Samstag, 8. Oktober 2016

Geilheit, Gier und Würde. Predigt zum 20. S.n. Tr.; 1.Thess 4,1-8


1.Thess 4,1-8

4 1 Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus – da ihr von uns empfangen habt, wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut –, dass ihr darin immer vollkommener werdet. 2 Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus.

 3 Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht 4 und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung, 5 nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen. 6 Niemand gehe zu weit und [a]übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.

7 Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung. 8 Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen Heiligen Geist in euch gibt.
 
Liebe Gemeinde!

Das sind sehr klare Worte. Wir sollen nach Gottes Willen leben. Und Paulus bringt zwei Beispiele, die mitten ins Leben greifen. Wir sollen die Unzucht meiden und wir sollen die „gierige Lust“ vermeiden.

Unzucht ist ein Wort, das ziemlich aus der Mode gekommen ist. Denn es meint so etwas wie eine fehlgeleitete Sexualität, das was früher Geilheit genannt wurde. Das ist ein heißes Thema. Viele denken jetzt zum Beispiel sofort an Homosexualität oder an Pornographie. Es könnte hier der Eindruck entstehen, als würde der Apostel die Sexualität im Ganzen verdammen. Das denken ja viele Menschen, dass Sexualität im Grunde schlecht ist. Andererseits spürt ja jeder, wie stark die Sexualität in uns ist, wie stark das Begehren in uns ist. Kann es sein, dass Gott die Sexualität im Ganzen verdammt? Aber warum hat er sie uns dann gegeben? Wir spüren doch ganz deutlich, dass wir diesem starken Trieb in uns kaum wederstehen können, er ist vielleicht der stärkste Trieb, den wir haben. Es geht ja nicht nur um Fortpflanzung. Sondern es geht ja auch um die Lust, es geht um Freude am Leben, Freude an der Beziehung, es geht um körperliche Nähe, die wir brauchen, wie das tägliche Brot. Kann etwas so Schönes und Wichtiges wirklich schlecht sein?

Das ist natürlich nicht der Fall. Es geht hier darum, dass wir lernen, mit unseren Trieben und Gelüsten umzugehen. Nicht die Sexualität ist schlecht, sondern das, was daraus werden kann. Auf kaum einem Gebiet können sich Menschen so weh tun, wie auf diesem. Darum geht es. Damit das klar ist, nennt er noch ein zweites Beispiel. Da geht auch um die gierige Lust, diesmal aber nicht im Sinne der Sexualität, sondern im Sinne der Geldgier. Wir sollen einander nicht übervorteilen, das heißt: Wir sollen einander nicht betrügen, wenn wir miteinander Handel treiben. Das leuchtet unmittelbar ein. Betrug ist etwas sehr Häßlliches, und wer schon einmal so richtig betrogen worden ist, wird das auch gut verstehen: Es ist eine ungeheure Kränkung, wenn wir merken, dass wir übers Ohr gehauen worden sind.

Was haben nun Betrug und "Unzucht" miteinander gemeinsam? Und warum verstoßen sie gegen Gottes Willen? Was steckt dahinter?

Das moderne Wort für das, was Paulus meint, heißt Respekt. Wer seiner Geilheit oder seiner Geldgier nachgeht, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen, verletzt die Würde des Menschen. Denn wir haben ein Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit. Wir haben ein Recht darauf, respektiert zu werden in unsern Wünschen und Bedürfnissen, in unserem Verlagen nach Freiheit und Selbstbestimmung, in unserer Persönlichkeit. In dem Moment, wo mich jemand nicht respektiert, benutzt er mich. Dann macht er mich zu einer Sache, zu einem Gegenstand seiner Gier und behandelt mich nicht mehr als Mensch, sondern als ein Ding.  Darum geht es. Denn Gott hat uns als freie Menschen geschaffen, er hat uns eine Würde gegeben. Tiefster Ausdruck dafür ist es, dass Gott selber ein Mensch wurde, in Jesus Christus. Damit hat er ein für allemal deutlich gesagt, dass der Mensch unendlich viel Wert ist und das er niemals zu einer Sache gemacht werden darf, sondern dass wir Menschen ein Anrecht darauf haben, mit Respekt und Liebe behandelt zu werden. Genau das ist mit dem Wort „Heiligung“ gemeint. Denn Heilig ist etwas dann, wenn es zu Gott gehört, wenn es Gottes Eigentum ist und nicht das Eigentum von Menschen. Und also auch mit Ehrfurcht behandelt werden muss und soll. Darum geht es. Wer seiner Gier soweit nachgeht, dass er andere Menschenzu seinem Vorteil benutzt, der treibt Unzucht, der gibt sich der gierigen Lust hin ohne Rücksicht auf Verluste. Darum nimmt er Sexualiität und Handel als Beispiel, denn hier ist die Gefahr besonders groß, andere Menschen zu missbrauchen. Darum ermahnt er die Männer, ihre Frauen mit Ehrerbietung zu behandeln, nicht als ihr Eigentum, sondern als ein Geschenk, das ihnen von Gott gegeben worden ist. Was immer wir miteinander tun, es darf nur im gegenseitigen Einvernehmen geschehen. Das ist der Schlüssel. Denn um dieses Einvernehmen zu erlangen, müssen wir miteinander reden, müssen wir in Respekt und Ehrerbietung miteinander umgehen. Das schreibt er ja ganz wörtlich: „und ein jeder von euch suche seine eigene Frau zu gewinnen in Heiligkeit und Ehrerbietung“. Mit der Eheschließung hat der Mann kein Recht auf seine Frau gewonnen. Sie ist nicht sein Eigentum, sondern seine Partnerin, und die Kunst einer guten Ehe besteht darin, auf Augenhöhe miteinander zu verhandeln. Das war damals eine ebenso radikale Botschaft wie heute, und es gilt für jede Partnerschaft, egal, ob zwischen Männern und Frauen oder Partnern gleichen Geschlechtes, egal ob sie verheiratet sind oder sich auf andere Weise zum gemeinsamen Leben verpflichtet haben. Es gilt zum Beispiel auch im Verhältnis von Lehrern und Schülern oder zwischen Angestellten und Vorgesetzten. Darum gilt es auch für den Handel, also für das Wirtschaftsleben. Das Wesen des Handles ist die Verhandlung, ist das Gespräch unter Partnern, die miteinander den Preis für eine Sache aushandeln. Redet miteinander, das ist die eigentliche Botschaft hinter diesen Worten, und redet miteinander als geleichberechtigte Partner, als Kinder des einen Gottes. Bedenkt immer, was für eine kostbare und verletzliche Gabe der andere Mensch ist. Denn dann wahren wir unser Würde. Vielleicht ist das Wort „Würde“ sogar heute die bessere Übersetzung für das, was Paulus mit „Heiligkeit“ meint. Bewahrt in allem, was ihr tut, die Würde, denn wenn ihr würdelos handelt, verletzt ihr nicht nur den anderen Menschen, sondern auch Euch selbst!

Das klingt dann auf einmal ganz modern. Denn unser moderne Gesellschaft baut auf die Würde des Menschen. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland heißt es ganz eindeutig: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und auch wenn das Grundgesetz kein christlicher Text im engeren Sinne ist, weil es religiös neutral ist, so spiegelt sich doch darin die christliche Grundlage unsere Kultur. Sie baut ganz auf die Menschenwürde. Das betrifft zum Beispiel unseren Umgang mit den Fremden unter uns. Auch dann, wenn es die Zuwanderung der vielen Menschen in unser Land Sorge bereiten mag, weil es eine riesige Aufgabe voller Risiken ist, dürfen wir die Fremden nicht anders behandeln, wie wir selber gerne behandelt werden möchten. Wir verlieren unsere Würde, wenn wir die anderen Menschen würdelos behandeln. Dabei spielt die Frage, ob unser Ängste vor den Fremden berechtigt sind, oder nicht, erst einmal gar keine Rolle. Vor allem anderen, was Fremde sind, sind sie Menschen und als solche von Gott ohne alle Bedingungen geliebte Menschen. Wenn ihre Häuser angezündet werden, wenn wir sie beschimpfen und verächtlich von ihnen reden, verletzen wir nicht nur sie, sondern auch uns selbst. Wir handeln dann weit unter unseren Niveau. Das macht das, was in unserem Land gerade so geschieht, aus christlicher Sicht so schwer ertragbar. Und darum müssen wir als Christen dagegen auch unsere Stimme erheben. Andere Menschen zu verachten, weil sie anders sind, ist nicht der richtige Weg. Der richtige Weg ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, einander kennenzulernen, danach zu fragen, was die Menschen jetzt brauchen und ihnen Unterstützung und Hilfen anzubieten, soweit es in unser Kraft steht, und wenn es über unsere Kraft geht, woanders Hilfe zu suchen und gemeinsam Wege zu finden, wie wir die Krise meistern können. Sonst wird aus der Krise schnell ein Krieg, im übertragenen, aber oft genug auch im wörtlichen Sinne. Wir reden ja auch bei einer Ehe, in der die Partner den Respekt voreinander verloren haben, vom Ehekrieg. Das ist nicht so witzig, wie es klingt.

Das gilt für alle Lebensgebiete. Es ist letztlich die Frage, wie wir miteinander umgehen und was uns dient und nützt. An anderer Stelle sagt Paulus: Alles ist erlaubt, aber nicht alles hat einen Nutzen. Lasst uns als Christen, lasst uns als Menschen immer danach fragen, was wir brauchen und was uns hilft, dann erfüllen wir den Willen Gottes. In diesem Sinne kann man tatsächlich darin wachsen, „heilig“ zu werden und bessere Menschen zu werden. Nicht, indem wir nach abstrakten Regeln fragen, sondern danach, was uns weiter bringt auf dem Weg des Friedens.

Die altmodischen und harten Worte des Paulus klingen so auf einmal ganz modern, weil sie uns auf den Weg der Menschlichkeit bringen. Respektloses Verhalten aber, dass andere Menschen oder andre Geschöpfe zu einer bloßen Sache degradiert, ist kein sehr menschliches Verhalten. Es ist im Grunde ganz einfach, worum er hier geht, und Jesus sagt es an anderer Stelle auch ganz einfach: Behandele die anderen so, wie du auch gerne behandelt werden möchtest. Folge nicht deinen Ängsten und deinen Lüsten, sondern frag nach der Angst und der Lust der anderen. Dann seid ihr heilig und lebt, wie es Gott gefällt: nämlich als Geschöpfe, denen von Gott eine unverlierbare Würde eingesenkt wurde. Das ist die einfache Antwort auf die einfache Frage, wie wir als Christen richtig leben: lebt in Respekt voreinander!

Nur so kann die Welt ein besserer Ort werden, als sie ist: ein Ort, wo Menschen vor Menschen keine Angst mehr zu haben brauchen, sondern in einem Klima von Vertrauen, Zuversicht und Hoffnung miteinander leben können. Dann können wir die Sexualität genießen und die Gaben der Schöpfung in gerechtem Handle miteinander tauschen. Nicht der Sex und nicht das Geschäftemachen sind böse, sondern wenn wir den Respekt voreinander verlieren, gewinnt das Böse über uns Macht. Das aber kann nicht unserem Interessse sein. Denn nur wo Respekt und Rücksichtnahme herrschen, kann der Frieden wachsen.

Denn mehr wollen wir doch gar nicht. Mehr will auch Gott nicht. Ich glaube nicht, dass das zu viel verlangt ist, auch wenn es eine große Herausforderung ist. Aber wir können uns ihr getrost stellen. Und wenn uns unser Kraft verlässt, wenn Angst und Gier in uns Überhand nehmen: Dann lasst uns zu Gott beten, dass er uns hilft, den Respekt und die Würde wiederzufinden: Führe uns nicht Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Wie du es in Jesus Christus getan hast.

Amen.

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