Sonntag, 16. November 2014

Predigt zum Buß- und Bettag. Da kommt noch was! Lk 13,6-9

Predigt zum Buß- und Bettag, in Aufnahme unserer Kampagne: Da kommt noch was !
www.busstag.de

Lk 13,6-9

Das Gleichnis vom Feigenbaum

6 Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und [a]suchte Frucht darauf und fand keine.

 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge;

9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.

 

Lass ihn noch dieses Jahr! das ist die Bitte des Weingärtners an den Besitzer des Baumes. Da kommt noch was: gib ihm eine Chance!

Der Kreatur eine Chance geben, weil da noch etwas kommt. Besser kann man kaum auf den Begriff bringen, worum es dem christlichen Glauben geht. Wer nur an den Profit denkt, wer nur an das Ergebnis denkt, so wie der Weinbergbesitzer, der verfehlt das Leben und wir zum Unmenschen. Wir Menschen sind vernunftbegabte Wesen, und ein wesentliches Merkmal der Vernunft ist es, in die Zukunft denken zu können. Die Forschung am Menschen zeigt immer deutlicher, dass das wahrscheinlich sogar die Quelle unserer Intelligenz ist. Der aufrechtstehende Affe mit den beiden Augen, die räumlich sehen können, sieht den Horizont und kann abschätzen, was da kommt. Aber er sieht nicht, was hinter dem Horizont ist. Kommt da noch was? Es war immer eine der großen Triebfedern des Menschen, es ist der Schlüssel zu unserem Fortschritt, dass wir wissen wollen, was hinter dem Horizont ist. Alle großen Entdeckungen waren Horizontüberschreitungen. Natürlich denken wir dabei sofort an Columbus, der geradezu das Symbol dafür geworden ist. Oder an die Mondlandung oder an Rosetta und Philea, die auf dem Kometen gelandet sind. Doch auch in das Winzigkleine wurden Horizonte überschritten: Mit dem Mikroskop, mit den Teilchenbeschleunigern tauchen wir tief in eine Welt ein, die weit jenseits unseres natürlichen Horizontes liegt. Und die erstaunlichste aller Entdeckungen dabei ist: es kommt immer noch etwas! Als Max Planck, der berühmte deutsche Physiker, sich ungefähr 1870 der theoretischen Physik zuwandte, rieten ihm, so erzählt eine Anekdote, seine Lehrer ab: da gäbe es nichts mehr zu forschen, die Physik wisse im Grunde schon alles. Ein großer Irrtum, wie sich zeigen sollte. Max Planck und Albert Einstein sorgten mit der Quantentheorie und der allgemeinen Relativitätztheorie 1905 dafür, dass die Physik als Wissenschaft überhaupt erst richtig Fahrt aufnahm und heute zur bestimmenden Wissenschaft für unser gesamtes Leben geworden ist: kein Computer, keine Krebstheapie ohne Planck, keine Raumfahrt ohne Einstein. Wenn der Feigenbaum keine Frucht mehr trägt, hau ihn ab? Das ist nicht nur dumm, das ist vor allem ungnädig

Denn wir Menschen überschreiten auch noch ganz andere Horizonte. Der Mensch kann lieben. In der Liebe überschreiten wir den Horizont unseres engen und selbstbezogenen Ichs und starten zum größten Abenteuer, zu dem wir Menschen überhaupt in der Lage sind: Die Erkundung des anderen Menschen. Und wie bei jeder Entdeckungsreise ist das nicht ungefährlich. Wer lieben will, muss mutig sein. Wer lieben will, muss leidensfähig und geduldig sein. Wer leiben will, muss offen sein und innerlich beweglich. Wer lieben will, muss eine Vision davon haben, wie die Liebe sein soll. Wer lieben will, muss vor allem bereit sein, sich lieben zu lassen, dafür brauchts besonders viel Mut. Denn in der Liebe treffen die Horizonte aufeinander, ganze Welten, ganze Universen verschmelzen: denn kein Land ist so weit weg, keine Sonne und kein Stern so fern, wie der andere Mensch; und keinem Land, keinem Stern und keinem Atom können wir so nahe kommen, wie dem anderen Menschen. Von allen Abenteuern ist die Liebe das größte. Bei ihr heißt es immer: da kommt noch was. Wer in der Liebe auf halbem Wege kehrt macht, bringt sich um tiefe Erfahrungen, bringt sich um das, was wir das Glück nennen. Den Feigenbaum umhauen, wenn er einmal keine Frucht bringt? Kurzen Prozess machen? Wie töricht, wie ungnädig und wie dumm. Gib der Liebe eine Chance! Das ist die Botschaft. Und das ist eine zutiefst religiöse Botschaft. Denn dass es hinter dem Horizont des Menschen noch weitergeht, wissen wir von Gott. Das ist die tiefste Erfahrung Gottes, die wir machen können: wenn sich der Horizont öffnet. Darum ist genau das die Grunderfahrung des Glaubens: Hinter dem Horizont geht es weiter, da kommt noch etwas. Der Glaube, unser Glaube, weiß das aus der Erfahrung, die Menschen mit Jesus gemacht haben. Der überschritt alle Horizonte und öffnete uns eine Weite des Lebens, von der wir vorher nichts wussten. Wir Menschen kennen nur den kurzen Prozess: hau den Baum um! Wir kennen nur den Tod. Gott aber kennt die zweite Chance: lass ihn stehen. Gott kennt uns will das Leben So haben es die Menschen erlebt. Als Jesus tot war, war er hinter dem Horizont verschwunden. Aber er riss den Horizont auf. Wie die Sonne am Morgen wiederkommt, war er wieder da, strahlender und kraftvoller als vorher: seine Kraft reicht bis zu uns, und der Glaube spürt es: seine Kraft reicht bis in Ewigkeit. Darum spricht der Glaube von der Zukunft in so kraftvollen, strahlenden und mutigen Bildern: vom himmlischen Jerusalem haben wir gehört, von der zukünftigen Stadt, die ein Ort des glücklichen Leben sein wird.

Das sind mutige Bilder. Es sind Bilder der Hoffnung und des Vertrauens. Als Columbus aufbrach, hatte er eine Vorstellung davon, wohin er will, er hatte ein inneres Bild davon, was hinter dem Horizont kommt. Er wollte nach Indien! Er hatte sich vollständig geirrt: er traf auf Amerika. Was er fand, was viel größer als das, was er sich hat träumen lassen: bunter, reicher, weiter. Er entdeckte nicht nur neues Land, er entdeckte eine neue Welt. Als Max Planck anfing Physik zu studieren, hatte er eine Ahnung davon, dass es noch mehr Geheimnisse zu finden gibt, als die Physik seiner Zeit meinte. Auch er hatte sich geirrt darüber, was er finden könnte. Was er fand, war noch viel größer als alles, was er sich hätte träumen lassen. Und wenn die jungen Menschen die Liebe entdecken, haben sie auch Wünsche und Träume, Sehnsüchte und Verheißungen. Sie werden etwas ganz anders entdecken, als sie erwarten: Und es wird auch größer, bunter und atemberaubender sein, als sie ahnen.

Aber immer ist es ein Aufbruch: und Aufbrüche machen uns Angst. Es ist die Angst vor Veränderungen, die Angst, unterwegs verloren zu gehen. Hätte Columbus Angst gehabt, wäre er ein kleiner Handelskapitän geblieben, oder vielleicht ein Pirat geworden. Hätte sich Max Planck von seinen Lehrern einschüchtern lassen, wäre er sicher ein erfolgreicher, aber unendlich langweiliger Physikprofessor geworden, der nur nachkaute, was alle längst wussten. Wäre Jesus nicht bereit gewesen, hinter den Horizont des Todes zu gehen, wären unser Glauben immer noch eine Mischung aus Magie und Aberglauben, langweilige und kleingeistige Religion. Weil er aber hinter den Horizont ging, wurde der Glaube eine Kraft der Hoffnung, eine Kraft der Veränderung. Hau den Baum nicht ab, nur weil er keine Früchte trägt. Gib ihm eine Chance und entdecke, was er dir bedeutet! Gib der Liebe eine Chance.

Buße ist ein altmodisches Wort, und wir hören es gar nicht gerne. Weil es auch mit Angst besetzt ist. Denn Buße meint: Umkehr! Da denken viele: Aha, ich muss mein Leben ändern, weil es schlecht ist.

Aber so geht das nicht. So kann man Menschen nicht zur Hoffnung führen. Das ist ein krasses Missverständnis. Das ist schlechte Theologe für Angsthasen und Religion für Furchtsame, die meinen, dass nur die Angst uns ändern kann.

Nein, der Glauben macht uns eine Hoffnung. Er will uns in Bewegung bringen, indem er uns zeigt, was hinter dem Horizont ist. Er will uns Mut machen, aufzubrechen. Das Wort "Aufbrechen" hat ja im Deutschen einen schönen Doppelsinn. Der Glaube will alte, falsche, festgefahrene Vorstellungen aufbrechen, die uns vorgaukeln, unser Leben wäre eine Sackgasse. Und gleichzeitig will er, dass wir aufbrechen, indem wir mit den alten Vorstellungen brechen. In Märchen von den Bremer Stadtmusikanten wird von dem Esel erzählt, der alt und müde geworden ist und nicht mehr arbeiten kann. Er soll zum Abdecker. Doch das lässt er sich nicht gefallen: er büxt aus, er bricht auf, der alte Esel fängt er ein neues Leben an. Und er reisst den alten, halbblinden Kater, den alten, dürre gewordenen Hahn und den zahnlosen, traurigen Hund mit in sein neues Leben. Und wisst ihr noch, mit welchem Satz er das tut, was er den anderen Tieren sagt und womit er sie in Bewegung bringt: "Kommt", sagt er, "etwas besseres als den Tod werden wir überall finden".

Das, meine Leiben, ist mit Buße gemeint. Die schlichte Einsicht: etwas besseres als den Tod werden wir überall finden.

Alles andere folgt daraus. Auch Feigenbäume, die keine Frucht mehr bringen, haben noch eine Chance. Und sei es, dass sie uns Schatten spenden, und sei es, dass uns ihr bloßes Dasein erfreut. Denn hinter dem Horizont geht es weiter, und unser Leben ist keine Sackgasse. Gebt der Liebe eine Chance.

Dafür steht Gott.

Amen.

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