Donnerstag, 29. Dezember 2016

Besonnenheit! Predigt zum Altjahresabend, Jes 30, 8-18




Jes 30, 8- 18

8 So geh nun hin und schreib es vor ihnen nieder auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch, dass es bleibe für immer und ewig.

9 Denn sie sind ein ungehorsames Volk und verlogene Söhne, die nicht hören wollen die Weisung des HERRN,

10 sondern sagen zu den Sehern: »Ihr sollt nicht sehen!«, und zu den Schauern: »Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schaut, was das Herz begehrt!

11 Weicht ab vom Wege, geht aus der rechten Bahn! Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!«

12 Darum spricht der Heilige Israels: Weil ihr dies Wort verwerft und verlasst euch auf Frevel und Mutwillen und trotzt darauf,

13 so soll euch diese Sünde sein wie ein Riss, wenn es beginnt zu rieseln an einer hohen Mauer, die plötzlich, unversehens einstürzt;

14 wie wenn ein Topf zerschmettert wird, den man zerstößt ohne Erbarmen, sodass man von seinen Stücken nicht eine Scherbe findet, darin man Feuer hole vom Herde oder Wasser schöpfe aus dem Brunnen.

15 Denn so spricht Gott der HERR, der Heilige Israels: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht

16 und sprecht: »Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliegen«, - darum werdet ihr dahinfliehen, »und auf Rennern wollen wir reiten«, - darum werden euch eure Verfolger überrennen.

17 Denn euer tausend werden fliehen vor eines Einzigen Drohen; ja vor fünfen werdet ihr alle fliehen, bis ihr übrig bleibt wie ein Mast oben auf einem Berge und wie ein Banner auf einem Hügel.18 Darum harrt der HERR darauf, dass er euch gnädig sei, und er macht sich auf, dass er sich euer erbarme; denn der HERR ist ein Gott des Rechts. Wohl allen, die auf ihn harren!





Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!



Das sind zugleich sehr harte und sehr klare, aber auch sehr verheißungsvolle Worte, die der Prophet Jesaja dem Volk Israel zu sagen hat. Ich fasse sie mal zusammen: Hört auf mit dem gottlosen Geschwätz, denkt mal einen Moment nach, und dann werdet ihr auch die Gnade Gottes erkennen. Dahinter steht die Erfahrung, dass Menschen, die aus ruhiger Überlegung heraus die Wahrheit aussprechen, es in aufgeregten Zeiten sehr schwer haben. Das kommt uns sehr bekannt vor. Das Jahr 2016 hat uns gelehrt, was dabei herauskommt, wenn an die Stelle von ruhiger Überlegung das Geschrei tritt. Wenn an die Stelle klugen Abwägens die spontane Reaktion tritt. Wenn der Bauch regiert, und nicht der Verstand. Das hat das Jahr 2016 sehr geprägt. Ruhige und besonnene Stimmen hatten es schwer, genaues Hinschauen war nicht gefragt. Als ich den Predigttext zum ersten Mal las, war ich hoch erstaunt. Offensichtlich ist es so, dass wir Menschenkinder genau dann die Besonnenheit verlieren, wenn wir sie am stärksten brauchen. Der Prophet spricht angesichts der Bedrohung durch die assyrische Armee, die mit großer Brutalität über das Land herzufallen droht, man hört schon allenthalben, dass sie quasi vor der Haustür stehen. Rufe werden laut, dass doch etwas geschehen müsse. Die Armee wird aufgestockt, zweifelhafte Bündnisse werden geschlossen und viel Geld fließt in Festungsbau und Rüstung. Die Propheten Gottes warnen davor, weil das auf Kosten der Armen geht und weil es letztlich ein sinnloses Unterfangen ist. Israel ist viel zu klein, um ernsthaft Widerstand zu leisten, und die Bündnisse mit den anderen Großmächten haben sich in der Geschichte immer als ein Missgriff erwiesen, weil sie sich ihren Einsatz am Ende bezahlen lassen, und man faktisch mit dem Teufel einen Pakt geschlossen hat, um den Beelzebub zu vertreiben. Die Propheten sehen aber noch tiefer. Sie sehen, dass hinter dieser Aufregung, hinter diesem Geschrei und hinter diesem Aktionismus verlorenes Gottvertrauen steht. Sie erinnern daran, dass Gott sein Volk bisher immer gerettet hat, wenn es sich ihm anvertraute, wenn es nicht den Kopf verlor, sondern seine Hilfe bei Gott suchte.

Doch die Menschen wollen die einfachen Lösungen, und die einfachste Lösung ist immer die Gewalt. Verhandeln, reden, genau hinschauen sind nicht gefragt, komplizierte Antworten will keiner haben. Sie hören nicht, was Gott ihnen sagen lässt: „Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht“. Das ist ein klares Angebot Gottes. Es ist ein Aufruf zur Besonnenheit. Denn wer einen Moment innehält, der entdeckt eine große Kraft: die Hoffnung. Wer einen Moment stillehält, der entdeckt die Treue Gottes zu seinem Volk und zieht Kraft daraus. Damit steht der Prophet natürlich gegen die herrschende Stimmung, die Maßnahmen sehen will, Köpfe müssen rollen, schnell muss sich alles ändern. Gott lässt ihnen ausrichten, was dann geschieht: Genau die Vernichtung, der sie damit entgehen wollen, wird über sie hinwegfegen, weil die Unbesonnenheit sie angreifbar macht. Wer auf Aggression mit Aggression reagiert, kommt aus der Aggression nicht hinaus. Wer sich aufstacheln lässt von den Schreiern und Vereinfachern, wird irgendwann gar nicht mehr in der Lage sein, andere Lösungen zu finden.

Können wir aus der Geschichte lernen? Offensichtlich nicht. Besonnenheit, abwägendes Urteil, die gemeinsame Suche nach Lösungen, die nicht aus Gewalt und überstürzten Maßnahmen bestehen, fällt offensichtlich schwer. Ich will gar nicht im Einzelnen aufführen, wie uns das gerade im Jahr 2016 gebeutelt hat und die Stimmung vergiftet. Es wird hier jedem vor Augen stehen. Und es wird auch jedem vor Augen stehen, dass die Worte des Propheten an uns gerichtet sind. Wenn es etwas gibt, was wir als Christen, als Volk Gottes in diese aufgeregte Stimmung einzubringen haben, dann ist es der Ruf nach der Besonnenheit und nach Klarheit. Das ist es ja auch, was Jesus von uns will. Schaut genau hin. Vertraut nicht auf Gewalt und Macht. Fragt nach den Menschen, fragt nach Recht und Gerechtigkeit. Er sucht das Heil der Menschen nicht in großen Aktionen, und schon gar nicht in der Anwendung von Gewalt. Gott durchbrach dieses Spiel von Gewalt und Gegengewalt. Er antwortete auf das Geschrei und den Mord an seinem Sohn mit Vergebung und Hoffnung. Und er rief zum Gebet. Denn das Gebet ist gemeint, wenn er sagt: wäret ihr doch mal für einen Moment still! Ja, liebe Gemeinde, die Frage: was können wir Christen tun? Ist sehr einfach zu beantworten: Im Gebet Hilfe suchen und andere zum Gebet einladen. Im Gebet können wir das Elend der Welt vor Gott ausbreiten, im Gebet nach seiner Gnade fragen. So kann uns das Gebet helfen, zur Besinnung zu kommen und neue, andere Wege zu finden und uns von der Hysterie nicht anstecken zu lassen. Im Gebet sind wir nicht nur Redende, sondern auch Hörende. Stillsein meint auch: hört erst einmal gut zu! Und die Antwort des Wortes Gottes auf Terrorismus und Gewalt kann nicht Gewalt sein. Sondern nur das Recht. Wer auf Gewalt mit Gewalt antwortet, der hat schon verloren. So werden wir aus dem Kreislauf nicht herauskommen. Wir müssen nach den Wurzeln des Übels fragen, und die Wurzel des Übels heißt Ungerechtigkeit. Menschen werden bösartig, wenn sie das Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden, in ungerechten Verhältnissen zu leben, benachteiligt und ausgegrenzt zu sein, Menschen werden aggressiv, wenn sie Gefühl haben, nicht gehört, nicht gesehen und nicht ernstgenommen zu werden. Da müssen wir ansetzen. Das ist der Weg des Glaubens. Das ist nur scheinbar eine einfache Antwort. Es ist in Wahrheit eine schwierige Antwort. Wenn Menschen so verzweifelt und so wütend sind, dass sie ihr eigenes Leben wegwerfen, um damit anderes Leben zu zerstören: dann ist das doch auch ein Hilferuf. Dann ist doch etwas faul dort, wo diese Menschen leben. Dann müssen wir unsere Anstrengungen erhöhen, Gerechtigkeit zu schaffen. Und das geht eben nicht mit pauschalen Parolen. Durch den Propheten lässt uns Gott sagen, was uns helfen kann: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht.

Ich glaube, damit ist zum Jahr 2016 viel gesagt, und damit ist auch viel gesagt für das, was wir uns als Christenmenschen für 2017 vornehmen sollten: Ja, wir wollen auf dich hören Gott, lass uns hören, wie Dein Weg aussieht. Wenn wir als Christen zum Frieden in unsere Gesellschaft und in der Welt etwas beitragen können, dann das: Den Ruf nach Gerechtigkeit, nach Besonnenheit und Versöhnung weitergeben. Dass wir damit in der aufgeheizten Stimmung auf Widerstand stoßen, dürfte klar sein. Aber das sollte uns nicht schrecken. Auch Gott hat nicht nachgelassen, nicht einmal der Mord an seinem Sohn konnte ihn davon abbringen, uns Versöhnung, Gnade und Erlösung zu verheißen, wenn wir ihm treu bleiben. Lasst uns diesen Weg gehen: Gott verheißt uns, uns darin zu unterstützen. So kann die Stimme des Glaubens in einer Welt voller Unglauben letztlich nicht anderes sein, als der Ruf zur Vernunft. „Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht“. Doch, wir wollen, wir wollen, um Christi willen, Herr, hilf uns!

Amen.

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