Freitag, 27. Mai 2016

Predígt 1. S. n. Trin, 1. Johannes 4, 16b-21 Bleibt in der Liebe

Predigt für den 1. Sonntag nach Trinitatis, zu halten in Haddamar, Heimarshausen und Züschen.


 
1. Johannes 4, 16b.
Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. 17 Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.

18 Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.

19 Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. 20 Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.

21 Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

 

 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder im Herrn!

 

Wenn Christen von Liebe sprechen, dann meinen sie damit nicht ein Gefühl. Sondern eine Haltung. Eine Haltung unterscheidet sich von einem Gefühl in einem entscheidenden Punkt: man kann sie lernen, einüben und ständig ausbauen.

Darum ist es kein Widerspruch, Menschen zur Liebe aufzufordern.

Trotzdem bleibt ein merkwürdiges Gefühl, wenn wir zur Liebe aufgefordert werden. Kann man das denn wirklich machen, Liebe befehlen?

Das kann man natürlich nicht. Und zwar aus einem ganz einfach, sehr banalen Grunde: Wenn ich möchte, dass Menschen die Liebe lernen, muss ich die Liebe selber auch kennen. Liebe entzündet sich an Liebe. Nur wer sich selber geliebt weiß, kann Liebe weitergeben. Eine der Quellen des Hasses, der im Moment unser Klima so vergiftet ist, dass Menschen einfach nicht wissen, nicht erfahren und erlebt haben, was Liebe ist.

Und was ist Liebe, wenn sie nicht einfach ein Gefühl der Sympathie und der Zuneigung ist? Es gibt zwei sehr schöne moderne Worte dafür: Wertschätzung und Solidarität. Das eine ist die Haltung, das andere ist die Tat.

Wir Christen können von der Liebe reden, weil der Glaube nichts anderes ist, als das feste Vertrauen darauf, dass Gott uns liebt. Und zwar ohne alle Voraussetzungen und Bedingungen. Er liebt uns, weil wir seine Geschöpfe sind. Das ist alles. Aber in diesem einfachen Satz steckt auch schon das Problem. Woher können wir das wissen?

Wir wissen es aus der Geschichte Jesu, die nichts anders ist, als eine einzige Liebesgeschichte. Die Geschichte Jesu zeigt uns, dass wir nichts so sehr fürchten, wie die Liebe. Denn die Liebe hat etwas Anarchisches. Die Liebe reisst Grenzen ein, stellt Selbstverständliches in Frage, die Liebe ist ein bisschen verrückt.

Liebe braucht Liebe, damit sie sich entzündet. Ich habe das auch erst spät begriffen. Während unserer Ausbildung hörten wir einem Vortrag von einem Suchtberater über die Ursachen der Sucht. Wir erwarteten einen schönen theoretischen Vortrag über Psychologie, Soziologie, Pädagogik und Prävention, also etwas sehr Kluges und Gelehrtes. Stattdessen fing der gute Mann an, uns eine kleine Szene vor Augen zu malen. Ein Kind malt ein Bild und läuft damit voller Stolz und Freude zu seiner Mutter.  „Mammi, ich hab dir ein Bild gemalt: das ist unser Haus“. Zu sehen sind auf dem Bild ein paar Krickelkrackel, die man mit Mühe als das erkennt, was sie darstellen sollen. Die Mutter sieht das Bild an und sagt: „Das ist aber kein Haus, das kann man ja gar nicht erkennen. Komm, ich zeige dir mal, wie man ein richtiges Haus malt.“ Sie nimmt den Stift und zeichnet ein Haus.

Eine harmlose Szene, sollte man meinen, und die Mutter hat es doch gut gemeint. Wir waren etwas geschockt. Was hat das mit Sucht zu tun?

Wir sollten uns nun für einen Moment in die Rolle des Kindes versetzen. Es malt ein Bild und will es seiner Mutter schenken. Weil es seine Mutter liebt! Darum geht es. Nicht um ein Haus. Nicht um Kunst. Nicht um Falsch und Richtig. Es geht um die Geste der Zuwendung und der Wertschätzung. Die Mutter aber sieht diese Geste der Liebe nicht. Sie wertet sie ab. Sie korrigiert das Kind. Wären wir im Kunstunterricht oder würden die beiden versuchen, zu lernen, wie man ein Haus malt, wäre das völlig in Ordnung. Aber hier geht es um etwas anderes. Das Kind wird frustriert. Es erfährt die Reaktion der Mutter als Ablehnung.

Wir waren tief betroffen. Ich spüre es noch heute. So schnell geht das also, dass wir Liebe übersehen und Menschen tief verletzen.

Der Therapeut führte uns dann vor, wohin dieses Muster führen kann. Das Kind verinnerlicht die Ablehnung. Es hat einen Vertrauensbruch erlebt. Es verliert den Halt. Den Rest kann man sich ausmalen. Am Ende wird es Halt und Stütze suchen, wo es keinen finden wird. Denn Halt finden wir nur in Menschen und in einem Glauben, der nicht bevormundet und erzieht, sondern trägt und ermutigt.

Das war natürlich eine Vereinfachung, eine Zuspitzung. Man muss jetzt als Vater, Mutter oder Erzieher nicht in Panik geraten. Aber was ich durch diesen Vortrag begriffen habe: An der Liebe müssen wir arbeiten. Wir müssen sie trainieren, sie üben. Und wie geht das? Indem wir uns in den anderen hineinversetzen. Indem wir die Frage stellen: Was würde ich jetzt gerne hören, was würde ich jetzt gerne erlebe, ja: was brauche ich jetzt? Und wir müssen lernen, auf unsere eigene Sehnsucht nach Liebe, Zuwendung und Anerkennung zu hören. Das ist der Weg zum anderen Menschen. Darin nehmen wir ihn ernst. In dem wir für einen Moment seine Stelle einnehmen, finden wir heraus, was er braucht. Und noch einfacher: wir fragen ihn! Das Fremdwort dafür heißt: Empathie. Einfühlung. Wir finden die Quelle der Liebe in uns selbst, wenn wir auf unsere Wünsche hören. Nur so können wir Haß und Gefühlskälte vermeiden. Es schönes indianische Sprichwort sagt: Wenn du wissen willst, wer ich bin, dann gehe eine Meile in meinen Schuhen.

Liebe kommt aus Liebe. Gott ist eine Meile in unseren Schuhen gegangen. Er hat in Jesus Christus unsere Not mit der Liebe erlebt. Hat gefühlt, wie es ist, angesichts von Tod, Not und Krankheit, angesichts von Angst, Haß und Verachtung zu leben. Und er setzte noch größere Liebe dagegen. Die Auferweckung Jesu von den Toten ist der größte Liebesbeweis, den er uns Menschen jemals entgegengebracht hat. Wir können aus dieser Liebe leben. Mit ihr fängt es an.

Wenn es denn so einfach wäre.

Ich habe vor einigen Wochen syrische Flüchtlinge kennengelernt. Sie haben mir erzählt, woher sie kommen und was sie erlebt haben. Es war kaum zu ertragen. Unvorstellbar für mich, was es heißt, geliebte Menschen durch Krieg zu verlieren, in die Fremde zu gehen, wo keiner meine Sprache spricht, unvorstellbar für mich, was es heißt, in ein Land zu kommen, wo Menschen mich verachten und mir misstrauen, nur weil ich ein Fremder bin. Was mir vorher im Kopf schon klar war: dass wir uns um die Flüchtlinge kümmern müssen, wurde mir jetzt ein Anliegen. In der Begegnung von Mensch zu Mensch wurde aus einem theoretischen Gedanken eine ganz praktische Sache und ich spürte, dass ich mich dem nicht entziehen kann. Aber was tun? Die rettende Frage, die mich aus der inneren Not herausholte, fiel mir dann – und ich sage mit voller Absicht: Gott sei Dank!- noch rechtzeitig ein, weil ich an diesen Vortrag von dem Suchtberater denken musste. Ich frug: Was brauchst du jetzt? Und die Antwort war ganz einfach: Alles, was sie in diesem Moment brauchten, ist für mich machbar und gar nicht schwer: „Üben Sie mit uns Deutsch sprechen. Wir verstehen nicht, wie das mit den Umlauten funktioniert“. Also üben wir jetzt Ö, Ü und Ä richtig auszusprechen. Mehr braucht es gar nicht. Ich erzähle das hier nicht als Heldengeschichte, sondern als eine Rettungsgeschichte: ich bin davor bewahrt worden, mich der Situation mit irgendwelchen klugen Geschwätzen zu entziehen, weil ich mich an eine kluge Geschichte von der Liebe erinnerte, die wiederum an das Evangelium erinnerte. Dafür bin ich dankbar, und auch ein wenig erschrocken darüber, dass ich mich vor der Antwort. ja vor den fremden Menschen selber gefürchtet habe. Und jetzt: Ich lerne hochinteressante Menschen kennen! Und im Gegenzug helfen sie mir, ein wenig Arabisch zu lernen.

Mal sehen, was draus wird.

Gott hat uns zuerst geliebt, damit wir in der Liebe bleiben. Die Worte aus der Schrift, die wir heute hörten, wollen uns daran erinnern. Um mehr geht es nicht, aber auch nicht um weniger: Übt die Liebe, dann bleibt ihr auch in der Liebe.

Übrigens, zurück zu der Geschichte von Mutter und Kind.

Was hätte die Mutter antworten sollen? Oh, danke, mein liebes Kind. Das hast du schön gemacht, ich freue mich sehr.

In zwanzig Jahren wird das Kind dann vielleicht auch ein richtiges Haus malen können. Aber spielt das eine Rolle für die Liebe?

Amen.

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