Freitag, 18. September 2015

Freiheit! Predigt zum 16. S. n. Trin., Apg 12,1-11, Kirmesgottesdienst Großenritte


 

12 1 Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln. 2 Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.

3 Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen. Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote. 4 Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen. 5 So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.

 6 Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. 7 Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.

Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!

 9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen. 10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel. 11 Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.


 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

Das ist es, wovon die Bibel erzählt: Von der Freiheit. Oder besser und genauer gesagt: Von der Befreiung!

 

Es war die Urerfahrung des Volkes Israels, des Volkes Gottes, dass er sie aus der Gefangenschaft in Ägypten führte. Als ihre Situation aussichtslos erschien, als die Last von Frondienst, Ausbeutung und Misshandlung das Übermaß erreicht hatte, da berief Gott den Mose, dass er sein Volk aus der Gefangenschaft führte. Es muss ein unglaubliches Bild gewesen sein: Zehntausende machten sich auf, nahmen das Nötigste und brachen auf, einfach so, und gingen. Gott hatte den Pharao, den ägyptischen König, so weit gebracht, dass er sie ziehen ließ. Gott hat sich als stärker erwiesen als die vermeintlichen Götter der Ägypter, er hat die Ägypter seine Macht spüren lassen, und so ließen sie das Volk Israel ziehen! Und es brach auf, ohne eigentlich genau zu wissen, wohin. Es brach auf, auf ein bloßes Wort des Mose hin, dass er sie in ein Land führen wird, in dem Milch und Honig fließen. Es war ein Flüchtlingstreck, wie ihn die Geschichte bis dahin noch nie gesehen hatte – wie sie ihn aber, wie wir wohl wissen, künftig immer wieder sehen wird. Dieses Ereignis sitzt im Gedächtnis des Volkes Gottes bis heute ganz tief, und jedes Jahr wird es aufs Neue gefeiert, wenn Israel das Fest der ungesäuerten Brote feiert, das Passahfest! Gott ist der Gott, der in die Freiheit führt, und wenn es auch, wie beim Volk Israel, vierzig Jahre dauern wird, am Ende steht die Freiheit, steht das neue Leben in Selbstbestimmung und ohne Unterdrückung!

Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat! Das ist der Satz, mit dem Gott sich seinem Volk künftig immer wieder vorstellen wird, Mit ihm leitet er die 10 Gebote ein, dieser Satz taucht immer auf, wenn Israel dabei ist, seinen Gott zu vergessen. „Gedenke, dass auch du ein Flüchtling warst aus dem Lande Ägypten und dass Du ein Fremdling warst in dem Land, dass ich dir gegeben habe, darum bedrücke den Fremden nicht, denn er ist ein Flüchtling wie du! wird dem Volk immer wieder eingebläut, wenn es dabei ist, zu vergessen, wer es ist und woher es kommt. Ich muss glaube ich, kein Wort dazu sagen, wie aktuell diese Worte sind. Aber was gehen sie uns an? Wir sind doch nicht Israel?

Oder doch?

Aber doch!

Denn wir sind die Erben, die geistlichen geschwisterlichen Erben dieses Volkes. Über Jesus Christus, den Juden, sind auch wir, sind alle Menschen berufen, Teil des Volkes Gottes zu sein und an seiner Erfahrung teilzuhaben! Denn hunderte Jahre nach dem Auszug aus Ägypten wird Gott wieder eine große Befreiungsaktion starten: Diesmal aber geht es um die Befreiung aus der Not von Sünde und Tod, von Dummheit, Hochmut, Trägheit und Gewalt, diesmal werden die Menschen, alle Menschen, in die Freiheit der Versöhnung und der Vergebung geführt. Durch Jesus Christus. Es ist kein Zufall, dass er genau an dem Fest starb, als Israel seiner Befreiung aus Ägypten gedachte, es ist kein Zufall, dass wir Ostern, das Fest der Auferstehung und der Befreiung vom Tode, zu gleichen Zeit feiern, wie die Juden ihr Passafest. Genau an diesem Tag vollführte Gott sein größtes Wunder, in dem er Jesus, den von den Menschen ermordeten Boten der Liebe und der Versöhnung, von den Toten erweckte und so allem Haß, aller Vergeltung, allen Wünschen nach Rache und Zurückzahlung ein für allemal einen Riegel vorschob: Wir feiern den Auszug aus der Sünde, aus der Schuld und aus dem Tode, das Ende von Rache und Gewalt, wenn wir Ostern feiern, wie Israel den Auszug aus dem Lande seiner Unterdrückung. Wir ziehen aus dem Land des Unfriedens in das Land der Versöhnung: Zur Freiheit hat uns Gott befreit, denn er will, dass wir freie Menschen sind. Und so ist es auch kein Zufall, dass die beiden Apostel, die beiden Boten Gottes, ihre Befreiung aus dem Gefängnis auch genau wieder am Passahfest erfahren, einige Jahre später: Sie waren in Gefangenschaft geraten, weil der König Herodes dem Drängen des Volkes nachgab, die Verkündiger des Gottessohnes und der fleischgewordenen Liebe einzusperren und am Ende, genau wie den Apostel Jakobus, umzubringen. Gott sprengt die Mauern des Gefängnisses, und auch wenn die ganze Geschichte ein bisschen märchenhaft und ein wenig im Stil von frommen Kitsch ausgeschmückt wird, ist ihre Botschaft völlig klar: Gott lässt seine Boten nicht in der Unfreiheit sitzen, er lässt die Mauern einstürzen. Er bricht aus der Mauer der Verzweiflung Steine der Hoffnung, wie es Martin Luther King so schön formulierte.

 

Das ist eine klare Botschaft, für uns alle. Die Freiheit ist unsere Sache, sie ist der Kern der christlichen Botschaft. Freiheit von der Angst, verloren, vergessen und verdammt zu sein, Freiheit von der Angst, zu kurz zu kommen und benachteiligt zu werden, Freiheit von der Angst überhaupt, und das meint immer auch: politische Freiheit, bürgerliche Freiheit, menschliche Freiheit. Denn die Angst ist die Wurzel allen Übels: Sie macht Menschen aggressiv, sie lähmt Menschen. Es ist unser Auftrag als Christen, die Botschaft von der Freiheit überall zu verkünden, das Virus der Freiheit allen Menschen in das Herz zu senken, damit Unterdrückung und Unrecht auf der Welt zu einem Ende kommen. „Virus“ klingt gefährlich, aber hier es ganz positiv gemeint: Ist der Gedanken der Freiheit einmal in der Welt, kann er nicht mehr hinausgeschafft werden! Zu groß ist unsere Liebe zur Freiheit, unsere Sehnsucht nach Freiheit! Gott ist bei den Gefangenen dieser Welt, um sie in die Freiheit zu führen, seien es Gefangene der Seele oder des Leibes: egal! Die Gefangenschaft soll aufhören, die Freiheit beginnen!

Eine Freiheit freilich, die uns auch verpflichtet. Wir sind als seine Botinnen und Boten in die Welt gesandt, diese Freiheit nun auch in die Welt zu bringen. Das war die große Erkenntnis Martin Luthers, der mit dieser Gewissheit im Herzen die Mauern der damaligen Kirche sprengte und die Menschen, uns, herausführte aus dem Gefängnis von frommer Angst und religiöser Bevormundung. Was Luther wiederentdeckte und uns allen schenkte, war diese Freiheit: Gott ist ein Gott, der in die Freiheit führt, kein Mensch darf in seinem Namen Unfreiheit verkünden oder auch nur bestehen lassen!

Und das ist eine politische Botschaft. Das ist nicht nur frommes Gerede. Das ist ganz konkret gemeint. Wir haben hier, in unsrem Land, als, wenn man so will, nachgeborene Kinder des Volkes Israels, als Kinder Gottes und Geschwister Jesu, ein hohes Maß an Freiheit politisch umgesetzt. Wenn es so etwas wie ein christliches Abendland überhaupt gibt, dann erkennt man es daran: an seiner Liebe zur Freiheit!

Die Menschenrechte, die uns so wichtig sind, sie sind ein Ergebnis dieses Glaubens, und so schenkt der Glauben auch den Menschen Freiheit, die selber gar keinen Glauben haben und denen Gott herzlich egal ist: Sie ist unser, Sie ist Gottes Geschenk an die Welt. Freiheit kann nur Freiheit für alle sein! Die Freiheit, in der wir leben können hier in Deutschland, hier in Europa, ist die Freiheit der Kinder Gottes. Und wir sollten alles dafür tun, dass diese Freiheit nicht Gefahr gerät. Keine Schreier von Rechts und keine Chaoten von Links, keine furchtsamen Bedenkenträger aus der Mitte und keine Geschäftemacher aus der Welt der Gier, keine Hassprediger im Namen irgendeiner Religion oder einer Ideologie dürfen uns in einen Staat und in eine Gesellschaft führen, wo diese Freiheit in Gefahr gerät. Die Freiheit, in die Gott uns führt, ist auch die Freiheit des Gedankens und die Freiheit der Wahl, sein Leben zu führen in Verantwortung und Nächstenliebe. Freiheit verpflichtet: sie muss immer neu errungen und gestaltet werden, denn Trägheit und Hochmut lassen uns schnell vergessen, wie kostbar sie und gaukeln uns vor, Unfreiheit wäre bequemer. Freiheit geht auch nicht ohne Regeln, ohne Recht und Gesetz: An den Verkehrsregeln könne wir lernen und begreifen, dass wir genau dann frei sein können von Angst, wenn sich alle an die Regeln halten – nicht um der Regeln willen, sondern um der anderen willen! Die Apostel, die da aus dem Gefängnis geholt wurden, machten sich sofort auf den Weg, von der Freiheit zu predigen: sie wurden nicht nur befreit, sie wurden auch in den Dienst genommen! Ja, der Strom der Flüchtlinge, er jetzt über uns hereinbricht, hat auch etwas Bedrohliches und Beängstigendes, ja, es ist eine ungeheure Aufgabe, die da auf uns zu kommt, ja, es ist eine politische Herausforderung, wie wir sie aber doch alle paar Jahrzehnte immer wieder erleben: ich nenne nur 1945, 1989; und wer tiefer in die Geschichte blickt wird sehen: Europa war immer in Bewegung, die Suche nach Freiheit war immer ein starker Impuls! Menschen kommen zu uns, weil sie den Ruf der Freiheit gehört haben – und zwar einer ganz konkreten Freiheit: der Freiheit von nackter Überlebensangst. Wir werden diese Träume nicht alle erfüllen können. Wir werden nicht alle Probleme lösen können. Aber wir sollten allen, die zu uns kommen, zeigen, dass die Freiheit ein hohes Gut ist: das gilt auch für die, die kommen, um die Freiheit in Gefahr zu bringen. Wir werden sie nur überzeugen, wenn wir ihnen die Freiheit so schmackhaft machen, dass ihre Gewalt ins Leere läuft. Die wahren Feinde Gottes sind nicht die Ungläubigen, denn das sind wir irgendwie alle, die wahren Feinde Gottes sind immer die, die Freiheit in Gefahr bringen, am schlimmsten die, die das im Namen Gottes tun. Wer wüsste das besser als wir, die wir in einer Freiheit leben, wie sie die Weltgeschichte noch kaum gesehen hat. Wir sind doch in den letzten Jahrhunderten wahrhaftig aus vielen Gefängnissen von Unfreiheit und Bevormundung geführt worden, und wir als Christen sehen darin doch die Hand Gottes am Werk, der beharrlich die Freiheit in der Welt durchsetzen will. Da dürfen wir als Christenmenschen nicht locker lassen. Wir leben in Freiheit und Wohlstand, wie noch nie Menschen in Freiheit und Wohlstand gelebt haben. Und wenn wir heute Kirmes feiern, in Sicherheit, im Überfluss, im Frieden, dann ist das doch auch eine Feier der Freiheit, eine Feier der Befreiung, der Dankbarkeit und der schieren Freude am Leben. Aber wir feiern auch in einem Zelt: noch mehr Symbolik geht nicht. Ein Zelt ist ein Symbol für die letzte Unbehaustheit, die für uns alle gilt – wir feiern so gerne in Zelten, weil wir dann wieder zurückgehen können in unsere festen Häuser! Wir sind hier freiwillig und genießen unsere Freiheit: das ist wahrlich ein Grund zum Feiern!

Lasst uns alles dafür tun, dass so viele Menschen wie möglich daran teilhaben können, lasst uns alles dafür tun, dass die Freiheit in der Welt einen Raum gewinnt: und wenn es auch Opfer kostet, so haben wir davon doch vielfachen Gewinn: 40 Jahre wanderte das Volk durch die Wüste, das war kein Zuckerschlecken. Jesus starb für die Freiheit am Kreuz: das war doch ein großes Elend. die Boten der Liebe saßen im Gefängnis, erfuhren Verfolgung, Spott und Bedrängnis: das war kein leichtes Leben. Die Freiheit ist nichts für Weicheier! Aber am Ende stand die Freiheit, am Ende stand das Leben ohne Fesseln, am Ende stand der Sieg der Macht Gottes, die keine andere ist, als die Liebe. Die lasst uns heute feiern, dafür lasst uns Gott loben und preisen, und dafür lasst uns beten: Dass er uns Kraft gibt, die Freiheit zu wahren und auf ihn und seine Kraft, die Mauern zertrümmert und Fesseln sprengt, zu vertrauen. Das Volk Gottes, Israel und mit ihm wir, die wir auf Jesus Christus getauft sind, sind gut damit gefahren: Lasst auch andere in diesen Genuss kommen und uns nicht müde werden, Wege aus der Wüste und den selbstgemachten Gefängnissen zu finden. Gott geht voran: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!

 

Amen

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