicht zusammenpasste. Ist der Glaube wirklich eine im Grunde übermenschliche Leistung, die Gott von mir verlangt? Wo ist da die Liebe? Wie kann ich das als schwacher, zweifelnder Mensch schaffen? So erlebte er sich selber. Als Sünder, Zweifler, Gotteshasser.
Und da, eines Tages, hatte er die Erleuchtung. Eines Tages, so beschreibt er selbst, eines Tages verstand er: Glauben meint Vertrauen. Der Gerechte wird aus Vertrauen leben! las er im Brief an die Römer, und später wird er übersetzen: allein aus Glauben. Gott bietet uns eine Liebe umsonst an. Umsonst im Sinne von: Ohne Gegenleistung. Es genügt, ihm zu vertrauen. Wer Gott die Angst vor Gott ablegt, ist geborgen und in Sicherheit. Hier geht es um wahre Liebe, die nicht fordert, sondern gibt. Eine feste Burg ist unser Gott!
Und jetzt begriff er auch: der Ablass war ein gefährlicher Schwindel, der die Menschen von Christus entfernte! Eine große Wut griff nach ihm. Und eines Tages war das Maß voll, und er schrieb am 31. Oktober 1517 an seinen Bischof einen Brief in 95 Thesen, indem er den Ablass anprangerte und als gottloses Werk bezeichnete. Und er veröffentliche seine Thesen und diese Thesen schlugen ungeheuer ein: weil ihre Botschaft im Grunde so einfach war. Die erste These lautet: „Wenn unser Herr Jesus Christus sagt: tut Buße, dass meint er, dass unser ganzes Leben Buße sein soll“. Und Buße meint: Sich vertrauensvoll an Gott wenden! Buße meint eben nicht: Selbstverkrümmung, Unterwerfung, Buße meint vor allem nicht: Strafe. Wer aber aus der Buße eine fromme Leistung macht, der verkehrt den Glauben in sein Gegenteil und macht aus der Liebe ein Geschacher, was am Ende zu dem schlimmen Mißbrauch und Missverständnis des Ablasses führte: Gnade gegen Geld! Das ist geradezu teuflisch! Und der Teufel, dessen wurde sich Luther immer sicherer, der sitzt im Herzen der Kirche. Davon mus die Kirche wieder frei werden: Von der Lüge der Leistung und der Angst vor dem Versagen.
Wie kriege ich einen gerechten Gott? War seine Frage. Wie kriege ich einen Gott, der mir gerecht wird und dem ich gerecht werden kann?
Ist das noch unsere Frage? Wir fragen doch heute noch viel ernster: wie kriege ich einen Gott?
So unterschiedlich die Fragen lauten:
Die Antwort ist dieselbe!
Wir bekommen ihn geschenkt. 

2. Strophe.
2. Mit unsrer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren;
es streit’ für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ,
der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott,
das Feld muss er behalten.

Wir bekommen ihn geschenkt, weil Christus uns geschenkt wurde, denn „mit unsrer Macht ist nichts getan“. Und er wird uns immer und immer wieder geschenkt: wenn wir ihn verkündigen, wenn wir das Wort Gottes verbreiten. Darum wurde Luther die Predigt so wichtig. Es muss allen Menschen immer und immer wieder gepredigt werden, dass allein Jesus Christus unsere Hoffnung ist, und dass es bei Gott nichts zu verdienen gibt, weil er uns alles schenkt. Allein der Glaube! Allein die Gnade! Allein Christus! Aber wo hören wir Christus sprechen, wie und wo und wann spricht er zu uns? Auch das wurde Luther schlagartig klar: Aus der Heiligen Schrift! Das ist ihre eigentliche, einzige und wirklich wichtige Aufgabe: Die Gnade Gottes in die Welt zu bringen, Gott in die Welt zu bringen Die Bibel ist kein Gesetzbuch, das unser Leben klein macht und einschränkt, sie ist ein Buch der Freiheit, das unser Leben öffnet und weitet!
So hat die Kirche hat nur eine Aufgabe: Das Wort Gottes zu verkündigen, und zwar in klaren, deutschen Worten, dass es jeder versteht und jeder begreift und es jedem zu Herzen geht. Darum hat Luther die Bibel übersetzt: damit jeder lesen kann, was Gott von uns will, damit wir es in die Welt rufen können: Glauben! Seine Hoffnung, die Kirche würde ihren Irrtum erkennen und sich reformieren und sich wieder allein Christus und der Heiligen Schrift zuwenden, erfüllte sich nicht. Ganz im Gegenteil. Binnen dreier Jahre war unter der Reichsacht, aus der Kirche ausgestoßen und ein Geächteter, den jeder auf offener Straße hätte totschlagen dürfen. Darum brachte ihn 1521 sein Fürst, Friedrich der Weise, auf die Wartburg. Und dort setzt er sich hin und übersetzte die Bibel in diese wundervolle und kraftvolle Deutsch, das wir bis heute sprechen. Da war er 38 Jahre alt. Es ging ihm nicht um vordergründig um Reformation, die kam überhaupt erst in Gang, als sich die damalige Kirche verweigerte. Luther ging es um Jesus Christus und die Menschen und ihre Not.  Wie kriege ich einen gerechten Gott? Wie kriege ich überhaupt einen Gott? Durch Jesus Christus, der aus der Heiligen Schrift zu uns spricht.. Das war seine große Entdeckung. Alles andere folgte daraus, wie aus dem Satz: „Ich liebe dich!“ alles andere folgt. 

3.Strophe.
Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau’r er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Das war seine Erfahrung: Der Teufel hat abgewirtschaftet. Er kann uns noch plagen und bedrohen, aber mit Christus ihm Herzen kann er uns gar nichts, selbst wenn er in Rom auf dem Thron sitzt und die Armeen des Kaiser befehligt!
Nun reden wir heute nicht mehr so einfach vom Teufel. Aber von teuflischen Mächten schon! Und diese teuflischen Mächte heißen: Angst, Trägheit und Lüge. Die Kirche damals war in weiten Teilen, vor allem aber in ihrem innersten ein träger und verlogener Apparat, der sich nicht bewegen konnte und nicht bewegen wollte und der mit der Angst der Menschen Schindluder trieb. Und so kam es dazu, dass sich eine neue Kirche bildete, oder besser: Die Kirche, die wir heute die Evangelische nennen oder auch, nach einem großen Auftritt der Evangelischen Fürsten auf dem Reichstag zu Speyer, die Protestanten. Damit war die Kirche gespalten. Das hatte Luther nun gerade nicht gewollt. Das hatte niemand gewollt. Es begann die schlimme Zeit der Kirchenspaltung, aber auch die gute Zeit einer Kirche, die allein auf das Wort Gottes vertraute und auf Jesus Christus. Ab jetzt gab es das Christentum in der westlichen Welt in zweierlei Gestalt; ab jetzt musste um die Wahrheit gerungen werden! Und das ist ein Fortschritt! Dass es zumeist nicht mit dem Wort, sondern mit Feuer und Krieg geschah, gehört zu den großen schlimmen Geschichten der Menschheit, für die wir uns schämen sollten!
Und heute? Die katholische Kirche heute ist längst nicht mehr die Kirche von damals. In vielem sind wir uns nahe gekommen. Manches Extrem auf beiden Seiten ist inzwischen beigelegt, manches begreifen wir kaum noch.
Vieles unterscheidet uns: das ist nicht schlecht, weil es zeigt, wie vielfältig der Glaube ist und dass es die eine wahre Form, den Glauben zu leben, nicht gibt: Wir sind immer unterwegs und jeder ist auf einer anderen Stelle des Weges. So zu denken: das ist zutiefst evangelisch. Es ist Denken aus Freiheit!
Manches trennt uns: das ist schmerzhaft und ganz gewiss nicht in Gottes Sinne. Daran müssen wir arbeiten, und das geschieht ja auch, auch wenn das vielen nicht passt, weil sie Angsthasen sind oder verbohrt, was aber meistens dasselbe ist.
Denn eines vereint uns, und das ist stärker, als alles, was uns trennt und unterscheidet. Es ist der Glaube an Jesus Christus. Zu ihm müssen wir immer wieder zurückkehren. Das ist Reformation!
Der wahre Reformator heißt nicht Martin Luther. Er heißt Jesus Christus. Darum kann unser Glaube ein fröhlicher Glaube sein, und wo er sauertöpfisch, eng und kleinlich ist, da muss das Wort hineinfahren und wie der Apostel Paulus rufen: Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

4. Strophe
4. Das Wort sie sollen lassen stahn
und kein’ Dank dazu haben;
er ist bei uns wohl auf dem Plan
mit seinem Geist und Gaben.
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib:
lass fahren dahin,
sie haben’s kein’ Gewinn,
das Reich muss uns doch bleiben.

Wo das Wort Gottes ist, da ist Freiheit. Und wo das Wort Gottes ist, das ist auch Kirche. Nicht umgekehrt. Wir sind als Kirche nicht mehr, aber auch nicht weniger, als die Gemeinschaft der Heiligen, wie wir es im Glaubensbekenntnis immer sagen: die Gemeinschaft derer, die Gott zu sich ruft und die seinen Ruf hören. Darum geht, um diese Gemeinschaft. Wir sind nicht ein Traditionsverein zur Pflege der christlichen Religion, wir sind die Gemeinschaft des Volkes Gottes, die zum Heil berufen ist! Das macht uns zur Kirche! Alles andere ist Verwaltung. Wie sich dieser Glaube bei jedem einzelnen gestaltet: das ist so vielfältig, wie wir als Menschen eben vielfältig sind. Jeder ist auf seine Weise unfrei, darum kann auch jeder auf seine Weise frei sein: in der Gemeinschaft der Freien!
Daran müssen wir uns immer wieder erinnern, wenn wir uns als Kirche zu wichtig nehmen und vor lauter Kirchesein Christus aus den Augen verlieren. Die Gefahr, die Luther vor 500 Jahren in Rom sah, sie ist immer noch da: dass die Kirche sich vor den Glauben schiebt, anstatt aus dem Glauben zu leben. Dass wir vor lauter Organisieren, Bauen, Verwalten, vor lauter Geldsorgen und Sorgen um unseren gesellschaftlichen Einfluss, dass wir vor lauter Verliebtsein in unsere Wichtigkeit Christus aus den Augen verlieren und das Wort Gottes vergessen: Jesus Christus!
Und wenn wir von Christus sprechen, wenn wir voller Liebe und Leidenschaft von unserem Glauben sprechen, wenn wir Menschen nicht belehren und bekehren, sondern anstecken und mitreißen, dann hört man uns auch zu! Nichts ist langweiliger, nichts ist öder, nicht ist unwichtiger als eine Kirche, die nur von sich redet, anstatt von Jesus Christus, dem Worte Gottes. Wir sind nicht langweilig, weil wir Kirche sind, wir sind langweilig, weil wir eine langweilige Kirche sind!
Denn dazu sind wir da! Alles andere: lass fahren dahin! Das sind bloß Äußerlichkeiten!  Gottesdienst kann man auch im Saustall feiern, sagt Luther, und beten kann man auch in der Kneipe: Kirche sind wir dort, wo wir uns ums Wort Gottes versammeln! Wir hängen zu sehr an Äußerlichkeiten. Wir haben in den 500 Jahren auch viel Ballast angesammelt, von dem wir uns trennen müssen. „Lass fahren dahin!“. Was zählt ist die Gemeinschaft, was zählt, ist Gott. Nicht wir machen die Kirche, Gott macht sie. Darum: Das Wort sie sollen lassen stahn!
So feiern wir heut nicht „Die evangelische Kirche“, wir feiern das Evangelium, das Wort Gottes. Und zu dieser Feier sind alle eingeladen: Männer und Frauen, Weiße und Bunte, Arme und Reiche, Traurige und Fröhliche, Schwule und Heteros, Anständige und Gestrauchelte, Rechte und Linke, Glaubensstarke und Glaubensschwache, Fromme und Gottlose. Hier sind wir Gottes Kinder, sonst nichts, und wir sind es nicht aus eigener Macht und Kraft, sondern weil er uns geschaffen und gerufen hat! Und ich glaube fest daran, dass die Gesellschaft, dass der Staat, dass die Menschen, dass wir einen solchen Ort brauchen: Wwo wir nichts als geliebte und darum freie Menschen sind und wo wir jeden Tag von vorne beginnen können, Menschen zu werden.
„Ein feste Burg ist unser Gott“: das ist eine Botschaft, die wir gar nicht oft genug hören und sagen können: Lasst Euch nicht einschüchtern! Lasst Euch nicht irre machen! Allein der Glaube! Vertraut auf Gott, baut an der Kirche, lebt in der Welt, gestaltet Gerechtigkeit und Frieden, glaubt, hofft, liebt: Und wenn die Welt voll Teufel wär: wir sind in Sicherheit. Gebe Gott, dass diese Botschaft alle erreicht und die Mauern dieses Hauses verlässt, damit es alle hören, wie vor 500 Jahren: Ein feste Burg ist unser Gott! Amen

Donnerstag, 12. Oktober 2017

Der reiche Jüngling. Mk 10, 17-27, 15.10. Züschen



Mk 10,17-27
17 Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? 18 Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. 19 Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«

20 Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. 21 Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!
22 Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
 23 Und Jesus sah um sich und sprach zu seinen Jüngern: [a]Wie schwer werden die Reichen in das Reich Gottes kommen!
24 Die Jünger aber entsetzten sich über seine Worte. Aber Jesus antwortete wiederum und sprach zu ihnen: Liebe Kinder, wie schwer ist's, ins Reich Gottes zu kommen! 25 Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme. 26 Sie entsetzten sich aber noch viel mehr und sprachen untereinander: Wer kann dann selig werden? 27 Jesus aber sah sie an und sprach: Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.


Liebe Gemeinde°
„Zum Gelde drängt, am Gelde hängt doch alles“, reimte der vermeintlich allwissende alte Heide Goethe. Aber eines wusste er offensichtlich nicht: Das Reich Gottes hängt nicht am Gelde. Es hängt am Glauben. Und Glauben ist ein festes Vertrauen darauf, dass Gott uns gnädig ist aus reiner Liebe – und das heißt, Gott wartet nicht darauf, dass wir etwas tun. Er schenkt uns, was wir brauchen, nicht, was wir verdient haben.

Und das ist der eigentliche Witz der Geschichte vom reichen Jüngling. Sie klingt ja auf den ersten Blick recht erschreckend. Alles weggeben? Das ist hart. Für einen Armen vielleicht nicht so sehr, aber für einen Reichen schon. Und wir sind Reiche! Das Gleichnis fährt uns die Knochen! Hindert uns unser Reichtum, unser gutes Leben daran, in der Nähe Gottes zu leben? Eher geht ein Kamel durch das Nadelöhr, als das ein Reicher in das Reich Gottes kommt? Das klingt nach einem vernichtenden Urteil.

Und das genau ist die Falle, in die auch der reiche Jüngling tappt. Es ist nicht das Geld, das ihn von Gott entfernt. Sondern es ist das, was das Geld mit ihm macht. Denn Geld hat so eine ganz eigene Logik, die tief in uns sitzt. „Nichts ist umsonst“, heißt diese Logik, „Nichts wird dir geschenkt“, heißt diese Logik. Wer reich ist, hat hart dafür gearbeitet, und wenn er es geerbt hat, dann haben seine Vorfahren daran hart gearbeitet. Geld muss verdient werden. Geld lebt davon, dass wir in Gabe und Gegengabe denken. Geld gibt den Dingen einen Wert, an dem wir die Dinge messen. Selbst Menschen werden in Geld gemessen, wenn wir für die Zeit und die Kraft, die wir investieren, unseren Lohn kriegen. Das scheint ein ehernes Gesetz zu sein, das ganz tief in uns sitzt. Es ist die Logik des Tauschens, die im Kern heißt: Ich gebe, damit du gibst.
Das ist die Denk- und Glaubensfalle, in der der reiche Jüngling sitzt.
Er fragt ganz in diesem Sinne: Was muss ich tun, damit ich das Reich Gottes ererbe? Schaut man genau hin, dann ist das sogar eine ganz und gar fatale Frage: Hier wird sogar das Erbe als Belohnung verstanden! Das kennen wir ja auch: Das Erbe als Belohnung. Wenn Du dich als Kind gut und richtig verhältst, wenn Du tust, was Deine Eltern wollen, dann wirst du erben. Und wenn nicht, dann wirst du enterbt. Ich denke, jeder von Euch kennt Familiengeschichten, wo gerade die Frage des Erbes Familien über Generation entzweit hat. Die Logik des Geldes, die nur in Gabe und Gegengabe, nur in Lohn und Verdienst denken kann, ist vernichtend. Wenn wir nur bekommen, was wir verdienen, steht es schlecht um die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft.
Jesus nun packt den Jüngling genau bei diesem Denkfehler. Der Jüngling stellt die falsche Frage, also bekommt er auch die passende Antwort: „Du weisst genau, was du zu tun hast!“ Jesus spürt, dass der junge Mann mit schlechtem Gewissen vor ihm steht, wie die allermeisten von uns ja auch. Jesus zitiert zuerst aus den zehn Geboten: »Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.«
Das tue ich doch alles, sagt der Jüngling, ich bin ein guter und frommer Jude. Also, sagt Jesus, dann weisst du ja auch, was als Nächstes zu tun ist.
Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!
Jesus sagt er ihm, was er längst weiß: Du musst alles den Armen geben. Du musst Dein Leben radikal ändern. Keine Frage, dass das den Jüngling traurig macht und erschreckt. Er geht betrübt von dannen.

Und auch die Jünger erschrecken zutiefst. Nicht nur weil die Forderung Jesu so hart ist, dass niemand auf der Welt sie erfüllen kann – oder will. Sondern weil sie wohl  auch spüren, dass in dieser Antwort noch mehr liegt, dass hier ein grundlegender Denkfehler vorliegt. Sie sind tief beunruhigt. Aber Jesus löst das nicht einfach auf. Er gibt ihnen zu denken: Eher geht ein Kamel durch das Nadelöhr, als das ein Reicher in das Reich Gottes kommt. Aber bei Gott ist alles möglich!
Nur, was ist bei Gott möglich?
Bei Gott ist möglich – dass die Logik von Gabe und Gebengabe gar nicht funktioniert. Dass Gott gar nicht denkt wie ein Banker, ein Lehrer oder ein Arbeitgeber! Das ist der Schlüssel. Wir denken so. Er aber denkt wie ein liebender Vater, der seinen Kindern schenkt, was sie brauchen, allein, weil sie seine Kinder sind. Gott schachert nicht.

Das erzählt Jesu in seinen Gleichnissen immer und immer wieder. Alle Arbeiter im Weinberg bekommen denselben Lohn, trotz unterschiedlicher Arbeitszeiten: Aber sie bekommen alle den maximalen Lohn, damit alle davon auch leben können! Der jüngere Sohn, der sein Erbe verjuxt und verprasst hat, wird wieder aufgenommen, ohne Wenn und Aber, ohne Bedingungen und ohne Vorhaltungen, einfach, weil er der Sohn ist. Das kommt uns ungerecht vor. Immer wieder, wenn ich gerade diese Gleichnisse mit Konfirmanden oder Schülern oder an Bibelabenden auch mit Erwachsenen besprochen habe, gab es an dieser Stelle Widerstand. Wie, Gott belohnt nicht? Heißt das auch, das Gott nicht straft? Ja, genau das heißt es. Das ist nämlich der Kern unseres Christlichen Glaubens. Unsere Sünde – und von der ist ja hier die ganze Zeit der Rede -ist uns immer schon vergeben, weil Jesus alle unser Schuld auf sich nimmt. Wir können vor Gott treten als freie und befreite Menschen, ohne Angst und ohne Furcht, und wir müssen auch kein Zeugnis vorlegen. Das Leben ist keine Castingshow, in der nur die Guten weiterkommen. Wer ist schon gut? Wer bitte liebt seine Kinder nur, wenn sie brav sind? Und wenn, würden wir das Liebe nennen?
Das also ist der Denkfehler des reichen Jüngling: Hier muss er sich ändern. Wenn er jetzt sein ganzes Erbe auflöste, nur um sich die Liebe Gottes zu verdienen, wäre er keinen Schritt weiter, die Heuchelei bekäme nur eine zusätzliche Umdrehung: Die Armen werden zum Instrument seiner Erlösung.  
Was muss ich tun, damit ich das Reich Gottes ererben? Fragt er. Die unglaubliche Antwort muss lauten: Gar nichts! Du hast schon längst geerbt. Du bist schon reich beschenkt. Das Reich Gottes steht dir offen, sobald du begreifst, dass es das Reich der Liebe ist!

Das kann problemlos wegfallen: 
Und was ist nun mit seinem Reichtum? Nun, auch hier ist die Antwort letztlich ganz einfach. Wer verstanden und begriffen hat, dass er von Gott reich beschenkt ist, wer verstanden hat, dass er von Gott unter allen Umständen geliebt wird – hat er nicht schon den größten Schatz des Leben gefunden? Wird der nicht bereit sein, abzugeben, zu teilen und helfen, wo es nur geht? Tun wir für die, von denen wir geliebt werden und für die, die wir lieben, nicht alles Mögliche, und tun wir das nicht sogar gerne? Kommt aus der Liebe nicht die Hingabe? Wer meint, sich die Liebe verdienen zu müssen, wird ein unglücklicher Mensch werden, weil es so nicht funktioniert. Wer sich aber geliebt weiß, hat schon den schönsten Schatz auf Erden, und wird darum nicht am Gelde hängen und am Gelde drängen. Darum, meine Lieben hat der Glaube ein ganz nüchternes Verhältnis zum Geld. Es ist ein Zahlungsmittel. Es ist auch ein Ermöglichungsmittel. Wer Geld hat, der hat die Möglichkeit auf eine Art und Weise zu helfen und zu unterstützen, die andere nicht haben. Darum liegt im Geld auch eine Verantwortung – aber eine vor den Menschen, nicht vor Gott. Es wäre doch auch niemanden geholfen, wenn alle gleich arm wären! Es sollen alle gleich reich sein! Nicht der Reichtum hindert uns, zu Gott zu gelangen. Sonderns das fatale Denken, dass der Reichtum in uns auslöst Wir wissen nicht, ob der Jüngling das eines Tages doch noch verstanden hat. Es ist kein leichter Gedanke. Aber was wäre ihm doch zu wünschen.
Die Jünger haben es eines Tages verstanden. Sie haben es verstanden. als Gott am Ostermorgen seinen Mördern, Verleugnern und Verächtern den auferstandenen Jesus entgegensandte und so ein Zeichen seiner Gnade setzte: Da haben sie verstanden, dass wir vor Gott nichts verdienen müssen, weil wir das gar nicht können. Sondern Gott beschenkt uns reich, reicher, als wir es jemals könnten.

 
Wann also kommt auch ein Reicher in den Himmel? Wenn er aufhört, in der Logik des Geldes zu denken, in der Logik von Verdienst und Würdigkeit, in der Logik von Gabe und Gegengabe. Ein Reicher ist schon genau dann im Himmelreich, wenn er begreift, dass auch sein Reichtum ein Geschenk ist. Ein Geschenk Gottes an ihn, auf seine Weise gutes zu tun. In dem er Menschen in Lohn und Arbeit bringt, in dem spendet und stiftet, indem mit dem Geld Barmherzigkeit übt. Nicht um wieder geliebt zu werden, sondern um Gottes Liebe weiterzugeben. Der Unterschied klingt nur minimal, aber eist gewaltig: Es ist der Unterschied von Lohn und Geschenk. Was das für unser Zusammenleben bedeutet, muss ich wohl kaum weiter ausführen. Wenn wir die Frage stellen: Hast Du das auch verdient? Steht dir das auch zu? Dann bauen wir eine ungerechte Gesellschaft, in der die Armen, Verlorenen, die Schwachen, Kranken, die Seltsamen und die Schwierigen keine Chance haben.
Die einfache Frage aber: Was brauchst du? Was kann ich für dich tun?  – geht durch die offene Tür des Himmelreiches und bringt die Liebe in die Welt.
Hoffen, wir, dass der Jüngling doch noch dazu gekommen ist, die richtige Frage zu stellen:
Meister, ich von Gott so reich beschenkt, was kann ich damit tun? Es hängt eben nicht alles am Gelde. Es hängt alles an der Liebe.

Amen.