Sonntag, 16. November 2014

Predigt zum Buß- und Bettag. Da kommt noch was! Lk 13,6-9

Predigt zum Buß- und Bettag, in Aufnahme unserer Kampagne: Da kommt noch was !
www.busstag.de

Lk 13,6-9

Das Gleichnis vom Feigenbaum

6 Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und [a]suchte Frucht darauf und fand keine.

 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge;

9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.

 

Lass ihn noch dieses Jahr! das ist die Bitte des Weingärtners an den Besitzer des Baumes. Da kommt noch was: gib ihm eine Chance!

Der Kreatur eine Chance geben, weil da noch etwas kommt. Besser kann man kaum auf den Begriff bringen, worum es dem christlichen Glauben geht. Wer nur an den Profit denkt, wer nur an das Ergebnis denkt, so wie der Weinbergbesitzer, der verfehlt das Leben und wir zum Unmenschen. Wir Menschen sind vernunftbegabte Wesen, und ein wesentliches Merkmal der Vernunft ist es, in die Zukunft denken zu können. Die Forschung am Menschen zeigt immer deutlicher, dass das wahrscheinlich sogar die Quelle unserer Intelligenz ist. Der aufrechtstehende Affe mit den beiden Augen, die räumlich sehen können, sieht den Horizont und kann abschätzen, was da kommt. Aber er sieht nicht, was hinter dem Horizont ist. Kommt da noch was? Es war immer eine der großen Triebfedern des Menschen, es ist der Schlüssel zu unserem Fortschritt, dass wir wissen wollen, was hinter dem Horizont ist. Alle großen Entdeckungen waren Horizontüberschreitungen. Natürlich denken wir dabei sofort an Columbus, der geradezu das Symbol dafür geworden ist. Oder an die Mondlandung oder an Rosetta und Philea, die auf dem Kometen gelandet sind. Doch auch in das Winzigkleine wurden Horizonte überschritten: Mit dem Mikroskop, mit den Teilchenbeschleunigern tauchen wir tief in eine Welt ein, die weit jenseits unseres natürlichen Horizontes liegt. Und die erstaunlichste aller Entdeckungen dabei ist: es kommt immer noch etwas! Als Max Planck, der berühmte deutsche Physiker, sich ungefähr 1870 der theoretischen Physik zuwandte, rieten ihm, so erzählt eine Anekdote, seine Lehrer ab: da gäbe es nichts mehr zu forschen, die Physik wisse im Grunde schon alles. Ein großer Irrtum, wie sich zeigen sollte. Max Planck und Albert Einstein sorgten mit der Quantentheorie und der allgemeinen Relativitätztheorie 1905 dafür, dass die Physik als Wissenschaft überhaupt erst richtig Fahrt aufnahm und heute zur bestimmenden Wissenschaft für unser gesamtes Leben geworden ist: kein Computer, keine Krebstheapie ohne Planck, keine Raumfahrt ohne Einstein. Wenn der Feigenbaum keine Frucht mehr trägt, hau ihn ab? Das ist nicht nur dumm, das ist vor allem ungnädig

Denn wir Menschen überschreiten auch noch ganz andere Horizonte. Der Mensch kann lieben. In der Liebe überschreiten wir den Horizont unseres engen und selbstbezogenen Ichs und starten zum größten Abenteuer, zu dem wir Menschen überhaupt in der Lage sind: Die Erkundung des anderen Menschen. Und wie bei jeder Entdeckungsreise ist das nicht ungefährlich. Wer lieben will, muss mutig sein. Wer lieben will, muss leidensfähig und geduldig sein. Wer leiben will, muss offen sein und innerlich beweglich. Wer lieben will, muss eine Vision davon haben, wie die Liebe sein soll. Wer lieben will, muss vor allem bereit sein, sich lieben zu lassen, dafür brauchts besonders viel Mut. Denn in der Liebe treffen die Horizonte aufeinander, ganze Welten, ganze Universen verschmelzen: denn kein Land ist so weit weg, keine Sonne und kein Stern so fern, wie der andere Mensch; und keinem Land, keinem Stern und keinem Atom können wir so nahe kommen, wie dem anderen Menschen. Von allen Abenteuern ist die Liebe das größte. Bei ihr heißt es immer: da kommt noch was. Wer in der Liebe auf halbem Wege kehrt macht, bringt sich um tiefe Erfahrungen, bringt sich um das, was wir das Glück nennen. Den Feigenbaum umhauen, wenn er einmal keine Frucht bringt? Kurzen Prozess machen? Wie töricht, wie ungnädig und wie dumm. Gib der Liebe eine Chance! Das ist die Botschaft. Und das ist eine zutiefst religiöse Botschaft. Denn dass es hinter dem Horizont des Menschen noch weitergeht, wissen wir von Gott. Das ist die tiefste Erfahrung Gottes, die wir machen können: wenn sich der Horizont öffnet. Darum ist genau das die Grunderfahrung des Glaubens: Hinter dem Horizont geht es weiter, da kommt noch etwas. Der Glaube, unser Glaube, weiß das aus der Erfahrung, die Menschen mit Jesus gemacht haben. Der überschritt alle Horizonte und öffnete uns eine Weite des Lebens, von der wir vorher nichts wussten. Wir Menschen kennen nur den kurzen Prozess: hau den Baum um! Wir kennen nur den Tod. Gott aber kennt die zweite Chance: lass ihn stehen. Gott kennt uns will das Leben So haben es die Menschen erlebt. Als Jesus tot war, war er hinter dem Horizont verschwunden. Aber er riss den Horizont auf. Wie die Sonne am Morgen wiederkommt, war er wieder da, strahlender und kraftvoller als vorher: seine Kraft reicht bis zu uns, und der Glaube spürt es: seine Kraft reicht bis in Ewigkeit. Darum spricht der Glaube von der Zukunft in so kraftvollen, strahlenden und mutigen Bildern: vom himmlischen Jerusalem haben wir gehört, von der zukünftigen Stadt, die ein Ort des glücklichen Leben sein wird.

Das sind mutige Bilder. Es sind Bilder der Hoffnung und des Vertrauens. Als Columbus aufbrach, hatte er eine Vorstellung davon, wohin er will, er hatte ein inneres Bild davon, was hinter dem Horizont kommt. Er wollte nach Indien! Er hatte sich vollständig geirrt: er traf auf Amerika. Was er fand, was viel größer als das, was er sich hat träumen lassen: bunter, reicher, weiter. Er entdeckte nicht nur neues Land, er entdeckte eine neue Welt. Als Max Planck anfing Physik zu studieren, hatte er eine Ahnung davon, dass es noch mehr Geheimnisse zu finden gibt, als die Physik seiner Zeit meinte. Auch er hatte sich geirrt darüber, was er finden könnte. Was er fand, war noch viel größer als alles, was er sich hätte träumen lassen. Und wenn die jungen Menschen die Liebe entdecken, haben sie auch Wünsche und Träume, Sehnsüchte und Verheißungen. Sie werden etwas ganz anders entdecken, als sie erwarten: Und es wird auch größer, bunter und atemberaubender sein, als sie ahnen.

Aber immer ist es ein Aufbruch: und Aufbrüche machen uns Angst. Es ist die Angst vor Veränderungen, die Angst, unterwegs verloren zu gehen. Hätte Columbus Angst gehabt, wäre er ein kleiner Handelskapitän geblieben, oder vielleicht ein Pirat geworden. Hätte sich Max Planck von seinen Lehrern einschüchtern lassen, wäre er sicher ein erfolgreicher, aber unendlich langweiliger Physikprofessor geworden, der nur nachkaute, was alle längst wussten. Wäre Jesus nicht bereit gewesen, hinter den Horizont des Todes zu gehen, wären unser Glauben immer noch eine Mischung aus Magie und Aberglauben, langweilige und kleingeistige Religion. Weil er aber hinter den Horizont ging, wurde der Glaube eine Kraft der Hoffnung, eine Kraft der Veränderung. Hau den Baum nicht ab, nur weil er keine Früchte trägt. Gib ihm eine Chance und entdecke, was er dir bedeutet! Gib der Liebe eine Chance.

Buße ist ein altmodisches Wort, und wir hören es gar nicht gerne. Weil es auch mit Angst besetzt ist. Denn Buße meint: Umkehr! Da denken viele: Aha, ich muss mein Leben ändern, weil es schlecht ist.

Aber so geht das nicht. So kann man Menschen nicht zur Hoffnung führen. Das ist ein krasses Missverständnis. Das ist schlechte Theologe für Angsthasen und Religion für Furchtsame, die meinen, dass nur die Angst uns ändern kann.

Nein, der Glauben macht uns eine Hoffnung. Er will uns in Bewegung bringen, indem er uns zeigt, was hinter dem Horizont ist. Er will uns Mut machen, aufzubrechen. Das Wort "Aufbrechen" hat ja im Deutschen einen schönen Doppelsinn. Der Glaube will alte, falsche, festgefahrene Vorstellungen aufbrechen, die uns vorgaukeln, unser Leben wäre eine Sackgasse. Und gleichzeitig will er, dass wir aufbrechen, indem wir mit den alten Vorstellungen brechen. In Märchen von den Bremer Stadtmusikanten wird von dem Esel erzählt, der alt und müde geworden ist und nicht mehr arbeiten kann. Er soll zum Abdecker. Doch das lässt er sich nicht gefallen: er büxt aus, er bricht auf, der alte Esel fängt er ein neues Leben an. Und er reisst den alten, halbblinden Kater, den alten, dürre gewordenen Hahn und den zahnlosen, traurigen Hund mit in sein neues Leben. Und wisst ihr noch, mit welchem Satz er das tut, was er den anderen Tieren sagt und womit er sie in Bewegung bringt: "Kommt", sagt er, "etwas besseres als den Tod werden wir überall finden".

Das, meine Leiben, ist mit Buße gemeint. Die schlichte Einsicht: etwas besseres als den Tod werden wir überall finden.

Alles andere folgt daraus. Auch Feigenbäume, die keine Frucht mehr bringen, haben noch eine Chance. Und sei es, dass sie uns Schatten spenden, und sei es, dass uns ihr bloßes Dasein erfreut. Denn hinter dem Horizont geht es weiter, und unser Leben ist keine Sackgasse. Gebt der Liebe eine Chance.

Dafür steht Gott.

Amen.

Samstag, 15. November 2014

Gen 22. Predigt zum Volkstrauertag 2014


Liebe Gemeinde!

(K 3) Wir hören die bewegende Erzählung davon, wie Abraham bereit war, seinen Sohn Isaak zu opfern und von Gott davor bewahrt wurde. Sie steht im ersten Buch Mose, im 22 Kapitel:

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(K 4)Eines Tages stellte Gott Abraham auf die Probe. Er sprach zu ihm:

(K 5): Abraham!

(K 4)Und er antwortete:

(K6) Hier bin ich.

(K4) Und Gott sprach:

(K5) Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

(K4) Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne 5 und sprach zu seinen Knechten:

(K6) Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.

(K4) Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.

Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:

(K7) Mein Vater!

(K4) Abraham antwortete:

(K6)Hier bin ich, mein Sohn.

(K4) Und Isaak sagte:

(K7) Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?

(K4) Abraham antwortete:

(K6) Mein Sohn, Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer aussuchen

(K4) Und die beiden gingen miteinander weiter.

Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.

Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach:

(K8) Abraham! Abraham!

(K4) Er antwortete:

(K6) Hier bin ich.

(K4) Der Engel sprach:

(K8) Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deinen einzigen Sohn nicht verschont um meinetwillen.

(K4) Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.

 

Wir begehen dieses Jahr die Erinnerung an den ersten Weltkrieg, der am 1. August 1914 begann und mit rund 11 Mio Toten allein auf den Schlachtfeldern ein bis dahin ungeahntes, furchtbares Gemetzel war, das eine ganze Kultur vollständig zerstört hat und dessen Wirkungen über den Zweiten Weltkrieg wir bis heute spüren. Man kann mit Worten gar nicht beschreiben, was die Soldaten in diesem Krieg erlebt haben, und die Menge der Toten überstieg alles bis dahin gekannte. Der Krieg wurde zu einem fast schon industriellem Töten und zu einem tiefen Schock für alle, die daran beteiligt waren. Schon die Art, wie er ausbrach, ist aus heutiger Sicht erschreckend und beschämend: Es war, im Rückblick eine Kette von Fehlentscheidungen, die auf Inkompetenz, Engstirnigkeit, Verantwortungslosigkeit und vor allem auch Ehrgehabe von Militärs und Politikern beruhte. Die Köpfe waren noch voll von Idealen von Heldentum und Tapferkeit, von Kampf Mann gegen Mann, von Feldherrenherrlichkeit und Opferbereitschaft. Mahner und Warner wurden überhört, niedergebrüllt und verächtlich behandelt: Ein Kontinent war im Rausch des Krieges.

Die Ernüchterung kam bald, und sie war in einer bisher nicht gekannten Weise brutal. Nach wenigen Wochen kam der Krieg zum Stillstand, die Soldaten gruben sich ein, und man lag sich über Jahre in den Schützengraben von der Nordseeküste bis zur Schweizer Grenze gegenüber, und auch auf dem Balkan, in Russland, in den Alpen und im Nahen Osten entwickelte sich der Krieg zur einer nie gekannten Hölle. Das Elend ist unvorstellbar: ich habe Euch drei Bilder mitgebracht, sie lassen etwas ahnen. Es regierte die Artillerie mit, und das ist keine Übertreibung, hunderten Millionen von Granaten, nun regierten die Maschinen: die Blutmühle nannten es die Soldaten. Es waren keine Helden mehr, die da starben. Es war Kanonenfutter, auf allen Seiten. Ihr merkt: Es fehlen die Worte. Und was besonders beschämend ist, und gerade heute nicht vergessen werden darf: Auch von den Kanzeln herunter wurde vaterländisch gepredigt, tief machte sich die Kirche – nicht überall, nicht immer, nicht jeder: aber die allermeisten! – daran schuldig, Menschen zum Töten aufgehetzt zu haben Sie haben die Botschaft des Evangeliums missbraucht  und mit politischen Botschaften vermischt, zu ihm im denkbar weitester Entfernung standen. Hier trägt auch die Kirche schwere Schuld! I

Ich will  hier keine historische Vorlesung halten, obwohl ich glaube, es wäre bitter nötig. Ich will hier eine Stimme aus dem Schützengraben zu Worte kommen lassen, die mich tief berührt hat, als ich sie das erste Mal hörte. Es ist das Gedicht eines jungen Engländers, der auch mit hohen Idealen in den Kampf zog, und schon nach kürzester Zeit tief verzweifelt war. Er starb, wie zum Hohn, in den letzten Tagen des Krieges, am 4. November 1918, 25 Jahre alt.

Wo war Gott in diesem Gemetzel? Wie konnte er es zulassen, dass sein Name so geschändet wurde?

Ist es am Ende kein gnädiger Gott, sondern doch ein rachgieriges Monster, der von uns Menschen Opfer verlangt? Wir haben die Geschichte gehört, die seit je Menschen tief verstört hat, die Geschichte davon, wie Gott Abraham auffordert, seinen Sohn Isaak zu opfern. Und Abraham ist dazu bereit! Warum? Weil er es so kannte von den Göttern seiner Umwelt, weil er gar nicht in Frage stellt, dass Gott es ernst meinen könnte damit. Erst hat er ihm Isaak, den einzigen Sohn mit seiner Frau Sarah, in hohem Alter geschenkt, nun will er ihn zurückhaben. Abraham fragt nicht. So sehr war die Gewalt für ihn ein Teil von Gott, dass er fraglos sich auf den Weg machte, Frau, Kinder und Knechte belog, um seinen Sohn zu töten. Was für ein grausamer Gott!

Nein, eben nicht. Gerade das erzählt die Geschichte ja eben nicht. Am Ende ist es der Engel Gottes, der Abraham in den Arm fällt. Am Ende stirbt nur ein Widder an Stelle des Menschen. Die Botschaft dieser Geschichte war für die Menschen, zu der Zeit, als sie erzählt wurde, völlig klar, und sie war revolutionär: Gott will keine Menschenopfer. Er will das Töten von Mensch zu Mensch nicht. Abraham wurde auf die Probe gestellt, ob er es durchzieht bis zum Ende. Und Abraham gehorcht in der Tat: er opfert seinen Sohn eben gerade nicht. Gott ist ein Gott des Lebens. das ist die Botschaft dieser Geschichte: Gott ist die Macht der Liebe. Die Menschheit begreift das nur schwer. Es musste mit dem Tod Jesus noch einmal zu einer Katastrophe kommen, zu einem unschuldigen Tot im Namen Gottes, damit nun aber auch jeder sehen kann: Gott will das Töten nicht, und allerwenigsten in seinem Namen.

 

Warum fällt uns das so schwer? Wieso muss Gott immer wieder herhalten als Grund für Gewalt?

Die Frage stellte sich auch der junge englische Dichter Wilfred Owen. Und er fand die Antwort, und drückte sie ein diesem wundervollen, aber auch sehr schmerzvollen Gedicht aus, das ich Euch habe austeilenn lassen, zusammen mit den Bildern.

Er nimmt die Geschichte von Abrahams Opfer auf. Und er erzählt sie so, dass sie durchsichtig wird auf den Krieg, den Owen erlebt, mit seinen Schützengräben und Schanzen, Seinen Uniformen mit Gürteln und Helmen, mit seinen Stacheldrahtverhauen und Mordmaschinen:

 

Daher erhob sich Abraham und hackte das Holz und ging

und nahm das Feuer mit und ein Messer.

Und als sie beide verweilten,

sprach Isaak, der Erstgeborene und er sagte: Mein Vater,

alles hast du vorbereitet, hast Feuer  und Eisen,

aber wo ist das Lamm für das Brandopfer?

Da fesselte Abraham den Knaben mit Gurten und Riemen,

baute dort ein Gerüste und Schützengräben

und strecke das Messer aus, seinen Sohn zu schlachten.

Doch siehe, die Stimme eines Engels rief ihn vom Himmel und sprach: Lege nicht Hand an den Jüngling, und tu ihm auch sonst nichts.

Sieh doch, ein Widder hat sich im Dickicht mit seinen Hörnern verfangen:

Opfere den Widder des Stolzes an seiner Stelle.

Doch der alte Mann wollte nicht

und erschlug seinen Sohn –

und die Hälfte des Samens Europas,

einen nach dem anderen

die Häfte des Samens Europas, einen nach dem anderen

Fast schon zynisch, aber auf jeden Fall zutiefst vom Menschen enttäuscht und verbittert, erzählt Owen die Geschichte anders zu Ende: Abraham schlug seinen Sohn, und die Hälfte des Samens Europas, einen nach dem anderen, die Hälfte des Samens Europas, einen nach dem anderen.

So sieht er seine Gegenwart:

Abraham, der hier für die Generation der Väter überhaupt steht, gehorcht Gott nicht. Er opfert nicht, was Owen den Widder des Stolzes nennt. er tötet lieber seine Sohn, er zieht es durch, er lässt sich von Gott nicht in den Arm fallen.

Drastischer kann man es nicht sagen. Krieg ist Sünde, ist Widerstand gegen Gott, Ungehorsam. Die Wurzel des Krieges aber ist der Stolz, der nicht nachgeben kann, der nicht mit der eigenen Fehlbarkeit rechnet, der das eigene Denken und Fühlen und die Ehre zum einzigen Maßstab macht und damit unfähig wird, das rettende Wort Gottes zu hören. Für Owen ist es einzig der Mensch, der Nachkomme Abrahams, der es zu verantworten hat, dass die Hälfte des Samens Europas auf den Schlachtfeldern verreckt. Und dem ist wenig hinzuzusetzen. „Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart“: : Würden wir darauf wirklich hören, würden wir unseren Stolz beiseite stellen, würden wir Gott wirklich gehorchen, hätte die Versöhnung ein Chance in unserer Welt, und schon die Schützengräben, die oft genug durch Familien laufen, zwischen den Hecken von Nachbarn, könnten zugeschüttet werden.

Mich bewegt dieses Gedicht zutiefst. Mehr als alle Zahlen und drastische Bilder drückt es aus, was dieser Krieg angerichtet hat. Hier wurden Menschen geopfert, sinnlos geopfert, weil alle Opfer sinnlos sind. Das ist auch die Lehre dieses Krieges, die viele schon während des Krieges zogen. Aber es waren nicht genug. Es musste noch die viel größere Katastrophe des zweiten Weltkrieges folgen, bis auch die letzten erkannten, das Krieg nicht Gottes Willen ist, das Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll.

Über den Gräbern von Verdun und der Somme, von Tannenberg und am Isonzo entstand der Gedanke eines vereinten Europas als einziger Weg zum Frieden. Jeder, der heute an der europäischen Idee zweifelt, muss sich vor den Toten des ersten Weltkrieges verantworten und einen besseren Weg zum Frieden zeigen!

Gott ist die Macht der Liebe, die das Leben will und keine Opfer. Es gibt keinen Krieg in Namen Gottes. Es gab ihn auch nie. Und es darf ihn auch nie wieder geben. Nur so ehren wir das Andenken an jene Männer, die auf den Tafeln hier in der Kirche/draussen vor der Tür genannt werden. Der Krieg ist immer noch in der Welt. Aber wir haben verstanden: er ist kein Mittel der Politik mehr, er ist Scheitern von Politik.

Einen Gedanken noch: Abraham war auch der Stammvater der Moslems. Dort heißt er Ibrahim. Der Koran kennt die Geschichte auch. das islamische Opferfest erinnert daran. Und viele Moslems haben sie verstanden, setzen sich auch mit ihrer Gewaltgeschichte auseinander und wollen den Frieden, ohne Gewalt und ohne Waffen. Wir haben kein Recht, auf den Islam mit dem Finger zu zeigen: denn auf unseren Koppelschlössern stand auch: Gott mit uns, das ist erst hundert Jahre her.

Wir haben aber die Aufgabe, aus unserer Geschichte heraus zu verkündigen, dass Gott und Tod, Gott und Krieg nicht zusammengehören. Glaubt mir: Millionen von Moslems auf dieser Welt wissen das auch, denn der Koran ist ein Buch des Friedens. Das er, wie die Bibel, in die Hände von verblendeten Verrückten geraten ist, ist ein Unglück, an dem wir nicht ganz unschuldig sind. Es ist ein politisches Phänomen, kein religiöses! Dieser Tag, wo wir vor Millionen von Kriegstoten stehen, wo wir die Worte von Wilfred Owen direkt aus dem Schützengraben hören, sollte uns das Mahnung sein und eine Ermutigung: Lasst uns auf die Macht der Liebe vertrauen und aus ihr  heraus allen Menschen die Chance geben, den Widder ihres Stolzes zu opfern anstatt Söhne und Töchter. Der gnädige Gott wird uns darin tragen und stützen. Denn das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nichts!“ Das ist Gottes Gebot an Abraham, dem Vater unseres Glaubens.

 

Amen.