Mittwoch, 19. Januar 2022

Glaube ohne Grenzen. Predigt zu Mt 8, 5-13, 3. Sonntag nach Epiphanias, 23.1.2022

 

Der Hauptmann von Kapernaum

5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's.

10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!  Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen;

12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.

13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

 

Liebe Gemeinde:

Die Botschaft ist völlig klar. Die Gute Nachricht, die Frohe Botschaft, das Evangelium, der Glaube, das Wort Gottes, die christliche Religion – nennt es, wie ihr wollt, kennt keine Grenzen, keine Nationen, keine Völker, keine Stämme, keine Rassen, kein Geschlecht und keinen Stand.

 

Ja, mehr noch, sie kennt auch keinen Verdienst und keine Würdigkeit, keine Privilegien und keine Barrieren, keine Hierarchien und keine Ordnungen. Es kommt nur auf Vertrauen an.

 

Genau davon erzählt die so harmlos daherkommende Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum. Jesus heilt den Knecht eines römischen Hauptmanns auf dessen Bitte hin. Wir schauen uns das gleich noch genauer an.

 

Aber es ist völlig deutlich: was Jesus hier macht, ist nichts anderes als Feindesliebe. Denn ein römischer Hauptmann: Das war der Feind schlechthin, der Besatzer, ein Symbol der Unfreiheit des jüdischen Volkes, ein Agent der verhassten Großmacht im Westen. Was Jesus hier tut, ist eine Provokation ersten Ranges. Er stellt sich damit gegen so gut wie alles, was die meisten Menschen empfanden. Ein Römer war ja nicht nur ein Besatzer. Er war ja vermutlich sogar ein Heide, also einer, der gar nicht an den Gott Israels glaubte. Obwohl man das so genau nicht wissen kann, es gab schon auch römische Soldaten und Offiziere, die sich dem Judentum zuwandten. Aber sagen wir mal so: so „ganz richtige“ Juden waren sie nach damaligem Denken damit nicht. Na, und so weiter. Ich denke, es ist ziemlich klar: Jesus überschreitet hier eine deutliche Grenze, eine Grenze, die uns nur zu vertraut ist.

 

Am Ende steht die schlichte Botschaft: Gottes Gnade und Barmherzigkeit ist für alle da. Und zwar, das ist dann die nächste Spitze, auch ohne Vorbedingungen. Dafür müssen wir uns die Geschichte jetzt genauer ansehen.

 

Jesus betritt die Stadt Kapernaum, in der er für eine Weile gelebt hat, im Norden Israels, am See Genezareth. Er ist schon eine Weile unterwegs, es hat sich schon herumgesprochen, wer er ist, oder besser gesagt: Was die Menschen denken, wer er sei. Ein besonders begabter Prophet und Gottesmann, der auf eine ganze neue und ziemlich radikale Weise von Gott spricht, der sich mit der religiösen und politischen Obrigkeit, vor allem aber mit den traditionellen Gelehrten, angelegt hat und der, besonders wichtig, heilende Kräfte hat.

 

In dem Moment also, wo er die Stadt betritt, kommt ihm ein römischer Hauptmann entgegen und spricht ihn an. Das ist nach den damaligen religiösen Regeln, jedenfalls in ihrer strengen Auslegung, eine schwierige Situation für Jesus: Eigentlich sollte er den Kontakt mit einem solchen Menschen eher vermeiden.

 

Aber der spricht ihn sofort an, und er sagt zu ihm „Herr“! Das ist eine starke Anrede, die schon zeigt, dass dieser Hauptmann mit einer sehr ungewöhnlichen Bitte zu Jesus kommt. Ein römischer Hauptmann, der einen jüdischen Rabbi mit „Herr“ anredet. Man kann sich vorstellen, wie die umstehende Menge und seine Jünger verwundert waren, wenn nicht sogar ein wenig erschrocken. Der Hauptmann redet also sofort los: Mein Knecht ist krank und leidet sehr! Und ohne Zögern, ohne Rückfragen antwortet Jesus.

 

Auch das ganz ungewöhnlich. Jesus will gar nicht wissen, mit wem es hier zu tun hat. Er sieht es: ein Mensch in Not steht vor ihm, und zwar ein Mensch, der in Not ist, weil ein anderer Mensch in Not ist. Der Hauptmann will gar nicht für sich, jedenfalls nicht direkt, sondern für seinen Diener, wie man das Wort „Knecht“ heute besser übersetzen sollte. Unter Umständen war es sogar ein Sklave, was die Situation noch heikler macht Seit wann kümmert sich ein Sklavenhalter um das Wohlergehen seines Sklaven? 

Wie auch immer: keine Rückfragen. Jesus antwortet: „Ich will kommen und ihn gesund machen“. Man sieht förmlich, wie die umstehende Menge sich fragt: Wie, einfach so? Und er will auch noch hingehen, er will in das Haus eines Menschen gehen, der erstens ein Fremder, zweitens ein Nicht-Jude und drittens ein Römer ist? Das ist stark - bisher war Jesus zwar auch in Häuser gegangen, die in zumindest ein streng religiöser frommer Jude nicht geht. In das Haus von Matthäus zum Beispiel, der ein Zolleinnehmer für die Römer war, aber immerhin einer, der bereute, was er getan hat. Jesus war auch in das Haus eines Phärisäers gegangen, einer von den jüdischen Gelehrten, die Jesus sehr kritisch gegenüberstanden. Das kannte man also schon.

Aber das hier ist noch einmal ein Schritt darüber hinaus. Und das spürt auch der Hauptmann – er wehrt diesen Gedanken ab. Aber mit was für einem seltsamen Argument:

 

„Herr“, sagt er, also wieder: „Herr“! – so redet ein Sklave seinen Besitzer an oder ein niedrigstehender einen Höherstehenden, also wieder. „Herr“.

„Herr, ich bin nicht würdig, dass du unter mein Dach gehst, aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund“. Der Hauptmann stellt sich unter Jesus und geht davon aus, dass Jesus das auch aus der Ferne erledigen kann. Der Hauptmann glaubt an die Kraft Jesu, und daran, dass Jesus, wie auch immer, weit über ihm steht. Deswegen erklärt er auch sofort, wie er das sieht: „Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's“.

 

Der Hauptmann geht davon aus, dass Jesus eine Kraft hat, den bösen Geistern, die seinen Diener krank gemacht haben, auch aus der Ferne Befehle zu geben und dass die das dann tun, wie seine Soldaten Befehle erfüllen.

Nun ist uns dieser Gedanke heute etwas fremd, weil wir ja wissen, dass nicht böse Geister am Werk sind, aber das spielt hier letztlich keine Rolle. Was sich hier zeigt, ist das ungeheure Zutrauen des Hauptmannes in Jesus.

 

Und das verblüfft jetzt sogar Jesus. Er wendet sich an die Umstehenden und sagt: „Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!“

Das ist ein sehr harter Satz!

Den muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Jesus behauptet hier nichts anderes, als dass dieser Hauptmann mehr oder weniger der erste ist, der wirklich an ihn glaubt, mehr alle alle jüdischen Menschen, mit denen Jesus bisher zu tun hat. Ein ziemlich grenzwertiger Satz, man kann ja leicht hier wieder den uns sehr vertrauten Judenhass am Werk sehen. Aber das war Jesus natürlich sehr fremd. Ihm geht es hier um etwas anderes – und um das noch verstärken, schiebt er etwas für unser Ohren recht Rätselhaftes nach: „Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern“. Was er meint: Am Ende der Zeit werden Menschen aus allen Völkern kommen und bei Gott mit am Tisch sitzen, aber die, die sich selbst für die wahren Frommen halten, werden ausgestoßen werden – weil sie auf ihre Herkunft vertraut haben, auf ihren Stand, auf ihre Frömmigkeit und ihre Tradition, auf ihre Religion und ihre Frömmigkeit. Eine sehr heftige Zuspitzung, die leicht falsch verstanden werden kann. Es kommt Jesus hier auf den Kontrast an:

 

Aber das, was wir Menschen so für wichtig halten, wird nicht zählen. Worauf es ankommt, ist Vertrauen, Vertrauen auf Gott. Und zwar ein Vertrauen, dass wirklich nur auf die Kraft Gottes zum Guten, auf seine Barmherzigkeit und Liebe vertraut, und eben nicht auf Stand, Herkunft und Privilegien. Und dann: „Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.“

 

Das Wunder geschieht, und es wird gar nicht berichtet wie genau, weil das auch gar nicht wichtig ist. Gemeint ist: Das Gebet dieses Mannes wird erhört, weil es voller Vertrauen gesprochen wurde.

 

Letztlich kann man das ganz einfach sagen: Es ist der Glaube dieses Mannes, dieses geradezu kindliche Vertrauen, auf das es ankommt und der Berge versetzen kann. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“, sagt Jesus an anderer Stelle, „werdet ihr das Reich Gottes nicht erlangen“.

Was Gott von uns will, ist einfach nur Vertrauen. Alles andere, alle sonstigen Regeln und Bestimmung, alles was uns Menschen sonst so wichtig und bedeutsam ist, alles, nach dem wir Menschen sonst so einteilen und beurteilen, spielt hier überhaupt keine Rolle. Hier ist ein Mensch in Not, in seiner Not wendet er sich an Jesus, voller Vertrauen, und so wird ihm geholfen. Einfach, weil er ein Mensch in Not ist.

Das ist es, worum es im Glauben geht. Vertrauen über alle Grenzen hinweg. Man kann es noch einfacher sagen: Gottes Liebe ist für alle da, die sie brauchen. Und wer braucht sie nicht? Es gibt da keine Schranken.

So einfach ist das. Und es bleibt für uns eine Herausforderung, denn wir wissen, dass es unter uns nicht so läuft. Darum ist der Glaube immer auch eine Anfrage an uns: Worauf vertraust Du?

Amen.

 

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