Predigt zu Buß- und Bettag 2013, Altenritte
44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker,
den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und a
verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute
Perlen suchte,
46 und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und
verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
Liebe Gemeinde, Schwestern
und Brüder im Herrn!
Wann lebst Du? fragen wir in
diesem Jahr. Das Bildmotiv unserer Kampagne zeigt Säuglingsfüße und die Füße
eines Toten. Ist das Leben das, was dazwischen liegt?
Das ist eine merkwürdige
Frage, wenn man sie ein wenig im Herzen bewegt.
Wann lebst Du? Leben wir
nicht immer? Wir finden uns schon immer lebendig vor, wir können uns an keinen
Moment erinnern, an dem wir nicht gelebt haben. Und wir werden uns, soweit wir
wissen, an den Moment, an dem wir nicht mehr leben, auch nicht erinnern können.
„Wann lebst Du?“ Fragt also
nicht einfach danach, wann wir atmen, essen, trinken, schlafen. „Wann lebst Du“,
fragt nach der Intensität und nach der
Qualität des Lebens. Wann lebst Du so, dass Du das Leben spürst? Wann lebst Du
so, dass Du das Leben wahrnimmst? Es war die Möbelkette Ikea, die diese Frage
im großen Stil gestellt hat: „Lebst du schon oder wohnst Du noch?“ Der Spruch
ist gar nicht so dumm, wie er im ersten Moment erscheint. Denn er bringt auf
den Begriff, was viele heute denken: Ich lebe erst, wenn ich dieses und jenes
erledigt habe. Wenn die Wohnung eingerichtet ist. Wenn die Kinder so und so
groß sind. Wenn ich eine feste Stelle gefunden habe. Wenn ich das und das
erreicht habe. „Ich lebe, wenn…“ - das ist ein fataler Satz. Er führt dazu,
dass wir auf das Leben ständig warten, und dass wir dem Lebens ständig
hinterherhetzen. Wir stellen Bedingungen für das Leben. Ein Leben ist es erst,
wenn….So unterscheiden wir zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben. Das
ist fatal!
Damit ist unser Unglück
vorprogrammiert. Wer ständig auf das Leben wartet, wird enttäuscht werden. Wer
ständig zwischen richtigem und falschem Leben unterscheidet, wird am Ende immer
das Gefühl haben, im falschen Leben zu sein.
Unser kleines
Begleitbüchlein macht das sehr schön deutlich. Wir verbringen sehr viel Zeit
mit Dingen, von denen wir meinen, dass sie eigentlich keine Lebenszeit sind. Wir
neigen dazu, nur das Leben zu nennen, was wir intensiv erleben und wo es uns gutgeht.
Das Ergebnis ist, dass wir
uns hetzen und jagen lassen auf der Suche nach dem Leben, oder das wir traurig
und müde werden, zu müde zum Leben.
Der Glaube aber sagt: Es
gilt, das Leben zu ergreifen, denn es ist längst da. „Alles hat seine Zeit“,
haben wir in einem der berühmtesten Texte der Heiligen Schrift gehört. Alles
ist Leben, wir haben kein Recht dazu und es ist auch nicht sehr klug, hier
Unterscheidungen zu machen. Lebst Du schon oder wohnst Du noch? Der Spruch ist
am Ende zutiefst zynisch und menschenverachtend. Weil er jedem Menschen die
Lebendigkeit abspricht, der mit seinem Alltag befasst ist und sich den Luxus
nicht leisten kann, „das Leben zu suchen“. Der Glaube will uns ermutigen, das
Leben zu ergreifen, es ist längst da. So wie es der Bauer und der Kaufmann im
Gleichnis machen, sie die kostbare Perle und den Schatz finden. Sie greifen zu.
Sie haben nicht auf den Schatz und die Perle gehofft, doch als sich ihnen die
Gelegenheit bot, zögerten sie keine Sekunde. Dazu will uns der Glaube führen.
Lasst Eure Wünsche und Vorstellungen, lasst Eure Sehnsüchte und Ideen vom
richtigen Leben nicht Gewalt und Macht über Euch bekommen. Wer sein Leben lang
davon träumt, ein anderer oder eine andere zu sein, wer sein Leben lang darauf
wartet, das Morgen das richtige Leben
beginnt, der wird sterben mit dem Gefühl, niemals gelebt zu haben.
Wann lebst Du? Der Glaube
findet das Leben in Jesus Christus, in Gott. Er ist die kostbare Perle und der
Schatz im Acker. Warum? Weil uns in ihm Gnade und Vergebung begegnen. Jesus hat
die Menschen nicht gefragt: „Wann lebst Du?“ Oder auch nur „Lebst Du richtig?“
Er ist einfach auf sie zugegangen und hat sie von Ihrer Last befreit, die er
die Sünde nannte und die für ihn die Quelle allen Übels war. Die Sünde besteht
darin, dass wir vom Leben getrennt sind. Das wir uns eben quälen mit tausend
Fragen nach „richtig“ und „falsch“, dass wir den Kopf voll haben mit lauter
Ideen, Vorstellungen, Meinungen, Vorurteilen und Denkgewohntheiten, die uns
blockieren und hindern, zu leben – anstatt auf den Willen Gottes zu hören, der
will, das wir leben. Da setzt Jesus an. Jesus versöhnt die Menschen mit sich
selbst und mit dem Leben. Er geht hin und rührt sie an, er teilt einen Moment
seines Lebens mit ihrem Leben – und schon sind sie geheilt und gesund. Das
eigentliche Wunder, das Mensch immer wieder aufs Neue erleben, wenn sie Jesus
begegnen, ist, dass sie zum Leben befreit werden. Diese Befreiung ist das, was
das Wort „Buße“ eigentlich meint. Es ist genau das, wovon die beiden
Gleichnisse erzählen: Der Moment, wo ich begreife, dass ich lebe, ist der
kostbare Moment. Denn dann bekommen mit einem Schlag viele Fragen eine Antwort.
Zum Beispiel die Frage, was wir tun sollen, die Frage nach dem richtigen
Handeln. Sie ist mit den zehn Geboten, die wir gleich hören werden, nämlich
nicht beantwortet. Die zehn Gebote sagen uns nur, was dem Leben schadet, und
was wir tunlichst lassen sollten, wenn wir uns nicht unglücklich machen wollen:
Nicht lügen, nicht stehlen, nicht betrügen, nicht morden, nicht neiden.
Und sie geben in den ersten
drei Geboten nur einen Rahmen vor, innerhalb dessen wir leben sollen, wenn wir
unser Unglück nicht herausfordern wollen: Gottes Macht anerkennen, gemeinsame
Lebensrhythmen gestalten und heiligen, den Generationenvertrag einhalten.
Aber wie wir das Leben
gestalten sollen, sagen sie uns nicht. Doch Jesus gibt uns einen Satz in die
Hand, der enthält alles, was man wissen muss, um zu wissen, was man tun soll:
„Ich lebe, und du sollst
auch leben“. Oder wie Albert Schweitzer es sagte: „Ich bin Leben, inmitten von
Leben, das Leben will“. Wer das verstanden hat, der hat die kostbare Perle
gefunden und den Schatz gehoben. Leben und leben lassen, das ist Gottes Devise.
Und sie ist so einfach! Leben will leben. Jederzeit und immer.
Und selbst die Frage nach
dem Sinn von Kummer. Leid und Schmerz, ja sogar nach dem Bösen und dem Übeln,
gerät in ein anderes Licht, wenn man mit den Augen Gottes darauf sieht: Leben
ist mehr als lebendig sein.
Am Kreuz zeigt es sich, dass
auch sie zum Leben gehören, das auch sie intensive Erfahrungen sind, an denen
wir als Menschen reifen oder zerbrechen, wachsen oder vergehen, sterben oder
neu geboren werden. Das Böse, das Üble, Leid und Kummer lehren uns, dass es uns
nicht zusteht, nach dem Wert des Lebens
zu fragen. Das ist eine sehr törichte und zerstörerische Frage. Jesus stellt
sie nie, auch nicht seinen Feinden! Er lässt alles Lebendige gelten, weil es
lebt und will es zur Versöhnung führen. Das ist die Antwort des Glaubens auf
die Frage: Wann lebst Du? Wenn du versöhnt bist mit dir und Gott. Wenn du
glaubst und dich ins Leben fallen lässt.
Wann lebst Du?
Nicht erst als Säugling mit
dem ersten Atemzug. Sondern schon dann, wenn Gott beschließt, Dich ins Leben zu
rufen, und sei es nur für wenige Minuten.
Wann lebst Du? Nicht nur bis
an die Grenze des Todes, sondern in der Ewigkeit, die uns umgibt wie die Luft,
die wir atmen.
Zwischen Säuglingsfüßen und
Totenfüßen liegt die Zeit, in der wir das Leben erleben. Der Glaube will uns
ermutigen, dieses Leben zu ergreifen, in jedem Moment, mit jedem Atemzug, er
will uns das Leben spüren lassen, damit wir das Leben als Leben schätzen und
nicht vorschnell bewerten und wegwerfen. Alles, was lebt, will leben. Alles,
was lebt, soll leben.
Diese einfach Einsicht
genügt eigentlich, um die einfachste aller Antworten zu geben auf die Frage:
Wann lebst Du?
Sie lautet:
Jetzt und in Ewigkeit. Jede Umkehr, jede Buße, ist eine Umkehr zum Leben. Es liegt da, wie der Schatz im Acker und die Perle im Schaufenster.
Jetzt und in Ewigkeit. Jede Umkehr, jede Buße, ist eine Umkehr zum Leben. Es liegt da, wie der Schatz im Acker und die Perle im Schaufenster.
Greif zu.
Alles andere folgt daraus.
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