Dienstag, 27. Oktober 2015

Predigt zur Gnaden- und Diamantenen Konfirmation Großenritte 2015


Liebe Jubelkonfirmanden, liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

1945. 1955. Man muss sich diese Jahreszahlen einmal auf der Zunge zergehen lassen, um ihnen ab zu spüren, was sie bedeuten. Die Termine Eurer Konfirmation sind fast ein Leben weit von uns entfernt.

Aber auch voneinander sind sie weit entfernt. Es sind ja nur 10 Jahre. Aber was für 10 Jahre! 1945 fand die Konfirmation unter dem Donner der Flakkanonen statt, die Amerikaner standen vor der Tür. Deutschland lag in Trümmern, nur wenige Kilometer von hier war Kassel eine entsetzliche Steinwüste. Ich kann mir die Stimmung gar nicht vorstellen. Und schon gar nicht kann ich mir vorstellen, wie 14jährige das erlebt haben. Was gab es wohl für Geschenke, wenn überhaupt? Ein paar Strümpfe? Eine neue Jacke, aus einer Uniformjacke oder einen Rock aus Fallschirmseide? Auf jeden Fall, so habe ich mir erzählen lassen, für die Jungen einen Hut.

1955: Die Besatzungszeit endet offiziell, Deutschland wird Mitglied der Nato. Der Wiederaufbau ist so in Fahr gekommen, dass die ersten Boten des künftigen Wohlstandes zu erkenne sind. Der Marshallplan hat gegriffen. Deutschland hat wieder eine Zukunft. In Kassel ist die neue Stadt schon deutlich zu erkennen. Erst Pläne zur Ansiedlung des VW-Werkes werden bekannt. Es beginnt ein Aufschwung, wie ihn die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat. Zugleich ist Deutschland ein geteiltes Land, ja die ganze Welt ist geteilt. Auch hier geht es mir so: ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sich das für 14 jährige angefühlt haben mag. Was gab es für Geschenke? Schon mehr als 1945? Gab es vielleicht sogar schon Geld? Aber immer noch war die Konfirmation für die meisten von Euch der Anfang des Erwachsenenlebens, der Einstieg in die Ausbildung, in den Beruf.

Die Konfirmanden von 1945 sind inzwischen junge Menschen, in Arbeit und Brot, verheiratet, die einen oder anderen vielleicht schon verheiratet, haben Kinder. Ich bin 5 Jahre später geboren!

Die Welt hat sich atemberaubend verändert in diesen 10 Jahren.

 

Und dann erst!

2015. Wir leben in einem Wohlstand, der, von 1945 und 1955 aus gesehen, unbegreiflich ist. Die Welt ist nicht mehr in Blöcke aufgeteilt, wir feiern gerade 25 Jahre deutsche Einheit. Die elektronische Revolution mit Computer, Smartphone und Tablett hat unsere Welt so verändert, das ältere Menschen  - und da zähle ich mich unter diesem Gesichtspunkt schon dazu – kaum noch mitkommen. Die Welt ist nach einer Phase der Ruhe von fast 50 Jahren wieder in Bewegung geraten, die Flüchtlingsströme fordern uns heraus. Die VW-Krise trifft uns hart, wenn auch vielleicht nicht direkt, aber auf jeden Fall als ein großer Schrecken und eine tiefe Verunsicherung und Kränkung. Und zugleich erlebt Ihr Euer Alter, wie es das auch noch nicht gegeben hat: Nie waren Menschen über 60 aufs Ganze gesehen so fit, gesund und gut versorgt.

So könnte ich jetzt noch stundenlang weiterreden, und ich denke, dazu werdet ihr heute noch Gelegenheit haben: Das ist ja der Sinn einer solchen Veranstaltung. Doch wir feiern ja heute einen ganz besonderen Jahrestag, und darauf möchte ich mich konzentrieren. Die Konfirmation war und ist ja so etwas wie der Abschluss der Erziehung im christlichen Glauben, ist die Entlassung in die Eigenverantwortlichkeit. Ihr habt einen Segen bekommen, der für das ganze Leben reichen soll.

Ein Segen meint: Ihr werdet ausgestattet mit der Kraft Gottes, Euer Leben zu bewältigen. So mag der Tag heute und der Gottesdienst jetzt auch eine Gelegenheit sein, einmal zu fragen: Wo und wie habe ich diesen Segen gespürt? Wo habe ich die Erfahrung gemacht, dass Gott mit mir war, wo fühlte ich mich alleingelassen?

Ihr findet auf Eurer Urkunde, die ihr gleich bekommen werdet, den Wochenspruch, den ich für Euch ausgewählt habe. Denn er bringt ganz wunderbar und ganz einfach auf den Begriff, worum es im Glauben geht. Es ist ein Gebet, es ist eine Bitte an Gott:  Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.

Der Prophet Jeremia sagt diese Worte. Und er sagt sie in einem Moment, in dem sein Glaube gerade nicht stark war, wo es ihm gerade nicht gut geht, im Gegenteil: Er ist wegen seiner Botschaft, dier er in Gottes Auftrag zu verkündigen hat, in enorme Schwierigkeiten geraten, ja er ist sogar mit dem Tod bedroht. Jeremia betet, weil er Angst hat, weil sein Glaube schwach und angefochten ist. Jeremia betet, weil er aber dennoch glaubt und hofft, dass Gott ihm beisteht. Heile Du mich Herr, dann werde ich heil.

Heil sein meint: Mit sich selbst im Einklang leben. Heil sein bedeutet, geheilt sein von Egoismus, von der kleinlichen Angst, heil sein bedeutet: Mit sich und der Welt versöhnt sein. Denn nur dann kann man wirklich gut leben.

Wir haben in den vergangenen Jahren vielleicht doch zu sehr das Heil mit dem Wohl verwechselt. Wir haben, und gerad Eure Generation! mit einer ungeheuren Energie großen Reichtum und Wohlstand geschaffen. gerade Ihr wahrt es, die diesen Staat und diese Gesellschaft aufgebaut habt. Dafür sind wir Nachgeborenen Euch zutiefst zu Dank verpflichtet

Doch es zeigt sich auch ein Schatten des Wohlstandes, er hat auch eine dunkle und finstere Seite. Er macht bequem, er macht faul, er kann dazu führen, dass alles für selbstverständlich genommen wird. Wer sein Leben nur auf das Wohl setzt, wer nur nach Reichtum, Erfolg, Schönheit fragt, wird, sobal es schwierig wird, ängstlich werden, und aus der Angst heraus aggressiv und wütend. Wir erleben das gerade. Die Menschen kommen zu uns, weil es uns gutgeht, weil wir, aus ihrer Sicht in einem absolut unbegreiflichen Reichtum und vor allem: in Sicherheit leben. Und jetzt macht sich die Angst breit, dass es nicht für alle reichen könnte. Aber anstatt in Ruhe nachzudenken und zu überlegen, wie wir das in den Griff kriegen könnten, macht sich allenthalben ein Geschrei breit, und es kommt sogar zur Gewalt, was immer verachtenswert ist. Gerade Eure Generation hat es geschafft und erlebt, aus Trümmer, ja fast aus dem Nichts heraus alles das aufzubauen, was wir heute haben. Sollte es uns nicht gelingen, das noch einmal zu schaffen? Die Wiedervereinigung haben wir doch auch hinbekommen: gegen alle Unkenrufe brummt unsere Wirtschaft wie noch nie. Aber: sind die Herzen mitgekommen? Sind unsere Seelen mitgekommen? Fragen wir außer nach unserem Wohl auch nach unserem Heil? Der Glaube will uns dahin führen, gelassen zu werden und das Leben dankbar aus Gottes Hand zu nehmen, der glauben will uns dahin führen, dass wir aus dem Segen leben, den Gott über uns ausgeschüttet hat. Darum konfirmieren wir junge Menschen, um ihnen etwas mitzugeben, was sie sich eben nicht selbst geben können, um sie mit etwas auszustatten, mit dem sich Menschen eben nicht ausstatten können: Mit Heil!

Daran möchte ich Euch Erinnern. Ich möchte Euch ermutigen und ermuntern, heute die Frage nach dem Glauben, nach Eurem Glauben, noch einmal zu stellen, die Spuren Gottes in eurem Leben zu suchen und zu finden. Ich möchte euch noch einmal an die Kraft Gottes erinnern, die immer eine Kraft zum Guten ist, eine Kraft zum Heil. Wir werden den Segen gleich noch einmal hören. Nicht, weil der Segen schwach geworden ist oder gar erloschen. Er gilt für immer. Aber unser Gedächtnis, unsere Erinnerung ist schwach: die muss immer wieder aufgefrischt werden. Und vielleicht war für den einen oder andere von Euch der Glaube auf der weiten Strecke Eures Lebens gar nicht so wichtig, weil die Sorgen und Aufgaben des Alltags so groß waren. Vielleicht sind einige von Euch auf dem Weg bis hierher, wie der Prophet Jeremia, an Gott und der Welt auch wenig irre geworden oder gar verzweifelt. Dann möchte ich euch Mut machen, es wieder zu probieren, die Kraft des Gebets neue zu erfahren. Vielleicht war für einige von Euch der Glaube, das feste Vertrauen auf Gott, ein Leben lang ein starker und guter Begleiter, der euch auch in den dunkelsten Stunden Licht und Kraft gegeben hat: Dann seid dankbar dafür, dann erzählt Euren Enkeln und Kindern davon, den vom Erzählen lebt der Glaube.

Wie immer es war, wie immer es sein wird: Wir leben unter Gottes Segen und wir können immer zu ihm kommen mit der Bitte:

Jer 17,4 Heile du mich, HERR, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen; denn du bist mein Ruhm.

Denn aller Wohlstand hat nur Kraft und Bedeutung, wenn er eingewoben ist in das Heil, das uns zu ganzen Menschen macht.

Das wünsche ich Euch an diesem bewegenden Tag, das wünsche ich uns. Gott ist mit uns alle Tage, bis an der Welt Ende, wie es uns in unserer Taufe zugesagt hat und wie er es uns in der Feier des Abendmahl schmecken und spüren lässt. Ich wünsche Euch einen gesegneten Tag voller starker Erinnerungen und uns einen Gemeinschaft voller Heil, voller Frieden und Freude.

Amen.

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