Mittwoch, 20. November 2013

Wann lebst Du? Predigt Buß- und Bettag 2013






Predigt zu Buß- und Bettag 2013, Altenritte
44 Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und a verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker.
45 Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,
46 und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

Wann lebst Du? fragen wir in diesem Jahr. Das Bildmotiv unserer Kampagne zeigt Säuglingsfüße und die Füße eines Toten. Ist das Leben das, was dazwischen liegt?
Das ist eine merkwürdige Frage, wenn man sie ein wenig im Herzen bewegt.
Wann lebst Du? Leben wir nicht immer? Wir finden uns schon immer lebendig vor, wir können uns an keinen Moment erinnern, an dem wir nicht gelebt haben. Und wir werden uns, soweit wir wissen, an den Moment, an dem wir nicht mehr leben, auch nicht erinnern können.
„Wann lebst Du?“ Fragt also nicht einfach danach, wann wir atmen, essen, trinken, schlafen. „Wann lebst Du“, fragt nach der Intensität  und nach der Qualität des Lebens. Wann lebst Du so, dass Du das Leben spürst? Wann lebst Du so, dass Du das Leben wahrnimmst? Es war die Möbelkette Ikea, die diese Frage im großen Stil gestellt hat: „Lebst du schon oder wohnst Du noch?“ Der Spruch ist gar nicht so dumm, wie er im ersten Moment erscheint. Denn er bringt auf den Begriff, was viele heute denken: Ich lebe erst, wenn ich dieses und jenes erledigt habe. Wenn die Wohnung eingerichtet ist. Wenn die Kinder so und so groß sind. Wenn ich eine feste Stelle gefunden habe. Wenn ich das und das erreicht habe. „Ich lebe, wenn…“ - das ist ein fataler Satz. Er führt dazu, dass wir auf das Leben ständig warten, und dass wir dem Lebens ständig hinterherhetzen. Wir stellen Bedingungen für das Leben. Ein Leben ist es erst, wenn….So unterscheiden wir zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben. Das ist fatal!
Damit ist unser Unglück vorprogrammiert. Wer ständig auf das Leben wartet, wird enttäuscht werden. Wer ständig zwischen richtigem und falschem Leben unterscheidet, wird am Ende immer das Gefühl haben, im falschen Leben zu sein.
Unser kleines Begleitbüchlein macht das sehr schön deutlich. Wir verbringen sehr viel Zeit mit Dingen, von denen wir meinen, dass sie eigentlich keine Lebenszeit sind. Wir neigen dazu, nur das Leben zu nennen, was wir intensiv erleben und wo es uns gutgeht.
Das Ergebnis ist, dass wir uns hetzen und jagen lassen auf der Suche nach dem Leben, oder das wir traurig und müde werden, zu müde zum Leben.
Der Glaube aber sagt: Es gilt, das Leben zu ergreifen, denn es ist längst da. „Alles hat seine Zeit“, haben wir in einem der berühmtesten Texte der Heiligen Schrift gehört. Alles ist Leben, wir haben kein Recht dazu und es ist auch nicht sehr klug, hier Unterscheidungen zu machen. Lebst Du schon oder wohnst Du noch? Der Spruch ist am Ende zutiefst zynisch und menschenverachtend. Weil er jedem Menschen die Lebendigkeit abspricht, der mit seinem Alltag befasst ist und sich den Luxus nicht leisten kann, „das Leben zu suchen“. Der Glaube will uns ermutigen, das Leben zu ergreifen, es ist längst da. So wie es der Bauer und der Kaufmann im Gleichnis machen, sie die kostbare Perle und den Schatz finden. Sie greifen zu. Sie haben nicht auf den Schatz und die Perle gehofft, doch als sich ihnen die Gelegenheit bot, zögerten sie keine Sekunde. Dazu will uns der Glaube führen. Lasst Eure Wünsche und Vorstellungen, lasst Eure Sehnsüchte und Ideen vom richtigen Leben nicht Gewalt und Macht über Euch bekommen. Wer sein Leben lang davon träumt, ein anderer oder eine andere zu sein, wer sein Leben lang darauf wartet, das Morgen das richtige Leben beginnt, der wird sterben mit dem Gefühl, niemals gelebt zu haben.
Wann lebst Du? Der Glaube findet das Leben in Jesus Christus, in Gott. Er ist die kostbare Perle und der Schatz im Acker. Warum? Weil uns in ihm Gnade und Vergebung begegnen. Jesus hat die Menschen nicht gefragt: „Wann lebst Du?“ Oder auch nur „Lebst Du richtig?“ Er ist einfach auf sie zugegangen und hat sie von Ihrer Last befreit, die er die Sünde nannte und die für ihn die Quelle allen Übels war. Die Sünde besteht darin, dass wir vom Leben getrennt sind. Das wir uns eben quälen mit tausend Fragen nach „richtig“ und „falsch“, dass wir den Kopf voll haben mit lauter Ideen, Vorstellungen, Meinungen, Vorurteilen und Denkgewohntheiten, die uns blockieren und hindern, zu leben – anstatt auf den Willen Gottes zu hören, der will, das wir leben. Da setzt Jesus an. Jesus versöhnt die Menschen mit sich selbst und mit dem Leben. Er geht hin und rührt sie an, er teilt einen Moment seines Lebens mit ihrem Leben – und schon sind sie geheilt und gesund. Das eigentliche Wunder, das Mensch immer wieder aufs Neue erleben, wenn sie Jesus begegnen, ist, dass sie zum Leben befreit werden. Diese Befreiung ist das, was das Wort „Buße“ eigentlich meint. Es ist genau das, wovon die beiden Gleichnisse erzählen: Der Moment, wo ich begreife, dass ich lebe, ist der kostbare Moment. Denn dann bekommen mit einem Schlag viele Fragen eine Antwort. Zum Beispiel die Frage, was wir tun sollen, die Frage nach dem richtigen Handeln. Sie ist mit den zehn Geboten, die wir gleich hören werden, nämlich nicht beantwortet. Die zehn Gebote sagen uns nur, was dem Leben schadet, und was wir tunlichst lassen sollten, wenn wir uns nicht unglücklich machen wollen: Nicht lügen, nicht stehlen, nicht betrügen, nicht morden, nicht neiden.
Und sie geben in den ersten drei Geboten nur einen Rahmen vor, innerhalb dessen wir leben sollen, wenn wir unser Unglück nicht herausfordern wollen: Gottes Macht anerkennen, gemeinsame Lebensrhythmen gestalten und heiligen, den Generationenvertrag einhalten.
Aber wie wir das Leben gestalten sollen, sagen sie uns nicht. Doch Jesus gibt uns einen Satz in die Hand, der enthält alles, was man wissen muss, um zu wissen, was man tun soll:
„Ich lebe, und du sollst auch leben“. Oder wie Albert Schweitzer es sagte: „Ich bin Leben, inmitten von Leben, das Leben will“. Wer das verstanden hat, der hat die kostbare Perle gefunden und den Schatz gehoben. Leben und leben lassen, das ist Gottes Devise. Und sie ist so einfach! Leben will leben. Jederzeit und immer.
Und selbst die Frage nach dem Sinn von Kummer. Leid und Schmerz, ja sogar nach dem Bösen und dem Übeln, gerät in ein anderes Licht, wenn man mit den Augen Gottes darauf sieht: Leben ist mehr als lebendig sein.
Am Kreuz zeigt es sich, dass auch sie zum Leben gehören, das auch sie intensive Erfahrungen sind, an denen wir als Menschen reifen oder zerbrechen, wachsen oder vergehen, sterben oder neu geboren werden. Das Böse, das Üble, Leid und Kummer lehren uns, dass es uns nicht zusteht, nach dem Wert des Lebens zu fragen. Das ist eine sehr törichte und zerstörerische Frage. Jesus stellt sie nie, auch nicht seinen Feinden! Er lässt alles Lebendige gelten, weil es lebt und will es zur Versöhnung führen. Das ist die Antwort des Glaubens auf die Frage: Wann lebst Du? Wenn du versöhnt bist mit dir und Gott. Wenn du glaubst und dich ins Leben fallen lässt.
Wann lebst Du?
Nicht erst als Säugling mit dem ersten Atemzug. Sondern schon dann, wenn Gott beschließt, Dich ins Leben zu rufen, und sei es nur für wenige Minuten.
Wann lebst Du? Nicht nur bis an die Grenze des Todes, sondern in der Ewigkeit, die uns umgibt wie die Luft, die wir atmen.
Zwischen Säuglingsfüßen und Totenfüßen liegt die Zeit, in der wir das Leben erleben. Der Glaube will uns ermutigen, dieses Leben zu ergreifen, in jedem Moment, mit jedem Atemzug, er will uns das Leben spüren lassen, damit wir das Leben als Leben schätzen und nicht vorschnell bewerten und wegwerfen. Alles, was lebt, will leben. Alles, was lebt, soll leben.
Diese einfach Einsicht genügt eigentlich, um die einfachste aller Antworten zu geben auf die Frage: Wann lebst Du?
Sie lautet:
Jetzt und in Ewigkeit. Jede Umkehr, jede Buße, ist eine Umkehr zum Leben. Es liegt da, wie der Schatz im Acker und die Perle im Schaufenster.
Greif zu.
Alles andere folgt daraus.

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