Montag, 16. August 2021

Predigt zum 11. S.n. Trin 2021, Eph 2,4-10. Über Sünde, Lob und Nüchternheit.

 

 Eph 2,4-10

4 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5 auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht # aus Gnade seid ihr selig geworden #; 6 und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, 7 damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus.

 Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es,

9 nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme.

10 Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Liebe Gemeinde,

diese überschwänglichen Verse, die man mindestens zweimal lesen muss, um sie verstehen, sind ein Lob auf und an Gott. Ein Lob, das keinen Zweifel daran lässt, dass Gott uns liebt, ja dass Gott die Liebe ist. Und hinter so einem Lob muss eine Erfahrung stecken, so ein Lied singt man nicht ohne Grund. „Wir waren tot in den Sünden, und sind lebendig gemacht worden mit Christus“, und zwar „aus Gnade“. Hinter diesen inzwischen etwas abgenutzten Formeln und Redewendungen steht die Geschichte des Jesus von Nazareth.

Er ist der Grund für dieses Lob. Die Menschen haben durch Jesus eine Erfahrung gemacht, die ihr ganzes Leben geändert hat, und zwar so sehr, dass sie das wie eine Auferweckung erlebt haben, wie den Beginn eines neuen Lebens. Sie sind wie neugeboren.

Was sie so gelähmt hat, dass sie sich wie tot fühlten, wird hier mit „Sünde“ beschrieben.

Das Wort hat heute keinen guten Klang mehr, weil damit viel Schindluder getrieben wurde. Menschen wurde Angst gemacht damit, dass sie „Sünderinnen und Sünder“ sind. Dass sie nicht richtig sind, falsch, unbrauchbar; so unbrauchbar, dass sogar Gott mit ihnen nichts zu tun haben will.

Das Wort „Sünde“ wurde verwendet, um Menschen klein zu machen und zu erniedrigen, indem man ihnen Angst vor Gott machte und ihnen mit Strafe drohte.

Und viele Texte und Erzählungen der Bibel gehen ja – scheinbar – in diese Richtung. Wenn da nicht Jesus von Nazareth gewesen wäre, der dieser Rede von Strafe und Sünde widersprach und stattdessen gerade zu denen ging, die als vemeintiche Sünderinen und Sünder ausgegrenzt waren. Er erzählte Gesichten von der Vergebung , und am Ende ist seine eigene Geschichte die stärkste Geschichte der Versöhnung von Gott und Mensch überhaupt.

Menschen mit Strafe Gottes zu drohen ist daher nichts anderes als grausam und barbarisch. Menschen einzuschüchtern und zu erniedrigen, ist das Schlimmste, das man ihnen antun kann. Und genau dazu wurde das Wort „Sünde“ immer wieder verwendet, und darum kann man es heute eigentlich guten Gewissens gar nicht mehr verwenden.

Das ist ein bisschen schade. Denn eigentlich beschreibt das Wort eine Erfahrung, die jeder von uns kennt: Dass Gott uns fremd geworden ist. Dass wir ihn in unserem Leben eben nicht nicht spüren und erfahren, sondern meistens eher als abwesend und fern erleben, wenn überhaupt. Was das Wort „Sünde“ einmal meinte, ist die Erfahrung unserer Einsamkeit und Angst, das Gefühl verloren zu sein, nicht klar zu kommen und zu scheitern. Wir sind nicht so, wie wir gerne wären. Und die Welt ist nicht so, wie wir sie gerne hätten. Sie ist in vielem ein schrecklicher Ort.

Das ist doch ein ganz elementares, ganz starkes Gefühl. Und wer es kennt, weiß auch, was es mit uns macht: Es lähmt uns, wenn wir eher der müde, depressive Typ sind. Oder es macht uns wütend, wenn wir eher der dynamische, vorwärtstürmende Typ sind. Der Theologe Paul Tillich sprach daher lieber von „Entfremdung“. Sünde beschreibt das Gefühl, dass wir uns fremd fühlen, dass wir nicht ganz bei uns sind, nicht bei den anderen Menschen und schon gar nicht bei Gott. Das macht uns Angst, die Angst macht und wütend dumm. Sünde beschreibt also gar nicht eine Verfehlung und „böse Taten“, sondern erst einmal einen großen Schmerz, einen bohrenden Kummer, eine tiefe Verletzung. Es ist am Ende die Angst, nicht geliebt, und nicht gewollt zu sein, es ist die Angst vor Einsamkeit und Trennung, ein Gefühl des Verlorensein. Und wenn es richtig schlimm wird, dann fühlen wir uns auch noch schuldig, selbst wenn wir gar nicht genau sagen können, warum. Am Ende steht ein angeschlagenes Selbstbewußtsein, das Gefühl, lebendig tot zu sein. Das ist schlimm. Und dieses Gefühl bekommt ja auch noch ständig Futter. Wir machen doch ständig Erfahrungen von Scheitern und Misslingen. Wie gehen wir mit der Welt um, die uns anvertraut ist? Wieso schaffe ich nicht, was ich mir vorgenommen habe?

Es gibt viele Gründe, sich, wie die Redensart es so schön drastisch sagt, „klein, dumm und hässlich“ zu fühlen. Das ist ein wahrer Teufelskreis. Wir kommen wir da raus?

Am Montag veröffentlichte der Weltklimarat seine Studie zur Klimaentwicklung. Es ist alles noch viel schlimmer, als erwartet. Wörtlich heißt es da: Die Einwirkungen des Menschen auf das Klima habe „irreversible Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme“. Die Umweltministerin Svenja Schulze hat es auf den Begriff gebracht, worum es geht: „Der Planet schwebt in Lebensgefahr“. Das sind keine Meinungen, dass sind auch keine Sätze von religiösen Propheten und Unheilsverkündern, das ist das Ergebnis der Arbeit von hunderten von Wissenschaftlern, die tausende von Studien ausgewertet haben. Die Sachlage ist völlig eindeutig.

 

Die Welt brennt und ersäuft gleichzeitig, und das Gefühl, dass wir die Quittung dafür bekommen, was wir alles falsch gemacht haben, wird geradezu übermächtig -  wenn man es überhaupt an sich heranlässt und nicht einfach alles abstreitet und verharmlost. Und jetzt schließt sich der Kreis: Ist das nicht eben doch alles „Sünde“, und wir werden bestraft? So merkwürdig es klingt: Gerade das ist ein absurder Gedanke, mit dem wir es uns zu leicht machen. Man kann sich nämlich in seinem Elend auch einrichten und das Gejammer zu einer Lebenshaltung machen. Man kann sich in seiner Wut auch einrichten und das Rumpöbeln zu einer Lebenspraxis machen. Man kann sich auch einigeln und in der Lüge leben, dass das alles nur Lügen sind. Man kann sich auch selbst kleinmachen, so klein, dass man gar nichts mehr tun braucht: wir sind eben alle Sünder. Aber der Zahn wird uns von Gott gezogen: Das ist im Grunde ein Strick, den wir uns selbst drehen. Wir werden eben nicht bestraft. Wir werden mit den Folgen unseres Tuns konfrontiert, wobei es Aufgabe der Wissenschaftler ist, das genau herauszufinden und Wege zu finden, das zu ändern. Das ist etwas völlig anderes als Strafe. Wenn ich meinen Dreck in den Fluss schmeiße, dessen Wasser ich trinke, und davon krank werde, bin ich kein Sünder, sondern ein Dummkopf. Ich werde nicht bestraft, ich erlebe die Folgen. Das Gerede von der Sünde an dieser Stelle hat noch eine fatale Folge: Es werden Schuldige gesucht und es gibt endlose Debatte darüber. Dabei müssen wir Lösungen finden. Und natürlich unser Leben ändern.

 

Aber wenn wir uns jetzt hinsetzen, den Kopf hängen lassen und uns mit Asche bestreuen oder ein großes Geschrei machen, ist niemandem geholfen. Und jetzt kommen wir wieder zu den biblischen Worten, die dieser Predigt zu Grunde liegen: Hier wird ja gerade gesagt, dass unsere „Sünde“, unsere Entfremdung, überwunden ist! Und zwar von Gott her. Es geht ja gerade nicht um Strafe und moralische Vorhaltungen, was für schlechte Menschen wir sind. Nein, hier wird ja gerade davon gesungen, dass Gott sich uns zuwendet und von sich aus die Grenze überschreitet und auf uns zugegangen ist: In Jesus!

 

Wir sollen uns gerade nicht fürchten und Resignation verfallen, sondern vielmehr auf Gott schauen und sehen, dass wir Grund zu Freude haben und daraus neuen Mut finden! Die „Sünde“, um das Wort noch ein letztes Mal zu verwenden, ist das, was hinter uns liegt. Vor uns aber liegt das ewige Leben, vor uns liegt die Liebe, vor uns liegt Gott. Er ist eben nicht ein strenger Richter, der uns verurteilt oder ein Lehrer, der uns Noten gibt, sondern er ist die Liebe selbst, die doch in allem waltet, was ist. Er will zum Guten bewegen, indem er uns die Schönheit, die Zerbrechlichkeit und die Kostbarkeit des Lebens vor Augen führt. Glaube ist das Vertrauen, dass Gott uns liebt, selbst wenn wir uns verachten. Er spielt unsere bösen Spiele von Verachtung und Demütigung nicht mit, denn sie machen alles noch viel schlimmer. Debatten über Schuld und Sünde helfen der Reduzierung des CO2 Ausstoßes nicht im Geringsten. Gott  durchbricht diese bösen Spiele, und das nennen wir Gnade. Er rettet uns vor uns selbst, damit wir rauskommen aus Lähmung, Wut und Ohnmacht und nüchtern  und wachsam tun, was zu tun ist.. Und jetzt lesen wir die biblischen Worte am Anfange dieser Predigt noch einmal, und ersetzen das Wort Sünde durch „Fremdheit“ oder „Einsamkeit“, und ich glaube, dann hören wir, was hier wirklich gesagt wird: Wir können leben aus einem Gefühl der Güte und der Wärme heraus, in der Gewissheit, dass Gott keiner ist, der uns etwas Übles will. Wenn wir das hören, treten wir, um es mal mit der etwas geschwollenen Sprache dieses Liedes zu sagen, aus dem Tod in das Leben, dann stehen wir mitten am Tag auf. Und das kann der Anfang von etwas Gutem sein. Das kann uns ermutigen, die Ärmel hochzukrempeln und zu tun, was zu tun ist: Die Welt zu einem besseren Ort zu machen, in dem alle einen Platz zum Leben haben, koste es, was es wolle. Wir leben „aus dem Reichtum seiner Gnade“. Das ist doch mal ein Wort.

Amen.

 

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