Sonntag, 30. März 2014

Predigt 30. März 2014, Lätare. Die Bilder und das Weizenkorn.Joh 12, 24



 Predigt über den Wochenspruch anläßlich der Eröffnung der Ausstellung der Tafelserie "Kreuzweg" von W. A. Friedrich in der Kreuzkirche Großenritte, siehe vorherigen Blogeintrag.


Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Johannes 12,24


Liebe Gemeinde,
Schwestern und Brüder im Herrn.

Der Glaube kommt aus dem Hören:  Denn er ist eine getroste Hoffnung auf das, was man nicht sieht. Das Eigentliche des Glaubens ist unsichtbar. Und darum lebt der Glaube vom Erzählen, von der Erinnerung, von der Weitergabe von Mund zu Mund. Es geht um Vertrauen, um Hingabe, um Trost. Das alles fassen wir zusammen, wenn wir sagen: es geht um „Gottes Wort“. Der Glaube spricht, weil Gott zu uns gesprochen hat und durch die Heilige Schrift und die Predigt immer noch spricht. Wobei „Predigt“ eben das meint: Die Weitergabe des Glaubens. Die gottesdienstliche Predigt ist nur eine Form davon. Auch wenn ihr Euren Kindern von Gott erzählt, ist das Predigt, also Verkündigung. Und das heißt: Erzählen!
Erzählen aber bedeutet: innere Bilder finden. Das ist ja fast schon ein magischer Vorgang: Aus bloßen Worten formen sich in uns Bilder, selbst von Sachen, die wir noch nie gesehen haben. Das macht Lesen und Geschichtenhören so spannend. Sie ziehen uns hinein. Und zwar immer und immer wieder. Ich war nie Wohlhynien. Ich kenne Novo Racoczyzne nicht, der Ort, aus dem mein Großvater stammt. Und dennoch ist mir die weite, sandige, hügelige Ebene mit den Kreidesteinklumpen vertraut. Täglich sprachen meine Großeltern davon. Mein Kopf ist voller Menschen, die ich nie gesehen habe und voll von einer Landschaft, die ich nicht kenne. Sie ist eine innere Heimat, allein durch die Kraft des Erzählens. Photos gibt es nur eines.
Auch der Glaube hat solche Bilder. Er lebt von diesen Bildern. Wir wandern mit Israel durch die Wüste, Feuersäule und Wolkensäule vorneweg. Seht ihr sie? Wir stehen mit  Baruch, dem Freund des Jeremia, vor dem König von Iuda und lesen ihm aus einer Schriftrolle vor, was Gott von ihm will. Wütend schneidet der König Kapitel um Kapitel von der Schriftrolle ab und schmeisst es ins Feuer.
Seht Ihr die Szene?
Wir ziehen mit David in den Kampf gegen Goliath: Mit der Steinschleuder direkt in die Stirn. Wir sehen Goliath vor uns. Und ich will gar nicht wissen, wessen Gesicht ihr das seht. Es ist ein Zauber um diese Bilder, die entstehen, wenn wir Geschichten hören!
Sofort habt ihr Bilder im Kopf. Und die prägen sich ein. Oder es fallen Euch Bilder davon ein, die schon gesehen habt. Jesus mit der Dornenkrone. Maria an der Krippe. Jesus mit seinen Jüngern, wie sie das letzte Abendmahl feiern – wer sieht nicht das Bild von Leonardo da Vinci? Jesus am Kreuz. Unser Kopf ist voller Bilder. Selbst wenn das Wort „Gott“ fällt, haben wir ein Bild, eine Vorstellung. Eine abstrakte der eine, eine kindliche der andere. Ich habe mich soviel mit Theologie befasst, weil es mein Beruf ist, und das bleibt nicht ohne Folgen: Ich sehe, wenn ich das Wort Gott höre, einen leuchtenden, pyramidenförmigen, blauen Kristall, in dem leuchtend rote Fäden der Liebe umeinander kreisen: ein ganz abstraktes Bild. Aber keine Sorge: ich sehe auch, wenn ich die Geschichte vom Paradies höre, den älteren Herren, der abends in der kühlen Luft spazieren geht und sich fragt, was seine Geschöpfe so treiben. Das ist kein Widerspruch. Das sind innere Bilder, die mir helfen, zu verstehen, was ich glaube.
Die Bibel verbietet aber doch Bilder, heißt es. Heißt es nicht: Du sollst Dir kein Bildnis machen? Ja, heißt es. Aber damit sind Götzenbilder gemeint. Betet sie nicht an. Fallt nicht vor ihnen auf die Knie. Dahinter steht ein wichtiger Gedanken: Wir sollen die Bilder nicht mit der Wirklichkeit verwechseln. Der Prophet Jesaja macht sich darüber lustig: Sie fällen einen Baum, die eine Hälfte brauchen sie zum Feuermachen und Suppekochen, die andere schnitzen sie zu einem Gott, malen ihn bunt an und fallen vor ihm auf die Knie. Wie dumm ist das! Wir dürfen die Bilder nicht mit der Wirklichkeit verwechseln. Was für ein moderner Gedanke, im Grunde. Wie viele Menschen verwechseln die Bildern, die sie ihm Fernsehen, im Internet oder in der Zeitung sehen, mit der Wirklichkeit. Die Mediengesellschaft lebt davon, dass wir den Bildern all zu schnell glauben. Davor warnt uns das Gebot. Betet sie nicht an. Verwechselt nicht Bild und Sache.
Und wie gefährlich ist das. Und wie dumm!
Die Bilder reden nämlich nicht von selbst. Wir brauchen für die Bilder einen Schlüssel. Und dieser Schlüssel ist das Wort, das zum Bild immer dazu kommen muss: Die Geschichte, die wir erzählen. Da können wir fragen. Da können wir der Wahrheit redend auf den Grund gehen.
Darum erzählt der Glaube Geschichten.
Glaube ohne Bilder ist blind. Glaube ohne Geschichten ist leer.
Und darum gibt es für den Glauben noch eine ganz besondere Sorte von Bildern. Es sind Bilder, die selber eine ganz Geschichte erzählen. Oder die uns sofort an einen wichtigen Gedanken erinnern. Oder die uns einen Gedanken vor Augen führen, damit wir ihn besser verstehen. Es sind Bilder, die wie ein Suppenwürfel aufgelöst werden müssen.
Wir sehen das Kreuz, wie es uns überall im Alltag begegnet und denken an Jesus Christus, alles, was wir über ihn wissen, fällt uns sein, uns selbst wenn wir gar nichts über ihn wissen, weil das Wissen verschüttet ist oder nie wirklich da war: Das Kreuz erzählt die ganze Geschichte.
Solche Bilder braucht der Glauben. Wir nennen sie Symbole. Sie sind für uns lebenswichtig, denn sie erhalten die Erinnerung wach an das, was uns wichtig und heilig ist. Symbole sind die wichtigsten Bilder des Glaubens. Denn sie helfen uns zu verstehen und zu erinnern, was man eigentlich gar nicht in Bildern ausdrücken kann. Denn der Glaube spricht ja auch von der Hoffnung. Der Glaube spricht ja auch von der Zukunft. Dafür haben wir gar keine Bilder! Und noch etwas können Symbole: Sie können ganz komplizierte, ganz schwierige Dinge einfach ausdrücken und sichtbar machen.

Das Kreuz Jesu: das ist ja nicht einfach nur eine Geschichte. Das ist ja noch mehr. Das will uns trösten. Wir erkennen im Kreuz Jesu ja auch unser eigenes Kreuz. Wir erkennen uns wieder, und manchmal sagen wir es ja auch so: jeder hat sein Kreuz zu tragen. Wir verstehen sofort, was gemeint ist. Symbole sind Bilder, die Geschichten erzählen. Der Künstler W. A. Friedrich malt mit Symbolen. Wir stehen vor seinen Bildern, und sehen die Dornenkrone: Symbol für Folter, Spott und Schmerz. Fragt Dich jetzt einer: Was bedeutet das? Dann kannst Du es ihm erklären. Besser aber: die erzählst ihm die Geschichte. Und wenn Du sie nicht kennst: Sie steht in der Bibel. Und wenn Du sie nicht verstehst, dann frage erfahrene Christen. Oder mich. Dafür bin ich da.
Du siehst die Lilie. Du weist, wo du schon Lilien gesehen hast: Auf Särgen, auf Gräbern. Aber auch die Jungfrau Maria hat auf vielen Bildern eine Lilie in der Hand. Weiß ist sie, und wunderschön. Symbol für Leben und Unschuld.
Der Ölzweig: Kennst Du die Geschichte? Die Geschichte von Noah, der eine Taube aussandte nach der verheerenden Sintflut und sie kehrte zurück, einen Ölzweig im Schnabel: Das Ende von Gottes Zorn. Neuer Frieden für die Schöpfung. Das ganze aber hinter Gittern. Das Gefängnis von Angst und Schuld. Dahinter das Kreuz. Lauter Symbole, lauter einzelne Bilder, die doch ein ganzes Bild ergeben: wir verstehen, worauf es hinaus will. Unschuld und Versöhnung, gefangen in der Sünde, vereinigt durch das Kreuz. Wie kompliziert das klingt, wenn ich es erkläre. Aber schauen wir auf das Bild, verstehen wir. Stundenlang könnte ich noch reden nur über dieses eine Bild. Symbole sind unerschöpflich. Es sind die Bilder des Glaubens.
Es gibt aber auch erzählte Symbole. Die nennen wir: Gleichnisse. Sie sind noch wichtiger. Denn die Gleichnisse geben uns etwas zu verstehen, was gar nicht kennen. Sie erzählen uns etwas Neues, Unerhörtes, sie erzählen uns etwas, was uns über unserer Erfahrung hinausführt. Darum erzählt Jesus Gleichnisgeschichten. Denn Jesus will uns erzählen vom Reich Gottes: das kennt doch niemand. Jesus will uns erzählen von der Gnade: die kennt doch niemand. Was ist Auferstehung? Warum sterben wir? Was wird aus uns? Schwere Fragen. Bedrängende Fragen. Und die Antwort?
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“
Was für ein einfaches Bild. Das versteht jedes Kind.
Und was für eine ungeheure Sache. In diesem einen Satz, in diesem einfachen Bild, das jeder sofort versteht, erklärt er uns, warum er sterben muss, welchen Sinn sein Leiden hat und welch ungeheure Kraft Gott hat, neues leben zu wecken. Eines muss man freilich wissen dafür: Für die Alten war das Wachstum des Halms aus dem Korn ein unbegreifliches Wunder. Sie konnte es sich nur so vorstellen, dass Gott hier am Werk ist. Wir sagen ja heute: Es wächst aus dem heraus, was im Weizenkorn angelegt ist. Wir würden ja sagen: Das Bild ist total schief. Das ist doch keine Auferstehung, was da im Acker geschieht.  Das ist doch ein natürlicher Vorgang. So kann doch Auferstehung nicht funktionieren. Sei kann doch kein natürlicher Vorgang sein!
Richtig, das ist so. Darum sagt Jesus ja auch: Wenn dass Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt. Hier merken wir, dass er etwas sagen will, was über unsere Erfahrung hinausgeht und uns einen neuen Blick auf das Altbekannte beibringen will. Und dann denke noch einen Moment länger darüber nach: dann siehst Du es doch, das ungeheure Wunder, das im Wachstum des Weizenkorns steckt. Du verstehst es neu. Die Natur wird zum Gleichnis:  Aus der dunklen, kalten Erde kommt der Keim des Neuen. Hier ist Gottes Kraft am Werke. Und so wird seine Kraft auf am Werke sein, wenn Du in die dunkle Kalte Erde gelegt wirst. Aus deiner Asche wird er neues Formen, so groß ist die Kraft Gottes.
Und so stark ist das Symbol vom Weizenkorn. Darum hat W.A. Friedrich auf seine Ostertafeln, die heute noch mit dem Rücken zu uns stehen. Vögel und Blumen gemalt. Wir verstehen im Lichte des Evangeliums diese Bilder ganz neu. Hier ist nicht der ewige Kreislauf der Natur am Walten. Hier ist Gott am Walten. Die Natur wird selber zum Gleichnis für das, was Gott tut. Sie ist nicht Gott. Sie zeigt auf ihn, wenn man auf Jesus hört. Seine Auferstehung ist die Kraft, die überall am Wirken ist. Was für ein Bild. Bei jeder Schreibe Brot, die du ab heute ist, wirst Du an das sterbende Weizenkorn denken und an die Kraft der Auferstehung und der Verwandlung.
Erklär mir den Glauben – wenn Dich einer das fragt, halte ihm keine Vorträge. Erzähle ihm Geschichten.
Wenn Dein Kind die fragt: Was wird aus Opa, wenn er tot ist? Dann nimmt eine Weizenkorn in die Hand und sage: er wird in die Erde gelegt wie dieses Korn.  Kommt, wir legen es in die Erde. Und nach ein paar Tagen wird daraus ein neues Blatt kommen, neues Leben. So wird Opa verwandelt werden in etwas ganz anderes, ganz neues, das wir nicht kennen, weil es unsichtbar ist, und doch verstehen können, weil wir ds Bild verstehen: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt….ein einfaches, ein starkes Bild.

Meine Lieben: heute ist Lätare. Das kleine Ostern. Mitten in der Düsternis der Passionszeit feiern wir schon das, woher wir kommen: nämlich Ostern. Und freuen uns auf das, was kommt: Das Licht des Ostermorgens.
Alles ganz einfache Bilder. Und doch: Sie erschließen uns das Leben, das mehr ist, als das Leben.  Wir nennen es das Ewige Leben, weil wir kein besseres Wort dafür haben. Wir brauchen Bilder. Doch nicht die Bilder trösten, sondern das, worauf sie zeigen. Auf Gottes unbegreifliche Gnade. Lilie und Dornenkrone, Siegesfahne und schwarzer Regen, ein paar Tropfen Blut, das raue Material der Schalbretter, auf die gemalt wurde. Ein ganzer Kosmos von Zeichen und Bildern. Und doch die einfache Botschaft: Gott verwandelt uns, wie er das Weizenkorn verwandelt, das in die Erde fällt. Und die einfache Botschaft lautet: Fürchtet Euch nicht!
Amen.


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