Die Texte zur Vernissage unserer Ausstellung in der Kreuzkirche Großenritte. Kann jetzt täglich von 16-18. Uhr besichtigt werden. Auf Wunsch, und wenn es passt, mit Führung.
Musik
Eingang
Es kostete mich viel Mühe, der Versuchung zu wiederstehen, in
die mich diese Bilder führten: Der Versuchung, hier gleich loszupredigen und
das, was mich begeistert, in Worte zu fassen. Denn Kunst löst Rede aus, führt
zum Wort, Kunst ruft nach Ant-wort. Doch zuerst kommt das Sehen.
Ich werde also nicht predigen, ich werde etwas anderes
versuchen. Ich will lieber dafür sorgen, dass alle gut hinschauen. Darum wird
jetzt gleich Folgendes geschehen: Ich sage ein paar Worte dazu, was ein
Kreuzweg ist – das ist uns Evangelischen eher unvertraut. Schade eigentlich.
Dann sage ich ein paar Worte dazu, warum der Glaube Bilder
braucht und die Bilder den Glauben. Dann spricht Werner A. Friedrich. Er ist
der beste Kenner der Werke – er weiß, wie sie entstanden sind und was in ihm
vorging, als er die Werke schuf. Das kann unsere Sinne schärfen und helfen,
besser zu sehen. Schließlich erlaube ich mir etwas. Wenn ich mir schon das
Predigen verkneife und bis morgen aufheben muss, so möchte ich doch ein wenig
zeigen, was die Kunst in mir auslöste, möchte Ant-worten mit meinen Mitteln:
einer kleinen Meditation über einzelne Symbole auf den Tafeln: Wort trifft Bild
und Bild trifft Wort und zusammen deuten sie die Welt.
Die Musik macht Felicia Friedrich, die Tochter des Künstlers
und seiner Frau Heilke: Sie singt Psalmen, die alten Lieder Israels, die doch
immer neu sind, weil sie niemals alt werden, in einem modernen Klang.
Damit sind alle Künste hier versammelt zum Lobpreis des größten
aller Künstler.
Aber ich wollte ja nicht predigen….
Musik
Kreuzweg
Die Idee des Kreuzweges ist einfach: In mehreren Stationen
wird der Weg Jesu durch Jerusalem von seiner Verurteilung bis zum Tod am Kreuz
nachgegangen und so auf sehr eindringliche Weise erinnert. Seit dem 14.
Jahrhundert ist diese Form der Andacht bekannt, seit dem 18. Jahrhundert ist in
jeder katholischen Kirchen ein Kreuzweg zu finden. Es hat sich darum herum ein
umfangreiches gottesdienstliches Leben entwickelt mit Pilgerweg, Andacht,
Mediationen und Bußübungen: das würde jetzt zu weit führen.
Anfangs waren es sieben Stationen: die sieben Stationen, die
auch im biblischen Bericht der vier Evangelisten zu finden sind. Dann wuchsen,
durch Tradition und theologische Deutung, weitere Stationen dazu, heute sind es
meist 14, und sie gehen über Golgatha hinaus mit Kreuzabnahme und Grablegung.
Diese Idee setzte eine Fülle von Kunstwerken frei: Schon früh wurden die
Stationen bebildert und waren ein Ort, an dem Künstler zeigen konnten, wie sie
die Leidensgeschichte Jesu verstanden. Diese Bilder prägen bis heute – auch bei
uns Evangelischen! – die Vorstellungen von Jesu letzten Stunden sehr tief. Kein
Jesusfilm kommt ohne sie aus.
Jede Station benennt ein Element des Leidens Jesu. Aber nicht
nur, um uns das vor Augen zu führen, was damals geschah. Vielmehr geht es dem
Kreuzweg darum, dass wir unser eigenes Leiden und das Leiden der Welt darin
wiedererkennen. Darum hat der Kreuzweg im 20. Jahrhundert, dem schrecklichsten
Jahrhundert der Geschichte, großes Interesse der Künstler gefunden. Er ist
nämlich auch sehr politisch und kann ein machtvolles Instrument der Kritik sein.
Nicht nur der geschundene Jesus wird heute auf ihm dargestellt, auch die
geschundene Schöpfung und der geschundene Mensch. Das tun die sieben
Kreuzwegstationen von Werner Friedrich in besonderer Weise.
Warum aber der Kreuzweg, warum diese Erinnerung? Nicht, um
uns zu erschrecken und zu demütigen. Nicht aus Menschenverachtung. Wir erinnern
uns des Weges Jesu – weil wir von Ostern herkommen. Vier Tafeln stehen mit dem
Rücken zu uns. Sie werden in der Osternacht umgedreht. Sie enthüllen das
Geheimnis des Glaubens: Mitten im Tod das neue Leben.
Der Kreuzweg ist so für den Glauben ein Weg der Ermutigung.
Um es mit dem Psalm zu sagen: „Und dennoch bleibe ich stes bei Dir, denn du hälst
mich mit deiner rechten Hand“. Für den Glauben ist das Kreuz ein Zeichen der
Hoffnung und der Überwindung des Todes. Darum der Kreuzweg. Er erinnert uns
daran, wie sehr wir angewiesen sind auf die Gnade Gottes, der uns dennoch
liebt.
Bilder
Glaube braucht Bilder, Bilder brauchen den Glauben.
Der erste Satz so etwas wie das Motto der jährlichen
Kunstaktionen in der Kirche zu Großenritte. Darum seien hier Frau Israel und
Frau Herrmann so wie alle, die sie unterstützen, an dieser Stelle namentlich
als wesentliche Menschen genannt und bedankt. Der andere Satz: Die Bilder
brauchen Glauben, ist nicht so selbstverständlich. Er ist sogar eine
Provokation.
Glaube braucht Bilder. Aber heißt es nicht: Du sollst Dir
kein Bild machen? Ist das nicht im zweiten Gebot der Bibel deutlich gesagt? Ja,
ist es. Doch es geht noch weiter:“4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein
Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten
auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: 5 Bete sie nicht an
und diene ihnen nicht!“ (2. Mose 20). Wir sollen uns keine Götzenbilder machen! Wir sollen die Unsichtbarkeit und die
Herrlichkeit Gottes nicht antasten. Dahinter steht ein wichtiger Gedanke: Du
sollst das Bild nicht mit dem verwechseln, was es darstellt. Das ist das
Geheimnis der Kunst. Kunst zeigt eben nicht einfach, was der Fall ist. Kunst
ist nicht Nachahmung der Natur oder Darstellung der Wirklichkeit. Kunst ist Deutung. Kunst ist Auslegung. Kunst zeigt nicht auf die Welt, sondern darauf, wie der
Künstler sie erlebt. Darum braucht auch der Glaube Bilder. Um die Welt zu
verstehen. Nicht um sie anzubeten. Sondern um zu spüren, wie sehr wir doch
gefangen sind, in dem, was wir sehen und schon deswegen für wahr halten. Gerade
die guten Bilder, gerade die großen Kunstwerke weisen über sich hinaus. –das gerade
macht ihre Größe aus. Das macht den Künstler zum Künstler: das da etwas durch
ihn hindurchgeht, das mehr ist, als er selbst. Darum sind die großen Kunstwerke
offen und immer voller Geheimnisse und werden nie alt. Sie machen uns staunen. Sie
zwingen uns, unsere Wahrnehmung zu überprüfen, zeigen Ungesehenes und
Unerhörtes, und weil es schön ist, weil es Kunst ist, können wir den Blick
davon nicht abwenden: sie rührt eine Sehnsucht in uns an. Darum braucht der
Glaube die Kunst. Wo das Wort an seine Grenzen kommt, führt uns die Kunst
weiter. Was ein Bild sagt, ist unausprechlich, und doch müssen wir reden.
Darum brauchen aber die Bilder den Glauben. Denn der Glaube
kommt aus dem Hören und dem Reden. Bete sie nicht an: sie sprechen nicht zu
dir! Nur das Wort hat die Kraft, das Unsichtbare zu benennen. Nur die Rede hat
die Kraft, das erfahrbar zu machen, was hinter den Bildern liegt. Auch der
Glaube deutet die Welt. Aber deutet sie aus der Sicht Gottes. Wo wir Tod sehen,
sieht Gott Leben. Wo wir Leiden sehen, sieht Gott Bewährung. Wo wir Kreuz
sehen, sieht Gott den Himmel. So treten das Wort und das Bild in fruchtbare
Spannung, deuten einander, nehmen einander auch in die Kritik. Nicht anbetend
sollen wir vor den Bildern stehen. Den Künstler sollen wir ehren und bewundern
für seine Kunstfertigkeit und seinen Mut. Das Werk aber sollen wir nicht
anbeten. Es gehört zur vergänglichen Welt, ist auch nur Geschöpf unter
Geschöpfen. Darum haben wir auf dem Altar die Bibel liegenlassen. Sie verstellt
ein wenig den Blick und wird so besonders sichtbar. Und das ist gut so. Hier in
diesem Raum treffen das Wort und das Bild aufeinander und öffnen uns so, so
Gott will und seinen Geist wehen lässt, einen Blick auf die Welt, die ihr
hilft, sich besser zu verstehen. Wir sollen nicht die Bilder anbeten. Aber die
Bilder können uns zum Gebet führen. Das Bild zeigt, der Glaube spricht. Und
wenn es den Menschen ergreift, dann fängt er an zu singen. Schön, dass wir hier
heute auch Musik haben. So zeigt sich die Schöpfung von ihrer besten Seite und
auch wir werden zu unserem Besten geführt. Der Glaube braucht Bilder, die
Bilder den Glauben: Wir Geschöpfe brauchen beides, damit uns die Wahrheit
erreicht.
Möge es so sein in den nächsten Wochen.
Werner A. Friedrich: Werner A. Friedrich, geboren 1940,
lebt in Bad Wildungen. Er ist Bildender Künstler, Musiker, Kunsterzieher und
Musiklehrer. Seit 1968 stellt er seine Werke öffentlich aus und betreibt in Bad
Wildungen eine Galerie. Er wurde auch schon mehrfach geehrt, so 1993 mit dem Kunstpreis
der VEW Waldeck, einem großen Mäzen in unserer Region.
Werner A. Friedrich ist zudem auch Gründer und Leiter der
„Wildunger Musik-Werkstatt“, die mit zeitgenössischen Komponisten
zusammenarbeitet. Ein vielseitiger Künstler also, der einen langen und
verschlungenen Weg zur Kunst hinter sich gebracht hat. Ich zitiere aus der
Webseite des Künstler, die ich jedem der Zugang zum Internet hat, wärmsten
empfehle:
„Nach der Mittleren Reife begann ein mühevoller „zweiter“
Bildungsweg: Jungarbeiter an der Stempelhobelmaschine und
Werkzeugmacher-Ausbildung in den Anker Werken in Bielefeld; Praktika in
Gießerei und Modelltischlerei; Werklehrer-Studium in Düsseldorf, unter anderen
bei Erwin Heerich; Studium zum graduierten musischtechnischen Fachlehrer für Kunst
und Musik in Kassel; neben dem Schuldienst fünf Jahre Fortbildungsstudium an
der Gesamthochschule Kassel in den Fächern Kunst und Gesellschaftslehre und
noch einmal Referendariat am Studienseminar Marburg. Seit 1966 Lehrer an
unterschiedlichen Schulen des Kreises, an der Haupt- und Realschule Breiter
Hagen in Bad Wildungen, am Edertal-Gymnasium Frankenberg, an der Gesamtschule
Edertal und am Gustav Stresemann Gymnasium in Bad Wildungen. Beauftragter zur
Ausbildung von Kunsterziehern im Studienseminar des Kreises
Waldeck-Frankenberg.
Die Fortbildung in der Malerei erfolgte bei Bernhard Vogel in
Salzburg, mit Erwin Kastner in Venedig, bei Jürgen Meister in der Firma Lukas
und im Atelier Eglau in Kampen auf Sylt.
Wie es zu diesen Bildern kam, wird er uns gleich selber
erläutern. Ich erlaube mir die Anmerkung: Der Materialmix aus allen Arten von
Farben, die Anwendung vieler Techniken aus der Kunstgeschichte und die
souveräne Verwendung von Alltagsmaterialien zeigt ihn als zeitgenössischen
Künstler auf der Höhe der Zeit.
Soviel von mir. Jetzt gilts der Kunst.
Musik
Ansprache Friedrich
Musik
Zu den Tafeln.
1. Material
Der Baum
der gefällt wurde
um daraus zu machen
Bretter,
Das Erz,
das geschmolzen wurde
um daraus zu machen
Stahlkanten
hätten auch sein können
der Baum
der gefällt wurde
zu machen ein Kreuz
das Erz,
das geschmolzen wurde,
zu machen die Nägel.
Das ist der Kummer der Welt:
sie weiß nie,
was aus ihr wird.
2. Der Neuntöter
Der Neuntöter,
ein schöner Vogel,
tut, was er muss
weil er nicht anders kann.
Darum ist er kein Mörder.
Der Millionenmörder,
tut, was er nicht muss
weil er auch anders kann.
Darum ist er ein Mörder.
3. Blutstropfen
Wie schön ist doch
auf tristem Grau
die leuchtende Farbe
des Blutes!
Lebendiges Rot,
strahlende Kraft.
Doch wenn Du es sieht,
rinnend,
ist irgendwo
Haut aufgegangen,
Ader geöffnet,
fließt Leben.
Darum ist
von allen Säften
einzig das Blut
zum Heiligsein
fähig.
4. Lilien
Weil die reinweiße Lilie
Leben meint,
legen wir sie
auf Särge.
5. Dornenkrone
Jede Krone
ist so wie diese:
Eine Schande.
Es sei denn
es ist
die Krone des ewigen Lebens.
6. INRI
Iesus
Nazarenus
Rex
Iudaeorum
Eine Lüge
und doch wahr.
Der Spott dieses Titels
verspottet die Spötter.
Der Mob
wird gemobbt.
Das ist
inmitten des Geschreis
ein Lächeln Gottes:
himmlische Ironie.
7. Schienen
Zuviel des Leides.
Wir verderben uns daran
den Mitleidsmagen.
Und Ausschwitz wird
oft viel zu schnell
zur kleinen Münze
des großen Schreckens,
billig getauscht.
Wohl dem
dem so noch
vor einem toten Vogel
die Tränen kommen können.
8. Kreuz
Hätten sie ihn erschossen,
wir trügen heute
goldene Gewehre
um den gewaschenen Hals,
und die Ältäre
zierten Patronen.
Hätten sie ihn erschlagen
dann wäre es wohl
eine goldene Keule
und wir grüßten einander
mit dem göttlichen Schlag.
Ein Kreuz aber
schmückt
ganz ungemein.
10. Schwarzer Regen
Schwarzer Regen
Asche und Ruß.
Es strömt herab
auf uns
der eigene Unrat.
Der Mensch zeigt sich
dem Menschen
als Unmensch.
11. Osterglocken
Dass wir es erinnern
sei es verkündet
immer und immer:
Es wächst nichts
aus eigener Kraft!
Jede Blüte
ist uns eine Siegesfahne
des Herrn aller Herren.
Auch das große Gestirn,
die heitere Sonne,
ist nur Lampe
des göttlichen Lichts,
Fenster des ersten Tages:
als solches
ein leuchtendes Gleichnis.
Schon, wo kein Tod ist,
ist mehr als Leben:
Gnade.
12. Ostern
Vier Stelen
sind stärker
als sieben Platten.
Sie zeigen
nach so viel Ende
den neuen Beginn.
Wir kommen nicht aus dem Gestern.
Wir kommen aus dem Morgen
und gehen getrost
dahin
wo er herkommt:
leuchtende Zukunft,
ewiges Leben.
Musik
Danksagungen und
Einladung
Abendgebet und Segen:
Bleibe bei uns, Herr, denn es will Abend werden, und der Tag
hat sich geneigt.
Bleibe bei uns und bei deiner ganzen Kirche.
Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt.
Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem heiligen Wort und Sakrament, mit deinem Trost und Segen.
Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes.
Bleibe bei uns und allen deinen Gläubigen in Zeit und Ewigkeit.
Bleibe bei uns und bei deiner ganzen Kirche.
Bleibe bei uns am Abend des Tages, am Abend des Lebens, am Abend der Welt.
Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem heiligen Wort und Sakrament, mit deinem Trost und Segen.
Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht der Trübsal und Angst, die Nacht des Zweifels und der Anfechtung, die Nacht des bitteren Todes.
Bleibe bei uns und allen deinen Gläubigen in Zeit und Ewigkeit.
Es segne und behüte uns
Gott der Allmächtige
Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Amen
Musik
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