Dienstag, 14. April 2015

Karfreitag 2015. 70 Jahre Kriegsende in Kassel und Region


Was ist das mit dem Karfreitag? Was begehen wir hier? Was wird hier vollbracht, wie es Jesus in seinem letzten Wort sagte?

Der Tag, einst der wichtigste evangelische Feiertag, wird immer weniger beachtet, ja vielen ist er peinlich, manchem sogar anstößig: Wird hier nicht das Leiden verherrlicht? Wir hier nicht auf peinliche Wiese das Ekelhaftestes und Übelste am Menschen sichtbar gemacht, um ihn zu demütigen und zu erniedrigen?

Es ist genau andersherum. Der Karfreitag ist der zutiefst menschliche Tag, der wie kein anderer deutlich macht, wie es um uns Menschen bestellt ist. Es war der Tag, an dem die Menschen, vertreten durch Juden und Heiden, wie wir es in der Lesung gehört haben, versucht haben, Gott aus der Welt zu drängen. Es war der Tag des abrundtief  Bösen. Wir reden aber von ihm, weil an diesem abgrundtief Bösen zugleich die abgründige Tiefe der Liebe Gottes sichtbar wurde.

Das klingt sehr theologisch, sehr abgehoben und sehr fern. ich will daher versuchen, es ein wenig deutlicher zu machen. Und dazu nehme ich einen Jahrestag zum Anlass, den wir in diesen Tagen auch begehen: Das Ende des 2. Weltkrieges und damit auch das Ende der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland. In diesen Tagen des Jahres 1945 kamen die amerikanischen Truppen im Raum Kassel an, in der Stadt Kassel am 4. April. Die entscheidende Wende für die deutsche Geschichte ereignete sich in der Wochen zwischen Karfreitag und Himmelfahrt. Für Baunatal kam das Kriegsende sogar am 1. April, direkt am Ostersonntag.

Aus christlicher Sicht ist diese letzte Woche des Krieges von besonderer symbolischer Bedeutung: Es war der Mittwoch nach Ostern, in der österlichen Freudenwoche also, als die 80. Infanteriedivision der US-Armee über die Wilhelmshöher Allee in Kassel eintraf. Damit war der Krieg für Kassel zu Ende.  Und es war der nach christlichem Kalender dunkelste und finsterte Tag des Jahres, Karsamstag, als dort in Kassel, in Wilhelmshöhe, in letzter Minute, 78 italienische Zwangsarbeiter erschossen wurden. Sie hatten sich, als das Ende des Krieges schon zu sehen war und die meisten Nazis sich längst aus dem Staub gemacht hatten, an Plünderungen beteiligt: Es ging um einige Güterwagen mit Nahrungsmitteln; und sie waren nicht allein, auch die Kasseler Bevölkerung beteiligte sich daran. Diese 78 Italienischen Kriegsgefangenen, die als Zwangsarbeiter nach Kassel verschleppt wurden, aber wurden am Karsamstag des Jahres 1945 hingerichtet, als der Geschützdonner der Amerikaner hinter dem Herkules schon zu hören war. Ein unbegreifliches Verbrechen, selbst nach den Standards des internationalen Kriegsrechtes. Das dies am Karsamstag geschah, ist von tiefer symbolischer Bedeutung. Denn der Karsamstag ist der dunkelste Tag für uns Christen, weil an ihm die Grabesstille des toten Gottes herrschte. An ihm war das mörderische Werk des Karfreitag scheinbar an ihr Ziel gekommen: die Liebe, die Gerechtigkeit, das Erbarmen, das sich in Jesus Christus in der Welt gezeigt hat, aus der Welt zu schaffen. Der Karsamstag ist der Tag, an dem es aussieht, als habe das abgrundtief Böse gesiegt. So haben es die Jünger und Jüngerinnen Jesu auch erlebt. Der Schrecken war masslos.

Was ist das abgrundtiefe Böse?  Das ist der Hass auf das Leben schlechthin, aus dem aller Hass auf das Andere und Fremde und auf alles, was uns an uns selber hassenswert und fremd erscheint, seine Quelle hat. Die alte christliche Überzeugung, die man sich heute oft nur noch hinter vorgehaltener Hand zu sagen traut, steht uns am Karsamstag vor Augen: das abrundtief Böse ist eine Möglichkeit des Menschen, und nur des Menschen, denn nur er kann das Böse wollen oder eben auch nicht wollen. Und darum kann man auch nur beim Menschen von Schuld sprechen. Es hätte nicht sein müssen, heißt der Satz, der die Schuld sichtbar und offenbar macht. Es ist ein vernichtender Satz, ein lähmender Satz. Es ist ein vernichtender Satz, wenn er nicht zugleich mit dem Satz gesagt wird, dass Schuld vergeben werden kann. Aber dieser zweite Satz darf nicht zu früh kommen. Dann wird er eine Ausflucht. Dann wird er das, was der Theologe Dietrich Bonhoeffer die „billige Gnade“ genannt hat. Er starb übrigens, auch dessen sollten wir gedenken, ebenfalls in letzter Minute durch die Hand des Henkers am 9. April 1945, als einer der wenigen Christen, der öffentlich und unter Einsatz seines Lebens gegen das abgrundtief Böse aufgestanden ist. Das gibt ihm das Recht, von der billigen Gnade zu sprechen, die allzuschnell, allzu eilfertig, allzu wenig aus echter Buße und Reue heraus auf die Knie geht.

So ist der Jahrestag des Kriegsendes für uns Deutsche nach wie vor ein zwiespältiges Ereignis, indem sich das Zusammenspiel von Karfreitag und Ostersonntag spiegelt: Über der Freude und der Dankbarkeit über das Ende des Krieges liegt der Schatten der wachsenden Erkenntnis der Schuld – jener Schuld, die eben auch daraus entsteht, dass man nicht gegen das Böse aufsteht und schweigt. Auch die Kirchen haben sich hier schuldig gemacht. Wenn es auch im Einzelnen, in der historischen Tiefe und genau betrachtet, viele Formen von Widerständigkeit, Verweigerung, Widerspruch und von schlichter Humanität auch in den Reihen der Kirchen gab, so muss man im Rückblick mit Schrecken erkennen, dass auch die Kirche vieles mitangesehen hat – und da und dort sogar: mitgetragen und mitgemacht hat –, was im Rückblick nur noch mit Scham und Erschrecken betrachtet werden kann. Schon im Oktober 1945, anlässlich der Neugründung der Evangelischen Kirche in Deutschland, wurde von führenden Vertretern diese Schuld benannt und öffentlich bekannt: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Dieses Schuldbekenntnis stieß auf Widerstand, auf Empörung und Abwehr, es kam für viele viel zu früh; auch wenn es, historisch gesehen, zum richtigen Zeitpunkt kam, weil es den evangelischen Christen in Deutschland den Zugang zur weiten Welt der Ökumene wieder öffnete, was sich für viele als großer Segen erwies, weil in der Folge aus der Ökumene viel Hilfe kam für unser Land. Zu früh aber kam es, weil zum wirklichen Bekenntnis der Schuld auch die Erkenntnis der Schuld gehört, zu wirklicher Versöhnung gehört auch, mit den Opfern zu reden, die Geschichten zu hören und zu ertragen, mit denen zu weinen, an denen wir schuldig geworden sind. Versöhnung ist ein langer Prozess, und schon in den 10 Geboten wird gesagt, dass Schuld und Schulderkenntnis andauert bis ins dritte und vierte Glied. Und darum ist die Gnade, auch wenn sie uns geschenkt wird, ein teures Gut, das unter Schmerzen erworben werden muss, wenn es in uns zu einer guten Kraft werden soll. Und darum ist es gut und wichtig und immer noch ein Gebot der Stunde, dass wir uns, gerade als Generation der Spätgeborenen, immer wieder dem aussetzen, was damals geschah – sowohl an jenem ersten Karfreitag, als auch allen anderen Taten von menschlicher Schuld, wie sie in unbegreiflicher Weise uns vor allem in den Vernichtungslagern der Nazis sichtbar wird, aber auch überall dort, wo gemordet, getötet, gefoltert und verfolgt wird. Wir erinnerun uns nicht nur, um denen Gerechtigkeit zukommen zu lassen, die damals verfolgt, verachtet, gefoltert und gemordet worden sind. Sondern auch, um die Schuld als das Menschenmögliche zu erkennen und zu begreifen, das keineswegs aus der Welt ist und vor dem wir weiterhin auf der Hut sein müssen. Der erste Karfreitag war nicht der letzte Karfreitag!. Aber Das Böse  ist durch den Karfreitag, den Karsamstag und den Ostermorgen ein für allemal entlarvt worden als das, was es ist: Menschliche Tat. Gott will die Gewalt nicht. Er antwortet auf das radikal Böse nicht mit noch Böserem, nicht mit Rache und Vergeltung, sondern mit Gnade und Vergebung. Wir können das als Christen getrost, wenn auch unter Seufzen sagen. Der Weg zur Versöhnung geht über die Erinnerung an Schuld und Gnade. Der Karsamstag des Jahres 30 spiegelt sich im Karsamstag des Jahres 1945 und er spiegelt sich überall dort, wo unbegreiflich Böses geschieht. Es ist Christenpflicht, und das ist das Erbe des Stuttgarter Schuldbekenntnisses, das Böse als das zu benennen, was es ist: das Menschenmögliche. Wir können davor nur mit Scham und Erschrecken stehen, und können nur auf die Knie gehen und um die Vergebung bitten, die uns zugesagt ist. Die Vergebung aber können wir uns eben nicht selber zusprechen. Sie muss, wie damals im Jahre 33, als der Auferstandene den Jüngern und Jüngerinnen aufs neue begegnete, aus dem Mund der Opfer kommen, und da die nicht sprechen können, aus unserem Munde, wenn wir uns, als Christen mit Christus, und also mit allen Opfern von menschlicher Gewalt, identifizieren, und betroffen und beschämt, aber auch mutig und aufrichtig mit der alten Liedzeile von Paul Gerhardt sagen: „Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat. Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad.“ ( EG 85,4). Nur dann werden wir frei werden und aus der Lähmung geholt und können, aus Erfahrung klug geworden, dem Bösen Wiederstand leisten, der Versöhnung den Weg bereiten und die Erde zu einem Ort des guten Lebens machen. Nicht nur das abgrundtiefe Böse ist das Menschenmögliche. Auch das Gute steht in unserer Macht. Daran erinnert uns der Karfreitag eben auch, weil wir ihn nie ohne Ostern bedenken können. Tage wie diese, an denen wir schaudernd des abgrundtief Bösen gedenken, das in und durch unser Volk geschehen ist, und zugleich auch des Guten, das uns wiederfahren ist, können und wollen uns helfen, den Weg des Guten zu suchen: Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Das Stuttgarter Schuldbekenntnis kommt uns auch heute noch – wie jedes andere Schuldbekenntnis - schwer über die Lippen, wenn man vor konkreten Gräbern steht. Gerade wenn wir das spüren, werden wir auf unsere Verantwortung als Christen verwiesen und bei ihr behaftet: „Aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Wir dürfen diesen Satz sagen, heute, am Gründonnerstag 2015, weil uns am Ostertag des Jahres 33 zugesagt wurde, dass wir mit der Schuld leben dürfen als solche, die auf Vergebung hoffen dürfen. In diesem Geiste tiefster Humanität begehen wir den Karfreitag. Er ist der Tag der Wahrheit.

Die Kraft der Versöhnung kommt aus der Erinnerung, und zur Erinnerung braucht es Mut, und den Mut finden wir im Vertrauen auf die Gnade Gottes, die will, dass wir leben. Lasst es uns besser machen als damals, lasst uns nicht schweigen, wo wir reden müssen und lasst nicht ab vom Gebet. Und lasst und dankbar sein gegenüber denen, die uns gerettet haben unter Einsatz ihres Lebens. Das ist es, was uns die Toten von damals zurufen: und weil sie tot sind, müssen wir ihr Mund sein. Indem wir die frohe Botschaft von der Gnade Gottes verkünden, die selber das Böse auf sich nahm, damit wir es sehen können, sind wir dieser Mund der Opfer. Das gilt für die sinnlos Erschossenen von damals ebenso wie für unser alltäglichen Bosheiten, die wir einander antun, das gilt für die Opfer der menschlichen Katastrophe in den französischen Alpen ebenso wir für die Opfer unsers Raubbaues an der Natur: Indem wir uns der Schuld stellen, können wir der Gnade ansichtig werden. Indem wir den Opfern eine Sprache geben, könenn wir auch der Versöhnung eine Sprache geben. Es ist vollbracht, sagte Jesus, der sich von Gott verlassen, mit letzter Kraft.  Was er vollbracht hat, ist nicht weniger als das Heil der Welt. Im Vetrauen auf die Kraft der Auferstehung, die das Geschehene nicht ungeschehen macht, aber zur Versöhnung führt, können wir mit dem Bösen leben, das wir tun und das uns wiederfährt, können wir aber auch und mehr noch,d em Bösen wiederstand leisten, wenn es nach uns greifen will. Dafür steht der Karfreitag. Gott sei Dank, dass er den Weg der Gnade suchte und nicht der Gewalt, der liebe, und nicht der Rache, der Versöhnung, und nicht der Vergeltung. Reden wir vom Karfreitag, dann tun wir, was als Kirche, als Christen, unser Auftrag ist: Lasst Euch versöhnen mit Gott, damit ihr versöhnt werdet miteinander. 

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