Freitag, 18. September 2015

Freiheit! Predigt zum 16. S. n. Trin., Apg 12,1-11, Kirmesgottesdienst Großenritte


 

12 1 Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln. 2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.

3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote. 4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen. 5 So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.

 6 Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. 7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.

Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!

 9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. 10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel. 11 Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.


 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

Das ist es, wovon die Bibel erzählt: Von der Freiheit. Oder besser und genauer gesagt: Von der Befreiung!

 

Es war die Urerfahrung des Volkes Israels, des Volkes Gottes, dass er sie aus der Gefangenschaft in Ägypten führte. Als ihre Situation aussichtslos erschien, als die Last von Frondienst, Ausbeutung und Misshandlung das Übermaß erreicht hatte, da berief Gott den Mose, dass er sein Volk aus der Gefangenschaft führte. Es muss ein unglaubliches Bild gewesen sein: Zehntausende machten sich auf, nahmen das Nötigste und brachen auf, einfach so, und gingen. Gott hatte den Pharao, den ägyptischen König, so weit gebracht, dass er sie ziehen ließ. Gott hat sich als stärker erwiesen als die vermeintlichen Götter der Ägypter, er hat die Ägypter seine Macht spüren lassen, und so ließen sie das Volk Israel ziehen! Und es brach auf, ohne eigentlich genau zu wissen, wohin. Es brach auf, auf ein bloßes Wort des Mose hin, dass er sie in ein Land führen wird, in dem Milch und Honig fließen. Es war ein Flüchtlingstreck, wie ihn die Geschichte bis dahin noch nie gesehen hatte – wie sie ihn aber, wie wir wohl wissen, künftig immer wieder sehen wird. Dieses Ereignis sitzt im Gedächtnis des Volkes Gottes bis heute ganz tief, und jedes Jahr wird es aufs Neue gefeiert, wenn Israel das Fest der ungesäuerten Brote feiert, das Passahfest! Gott ist der Gott, der in die Freiheit führt, und wenn es auch, wie beim Volk Israel, vierzig Jahre dauern wird, am Ende steht die Freiheit, steht das neue Leben in Selbstbestimmung und ohne Unterdrückung!

Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat! Das ist der Satz, mit dem Gott sich seinem Volk künftig immer wieder vorstellen wird, Mit ihm leitet er die 10 Gebote ein, dieser Satz taucht immer auf, wenn Israel dabei ist, seinen Gott zu vergessen. „Gedenke, dass auch du ein Flüchtling warst aus dem Lande Ägypten und dass Du ein Fremdling warst in dem Land, dass ich dir gegeben habe, darum bedrücke den Fremden nicht, denn er ist ein Flüchtling wie du! wird dem Volk immer wieder eingebläut, wenn es dabei ist, zu vergessen, wer es ist und woher es kommt. Ich muss glaube ich, kein Wort dazu sagen, wie aktuell diese Worte sind. Aber was gehen sie uns an? Wir sind doch nicht Israel?

Oder doch?

Aber doch!

Denn wir sind die Erben, die geistlichen geschwisterlichen Erben dieses Volkes. Über Jesus Christus, den Juden, sind auch wir, sind alle Menschen berufen, Teil des Volkes Gottes zu sein und an seiner Erfahrung teilzuhaben! Denn hunderte Jahre nach dem Auszug aus Ägypten wird Gott wieder eine große Befreiungsaktion starten: Diesmal aber geht es um die Befreiung aus der Not von Sünde und Tod, von Dummheit, Hochmut, Trägheit und Gewalt, diesmal werden die Menschen, alle Menschen, in die Freiheit der Versöhnung und der Vergebung geführt. Durch Jesus Christus. Es ist kein Zufall, dass er genau an dem Fest starb, als Israel seiner Befreiung aus Ägypten gedachte, es ist kein Zufall, dass wir Ostern, das Fest der Auferstehung und der Befreiung vom Tode, zu gleichen Zeit feiern, wie die Juden ihr Passafest. Genau an diesem Tag vollführte Gott sein größtes Wunder, in dem er Jesus, den von den Menschen ermordeten Boten der Liebe und der Versöhnung, von den Toten erweckte und so allem Haß, aller Vergeltung, allen Wünschen nach Rache und Zurückzahlung ein für allemal einen Riegel vorschob: Wir feiern den Auszug aus der Sünde, aus der Schuld und aus dem Tode, das Ende von Rache und Gewalt, wenn wir Ostern feiern, wie Israel den Auszug aus dem Lande seiner Unterdrückung. Wir ziehen aus dem Land des Unfriedens in das Land der Versöhnung: Zur Freiheit hat uns Gott befreit, denn er will, dass wir freie Menschen sind. Und so ist es auch kein Zufall, dass die beiden Apostel, die beiden Boten Gottes, ihre Befreiung aus dem Gefängnis auch genau wieder am Passahfest erfahren, einige Jahre später: Sie waren in Gefangenschaft geraten, weil der König Herodes dem Drängen des Volkes nachgab, die Verkündiger des Gottessohnes und der fleischgewordenen Liebe einzusperren und am Ende, genau wie den Apostel Jakobus, umzubringen. Gott sprengt die Mauern des Gefängnisses, und auch wenn die ganze Geschichte ein bisschen märchenhaft und ein wenig im Stil von frommen Kitsch ausgeschmückt wird, ist ihre Botschaft völlig klar: Gott lässt seine Boten nicht in der Unfreiheit sitzen, er lässt die Mauern einstürzen. Er bricht aus der Mauer der Verzweiflung Steine der Hoffnung, wie es Martin Luther King so schön formulierte.

 

Das ist eine klare Botschaft, für uns alle. Die Freiheit ist unsere Sache, sie ist der Kern der christlichen Botschaft. Freiheit von der Angst, verloren, vergessen und verdammt zu sein, Freiheit von der Angst, zu kurz zu kommen und benachteiligt zu werden, Freiheit von der Angst überhaupt, und das meint immer auch: politische Freiheit, bürgerliche Freiheit, menschliche Freiheit. Denn die Angst ist die Wurzel allen Übels: Sie macht Menschen aggressiv, sie lähmt Menschen. Es ist unser Auftrag als Christen, die Botschaft von der Freiheit überall zu verkünden, das Virus der Freiheit allen Menschen in das Herz zu senken, damit Unterdrückung und Unrecht auf der Welt zu einem Ende kommen. „Virus“ klingt gefährlich, aber hier es ganz positiv gemeint: Ist der Gedanken der Freiheit einmal in der Welt, kann er nicht mehr hinausgeschafft werden! Zu groß ist unsere Liebe zur Freiheit, unsere Sehnsucht nach Freiheit! Gott ist bei den Gefangenen dieser Welt, um sie in die Freiheit zu führen, seien es Gefangene der Seele oder des Leibes: egal! Die Gefangenschaft soll aufhören, die Freiheit beginnen!

Eine Freiheit freilich, die uns auch verpflichtet. Wir sind als seine Botinnen und Boten in die Welt gesandt, diese Freiheit nun auch in die Welt zu bringen. Das war die große Erkenntnis Martin Luthers, der mit dieser Gewissheit im Herzen die Mauern der damaligen Kirche sprengte und die Menschen, uns, herausführte aus dem Gefängnis von frommer Angst und religiöser Bevormundung. Was Luther wiederentdeckte und uns allen schenkte, war diese Freiheit: Gott ist ein Gott, der in die Freiheit führt, kein Mensch darf in seinem Namen Unfreiheit verkünden oder auch nur bestehen lassen!

Und das ist eine politische Botschaft. Das ist nicht nur frommes Gerede. Das ist ganz konkret gemeint. Wir haben hier, in unsrem Land, als, wenn man so will, nachgeborene Kinder des Volkes Israels, als Kinder Gottes und Geschwister Jesu, ein hohes Maß an Freiheit politisch umgesetzt. Wenn es so etwas wie ein christliches Abendland überhaupt gibt, dann erkennt man es daran: an seiner Liebe zur Freiheit!

Die Menschenrechte, die uns so wichtig sind, sie sind ein Ergebnis dieses Glaubens, und so schenkt der Glauben auch den Menschen Freiheit, die selber gar keinen Glauben haben und denen Gott herzlich egal ist: Sie ist unser, Sie ist Gottes Geschenk an die Welt. Freiheit kann nur Freiheit für alle sein! Die Freiheit, in der wir leben können hier in Deutschland, hier in Europa, ist die Freiheit der Kinder Gottes. Und wir sollten alles dafür tun, dass diese Freiheit nicht Gefahr gerät. Keine Schreier von Rechts und keine Chaoten von Links, keine furchtsamen Bedenkenträger aus der Mitte und keine Geschäftemacher aus der Welt der Gier, keine Hassprediger im Namen irgendeiner Religion oder einer Ideologie dürfen uns in einen Staat und in eine Gesellschaft führen, wo diese Freiheit in Gefahr gerät. Die Freiheit, in die Gott uns führt, ist auch die Freiheit des Gedankens und die Freiheit der Wahl, sein Leben zu führen in Verantwortung und Nächstenliebe. Freiheit verpflichtet: sie muss immer neu errungen und gestaltet werden, denn Trägheit und Hochmut lassen uns schnell vergessen, wie kostbar sie und gaukeln uns vor, Unfreiheit wäre bequemer. Freiheit geht auch nicht ohne Regeln, ohne Recht und Gesetz: An den Verkehrsregeln könne wir lernen und begreifen, dass wir genau dann frei sein können von Angst, wenn sich alle an die Regeln halten – nicht um der Regeln willen, sondern um der anderen willen! Die Apostel, die da aus dem Gefängnis geholt wurden, machten sich sofort auf den Weg, von der Freiheit zu predigen: sie wurden nicht nur befreit, sie wurden auch in den Dienst genommen! Ja, der Strom der Flüchtlinge, er jetzt über uns hereinbricht, hat auch etwas Bedrohliches und Beängstigendes, ja, es ist eine ungeheure Aufgabe, die da auf uns zu kommt, ja, es ist eine politische Herausforderung, wie wir sie aber doch alle paar Jahrzehnte immer wieder erleben: ich nenne nur 1945, 1989; und wer tiefer in die Geschichte blickt wird sehen: Europa war immer in Bewegung, die Suche nach Freiheit war immer ein starker Impuls! Menschen kommen zu uns, weil sie den Ruf der Freiheit gehört haben – und zwar einer ganz konkreten Freiheit: der Freiheit von nackter Überlebensangst. Wir werden diese Träume nicht alle erfüllen können. Wir werden nicht alle Probleme lösen können. Aber wir sollten allen, die zu uns kommen, zeigen, dass die Freiheit ein hohes Gut ist: das gilt auch für die, die kommen, um die Freiheit in Gefahr zu bringen. Wir werden sie nur überzeugen, wenn wir ihnen die Freiheit so schmackhaft machen, dass ihre Gewalt ins Leere läuft. Die wahren Feinde Gottes sind nicht die Ungläubigen, denn das sind wir irgendwie alle, die wahren Feinde Gottes sind immer die, die Freiheit in Gefahr bringen, am schlimmsten die, die das im Namen Gottes tun. Wer wüsste das besser als wir, die wir in einer Freiheit leben, wie sie die Weltgeschichte noch kaum gesehen hat. Wir sind doch in den letzten Jahrhunderten wahrhaftig aus vielen Gefängnissen von Unfreiheit und Bevormundung geführt worden, und wir als Christen sehen darin doch die Hand Gottes am Werk, der beharrlich die Freiheit in der Welt durchsetzen will. Da dürfen wir als Christenmenschen nicht locker lassen. Wir leben in Freiheit und Wohlstand, wie noch nie Menschen in Freiheit und Wohlstand gelebt haben. Und wenn wir heute Kirmes feiern, in Sicherheit, im Überfluss, im Frieden, dann ist das doch auch eine Feier der Freiheit, eine Feier der Befreiung, der Dankbarkeit und der schieren Freude am Leben. Aber wir feiern auch in einem Zelt: noch mehr Symbolik geht nicht. Ein Zelt ist ein Symbol für die letzte Unbehaustheit, die für uns alle gilt – wir feiern so gerne in Zelten, weil wir dann wieder zurückgehen können in unsere festen Häuser! Wir sind hier freiwillig und genießen unsere Freiheit: das ist wahrlich ein Grund zum Feiern!

Lasst uns alles dafür tun, dass so viele Menschen wie möglich daran teilhaben können, lasst uns alles dafür tun, dass die Freiheit in der Welt einen Raum gewinnt: und wenn es auch Opfer kostet, so haben wir davon doch vielfachen Gewinn: 40 Jahre wanderte das Volk durch die Wüste, das war kein Zuckerschlecken. Jesus starb für die Freiheit am Kreuz: das war doch ein großes Elend. die Boten der Liebe saßen im Gefängnis, erfuhren Verfolgung, Spott und Bedrängnis: das war kein leichtes Leben. Die Freiheit ist nichts für Weicheier! Aber am Ende stand die Freiheit, am Ende stand das Leben ohne Fesseln, am Ende stand der Sieg der Macht Gottes, die keine andere ist, als die Liebe. Die lasst uns heute feiern, dafür lasst uns Gott loben und preisen, und dafür lasst uns beten: Dass er uns Kraft gibt, die Freiheit zu wahren und auf ihn und seine Kraft, die Mauern zertrümmert und Fesseln sprengt, zu vertrauen. Das Volk Gottes, Israel und mit ihm wir, die wir auf Jesus Christus getauft sind, sind gut damit gefahren: Lasst auch andere in diesen Genuss kommen und uns nicht müde werden, Wege aus der Wüste und den selbstgemachten Gefängnissen zu finden. Gott geht voran: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!

 

Amen

Samstag, 12. September 2015

Guten Morgen, liebe Sorgen, Predigt für den 15. S. n. Trin., Mt 6, 24-35 .


Mt 6,25-34

25 Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?

Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie?

Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?

 28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. 29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.

Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? 31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? 32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.

 33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.

34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

 

Liebe Gemeinde!

 

Die Worte Jesu stammen aus der Bergpredigt: jener großen Sammlung von Jesusworten, die am Anfang des Matthäusevangeliums steht und die in den 2000 Jahren der Geschichte des christlichen Glauben immer wieder für Zündstoff gesorgt hat. Wenn man meint, der christliche Glaube sei weltfremd und versponnen, dann kann man hier die Munition dafür finden. Es klingt wie Hohn, was Jesus hier sagt: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet…..Dabei ist das doch unsere Grundsorge, die Sorge um das leibliche Wohl. Wenn man das so einfach könnte, die Sorgen einfach wegstreichen. Ich muss an den albernen Schlager denken, der in meiner Jugend von Jürgen von der Lippe gesungen wurde: „Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen, na, dann ist ja alles klar“. Das ist zwar witzig, aber auch ein bisschen bitter. Ähnlich klingen die Worte des amerikanischen Komikers Groucho Marx. Der hat gesagt: “Drei Fragen treiben den Menschen um. Wo komme ich her, wo gehe ich hin, was gibt es heute Mittag zu essen?“ Wobei das ja schon eine Luxusfrage ist. Es gibt leider auf dieser Welt viel zu viele Menschen, die stellen sich die Frage: Gibt es heute Mittag überhaupt etwas zu essen?

Und ich glaube, das macht es uns letztlich so schwer, die Worte Jesu wirklich ernst zu nehmen. Denn die richtigen, die schwere, die lebensbedrohende Sorge um Essen und Trinken kennen wir nicht wirklich. Das spüre ich im Moment bei der Diskussion um die Flüchtlinge sehr deutlich: es fehlt uns in unsrem reichen und wohlhabenden Land ein wenig an der Fantasie für die Armut, für die Not und den echten Hunger. Was heißt schon Wirtschaftsflüchtlinge? Das sind Menschen, die vor der Armut, der Not und dem Hunger fliehen. Und Armut und Not meint mehr als die Sorge um den Kühlschrank. Armut und Not meint auch: für das Leben keine Perspektive mehr zu sehen. Arm ist auch jemand, der heute nicht weiß, was das Morgen bringt, ja schärfer noch: arm ist jemand, der heute Angst vor Morgen hat.

Das kennen wir nur noch, wenn wir zum Beispiel ernsthaft erkrankt sind. Diese Menschen werden die Worte Jesu in ihrer vollen Schärfe hören – und werden sie im ersten Moment als Hohn empfinden. Wer wirklich Sorge hat, dem ist doch damit nicht gedient, dass ihm gesagt wird, er solle sich keine Sorgen machen, Gott wird schon einen Weg finden. Will Jesus diese Menschen vor den Kopf stoßen?

Das glaube ich natürlich nicht. Obwohl es in der Geschichte des christlichen Glaubens diese Position und diesen Standpunkt auch gab: die Armen sollen sich nicht so anstellen, sich Sorgen zu machen, ist gottlos und zeugt von wenig Gottvertrauen. Na danke, möchte man das sagen, das ist wirklich hilfreich!

Worauf will Jesus also hinaus?

Letztlich ist es ein Aufruf dazu, sich von den Sorgen nicht auffressen zu lassen. Wir sollen sie über unser Leben nicht herrschen lassen. Denn wer sich der Sorge hingibt, der wird von ihr am Ende zerstört. Wer sich in die Ecke setzt und jammert und klagt, wird sich am Ende gar nicht mehr bewegen. So muss man die Menschen, die wir so einfach „Flüchtlinge“ nennen, auch mal sehen: Sie warten ihr Schicksal nicht ab, sie nehmen es an und bewegen sich. Das ist doch für meissten von uns kaum vorstellbar, einfach alles stehen und liegen zu lassen und aufzubrechen. Auch das muss man sehen: Diese Menschen machen sich auf, sie haben das Vertrauen, dass es anderswo tatsächlich ein besseres Leben gibt. Flucht ist immer auch Ausdruck von Hoffnung!

Deswegen sagt Jesus: Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes, dann wird euch das alles zufallen. Deswegen der Hinweis auf die Vögel am Himmel und die Blumen auf dem Felde. Sie überlassen sich ganz dem Gang der Natur, vertrauen sozusagen darauf, dass der Tisch reich gedeckt ist. Schaut man genauer hin, dann wird einem aber schon klar: Auch die Vögel legen Vorräte an und bauen Nester. Aber sie tun es mit einem geschöpflichen Vertrauen, das wir Menschen, weil wir zweifeln und grübeln, sehr schnell verlieren. Was uns von den Vögeln unterscheidet ist, dass wir Angst vor Morgen haben.  Im Grunde heißt die Botschaft: Schaut genau hin, es ist genug für alle da, der Tisch ist reich gedeckt.

Es ist dieser andere Blick auf die Welt, zu dem uns Jesus führen will. Wir sollen nicht auf den Mangel starren, sondern auf das, was da ist. Und es ist ja etwas dran. Der Tisch ist reich gedeckt. Die Nahrung, die wir produzieren, würde reichen, ein Vielfaches der bisherigen Weltbevölkerung zu ernähren. Denn Knappheit ist nicht unser Problem. Unser Problem ist die Verteilungsgerechtigkeit. Das wird sichtbar, wenn man über die Worte Jesus ein wenig länger nachdenkt. In Paris haben diese Woche die Bauern demonstriert, weil sie so viel Milch produzieren, dass die Preise zusammenbrechen, und ähnliches gilt auch für die Fleischpreise und den Getreidepreis. Das ist doch ein großer Widerspruch. Auf der einen Seite eine Armee von Menschen, die zu uns kommt, weil sie nicht satt werden und kein Dach mehr über dem Kopf haben, weil sie nicht in Sicherheit leben können und täglich mit vielfältigem Tod rechnen müssen, auf der anderen Seite eine Gesellschaft, die nicht weiß, wohin mit ihren Gütern. Es hat mich daher sehr berührt, als ich die Bilder von den überquellenden Spenden sah, die die Menschen in München, Dortmund, Wien und Düsseldorf zusammengetragen haben, es sind ja so viele Spenden zusammengekommen, dass die Helfer schon sagen: Wir brauchen nichts mehr! Das zeigt doch, in welchem Überfluss wir leben, denn niemand, der da etwas hingebracht hat, wird deswegen selber in der Armut enden. Wir geben ab von unserem Überfluss, denn es ist genug da. So ist das gemeint. Das ist die Logik des Reiches Gottes, nachdem wir trachten sollen. Jesus ist nicht naiv. Es geht hier nicht darum, dass er sagt, dass Gott uns die gebratenen Tauben in den Mund fliegen lässt. Er will darauf hinweisen, dass genug für alle da ist, und dass im Reiche Gottes Gerechtigkeit herrschen soll, und damit ist auch die Verteilungsgerechtigkeit gemeint. Darum sollen wir uns von der Sorge nicht auffressen lassen, sondern uns die Frage stellen, wie wir die Güter gerecht verteilen. Und damit wird die Bergpredigt doch unmittelbar politisch. Bismarck soll ja gesagt haben: Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen. Das halte ich für einen törichten Satz. Man kann sehr wohl damit Politik machen, wenn man aus dem Geist der Bergpredigt heraus handelt. Und in einem freiheitlichen Staat ist es geradezu die Hauptaufgabe der Politik, Menschen die Sorgen um das tägliche Brot zu nehmen, indem sie Solidarität organisiert. Freilich: man kann darüber streiten, ja man muss es sogar, wie das am besten geschieht. Es ist sicher nicht hilfreich, hier Essen und Wohnraum zu verteilen, wenn man nicht gleichzeitig dort, wo die Not entsteht, für Abhilfe sorgt. Solange in Syrien, in Eritrea und im mittleren Afrika Krieg herrscht, werden die Menschen von der Sorge um das nackte Überleben zu uns getrieben. Solange in den Balkanstaaten die wirtschaftliche Situation so schlecht ist, wie sie ist, wird die Sorge sie zu uns treiben. Würden wir es anders machen? Haben wir nicht auch in unserem Lande eine starke Migration dorthin, wo es den Menschen gutgeht? Die Menschen kommen doch aus der ganzen Republik nach Baunatal, weil sie hier einen Arbeitsplatz und gute Bedingungen finden – man muss gar nicht weit fahren, ums selbst in Deutschland in Gegenden zu kommen, wo Arbeit so knapp ist, dass die Menschen weggehen. Und nicht nur das. Wir stehen doch einigermaßen fassungslos vor dem Phänomen, das Menschen aggressiv und gewalttätig auf die Fremden reagieren, weil sie das Gefühl haben, dass ihnen etwas weggenommen wird. Das muss man schon ernst nehmen, selbst wenn diese Angst bei Lichte betrachtet wenig begründet ist – unser Finanzminister, wahrhaftig kein verschwenderischer Typ – weist immer wieder darauf hin. Geld ist kein Problem. Aber die Verteilung. Das ist, was die Menschen aggressiv macht. Also ist der Satz des Jesus, dass wir uns nicht sorgen sollen, gerade auch an uns Reiche gerichtet. Wir dürfen uns von unserem Überfluss und unseren Verlustängsten nicht das Herz versteinern lassen, sondern immer wieder einmal genau hinschauen, wie gut es uns im Grunde geht. Dass die Menschen hierher kommen, weil es uns gut geht, ist doch ein deutliches Zeichen dafür.

Es ist genug für alle da. Gott sorgt für uns. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Gaben auch alle erreichen. Das Gegenteil von Sorge ist Glück. Und am glücklichsten sind wir doch alle, wenn alle glücklich sind. Ungerechtigkeit ist am Ende am schwersten zu ertragen, vor allem dann, wenn man erkennt, dass die Ungerechtigkeit von Menschen gemacht ist. Denn nur gegen diese Ungerechtigkeit können wir in einer gemeinsamen Anstrengung etwas unternehmen. Dafür müssen wir aber das Gefühl verlieren, dass uns daran hindert, genau hinzusehen: und das ist die Angst. Darum geht es Jesus in Wahrheit am meisten. Auch in diesen Wort der Bergpredigt, die so weltfremd klingen und so naiv wirkt, ist die Kernbotschaft des Evangeliums verborgen: Fürchtet Euch nicht! und mehr noch: Habt Vertrauen! Der Gott, der sogar die Mächte des Todes besiegt hat, wird auch die Mächte der Ungerechtigkeit besiegen, und er will, dass wir dabei mitarbeiten, damit wir am Ende stolz sein können auf unser Werk; und wenn wir scheitern, dann sollen wir nicht verzweifeln, sondern im Gebet uns Gott anvertrauen und ihn bitten, uns neue Wege zu zeigen, wie wir das Glück der Menschen fördern können. So würde sich das Abendland, von dem immer so viel die Rede ist, als ein wahrhaft christliches zeigen. Das ist alles andere als naiv.

Ja, jeder Tag hat seine eigene Sorge. Darum sollen wir uns auf die konzentrieren, und uns immer wieder vergewissern, dass Gott uns nicht alleine lässt. Die Angst macht uns kirre. Um Gottes und vor allem um der Menschen willen sollen nicht die Sorge, sondern das Vertrauen in unserm Herzen herrschen lassen. Denn die Angst macht uns dumm und gewalttätig. „Trachtet zuerst nach dem  Reiche Gottes, dann wir Euch das alles zufallen“ kann man auch ganz einfach übersetzten: habt Vertrauen, dann werdet ihr frei, gute Lösungen zu finden und werdet nicht von der Angst beherrscht. Das also ist das, was wir als Christen tun können: Neben der ganz konkreten Hilfe, die wir leisten können, können und sollen wir auch vom Vertrauen reden, Vertrauen schaffen und um Vertrauen beten: da kann wirklich jeder etwas tun. Denn Vertrauen ist die Quelle des Glücks, weil es das Heilmittel gegen die Angst ist. Dafür steht Jesus mit seinem Leben, mit seinem Tod und mit seiner Auferstehung.  Dafür stehen wir Christen mit der Botschaft von Gottes schenkender Gerechtigkeit, die nichts anderes ist als: Liebe. Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Schert Euch zum Teufel, denn da kommt ihr her.

Amen